Verkehrsrecht

Eilverfahren, Entziehung der Fahrerlaubnis, Nichteinbringung der geforderten Gutachten, wiederholte Verkehrsordnungswidrigkeiten

Aktenzeichen  W 6 S 21.531

Datum:
12.5.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 26092
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVG § 3
FeV § 11 Abs. 2 Nr. 4
FeV § 11 Abs. 8
FeV § 46

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der 1992 geborene Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klasse B.
1. Dem Antragsteller wurde mit Bescheid vom 9. Februar 2015 die Fahrerlaubnis entzogen, nachdem er nicht an einem Aufbauseminar für Fahranfänger teilgenommen hatte. Nach Wiedererteilung wurde dem Antragsteller mit Bescheid vom 13. Februar 2017 die Fahrerlaubnis nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem erneut entzogen, da zwischenzeitlich 8 Punkte im Fahreignungsregister eingetragen waren. Einen ersten Antrag auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis vom 5. Oktober 2017 nahm der Antragsteller zurück, da das medizinisch-psychologische Gutachten der … GmbH vom 20. März 2018 zu dem Ergebnis kam, dass künftig zu erwarten sei, dass der Antragsteller wiederholt gegen verkehrsrechtliche Bestimmungen verstoßen wird. Nachdem der Antragsteller ein weiteres (positives) Gutachten der … GmbH vom 21. Februar 2019 vorlegte, wurde ihm die Fahrerlaubnis am 8. März 2019 wiedererteilt.
Mit Schreiben vom 26. August 2020 schlug die Polizeiinspektion W.-Stadt gegenüber dem Landratsamt W. (nachfolgend: Landratsamt) den Antragsteller zum Verkehrsunterricht oder zu einer anderen geeigneten Maßnahme vor. Dem lag zugrunde, dass der Antragsteller am 22. August 2020 zwischen 22:50 Uhr bis 23:00 Uhr nach Mitteilung eines Zeugen mit seinem hochmotorisierten Pkw mehrfach die Juliuspromenade befahren habe und nach Angaben des Zeugen Geschwindigkeiten von über 100 km/h gefahren sein soll. Der Zeuge sei zu Fuß auf der Juliuspromenade Richtung K. straße gelaufen, wo ihm der Antragsteller erneut mit 100 km/h begegnet sein soll, als er durch das Nachtfahrverbot der K. straße gefahren sei. Die Polizeistreife habe den Antragsteller um 23 Uhr parkend vor der Hausnummer 58 (Fußgängerzone) angetroffen. Der Antragsteller habe geleugnet, zu schnell gefahren zu sein, und lediglich angegeben, dass er es eilig habe. Da die Polizeistreife lediglich das Parken in der Fußgängerzone wahrnehmen konnte, sei nur dieses Delikt verwarnt worden.
Eine Auskunft aus dem Fahreignungsregister vom 7. Oktober 2020 ergab folgende Eintragungen: Bußgeldbescheid vom 8. Oktober 2019 (unerlaubte Nutzung eines elektronischen Gerätes am 26.8.2019, bewertet mit 1 Punkt, rechtskräftig seit 26.10.2019) und Bußgeldbescheid vom 23. Oktober 2019 (Rotlichtverstoß am 12.9.2019, bewertet mit 1 Punkt, rechtskräftig seit 8.11.2019).
