Verkehrsrecht

Betriebsgefahr, Gehweg, Haftung, Schadensereignis, Halter, Notwendigkeit, Kraftfahrzeug, Voraussetzungen, Rechtsauffassung, Inanspruchnahme, Annahme, Betrieb, Garage, Vergleich, dritte Person, durch Dritte

Aktenzeichen  17 S 14062/20

Datum:
19.7.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 55458
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

345 C 4693/20 2020-10-09 Endurteil AGMUENCHEN AG München

Tenor

Die Kammer beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts München vom 09.10.2020, Az. 345 C 4693/20, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil sie einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.

Gründe

Eine Berufung kann nur darauf gestützt werden, dass die erstinstanzliche Entscheidung auf einer Rechtsverletzung beruht oder die Tatsachenfeststellung unrichtig ist oder neue berücksichtigungsfähige Angriffs- und Verteidigungsmittel vorliegen. Soweit es keine Anhaltspunkte für eine Unrichtigkeit der Beweiswürdigung, ein unrichtiges Beweismaß, Verstöße gegen Denk- und Naturgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze, Widersprüche zwischen einer protokollierten Aussage und den Urteilsgründen sowie Mängel der Darstellung des Meinungsbildungsprozesses wie Lückenhaftigkeit oder Widersprüche (Anschluss BGH, 19. April 2005, VI ZR 175/04, VersR 2005, 945) gibt, ist das Berufungsgericht nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO an die Beweiswürdigung des Erstgerichts gebunden (OLG München, Urteil vom 21. Juni 2013- 10 U 1206/13).
Das Gericht folgt auch unter Berücksichtigung des Berufungsvorbringens der Rechtsauffassung des Erstgerichts und sieht folglich ebenfalls keine Notwendigkeit für die Einholung eines Sachverständigengutachtens. Unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 8 Nr. 1 StVG hätte selbst die Annahme einer Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs keine Haftung der Beklagten aus § 7 StVG zur Folge.
Eine Haftung aus Verschulden lag im vorliegenden Fall nicht vor. Eine solche käme allenfalls durch ein pflichtwidriges oder unsachgemäßes Abstellen des E-Scooters auf dem Gehweg in Betracht. Für ein weiteres Verschulden des Fahrzeugführers oder der Halterin des Beklagtenfahrzeugs liegen keine Anhaltspunkte vor.
Ein pflichtwidriges Abstellen des E-Scooters liegt aber nicht vor. Für das Abstellen von Elektrokleinstfahrzeugen gelten gemäß § 11 Abs. 5 eKFV nämlich die für Fahrräder geltenden Parkvorschriften entsprechend, so dass ein Abstellen auf dem Gehweg im Bereich eines Fahrradständers im vorliegenden Fall nicht verboten war (vgl. hierzu auch BVerwG NJW 2004, 1815; OLG Lüneburg VRS 106, 144). Unabhängig davon würde ein Parkverbot auf dem Gehweg auch nicht den parkenden Verkehr, sondern den ungehinderten Fußgängerverkehr auf dem Gehweg schützen (vgl. LG München I, Urteil vom 17.10.2019, Az. 19 S 10419/19).
Ferner konnte nicht nachgewiesen werden, dass der E-Scooter unsachgemäß abgestellt war. Allein durch das Umfallen, sofern die Schäden am Klägerfahrzeug überhaupt durch das Beklagtenfahrzeug verursacht wurde, greift jedenfalls kein Anscheinsbeweis für ein unsachgemäßes Abstellen. Ein solcher greift lediglich bei typischen Geschehensabläufen ein, also in Fällen, in denen ein bestimmter Tatbestand nach der Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache für den Eintritt eines bestimmten Erfolgs hinweist (BGH NJW-RR 2014, 1115 Rn. 9; NJW 2013, 2901 Rn. 27). Vorliegend liegt aber kein typischer Geschehensablauf vor, da der E-Scooter vom letzten Nutzer unstreitig etwa knappe 24 Stunden vor dem Unfallereignis abgestellt wurde, so dass aufgrund der langen Standzeit ohne Umfallen der Verdacht eines unsachgemäßen Abstellens jedenfalls widerlegt wurde. Insoweit war daher auch dem Beweisangebot der Klagepartei zur unsachgemäßen Abstellung nicht nachzugehen.
Auch eine Haftung aus Betriebsgefahr, sofern es auf eine solche ankommen sollte, scheidet nach Ansicht der Kammer aus. Zwar hat ein Halter für die Betriebsgefahr seines Fahrzeugs grundsätzlich auch dann einzustehen, wenn es nicht mehr am fließenden Verkehr teilnimmt und geparkt abgestellt wird, solange es nicht vollständig aus dem öffentlich zugänglichen Verkehrsraum (etwa in eine Garage oder auf reines Privatgelände) entfernt worden ist (vgl. LG Tübingen NJW 2010, 2290). Voraussetzung für eine Inanspruchnahme aus der Betriebsgefahr gemäß § 7 StVG ist aber, dass der Geschädigte nachweisen kann, dass das Schadensereignis dem Betrieb eines Kraftfahrzeuges nach dem Schutzzweck der Gefährdungshaftung auch zugerechnet werden kann und sich durch die Schädigung gerade diejenigen spezifischen Gefahren realisierten, welche einem motorisierten Kraftfahrzeug innewohnen. So liegt es hier aber nicht. Der E-Scooter stand bereits knappe 24 Stunden, ohne umzufallen. Es lässt sich somit nicht ausschließen, dass er – wie auch der Kläger selbst vermutet – durch eine dritte Person umgestoßen wurde und sich damit ein unabhängiger und eigenständiger Gefahrenkreis verwirklichte. Der E-Scooter unterscheidet sich in diesem Fall dann nicht von anderen sperrigen Gegenständen, die in gleicher Weise auf der Parkfläche hätten abgestellt werden können (etwa ein Fahrrad, eine Leiter, Sperrmüll) und für die keine Gefährdungshaftung besteht (vgl. LG Tübingen NJW 2010, 2290). Insoweit passt auch der Vergleich mit der von Klägerseite zitierten BGH-Rechtsprechung (vgl. BGH, Urteil vom 20.10.2020, Az. VI ZR 158/19) nicht, da im hiesigen Fall auch kein technischer Defekt des Kraftfahrzeugs als Unfallursache festgestellt werden konnte.
Es bedurfte daher aus rechtlicher Sicht ebensowenig der Einholung eines Gutachtens zur Feststellung der Höchstgeschwindigkeit des Beklagtenfahrzeugs wie zur Prüfung, ob der Schaden am Klägerfahrzeug überhaupt durch das Beklagtenfahrzeug verursacht wurde, was ebenfalls streitig war. Dokument unterschrieben von: Gleich, Landgericht München I am: 22.07.2021 11:04


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