Verkehrsrecht

Entziehung der Fahrerlaubnis auf Grund von Alkoholabhängigkeit

Aktenzeichen  B 1 K 18.629

Datum:
13.2.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 15592
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVG § 3 Abs. 1 S. 1
FeV § 11 Abs. 2 Nr. 1, § 13 S. 1 Nr. 1, § 46 Abs. 1 S. 2
VwGO § 84 Abs. 1 S. 2, § 117 Abs. 3 S. 2, § 113 Abs. 1 S. 1, § 154 Abs. 1, § 167 Abs. 1 S. 1, Abs. 2
UnterbrG Art. 10 Abs. 2
GKG § 52 Abs. 1, § 52 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 11

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.
Über die Klage kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid, der als Urteil wirkt, entschieden werden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 84 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Halbsatz 1 VwGO). Die Beteiligten wurden gemäß § 84 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid gehört.
II.
Die zulässige Anfechtungsklage hat in der Sache keinen Erfolg.
1. Die Entziehung der Fahrerlaubnis des Klägers durch das Landratsamt … vom 12. Juni 2018 erweist sich als rechtmäßig, so dass die dagegen gerichtete Klage abzuweisen ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Das Gericht nimmt zunächst gemäß § 117 Abs. 5 VwGO Bezug auf die Begründung des streitgegenständlichen Bescheids und macht sich diese zu eigen. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat in diesem Verfahren ebenfalls in seinem Beschluss vom 11. September 2018 (11 CS 18.1708) folgendes ausgeführt:
„Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310), zuletzt geändert durch Gesetz vom 17. August 2017 (BGBl I S. 3202), und § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 13. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), zuletzt geändert durch Verordnung vom 3. Mai 2018 (BGBl I S. 566), hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV gilt dies insbesondere dann, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 der FeV vorliegen oder erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen wurde. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 46 Abs. 3 FeV).
Gemäß Nr. 8.3 der Anlage 4 zur FeV besteht bei Alkoholabhängigkeit keine Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen. Dies gilt unabhängig davon, ob der Betreffende im Straßenverkehr auffällig geworden ist (vgl. BVerwG, B.v. 21.10.2015 – 3 B 31.15 – DAR 2016, 216 = juris Rn. 5). Denn bei alkoholabhängigen Personen besteht krankheitsbedingt jederzeit die Gefahr eines Kontrollverlusts und der Teilnahme am Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss. Eine hinreichend feststehende und nicht überwundene Alkoholabhängigkeit hat damit zwangsläufig die Entziehung der Fahrerlaubnis zur Folge (vgl. BayVGH, U.v. 16.5.2017 – 11 B 16.1755 – juris Rn. 23; B.v. 24.7.2018 – 11 CS 17.2152 – juris Rn. 11). Nach Nr. 8.4 der Anlage 4 besteht Eignung oder bedingte Eignung nach Abhängigkeit (Entwöhnungsbehandlung) erst wieder, wenn Abhängigkeit nicht mehr besteht und in der Regel ein Jahr Abstinenz nachgewiesen ist. Begründen Tatsachen die Annahme von Alkoholabhängigkeit, ist die Fahrerlaubnisbehörde gemäß § 13 Satz 1 Nr. 1 FeV verpflichtet, die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens anzuordnen, ohne dass ihr insoweit ein Ermessensspielraum zustünde.
Grundlage für die Beurteilung der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen sind nach § 11 Abs. 5 FeV i.V.m. Anlage 4a die Begutachtungsleitlinien für Kraftfahreignung vom 27. Januar 2014 (VkBl. S. 110) in ihrer jeweils geltenden Fassung (derzeitiger Stand: 24.5.2018). Nach Nr. 3.13.2 (Alkoholabhängigkeit) der Begutachtungsleitlinien, die insoweit der Definition in der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD-10, Kapitel V) folgen, soll die sichere Diagnose „Abhängigkeit“ nur gestellt werden, wenn irgendwann während des letzten Jahres drei oder mehr der dort genannten sechs Kriterien gleichzeitig vorhanden waren (1. starker Wunsch oder eine Art Zwang, psychotrope Substanzen zu konsumieren; 2. verminderte Kontrollfähigkeit bezüglich des Beginns, der Beendigung und der Menge des Konsums; 3. körperliches Entzugssyndrom bei Beendigung oder Reduktion des Konsums; 4. Nachweis einer Toleranz; 5. fortschreitende Vernachlässigung anderer Vergnügen oder Interessen zugunsten des Substanzkonsums; 6. anhaltender Substanzkonsum trotz Nachweises eindeutig schädlicher Folgen, die dem Betroffenen bewusst sind).