Daraufhin wurde der Antragsteller mit Schreiben vom 8. Oktober 2020 unter Bezugnahme auf diesen Sachverhalt aufgefordert, gemäß § 11 Abs. 3 Nr. 4, 2. Alt. FeV ein medizinisch-psychologisches Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung bis zum 8. Januar 2021 beizubringen. Zu klären sei folgende Frage: „Ist trotz der aktenkundigen wiederholten Verstöße gegen verkehrsrechtliche Vorschriften zu erwarten, dass der Antragsteller künftig nicht wiederholt gegen verkehrsrechtliche Bestimmungen verstoßen wird?“ Die Anordnung zur medizinisch-psychologischen Untersuchung außerhalb des Punktesystems sei in der Sache begründet. Bereits der Umstand, dass dem Antragsteller nach der Ersterteilung im Jahr 2012 die Fahrerlaubnis erstmals 2015 entzogen worden sei, falle aus dem Rahmen. Dem habe zugrunde gelegen, dass der Antragsteller eine Aufforderung zur Teilnahme an einem Aufbauseminar für Fahranfänger nicht gefolgt sei, welche wiederum ergangen sei, da bereits mehrere Verkehrsverstöße begangen worden seien. Nach nur ca. eineinhalb Jahren nach Neuerteilung der Fahrerlaubnis 2015 habe der Antragsteller erneut das Punktesystem durchlaufen und ihm sei im Februar 2017 die Fahrerlaubnis entzogen worden. Die im Gutachten der … GmbH vom 21. Februar 2019 abgegebene günstige Prognose habe darauf beruht, dass ausweislich der Angaben des Antragstellers gegenüber dem Gutachter ein erkennbarer innerer Veränderungsprozess stattgefunden habe. Die erneuten Verkehrsverstöße zeigten nun auf, dass die Prognoseerwartung unzutreffend gewesen sei. Der Antragsteller habe innerhalb eines Jahres nach Neuerteilung der Fahrerlaubnis nahtlos an sein vorhergehendes verkehrswidriges Verhaltensmuster angeknüpft, die prognostizierte stabile Überwindung der vorherigen negativen Verhaltensweisen sei damit widerlegt. Es wurde darauf hingewiesen, dass bei Nicht- oder nicht rechtzeitiger Vorlage des Gutachtens auf die Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen geschlossen werden kann, § 11 Abs. 8 FeV. Das Schreiben wurde dem Antragsteller am 13. Oktober 2020 zugestellt.
Am 6. November 2020 ließ der Antragsteller Klage gegen die der Anordnung vom 8. Oktober 2020 zugrundeliegende Kostenentscheidung erheben (Az.: W 6 K 20.1713), über die noch nicht entschieden ist. Mit Schreiben vom 30. November 2020 erklärte sich der Antragsteller mit einer Begutachtung durch die … GmbH in W. einverstanden. Die Frist zur Vorlage des Gutachtens wurde bis zum 5. März 2021 verlängert, nachdem der Antragsteller mitteilte, dass ein frühester Untersuchungstermin erst am 11. Februar 2021 möglich sei. Mit Schreiben vom 16. Februar 2021 informierte das Landratsamt den Bevollmächtigten des Antragstellers, dass nach Mitteilung der Staatsanwaltschaft Würzburg vom 10. Februar 2021 gegen den Antragsteller ein Ermittlungsverfahren wegen Nötigung eingeleitet worden sei, und die an die Begutachtungsstelle übersandte Führerscheinakte um dieses Schriftstück ergänzt werde. Mit Schreiben vom 9. März 2021 sandte die … GmbH die Fahrerlaubnisakte an das Landratsamt zurück. Unter Verweis darauf, dass das geforderte Gutachten nicht vorgelegt worden sei, hörte das Landratsamt am 10. März 2021 den Antragsteller zur beabsichtigten Entziehung der Fahrerlaubnis an. Eine Äußerung erfolgte nicht.
Mit kostenpflichtigem Bescheid vom 30. März 2021 wurde dem Antragsteller die Fahrerlaubnis entzogen (Nr. 1) und ihm aufgegeben, den am 8. März 2019 ausgestellten Führerschein, Nr. …, unverzüglich, spätestens eine Woche nach Zustellung des Bescheides abzugeben (Nr. 2). Die sofortige Vollziehbarkeit der Nrn. 1 und 2 wurde angeordnet (Nr. 3) und dem Antragsteller für den Fall der Nichtbeachtung der Ziffer 2 ein Zwangsgeld in Höhe von 200,00 EUR angedroht (Nr. 4). Zur Begründung wurde im Wesentlichen vorgetragen, der Antragsteller sei ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen und ihm sei daher die Fahrerlaubnis zu entziehen, da er das zurecht geforderte Gutachten nicht vorgelegt habe, § 3 StVG, § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV und § 11 Abs. 8 FeV. Die aktuell im Fahreignungsregister aufgeführten Ordnungswidrigkeiten vom 26. August 2019 und 12. September 2019 stellten wiederholte Verstöße gegen verkehrsrechtliche Vorschriften im Sinne des § 46 Abs. 3 FeV, § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4, 2. Alt. FeV dar. Die Anordnung vom 8. Oktober 2020, ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen, sei daher zu Recht erfolgt. Die Androhung von Zwangsgeld stütze sich auf Art. 29, 31 und 36 VwZVG. Die sofortige Vollziehbarkeit der Nrn. 1 und 2 des Bescheides sei nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO angeordnet, weil ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit bestehe. Die feststehende Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen des Antragstellers stelle eine erhebliche Gefahr für Leben und Gesundheit der anderen Verkehrsteilnehmer und damit für die Allgemeinheit dar. Es liege im besonderen öffentlichen Interesse, diese Gefahr möglichst umgehend zu beseitigen und es sei nicht verantwortbar, den Antragsteller bis zur eventuellen Bestandskraft als Führer eines Kraftfahrzeuges am öffentlichen Straßenverkehr teilnehmen zu lassen. Auch liege es im öffentlichen Interesse, dass die Polizei bei Verkehrskontrollen nicht durch das Vorzeigen eines Führerscheins getäuscht werden könne. Der Bescheid wurde dem Bevollmächtigten des Antragstellers am 1. April 2021 zugestellt.
