Verkehrsrecht

Entziehung der Fahrerlaubnis auf Grundlage des Fahreignungs-Bewertungssystems

Aktenzeichen  11 BV 17.2414

Datum:
8.3.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 4351
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVG § 4 Abs. 6

 

Leitsatz

1. Auf eine Ordnungswidrigkeit, die zwischen dem 1. Mai 2014 und dem 4. Dezember 2014 rechtskräftig geahndet und im Fahreignungsregister eingetragen wurde, ist die Bonusregelung (§ 4 Abs. 6 StVG) der in diesem Zeitraum gültigen Rechtslage anzuwenden, unabhängig davon, wann die Fahrerlaubnisbehörde von dieser Ordnungswidrigkeit erfahren hat. (Rn. 21)
2. Erst mit der Rechtsänderung zum 5. Dezember 2014 ist die Warn- und Erziehungsfunktion des Fahreignungs-Bewertungssystems abgeschafft worden. Für zuvor im Fahreignungsregister eingetragene Entscheidungen ist bezogen auf den Tattag nach § 4 Abs. 6 Satz 3 StVG in der zwischen dem 1. Mai 2014 und 4. Dezember 2014 gültigen Fassung bei nicht ordnungsgemäßem Durchlaufen des Stufensystems eine Punktereduzierung zu gewähren. (Rn. 31 – 36)