b) Am Vorliegen einer Alkoholabhängigkeit mit der Folge, dass dem Antragsteller die Fahrerlaubnis auch ohne bisherige Auffälligkeit im Straßenverkehr zwingend zu entziehen war, bestehen hier keine begründeten Zweifel. Grundlage für die Annahme der Alkoholabhängigkeit war das fachärztliche Gutachten vom 24. April 2018. Dabei ist nicht zu beanstanden, dass der Gutachter neben seinen eigenen Untersuchungsergebnissen auch die ärztlichen Feststellungen des Bezirkskrankenhauses heranzieht, wo der Antragsteller vom 23. Dezember 2017 bis 2. Januar 2018 behandelt worden war. Im Bericht des Bezirkskrankenhauses werden drei der ICD-10-Kriterien nachvollziehbar dargelegt. Nach den für die Begutachtungsstellen entwickelten Beurteilungskriterien (Urteilsbildung in der Fahreignungsbegutachtung, Hrsg. Deutsche Gesellschaft für Verkehrspsychologie [DGVP], Deutsche Gesellschaft für Verkehrsmedizin [DGVM], 3. Aufl. 2013, S. 97, 119, Kriterium A 1.2 N) ist die Tatsache, dass eine Alkoholabhängigkeit bereits extern (nachvollziehbar) diagnostiziert wurde, ein Kriterium für ihr Vorliegen, insbesondere wenn die Diagnose von einer suchttherapeutischen Einrichtung gestellt oder eine Entgiftung durchgeführt wurde (vgl. BayVGH, U.v. 16.5.2017 – 11 B 16.1755 – juris Rn. 38). Bei der Einlieferung des Antragstellers hat das Bezirkskrankenhaus …eine BAK von 2,82 ‰ festgestellt. Nachdem zuvor noch eine Untersuchung auf etwaige Kopfverletzungen durchgeführt worden war, weil der Antragsteller vor dem Eintreffen der Polizei seinen Kopf mehrfach gegen die Wand geschlagen hatte, muss von einem zunächst noch höheren Wert aufgrund des Alkoholkonsums ausgegangen werden.
Nach Art. 48 Abs. 3 Nr. 1 der Bezirksordnung für den Freistaat Bayern (Bezirksordnung – BezO) in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. August 1998 (GVBl S. 850), zuletzt geändert durch Gesetz vom 22. März 2018 (GVBl S. 145), sind die Bezirke unter anderem verpflichtet, die erforderlichen stationären und teilstationären Einrichtungen für Psychiatrie und Neurologie und für Suchtkranke zu errichten, zu unterhalten und zu betreiben. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht daher der Diagnose des Bezirkskrankenhauses … einen hohen Grad an Verlässlichkeit beigemessen (vgl. BayVGH, B.v. 10.7.2017 – 11 CS 17.1057 – juris Rn. 12 f. m.w.N.). Nach dem vorläufigen Bericht vom 2. Januar 2018, der dem fachärztlichen Gutachter vorgelegen hatte und den der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers seiner Beschwerdebegründung beigefügt hat, wurde der Antragsteller nach Suchtmittelrückfall mit Alkohol zur qualifizierten Entzugsbehandlung und affektiven Stabilisierung stationär aufgenommen und ein qualifizierter Alkoholentzug begonnen. Es seien ausgeprägte vegetative Entzugssymptome mit Craving, erhöhtem Blutdruck, Gereiztheit, Muskel- und Gelenkschmerzen, Schlafstörungen, Schwitzen, Stimmungsschwankungen, Suchtdruck, Tremor und Unruhe aufgetreten. Ob es insoweit zutrifft, dass – wie der Antragsteller behauptet – einige dieser Symptome (Schlafstörungen, Schwitzen, Tremor) auf andere Ursachen als auf den Alkoholentzug zurückzuführen sind, kann dahinstehen. Am Gesamtergebnis des Vorliegens einer Alkoholabhängigkeit und der Notwendigkeit strikter Abstinenz würde dies nichts ändern. Dass der Antragsteller das Kriterium Nr. 6 (anhaltender Substanzkonsum trotz Nachweises eindeutig schädlicher Folgen, die dem Betroffenen bewusst sind) auch jetzt noch erfüllt und es sich bei dem Vorfall am 23. Dezember 2017 um keinen einmaligen Ausrutscher gehandelt hat, ergibt sich auch daraus, dass er trotz der dringenden Empfehlung des Bezirkskrankenhauses, strikte Alkoholkarenz einzuhalten, eine stationäre Entwöhnungsbehandlung durchzuführen, regelmäßigen Kontakt zur Suchtberatung aufzunehmen und den Anschluss an eine Selbsthilfegruppe zu suchen, keine dieser Empfehlungen längere Zeit umgesetzt hat, sondern – wie er auch in der Beschwerdebegründung einräumt – nach wie vor Alkohol konsumiert.
