Verkehrsrecht

Berufung, Regulierung, Schadensregulierung, form, Haftung, Umfang, Beurteilung, Versicherung, Fahrzeug, Anforderungsprofil, Sicherung, Bedeutung, Inanspruchnahme, Schadensabwicklung, Fortbildung des Rechts, Aussicht auf Erfolg, Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung

Aktenzeichen  10 U 3808/21 e

Datum:
18.2.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 5989
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

9 O 2699/20 2021-05-28 Endurteil LGTRAUNSTEIN LG Traunstein

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten vom 16.06.2021 gegen das Endurteil des LG Traunstein vom 28.05.2021 wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Das vorgenannte Urteil des Landgerichts ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
3. Der Streitwert des Berufungsverfahrens beträgt 19.953,88 €.

Gründe

I. Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete, somit zulässige Berufung hat nach einhelliger Überzeugung des Senats in der Sache keine Aussicht auf Erfolg und ist deshalb, da die Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung hat und auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des Berufungsgerichts aufgrund mündlicher Verhandlung erfordert, gem. § 522 II 1 ZPO zurückzuweisen.
Zur Begründung wird zunächst gemäß § 522 II 3 ZPO auf den Hinweis des Senats vom 18.10.2021 und den weiteren Hinweis vom 16.12.2021 Bezug genommen. Nach nochmaliger Prüfung der Sach- und Rechtslage unter Beachtung der von der Beklagten im Schriftsatz vom 19.01.2022 vorgebrachten Ausführungen bleibt der Senat bei seiner zuletzt mitgeteilten Rechtsauffassung. Im Hinblick auf die Stellungnahme der Berufungsführerin ist ergänzend Folgendes zu bemerken:
1. Beurteilung der Erklärung der C. G. GmbH vom 06.07.2020 nach nationalem Recht
a) Auch unter Berücksichtigung des Vorbringens der Beklagten im benannten Schriftsatz bleibt der Senat bei seiner Auffassung, wonach die Erklärung der C. G. GmbH nach deutschem Recht zu bemessen ist:
Der Beklagten ist zuzustimmen, dass – worauf auch der Senat schon hingewiesen hat – § 163 Abs. 4 Satz 1 VAG den Aufgabenbereich des Schadenregulierungsbeauftragten beschreibt. Darüber hinaus legt § 163 VAG aber auch das Anforderungsprofil (Art. 4 Abs. 1 Satz 3, Abs. 3 und 5 4. KH-RL) entsprechend den europäischen Vorgaben fest (vgl. Nomos-BR/Laars VAG/Reinhard Laars/David Both, 4. Aufl. 2017, VAG § 163 Rn. 1-3). Dem Schadenregulierungsbeauftragten kommt insbesondere die Aufgabe zu, die berechtigten Schadensersatzansprüche in vollem Umfang zu regulieren (vgl. MüKoStVR, I. Das System der Grünen Versicherungskarte und der EU-Kfz-Haftpflichtversicherungsrichtlinien Rn. 51, beckonline). Er tritt insoweit „faktisch an die Stelle des KH-Versicherers“ (vgl. Bachmeier, Regulierung von Auslandsunfällen, Unfallschadensregulierung bei Auslandsbeteiligung Rn. 473, beckonline). Insoweit ist es folgerichtig, wenn der Senat unter Bezugnahme auf die Ausführungen von Bachmeier, a.a.O. in seinem Beschluss vom 16.12.2021 darlegt, dass der Schadensregulierungsbeauftragte in Wahrnehmung dieser Funktion „nicht bloßer Vertreter des Versicherers [ist], worauf Art. 4 [Anmerkung des Senats: Art. 4 der 4. KH-RL] zunächst hindeutet, sondern mit eigenen Befugnissen auszustatten [ist], wie sich aus Abs. 5 Anmerkung des Senats: nicht § 163 Abs. 5 VAG, sondern Art. 4 Abs. 5 Satz 1 der 4. KH-RL, wonach Schadensregulierungsbeauftragte über ausreichende Befugnisse verfügen müssen, um das Versicherungsunternehmen gegenüber Geschädigten zu vertreten und um deren Schadensersatzansprüche in vollem Umfang zu befriedigen ergibt. Im Verhältnis zum Geschädigten darf seine Regulierungsbefugnis nicht eingeschränkt werden“ (vgl. Bachmeier, a.a.O.).
Bei der Beurteilung des Regelungsgehalts des § 163 VAG darf auch nicht vergessen werden, dass die Vorschrift, welche inhaltlich unverändert den bisherigen § 7 b VAG aF und § 13 d Nr. 9 VAG aF (Abs. 2) entspricht, durch das Gesetz zur Änderung des Pflichtversicherungsgesetzes und anderer versicherungsrechtlicher Vorschriften vom 10.7.2002 (BGBl. I S. 2586) eingefügt worden ist, welches wiederum der Umsetzung der RL 2000/26/EG (Vierte Kraftfahrzeughaftpflicht-RL, ABl EG Nr. L 181 vom 20.7.2000, S. 65 – 4. KH-Rl) dient. (vgl. Nomos-BR/Laars VAG/Reinhard Laars/David Both, a.a.O.). Die Vorschrift ist daher im Lichte der europarechtlichen Vorgaben zu würdigen.