Verfahrensgang

Au 7 K 16.1459 2017-10-16 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Dem Kläger wird Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsfrist gewährt.
II. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 16. Oktober 2017 und der Bescheid des Beklagten vom 13. September 2016 werden aufgehoben.
III. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
IV. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Über die Berufung konnte ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, weil sich die Beteiligten hiermit schriftlich einverstanden erklärt haben (§§ 125 Abs. 1 Satz 1, 101 Abs. 2 VwGO).
1. Dem Kläger ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, da er unverschuldet an der Einhaltung der Berufungsfrist gehindert war (§ 60 Abs. 1 VwGO). Das Verschulden der Büroangestellten seiner Prozessvertreterin ist ihm nicht zuzurechnen. Auf die Frage, ob am Tag des Fristablaufs in der Kanzlei die erforderliche allabendliche Erledigungskontrolle durchgeführt worden ist (vgl. BGH, B.v. 23.2.2016 – II ZB 9/15 – Rn. 16; B.v. 7.1.2015 – IV ZB 14/14 – juris Rn. 8 a.E.; B.v. 4.11.2014 – VIII ZB 38/14 – NJW 2015, 253 Rn. 9; OVG Saarland, B.v. 20.5.2014 – 1 A 458/13 – juris Rn. 12), zu der kein Vortrag der Klägerbevollmächtigten erfolgt ist, kommt es nicht an. Denn selbst wenn eine solche Kontrolle durchgeführt worden wäre, hätte das Faxprotokoll nicht nochmals inhaltlich überprüft werden müssen (vgl. BGH, B.v. 23.2.2016 a.a.O. Rn. 16) und der Fehler wäre nicht aufgedeckt worden. Die möglicherweise fehlende Kontrolle wäre daher nicht ursächlich für die Fristversäumnis gewesen (vgl. BayVGH, B.v. 12.9.2016 – 3 CE 16.1015 – juris Rn. 36). Die übrige Handhabung der Fristkontrolle lässt kein Organisationsverschulden der Prozessvertreterin erkennen.
2. Die Berufung ist begründet. Das Urteil vom 16. Oktober 2017 sowie der Bescheid vom 13. September 2016 sind aufzuheben, da der Bescheid rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat zwar durch die Ordnungswidrigkeit vom 24. Februar 2016 acht Punkte (neu) im Fahreignungsregister erreicht. Die Fahrerlaubnis konnte ihm jedoch nicht entzogen werden, da er das Maßnahmesystem nicht ordnungsgemäß durchlaufen hat, sondern vor der Entziehung seiner Fahrerlaubnis erneut nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 StVG hätte schriftlich verwarnt werden müssen.
2.1 Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Fahrerlaubnisentziehung ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (stRspr; vgl. u.a. BVerwG, U.v. 23.10.2014 – 3 C 3.13 – DAR 2014, 711 Rn. 13 m.w.N.). Somit ist hier, da kein Widerspruchsverfahren durchgeführt worden ist, auf die Zustellung des Bescheids vom 13. September 2016 abzustellen. Zugrunde zu legen ist daher das Straßenverkehrsgesetz vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310), zuletzt geändert durch Gesetz vom 24. Mai 2016 (BGBl I S. 1217).
2.2 Auf die Ordnungswidrigkeit vom 21. September 2013 ist nach der Übergangsbestimmung des § 65 Abs. 3 Nr. 3 Satz 1 StVG die Rechtslage ab dem 1. Mai 2014 anzuwenden, da diese Ordnungswidrigkeit zwar bis zum Ablauf des 30. April 2014 begangen, aber erst am 1. September 2014 rechtskräftig geahndet und am 25. September 2014 im Fahreignungsregister gespeichert worden ist. Darüber hinaus findet auf diese Ordnungswidrigkeit die Bonusregelung des § 4 Abs. 6 Satz 3 des Straßenverkehrsgesetzes i.d.F. vom 28. August 2013, gültig ab 1. Mai 2014 (StVG [1.5.2014], BGBl I S. 3310) Anwendung, da die dafür anfallenden Punkte unter der in diesem Zeitraum geltenden Rechtslage entstanden sind (vgl. OVG NW, U.v. 28.9.2017 – 16 A 980/16 – NJW 2018, 643 Rn. 66, 71) und die Punktereduzierung zu diesem Zeitpunkt von Gesetzes wegen erfolgte (vgl. Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Auflage 2015, § 4 StVG Rn. 87). Dass das Kraftfahrt-Bundesamt das Landratsamt – entgegen § 4 Abs. 8 Satz 1 StVG – erstmals im Jahr 2016 über diese Ordnungswidrigkeit informiert hat, ändert nichts daran, dass der Punkt mit der rechtskräftigen Ahndung entstanden ist und daher für die Entstehung und ggf. zugleich anwendbare Bonusregelungen die Rechtslage zu diesem Zeitpunkt maßgeblich ist. Eine § 4 Abs. 6 Satz 4 StVG entsprechende Regelung, dass für die Anwendbarkeit der Bonusregelung die Kenntnis der Behörde von den Punkten erforderlich ist, gab es bis zur Rechtsänderung am 5. Dezember 2014 nicht. Auch eine diesbezügliche Übergangsvorschrift, die z.B. alle den Behörden noch nicht bekannten Eintragungen erfasst, hat der Gesetzgeber bewusst nicht erlassen, da er davon ausging, es handele sich bei der Rechtsänderung am 5. Dezember 2014 nur um eine Klarstellung (vgl. BT-Drs. 18/2775, S. 9).
Nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 StVG hat die nach Landesrecht zuständige Behörde den Fahrerlaubnisinhaber bei Erreichen von sechs oder sieben Punkten schriftlich zu verwarnen und ihm nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich acht oder mehr Punkte ergeben. Nach § 4 Abs. 5 Satz 5 StVG hat sie für das Ergreifen der Maßnahmen nach Satz 1 auf den Punktestand abzustellen, der sich zum Zeitpunkt der Begehung der letzten zur Ergreifung der Maßnahme führenden Straftat oder Ordnungswidrigkeit ergeben hat (sog. „Tattagsprinzip“). Nach § 4 Abs. 6 Satz 3 StVG (1.5.2014) verringert sich der Punktestand auf sieben Punkte, wenn der Fahrerlaubnisinhaber acht Punkte erreicht oder überschreitet, ohne dass die nach Landesrecht zuständige Behörde die Maßnahme nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 StVG ergriffen hat.
2.3 Bei Anwendung dieser Vorschriften auf die Ordnungswidrigkeit vom 21. September 2013 hat der Kläger zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses zwar acht Punkte (neu) erreicht. Da er das Stufensystem des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 bis 3 StVG aber nicht ordnungsgemäß durchlaufen hat, konnte ihm die Fahrerlaubnis nicht entzogen werden.
Zum Tattag 21. September 2013 hatte der Kläger acht Punkte (neu) im Fahreignungs-Bewertungssystem erreicht, die nach § 4 Abs. 6 Satz 3 StVG (1.5.2014) auf sieben Punkte (neu) zu reduzieren waren, da ihn das Landratsamt erst am 11. November 2013 gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 des Straßenverkehrsgesetzes in der Fassung bis zum 30. April 2014 (StVG a.F.) verwarnt hat.
Bei der Berechnung ist unerheblich, ob zuerst die unter Berücksichtigung der Ordnungswidrigkeit vom 15. Mai 2013 angefallenen 18 Punkte (alt) nach § 4 Abs. 5 Satz 2 StVG a.F. auf 17 Punkte (alt) reduziert und gemäß der Tabelle des § 65 Abs. 3 Nr. 4 Satz 1 StVG in sieben Punkte (neu) umgerechnet werden und dann der eine neue Punkt für die Ordnungswidrigkeit vom 21. September 2013 dazugerechnet wird, wodurch der Kläger zum Tattag acht Punkte (neu) erreicht hätte. Es stünde ihm dann eine weitere Reduzierung auf sieben Punkte (neu) nach § 4 Abs. 6 Satz 2 StVG (1.5.2014) zu. Zum gleichen Ergebnis würde die Umrechnung der erreichten 18 Punkte (alt) in acht Punkte (neu) führen. Dann wären unter Hinzurechnung des neuen Punkts für die Ordnungswidrigkeit vom 21. September 2013 die erreichten neun Punkte (neu) nach § 4 Abs. 6 Satz 2 StVG (1.5.2014) auf sieben Punkte (neu) zu reduzieren.
In jedem Fall ist zu berücksichtigen, dass es sich um eine echte Punktereduzierung handelt, die auch bei nachfolgenden Tilgungen erhalten bleibt (vgl. Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Auflage 2015, § 4 StVG Rn. 90).