Gegenüber dem fachärztlichen Gutachter hat sich der Antragsteller dahingehend geäußert, er habe kein Problem mit Alkohol und benötige keine Hilfe. Er halte es auch nicht für notwendig, weiter in die Suchtberatungsstelle zu gehen oder zu einer Selbsthilfegruppe Kontakt aufzunehmen. Nachvollziehbar und übereinstimmend mit den Feststellungen des Bezirkskrankenhauses kommt daher auch der fachärztliche Gutachter zu dem Ergebnis, dem Antragsteller fehle die erforderliche Krankheitseinsicht und er sei für eine Abstinenz nicht ausreichend motiviert. Allein eine Reduzierung des Alkoholkonsums führt bei Alkoholabhängigkeit nicht zur Wiedererlangung der Fahreignung (vgl. insoweit auch Nr. 3.13.2 der Begutachtungsleitlinien).“
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen Entziehungsverfügung ist der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, hier also der Erlass des Bescheids vom 12. Juni 2018 (vgl. BayVGH, B.v. 29.11.2012 – 11 CS 12.2276 – juris, Rn. 14. m.w.N.; zuletzt BayVGH, B.v. 09.10.2018 – 11 CS 18.1897 – juris Rn. 11).
Soweit der Kläger vorträgt, ein Sachverständigengutachten sei nunmehr erforderlich oder bei ihm läge zum jetzigen Zeitpunkt keine Alkoholabhängigkeit (nach Entlassung aus dem Bezirkskrankenhaus am 6. Dezember 2019) mehr vor, ist dieser Vortrag für das vorliegende Verwaltungsstreitverfahren unerheblich, da auf die tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids am 12. Juni 2018 abzustellen ist. Dass zu diesem Zeitpunkt die im Gutachten vom 24. April 2018 getroffenen Feststellungen aber nicht mehr zutreffend gewesen sein könnten, ist nicht ersichtlich. Das vorliegende Gutachten des Dr. med. … vom 24. April 2018 ist schlüssig und fundiert. An der Diagnose der Alkoholabhängigkeit hat das Gericht keinen Zweifel. Auf die im Beschluss vom 26. Juli 2018 (B 1 S 18.628) angegebenen Gründe wird Bezug genommen. Die Feststellungen des Gutachters Dr. med. … werden durch das nunmehr neu vorgelegte Schreiben des Klinikums … vom 6. Dezember 2019 nicht entkräftet. Auch das Klinikum … geht von einer bestehenden Alkoholabhängigkeit aus, indem ausgeführt wird, dass eine „ambulante Weiterbehandlung der Alkoholabhängigkeit geplant“ ist. Die Diagnose bei Einlieferung lautete: „stationäre Alkoholentzugstherapie bei chronischem Alkoholabusus“. Der Kläger gab bei der Anamnese an, dass er seit 4 Wochen kein Bier mehr getrunken habe und vorher einige Jahre 5 bis 7 Bier täglich getrunken habe. Somit wird das Vorliegen der Alkoholabhängigkeit zum Zeitpunkt des Erlass des Entziehungsbescheids durch das neu vorgelegte Schreiben sogar bestätigt.
Soweit eine Alkoholabhängigkeit nicht mehr vorliegen sollte, wäre dies nur in einem – von dem Kläger einzuleitenden – Verwaltungsverfahren auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis von Bedeutung und für diesen Zweck ggf. durch eine erneute Begutachtung zu klären (vgl. hierzu z.B. BayVGH, B.v. 28.6.2011 – 11 CS 11.568 – juris Rn. 31). Für das vorliegende Verwaltungsstreitverfahren bezüglich des Entzugs der Fahrerlaubnis ist der aktuelle Gesundheitszustand des Klägers nicht maßgeblich. Aber selbst hierfür bestehen zum gegenwärtigen Zeitpunkt Zweifel: Nach Nr. 8.4 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung und Nr. 3.13.2 der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung ist die Fahreignung erst wieder gegeben, wenn die Abhängigkeit nach einer erfolgreichen Entwöhnungsbehandlung nicht mehr besteht und in der Regel ein Jahr Abstinenz nachgewiesen ist. Außerdem müssen der Einstellungswandel und die Verhaltensänderung als hinreichend gefestigt und stabil einzuschätzen sein (vgl. Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Auflage 2015, § 13 FeV Rn. 27).
Nicht zu beanstanden ist auch die Einziehung, d. h. die dem Kläger auferlegte Verpflichtung zur Ablieferung seines Führerscheins in Nr. 2 des Bescheids (vgl. § 3 Abs. 2 StVG i.V.m. § 47 Abs. 1 FeV). Die Androhung von Zwangsmitteln für den Fall der nicht fristgerechten Ablieferung begegnet ebenfalls keinen Bedenken, da insoweit die allgemeinen und besonderen Vollstreckungsvoraussetzungen gegeben sind.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Als unterliegender Beteiligter hat der Kläger die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO. Der Einräumung einer Abwendungsbefugnis bedurfte es angesichts der – wenn überhaupt anfallenden – jedenfalls geringen, vorläufig vollstreckbaren Aufwendungen des Beklagten nicht, zumal dieser auch die Rückzahlung garantieren kann, sollte in der Sache eine Entscheidung mit anderer Kostentragungspflicht ergehen.


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