Zwar ist es zutreffend, dass § 163 VAG neben der Ansässigkeit oder Niederlassung des Schadensregulierungsbeauftragten in dem Staat, für den er benannt ist (§ 163 Abs. 3 Satz 1 VAG) ausdrücklich nur verlangt, dass der Schadensregulierungsbeauftragte in der Lage sein muss, den Fall in der Amtssprache oder den Amtssprachen des Staats zu bearbeiten, für den er benannt ist (§ 163 Abs. 3 Satz 4 VAG). Hieraus kann jedoch nicht der Umkehrschluss gezogen werden, dass Erklärungen des Schadensregulierungsbeauftragten im Zuge der vollständigen Schadensregulierung nicht nach dem Recht des Wohnsitzmitgliedstaates zu bemessen wären, sofern sie – wie vorliegend – die Regulierungsfrage betreffen.
Insoweit hat bereits das Erstgericht aus Sicht des Senats zutreffend darauf hingewiesen, dass sich die aus Art. 21 Abs. 5 der Kraftfahrzeughaftpflicht-RL (durch welche, aus Gründen der Klarheit und der Übersichtlichkeit mehrere Richtlinien, insbesondere auch die RL 2005/14/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 zur Änderung der Richtlinien 72/166/EWG, 84/5/EWG, 88/357/EWG und 90/232/EWG des Rates sowie der RL 2000/26/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung kodifiziert wurden – RL 2009/103/EG – Erwägungsgrund 1) resultierende Forderung den Schadensregulierungsbeauftragten ausreichende Befugnisse zur Vertretung des Versicherers und zur vollständigen, selbständigen und weisungsunabhängigen Schadensregulierung einzuräumen (was Art. 4, Abs. 5 Satz 1 der 4. KH-RL entspricht) bereits aus der Zielsetzung der Richtlinie folgt, „den Geschädigten, im Gleichlauf mit dem System-Grüne-Karte, in den Genuss einer Unfallabwicklung wie durch einen inländischen Versicherer kommen zu lassen. Sie wird bestätigt durch die Gesetzgebungshistorie, denn die ursprünglich vorgesehene Formulierung, nach der der Schadenregulierungsbeauftragte „entsprechend den Anweisungen des Versicherungsunternehmens“ zu handeln hatte, wurde im Gesetzgebungsverfahren fallen gelassen“ (MüKoStVR, I. Das System der Grünen Versicherungskarte und der EU-Kfz-Haftpflichtversicherungsrichtlinien Rn. 52, beckonline). Diese Autonomie des Schadensregulierungsbeauftragten im Verhältnis zum Geschädigten wird – worauf das Erstgericht ebenfalls zutreffend hinweist – auch im Erwägungsgrund 34 der RL 2009/103/EG deutlich, wonach die Lösung der Inanspruchnahme eines Schadensregulierungsbeauftragten es ermöglichen soll, dass ein Schaden, der außerhalb des Wohnsitzmitgliedstaats des Geschädigten eintritt, in einer Weise abgewickelt wird, die dem Geschädigten vertraut ist.
Zwar bedeutet dies nicht, was das Erstgericht ebenfalls nicht unerwähnt lässt, dass durch die Inanspruchnahme eines Schadenregulierungsbeauftragten im Wohnsitzmitgliedstaat des Geschädigten das im konkreten Fall anzuwendende materielle Recht berührt bzw. bestimmt wird (vgl. Erwägungsgrund 35 der RL 2009/103/EG), die Regulierungsmaßnahmen des im Inland agierenden Schadensregulierungsbeauftragten sind jedoch nach deutschem Recht zu bemessen. Insoweit führt das Erstgericht auch zutreffend aus, dass es mit dem Sinn und Zweck der Kraftfahrzeughaftpflicht-Richtlinie, die Schadensabwicklung für den Geschädigten zu erleichtern und in einer ihm vertrauten Weise vorzunehmen, nicht zu vereinbaren wäre, wenn sich die Regulierungsmaßnahmen nicht nach dem Recht des Wohnsitzstaates beurteilen ließen.
Der Senat verbleibt daher unter Bezugnahme auf die Ausführungen im Beschluss vom 16.12.2021 und den Darlegungen des Erstgerichts bei der Auffassung, dass die Erklärung der C.GmbH in der E-Mail vom 06.07.2020 (vgl. Anlage K 6) an den Prozessbevollmächtigten der Klägerin, in der es wortwörtlich heißt:
„Sehr geehrte Damen und Herren, wir teilen mit, dass die Versicherung die Haftung dem Grunde nach anerkennt. Bezüglich der Schadenhöhe nehmen wir zur Zeit eine Überprüfung vor. […]“.
nach deutschem Recht zu beurteilen ist und insoweit von einem deklaratorischen Schuldanerkenntnis auszugehen ist.