2.4 Durch die Tilgung und Reduzierung von insgesamt drei Punkten (alt) am 4. und 5. Dezember 2013, die nach § 4 Abs. 6 Satz 4 StVG (1.5.2014) von dem nach § 4 Abs. 6 Satz 3 StVG (1.5.2014) sich ergebenden Punktestand abzuziehen waren, kam es nach § 65 Abs. 3 Nr. 6 StVG zu einer erneuten Umrechnung von den dadurch verbliebenen 14 Punkten (alt) in sechs Punkte (neu).
Durch die Tilgung von weiteren drei Punkten (alt) am 30. Juni 2015 kam es zu einer weiteren Umrechnung der verbliebenen 11 Punkte (alt) in fünf Punkte (neu).
Durch die Ordnungswidrigkeit vom 12. September 2015, die mit zwei Punkten (neu) bewertet ist, hat der Kläger mithin sieben Punkte (neu) von einem vorherigen Stand von fünf Punkten (neu) erreicht und wäre nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 StVG erneut schriftlich zu verwarnen gewesen. Eine solche Verwarnung erfolgte aber nicht.
Mit den Ordnungswidrigkeiten vom 24. Februar 2016 und 12. April 2016, die jeweils mit einem Punkt (neu) bewertet sind, hat der Kläger dann zwar acht oder mehr Punkte (neu) erreicht. Da er die zweite Stufe des Fahreignungsbewertungssystems jedoch nicht ordnungsgemäß durchlaufen hat, konnte ihm die Fahrerlaubnis nicht nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG entzogen werden.
2.5 Soweit das Verwaltungsgericht die Auffassung vertritt, es komme nicht darauf an, ob der Gesetzgeber schon mit der Änderung des § 4 des Straßenverkehrsgesetzes zum 1. Mai 2014 von der Warn- und Erziehungsfunktion abgerückt ist, da auf die Ordnungswidrigkeit vom 21. September 2013 nach der Übergangsvorschrift des § 65 Abs. 3 Nr. 3 StVG jedenfalls nicht die bis zum 30. April 2014 anwendbare Fassung des Straßenverkehrsgesetzes Anwendung finde, kann dem nicht gefolgt werden. Die Übergangsvorschrift gibt nichts dafür her, ob die ab dem 1. Mai 2014 geltende Rechtslage an der Warn- und Erziehungsfunktion festhalten wollte und diese erst mit der weiteren Gesetzesänderung vom 5. Dezember 2014 abgeschafft worden ist. Die Übergangsvorschrift regelt auch nicht, dass auf Eintragungen im Fahreignungs-Bewertungssystem zwischen dem 1. Mai 2014 und dem 5. Dezember 2014, die der Behörde erst nach dem 5. Dezember 2014 bekannt geworden sind, hinsichtlich der Bonusregelungen die Rechtslage zum Zeitpunkt der Kenntnisnahme der Behörde anzuwenden ist.
Unter Berücksichtigung von Wortlaut, Entstehungsgeschichte und Sinn und Zweck der Vorschriften kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber schon mit der Änderung des Straßenverkehrsgesetzes zum 1. Mai 2014 die Warn- und Erziehungsfunktion abgeschafft hat und dem Kläger damit keine Punktereduzierung zu gewähren war (vgl. OVG NW, U.v. 28.9.2017 – 16 A 980/16 – NJW 2018, 643; B.v. 14.4.2015 – 16 B 257/15 – VRS 128, 213; SächsOVG, B.v. 7.7.2015 – 3 B 118/15 – juris; Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Auflage 2015, § 4 StVG Rn. 88 mit Hinweis darauf, dass eine Änderung des § 4 Abs. 4 StVG, wonach die Rückstufung nicht mehr automatisch erfolgt, geplant, aber noch nicht erfolgt sei).
Dabei ist zu beachten, dass der Wortlaut des § 4 Abs. 5 Satz 1 und 2 StVG a.F. sich mit dem Wortlaut des § 4 Abs. 6 Satz 2 und 3 StVG (1.5.2014) weitgehend deckt. Die geringfügige sprachliche Änderung von „wird sein Punktestand auf … reduziert“ in „verringert sich der Punktestand auf … Punkte“ deutet nicht darauf hin, dass damit eine grundlegende inhaltliche Änderung einhergehen sollte. Auch die Normierung des in der Rechtsprechung entwickelten Tattagsprinzips in § 4 Abs. 5 Satz 5 StVG (1.5.2014) steht nach seinem Wortlaut einer Weitergeltung des Warn- und Erziehungsprinzips nicht entgegen. Vielmehr legt der Wortlaut des § 4 Abs. 6 Satz 1 und 3 StVG (1.5.2014), wonach sich der Punktestand bei Erreichen oder Überschreiten einer bestimmten Anzahl von Punkten verringert, in Zusammenschau mit dem Tattagsprinzip nahe, dass unabhängig vom Ergreifen einer Maßnahme zum Tattag automatisch eine Punkteverringerung eintritt.