Mit Schreiben vom 12. April 2021 ließ der Antragsteller mitteilen, dass ihm sein Geldbeutel mit allen Karten inklusive Führerschein gestohlen worden sei. Am 16. April 2021 legte der Antragsteller eine entsprechende Versicherung an Eides statt ab.
2. Gegen den Bescheid ließ der Antragsteller am 12. April 2021 Widerspruch einlegen, über den noch nicht entschieden ist, sowie gleichzeitig sinngemäß im vorliegenden Eilverfahren beantragen,
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen Ziffer 1 des Bescheides vom 30. März 2021 wiederherzustellen.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Beibringungsanordnung vom 8. Oktober 2020 genüge nicht den formellen und materiell-rechtlichen Anforderungen. Es sei bereits nicht erkennbar, inwiefern zwei Verstöße aus dem Fahreignungsregister gegen die stabile Überwindung negativer Verhaltensweisen sprechen könnten. Das Landratsamt habe sich nicht mit den einzelnen Sachverhalten auseinandergesetzt, insbesondere seien beide Ordnungswidrigkeiten nur mit einem Punkt bewertet. Überdies sei nicht geprüft worden, ob die zuvor erfolgten Entziehungen fehlerhaft erfolgt seien. Soweit Verstöße aus dem Jahr 2019, welche schon lange bekannt seien, nunmehr herangezogen würden, sei dies nicht ermessensgerecht. Die Mitteilung der Polizei hinsichtlich des Sachverhalts vom 22. August 2020 sei rechtswidrig und dürfe nicht bei der Anordnung zugrunde gelegt werden, da ein Bußgeldbescheid nicht ergangen und eine Beweiserhebung nicht erfolgt sei. Der Sachverhalt sei in rechtswidriger Weise in die Anordnung zu Gutachtensbeibringung aufgenommen worden, was die Anordnung rechtswidrig mache.
Der Antragsgegner, vertreten durch das Landratsamt W., beantragte,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wurde auf die Ausführungen des Entziehungsbescheids verwiesen. Die Anordnung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens sei nach Ausübung pflichtgemäßen Ermessens unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsprinzips zu Recht ergangen. Insbesondere seien die besonderen Umstände des Antragstellers berücksichtigt worden. Im Rahmen der Eignungsüberprüfung sei eine Auskunft aus dem Fahreignungsregister eingeholt worden, die aktuell eingetragenen Verstöße könnten zur Eignungsprüfung herangezogen werden. Die Mitteilung der Polizeiinspektion W.-Stadt sei im Hinblick auf § 2 Abs. 12 Satz 1 StVG rechtmäßig erfolgt.
3. Wegen der weiteren Einzelheiten des SachStreitstands wird auf die Gerichtsakte, auch im Verfahren W 6 K 20.1713, sowie die beigezogene Behördenakte verwiesen.
II.
Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Bescheid des Beklagten vom 30. März 2021 ist zulässig, aber unbegründet.
1. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs und einer eventuell nachfolgenden Klage des Antragstellers gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis (Nr. 1 des Bescheides) entfällt im vorliegenden Fall, weil die Behörde gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO die sofortige Vollziehung angeordnet hat.