b) Nachdem der C. G. GmbH als Regulierungsbeauftragte die Aufgabe zukam, den Schaden eigenständig und umfassend zu regulieren, kann sich die Beklagte nicht darauf berufen, dass ihr im Zeitpunkt der Abgabe der Erklärung der C. G. GmbH die zweifelhaften Umstände des Verkehrsunfalls nicht bekannt gewesen seien, weil dies jedenfalls nicht auf das Außenverhältnis durchschlägt. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass das Missbrauchsrisiko einer Überschreitung der Vertretungsmacht im Innenverhältnis bei der Beklagten liegt (vgl. Palandt/Ellenberger, 80. Aufl. 2021, § 164 BGB Rn. 13 m.w.N.). Seitens der Beklagten wurde im Übrigen auch nicht vorgetragen, inwieweit die Regulierungsvollmacht der C. G. GmbH im Innenverhältnis beschränkt gewesen wäre.
Die Beklagte trägt auch weiterhin nicht vor, inwieweit sie nicht bereits bei Abgabe der Erklärung der C. Germany Anhaltspunkte dafür gehabt haben will, dass es sich bei dem Unfallgeschehen aus ihrer Sicht um kein freiwilliges Unfallereignis handelte. Der bloße Einwand, dass die „zweifelhaften Umstände des Verkehrsunfalls“ (vgl. Seite 5 des Schriftsatzes vom 19.01.2022 = Bl. 46 d. OLG-A.) erst nach Abgabe der Erklärung und Überprüfung der Schadenshöhe aufgefallen seien, genügt hierfür nicht.
2. Eigentumsvermutung des § 1006 BGB
Soweit die Beklagte bei der Frage des Rückgriffs auf die Eigentumsvermutung des § 1006 BGB anmerkt, dass die Vorschrift des Art. 43 EGBGB auch so verstanden werden könne, „dass nur dann auf den Belegungsort abzustellen ist, wenn es im Rahmen des Erwerbsvorgangs Streit zwischen den Parteien des Erwerbsvorgangs gibt“ und ferner auch der „Belegort im Zeitpunkt des Unfalls“ angenommen werden könnte, (vgl. Seite 5 des Schriftsatzes vom 19.01.2022 = Bl. 46 d. OLG-A.) kann dem nicht gefolgt werden. Aus dem Wortlaut des Art. 43 Abs. 1 EGBGB, wonach Rechte an einer Sache dem Recht des Staates unterliegen, in dem sich die Sache befindet, kann eine Einschränkung dahingehend, dass Art. 43 EGBGB nur bei Streit zwischen den Parteien eines Erwerbsvorgangs Anwendung findet, gerade nicht entnommen werden. Ferner ist der maßgebliche Zeitpunkt für die Anknüpfung an den Lageort der Zeitpunkt, in dem die dingliche Rechtsfolge eingetreten ist (vgl. Teubel in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 9. Aufl., Art. 43 EGBGB [Stand 01.03.2020], Rn. 16), so dass gerade nicht auf den Zeitpunkt des Unfalls abgestellt werden kann. Nachdem sich – wie bereits dargelegt – das streitgegenständliche Fahrzeug in Deutschland befindet und auch der gewöhnliche Belegenheitsort im Inland ist – was an dem amtlichen deutschen Kraftfahrzeugkennzeichen und dem Sitz der Klägerin in Traunstein ersichtlich ist – ist davon auszugehen, dass die dingliche Rechtsfolge im Inland eingetreten ist und § 1006 BGB daher Anwendung findet.
Ein anderes Ergebnis ergibt sich entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht aus Art. 46 EGBGB. Art. 46 EGBGB bestimmt für den Fall, dass mit dem Recht eines Staates eine wesentlich engere Verbindung als mit dem Recht, das nach den Artikeln 43 und 45 maßgebend wäre, besteht, das Recht dieses Staates anzuwenden ist. Das Tatbestandsmerkmal der wesentlich engeren Verbindung setzt aber zunächst voraus, dass „die gefundene Anknüpfung an Art. 43 oder 45 ein sachfernes Ergebnis zeigt, denn andernfalls ist ein Ausweichen vom gesetzlichen Leitbild keinesfalls zu rechtfertigen“ (BeckOGK/Prütting, 1.2.2020, EGBGB Art. 46 Rn. 7). Es erscheint aber keinesfalls sachfern, für die Frage der Aktivlegitimation auf deutsches Recht abzustellen, nachdem es sich bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug um ein Fahrzeug mit amtlichen deutschen Kraftfahrzeugkennzeichen handelt und der Sitz der Klägerin in Deutschland ist. Bereits das gesetzliche Leitbild des Art. 43 EGBGB verbietet es daher auf Art. 46 EGBGB zurückzugreifen.
II. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10 S. 2 ZPO.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 I ZPO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 63 II 1, 47 I 1, 40, 48 I 1 GKG, 3 ff. ZPO


Ähnliche Artikel


Nach oben