Erst mit der Änderung zum 5. Dezember 2014 ist § 4 Abs. 6 Satz 3 StVG grundlegend umformuliert worden. Die Punktereduzierung hängt nach dem Wortlaut nunmehr nicht mehr davon ab, ob ein bestimmter Punktestand erreicht oder überschritten wird, sondern vom Ergreifen einer Maßnahme. Nach § 4 Abs. 6 Satz 4 StVG kommt es darüber hinaus für die Berechnung des Punktestands nunmehr darauf an, ob die Behörde Kenntnis von den Punkten erlangt hat. Eine dementsprechende Formulierung war in der ab 1. Mai 2014 gültigen Fassung des Straßenverkehrsgesetzes aber nicht enthalten.
Auch aus der Entstehungsgeschichte des § 4 Abs. 6 Satz 2 und 3 StVG (1.5.2014) ergibt sich nicht, dass die Warn- und Erziehungsfunktion mit der Rechtsänderung vom 1. Mai 2014 abgeschafft werden sollte. In den Gesetzesmaterialien zur Änderung des § 4 (BT-Drs. 799/12, S. 69 ff.) wird nicht ausgeführt, dass die Warn- und Erziehungsfunktion nicht mehr gelten solle und aus welchen Gründen sich der Gesetzgeber für eine Änderung des Systems entschieden habe. Nur auf Seite 72 der BT-Drs. 799/12 wird bei der Begründung für die Einführung des Tattagsprinzips in § 4 Abs. 2 Satz 3 StVG ausgeführt, das Tattagsprinzip sei zur Vermeidung von taktischen Rechtsmitteln angezeigt, auch wenn das neue Fahreignungs-Bewertungssystem einen Punkteabzug nicht mehr vorsehe. Darüber hinaus war in der ursprünglich vorgeschlagenen Gesetzesfassung in § 4 Abs. 6 Satz 2 StVG eine ausdrückliche Normierung des Warn- und Erziehungsprinzips für den Fall vorgesehen war, dass der Fahrerlaubnisinhaber an einem Fahreignungsseminar teilgenommen hatte (BT-Drs. 799/12, S. 4). Dieser Vorschlag ist jedoch nicht übernommen worden (vgl. Streichung des § 4 Abs. 6 BT-Drs. 17/14125, S. 3). Der Begründung zu § 4 Abs. 7 StVG, der dann wortgleich als § 4 Abs. 6 StVG beschlossen worden ist, kann demgegenüber nicht entnommen werden, dass der Gesetzgeber von der Warn- und Erziehungsfunktion Abstand nehmen wollte. Vielmehr ist der frühere § 4 Abs. 5 Satz 1 und 2 StVG a.F., der den Punkteabzug regelte, weitgehend wortgleich übernommen worden. Die bloß beiläufige Erwähnung auf Seite 72 der BT-Drs. 799/12, ein Punkteabzug sei nicht mehr vorgesehen, reicht nicht aus, um der Gesetzesbegründung eine eindeutige Abkehr von der Warn- und Erziehungsfunktion zu entnehmen.
Auch Sinn und Zweck der Vorschriften lassen nicht erkennen, dass schon mit der Rechtsänderung zum 1. Mai 2014 eine Abkehr von der Warn- und Erziehungsfunktion einhergehen sollte. Die Warn- und Erziehungsfunktion lag dem früheren Punktesystem zugrunde, weil nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung bei der Entstehung von Punkten auf den Tattag abzustellen war und damit die entsprechende Punktezahl schon mit der Tat erreicht oder überschritten wurde (vgl. BVerwG, U.v. 25.9.2008 – 3 C 3.07 – BVerwGE 132, 48 = juris Rn. 27 ff.; B.v. 6.11.2012 – 3 B 5.12 – juris Rn. 4). Mit der ausdrücklichen Normierung des Tattagsprinzips und der Beibehaltung der Formulierungen hinsichtlich der Punktereduzierung in § 4 Abs. 5 StVG (1.5.2014) steht es mit Sinn und Zweck der Vorschriften in Einklang, weiterhin anzunehmen, dass bis zur ausdrücklichen Abkehr mit der Rechtsänderung zum 5. Dezember 2014 die Warn- und Erziehungsfunktion fortbestand.
Aufgrund der unterbliebenen (nochmaligen) Verwarnung konnte das Landratsamt dem Kläger die Fahrerlaubnis nicht entziehen.
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. § 709 ZPO.
4. Die Revision war nicht zuzulassen, da keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt.


Ähnliche Artikel


Nach oben