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen bzw. im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Das Gericht prüft, ob die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der sofortigen Vollziehung gegeben sind. Im Übrigen trifft es eine eigene Abwägungsentscheidung anhand der in § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO normierten Kriterien. Hierbei ist das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung gegen das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs abzuwägen. Bei dieser Abwägung sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache dann von maßgeblicher Bedeutung, wenn nach summarischer Prüfung von der offensichtlichen Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des streitgegenständlichen Verwaltungsakts und der Rechtsverletzung des Antragstellers auszugehen ist. Jedenfalls hat das Gericht die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs bei seiner Entscheidung mit zu berücksichtigen, soweit diese sich bereits übersehen lassen. Sind diese im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vollkommen offen, ist eine reine Interessenabwägung vorzunehmen.
Der Antragsgegner hat die Anordnung der sofortigen Vollziehung in ausreichender Weise gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO begründet. Die Begründung der Anordnung des Sofortvollzugs im streitgegenständlichen Bescheid genügt den lediglich formell-rechtlichen Anforderungen. Sie zeigt, dass sich der Antragsgegner des Ausnahmecharakters der Vollzugsanordnung bewusst war und enthält die Erwägungen, die er für die Anordnung des Sofortvollzugs als maßgeblich angesehen hat.
2. Eine summarische Prüfung der Hauptsache, wie sie im Sofortverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO erforderlich und ausreichend ist, ergibt, dass der Rechtsbehelf des Antragstellers (Widerspruch und eventuell nachfolgende Klage) voraussichtlich keinen Erfolg haben wird.
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG i. V. m. § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 zur FeV vorliegen oder erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen wurde und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken gegen die Eignung des Fahrerlaubnisinhabers zum Führen von Kraftfahrzeugen begründen, finden gemäß § 46 Abs. 3 FeV die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung. Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen oder bringt er der Fahrerlaubnisbehörde das von ihr geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, so darf sie bei ihrer Entscheidung gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf die Nichteignung des Betroffenen schließen. Voraussetzung ist allerdings insoweit, dass die Untersuchungsanordnung rechtmäßig ist und die Weigerung ohne ausreichenden Grund erfolgt (BVerwG, U.v. 9.6.2005 – 3 C 25/04 – DAR 2005, 581; BayVGH, B.v. 25.6.2008 – 11 ZB 08.1123 – juris). Im Hinblick darauf, dass eine Gutachtensanordnung mit erheblichen Eingriffen in das Persönlichkeitsrecht und/oder das Recht auf körperliche Unversehrtheit verbunden ist, aber nicht isoliert mit Rechtsmitteln angegriffen werden kann, kann auf die strikte Einhaltung der vom Verordnungsgeber für die Rechtmäßigkeit einer solchen Anordnung aufgestellten formalen Voraussetzungen nicht verzichtet werden (vgl. BayVGH, B.v. 27.11.2012 – 11 ZB 12.1596 – ZfSch 2013, 177). In materieller Hinsicht setzt die Rechtmäßigkeit der Anordnung der Untersuchung vor allem voraus, dass sie den Grundsätzen der Anlassbezogenheit und Verhältnismäßigkeit genügt (vgl. BayVGH, B.v. 11.2.2008 – 11 C 08.1030 – juris).
Nach summarischer Prüfung war die Anordnung vom 8. Oktober 2020 zur Beibringung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung auf Grundlage der § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4, 2. Alt. FeV rechtmäßig.
2.1. Gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4, 2. Alt. FeV kann die Beibringung eines Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung (medizinisch-psychologisches Gutachten) zur Klärung von Eignungszweifeln für die Zwecke nach Absatz 1 und 2 der Vorschrift angeordnet werden, wenn wiederholte Verstöße gegen verkehrsrechtliche Vorschriften vorliegen.
Wiederholte Verstöße sind hierbei mindestens zwei. Im Übrigen kommt es stets auf eine einzelfallbezogene Gesamtbewertung aller eignungsrelevanten Umstände, gegebenenfalls unter Berücksichtigung sonstiger Vorbelastungen des Betroffenen, an. Bei der Prüfung der Kraftfahreignung müssen geringfügige Verkehrsordnungswidrigkeiten, insbesondere Verstöße gegen Vorschriften des ruhenden Verkehrs, grundsätzlich mit Blick auf ihr geringes Gefährdungspotential außer Betracht bleiben (Koehl in Haus/Krumm/Quarch, Gesamtes Verkehrsrecht, 2. Aufl. 2017, FeV § 11 Rn. 91). Die Fahrerlaubnisbehörde muss zu der Frage der wiederholten Verstöße eine Abwägung unter Berücksichtigung der Vorschriften zum Fahreignungs-Bewertungssystem vornehmen (Dronkovic in BeckOK StVR, 11. Ed. 15.4.2021, FeV § 11 Rn. 17). Ein medizinisch-psychologisches Gutachten darf nur aus besonderen, auf den Einzelfall bezogenen Gründen angeordnet werden, die in der Anordnung selbst darzulegen sind (Koehl a.a.O., Rn. 92).
Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Es sind unstrittig zwei bestandskräftige Ordnungswidrigkeiten im Fahreignungsregister eingetragen, welche rechtskräftig und noch nicht getilgt sind. Beide Ordnungswidrigkeiten sind nach der letzten (Wieder-)Erteilung der Fahrerlaubnis am 8. März 2019 entstanden und jeweils mit einem Punkt bewertet. Soweit der Antragsteller vorbringt, das Landratsamt habe sich nicht hinreichend mit den den Bußgeldbescheiden zugrundeliegenden Ordnungswidrigkeiten auseinandergesetzt und es sei nicht ersichtlich, weshalb sich daraus Zweifel an der Fahreignung des Antragstellers ergäben, geht dies fehl. Das Landratsamt hat in der Anordnung vom 8. Oktober 2020 im Rahmen seiner Ermessensausübung ausführlich dargelegt, weshalb es sich beim Antragsteller um einen besonderen Ausnahmefall handelt, der die Überprüfung seiner Fahreignung begründet. Das Gericht schließt sich diesen Ausführungen vollumfänglich an: Der Antragsteller ist seit Erteilung der Fahrerlaubnis 2012 innerhalb weniger Jahre wiederholt negativ aufgefallen. So wurde ihm bereits zwei Mal die Fahrerlaubnis entzogen: im Jahr 2015, als er der Anordnung zur Teilnahme an einem Aufbauseminar für Fahranfänger nicht nachgekommen ist und im Jahr 2017, als er nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem acht Punkte im Fahreignungsregister eingetragen hatte. Beiden Entziehungsmaßnahmen gingen durch den Antragsteller begangene Verkehrsordnungswidrigkeiten voraus. Zudem wurde im medizinisch-psychologischen Gutachten vom 20. März 2018 dem Antragsteller noch bescheinigt, dass er weiterhin Verkehrsordnungswidrigkeiten begehen werde. Damit ist offenkundig, dass beim Antragsteller in der Vergangenheit ein seit Jahren zu beobachtender Hang zur Missachtung von verkehrsrechtlichen Vorschriften zu beobachten war. Die Fahrerlaubnis wurde ihm am 8. März 2019 wieder erteilt, nachdem der Antragsteller ein weiteres Gutachten der … GmbH vom 21. Februar 2019 vorlegte, welches zu dem Schluss kam, dass zu erwarten sei, dass der Antragsteller nicht künftig wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften verstoßen werde. Nachdem jedoch feststeht, dass der Antragsteller bereits im selben Jahr nach Wiedererteilung seiner Fahrerlaubnis Ordnungswidrigkeiten begangen hat (vgl. Bußgeldbescheid vom 8. Oktober 2019 wegen unerlaubter Nutzung eines elektronischen Gerätes am 26.8.2019 und Bußgeldbescheid vom 23. Oktober 2019 wegen eines Rotlichtverstoßes am 12.9.2019), erweist sich diese Prognose als falsch. Insbesondere fällt auf, dass beide Verstöße nur fünf bzw. sechs Monate nach der (Wieder-)Erteilung der Fahrerlaubnis begangen wurden, mithin nach einem sehr kurzen Zeitraum. Die dem Antragsteller im Gutachten vom 21. Februar 2019 bescheinigte Überwindung seiner alten Verhaltensweisen bzw. Einstellungen erweist sich bei erneuten Verstößen nach so kurzer Zeit als unzutreffend. Nachdem beide Bußgeldbescheide bestandskräftig sind, ist die Behörde daran gebunden (vgl. § 3 Abs. 4 StVG) und es ist auch nicht ersichtlich, weshalb es unverhältnismäßig sein sollte, diese Verstöße ein knappes Jahr nach ihrer jeweiligen Speicherung im Fahreignungsregister heranzuziehen.
Es ist entgegen der Ansicht des Antragstellers auch nicht zu beanstanden, dass das Landratsamt auf Anregung der Polizeiinspektion W.-Stadt nach Mitteilung des Vorfalls vom 22. August 2020 eine Auskunft aus dem Fahreignungsregister eingeholt hat. Gemäß § 2 Abs. 12 Satz 1 StVG hat die Polizei Informationen über Tatsachen, die auf nicht nur vorübergehende Mängel hinsichtlich der Eignung oder der Befähigung einer Person zum Führen von Kraftfahrzeugen schließen lassen, den Fahrerlaubnisbehörden zu übermitteln, soweit dies für die Überprüfung der Eignung oder Befähigung aus der Sicht der übermittelnden Stelle erforderlich ist. Nachdem der Antragsteller in der Vergangenheit bereits wiederholt fahreignungsrechtlich aufgefallen war, erfolgte die Mitteilung mit der Bitte um Prüfung des Tätigwerdens in eigener Zuständigkeit zu Recht. Insbesondere ist anzumerken, dass der mitgeteilte Vorfall vom 22. August 2020 jedenfalls ausreichenden Grund geboten hat, im Falle des Antragstellers tätig zu werden. Auch wenn Anlass eine durch einen Zeugen beobachtete – wenn auch nicht nachprüfbare – erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitung gewesen ist, so wurde der Antragsteller jedenfalls unerlaubt parkend in der Fußgängerzone durch die Polizei angetroffen und gab an, es eilig zu haben. Nachdem die polizeiliche Mitteilung der Anlass für weitere Aufklärungsmaßnahmen der Behörde gewesen ist, ist es auch nicht zu beanstanden, dass dieser Vorfall in die Gutachtensanordnung vom 8. Oktober 2020 aufgenommen wurde. Soweit noch ein Vollzugsdefizit bemängelt wird, kann dem nicht gefolgt werden. Es ist zu beachten, dass die Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens nach § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 FeV grundsätzlich die Ausnahme darstellt, da dies eine Maßnahme außerhalb des Punktsystems darstellt. Im Regelfall sollen Fahrerlaubnisinhaber bei wiederholten Verkehrsordnungswidrigkeiten das Maßnahmen-Stufensystem des § 4 Abs. 5 Satz 1 StVG durchlaufen. Lediglich in besonderen Ausnahmenfällen – wie hier – können die Behörden im Einzelfall unabhängig davon außerhalb des Punktsystems Maßnahmen ergreifen.
2.2. Sonstige Mängel der Gutachtensanordnung sind weder dargelegt noch ersichtlich. Nachdem der Antragsteller das zu Recht geforderte Gutachten nicht innerhalb der (verlängerten) Frist vorgelegt hat, durfte die Behörde zu Recht auf seine Nichteignung gemäß § 11 Abs. 8 FeV schließen. Die Entziehung der Fahrerlaubnis war daher rechtmäßig.
3. Unabhängig davon wäre die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ziffer 1 des Bescheides auch im überwiegenden öffentlichen Interesse gerechtfertigt. Es ist nicht verantwortbar, den Antragsteller bis zur eventuellen Bestandskraft der Fahrerlaubnisentziehung am öffentlichen Straßenverkehr teilnehmen zu lassen. Es besteht ein erhebliches Interesse der Allgemeinheit, vor Kraftfahrern geschützt zu werden, die ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen sind. Die sicherheitsrechtliche Fahrerlaubnisentziehung ist eine präventive Maßnahme zum Schutz der Sicherheit im Straßenverkehr. Sie mag im Einzelfall einschneidende Folgen für die Lebensführung des Betroffenen haben, jedoch können persönliche Härten für den Antragsteller beim Entzug der Fahrerlaubnis, der als sicherheitsrechtliche Maßnahme im Interesse der Allgemeinheit ergeht, nicht berücksichtigt werden. Eine Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kommt nur dann in Betracht, wenn hinreichende gewichtige Gründe dafür sprächen, dass der Antragsteller nicht fahrungeeignet ist und sich abschätzen ließe, dass das von ihm ausgehende Gefahrenpotenzial nicht nennenswert über dem des Durchschnitts aller motorisierten Verkehrsteilnehmer liegt. Dafür bestehen vorliegend keine Anhaltspunkte.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
5. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 63 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 sowie 46.3 des Streitwertkatalogs.


Ähnliche Artikel


Nach oben