Verkehrsrecht

Entziehung der Fahrerlaubnis auf Probe wegen mehrfacher Geschwindigkeitsübertretungen – Vorläufiger Rechtsschutz

Aktenzeichen  M 26 S 19.3748

Datum:
23.9.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 25537
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVG § 2a
VwGO § 80 Abs. 5

 

Leitsatz

Entzieht die Fahrerlaubnisbehörde, nachdem sie Maßnahmen nach § 2a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StVG ordnungsgemäß ergriffen hat, dem Inhaber einer Fahrerlaubnis auf Probe diese gem. § 2a Abs. 2 S. 1 Nr. 3 StVG wegen einer weiteren schwerwiegenden Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften und erweist sich die Fahrlerlaubnisentziehung bei der im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO um die Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Anfechtungsklage gebotenen summarischen Prüfung als offensichtlich rechtmäßig, müssen vom Betroffenen Nachteile, die ihm in beruflicher oder privater Hinsicht entstehen, auch mit Rücksicht darauf, dass der Gesetzgeber in § 2a Abs. 6 StVG grundsätzlich dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes den Vorrang gegenüber dem Interesse des Betroffenen, von der sofortigen Durchsetzung der Entziehungsverfügung vorläufig verschont zu bleiben, eingeräumt hat, grundsätzlich in Kauf genommen werden (siehe auch VG Schleswig BeckRS 2017, 109006 Rn. 11). (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf EUR 2.500 festgesetzt.

Gründe

I.
Der 1985 geborene Antragsteller wendet sich im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die vom Antragsgegner verfügte Entziehung seiner Fahrerlaubnis.
Dem Antragsteller wurde am … März 2015 die Fahrerlaubnis der Klasse B auf Probe erteilt.
Mit Schreiben vom 10. August 2015 erhielt die damals zuständige Fahrerlaubnisbehörde des Landratsamts München eine Mitteilung des Kraftfahrt-Bundesamts, dass im Verkehrszentralregister eine Zuwiderhandlung des Antragstellers verzeichnet ist (Geschwindigkeitsüberschreitung, begangen am … Mai 2015).
Daraufhin ordnete das Landratsamt München mit Bescheid vom 24. September 2015 die Teilnahme an einem Aufbauseminar an. Dem Antragsteller wurde im Bescheid mitgeteilt, dass sich seine Probezeit gemäß § 2a Abs. 2a StVG um zwei Jahre bis zum 27. März 2019 verlängere. Die Teilnahmebescheinigung über das absolvierte Aufbauseminar legte der Antragsteller am … Dezember 2015 vor.
Am 8. April 2016 erhielt das Landratsamt München erneut eine Mitteilung des Kraftfahrt-Bundesamts vom 31. März 2016, wonach der Antragsteller am … Januar 2016 eine Geschwindigkeitsüberschreitung begangen hatte. Deshalb wurde er mit Schreiben vom 27. Dezember 2016, zugestellt mit Postzustellungsurkunde am 28. Dezember 2016, verwarnt. Der Antragsteller wurde darauf hingewiesen, dass er die Möglichkeit habe, freiwillig an einer verkehrspsychologischen Beratung innerhalb von zwei Monaten nach Bekanntgabe der Verwarnung teilzunehmen.
Am 13. September 2018 erhielt schließlich die inzwischen befasste Fahrerlaubnisbehörde des Landratsamts Mühldorf am Inn die Mitteilung des Kraftfahrt-Bundesamts vom 7. September 2018, dass der Antragsteller erneut verkehrsauffällig geworden war (Tattag: … März 2018, Tatbestand: Geschwindigkeitsüberschreitung).
Nach vorheriger Anhörung (Zustellung des Anhörungsschreibens am 25. September 2018) entzog die Fahrerlaubnisbehörde dem Antragsteller mit Bescheid vom 29. Oktober 2018, zugestellt am 30. Oktober 2018, die Fahrerlaubnis (Nr. 1) und forderte ihn unter Androhung eines Zwangsgeldes in Höhe von 500 EUR (Nr. 5) zur Ablieferung seines Führerscheins auf (Nr. 2). Die sofortige Vollziehung der Ziffern 1 und 2 wurde angeordnet (Nr. 3). Nummern 4 und 6 des Bescheides enthalten die Kostenentscheidungen.
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass dem Antragsteller gemäß § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StVG die Fahrerlaubnis entzogen werden musste, da er nach Absolvierung des Aufbauseminars während der Probezeit und nach Verwarnung erneut im Straßenverkehr während der Restprobezeit auffällig geworden sei.
Hiergegen ließ der Antragsteller am 30. November 2018 Anfechtungsklage erheben.
Mit Schriftsatz vom 23. Juli 2019, eingegangen beim Gericht am 30. Juli 2019, wurde im vorliegenden Verfahren beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Entziehungsverfügung der Beklagten vom 29.10.2018 wiederherzustellen.
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Antragsteller nicht ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen sei. Er habe lediglich geringfügige Verkehrsordnungswidrigkeiten begangen, die bereits sanktioniert worden seien. Er stelle keine Gefahr für die Allgemeinheit dar. Der Bescheid sei unverhältnismäßig und ermessensfehlerhaft. Der Antragsteller sei dringend auf seine Fahrerlaubnis angewiesen, um zur Arbeit zu gelangen.
Der Antragsgegner hat am 12. August 2019 die Behördenakten übersandt und beantragt sinngemäß,
den Antrag abzulehnen.
Sämtliche schriftliche Aufforderungen und Anhörungsschreiben seien dem Antragsteller mittels Postzustellungsurkunde zugestellt worden.
Der Führerschein des Antragstellers wurde inzwischen durch die Polizei sichergestellt.
Der Rechtsstreit wurde mit Beschluss vom heutigen Tage zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten in diesem und in dem Verfahren M 26 K 18.5888 sowie auf die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
Der im Sinne eines zielführenden Rechtsschutzbegehrens nach §§ 88, 122 VwGO einschränkend ausgelegte Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers vom 30. November 2018 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 29. Oktober 2018 anzuordnen, soweit dessen Nummer 1 (Entziehung der Fahrerlaubnis) betroffen ist, und die aufschiebende Wirkung der Klage bezüglich der Nummer 2 des Bescheides (Abgabeverpflichtung bezüglich des Führerscheins) wiederherzustellen, ist zulässig, aber unbegründet.
Nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung einer Klage in Fällen anordnen, in denen – wie hier gemäß § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 2a Abs. 6 des Straßenverkehrsgesetzes – StVG – die aufschiebende Wirkung kraft Gesetzes entfällt. Dabei bleibt es auch, wenn – wie hier in Nummer 3 des Bescheidstenors – die Behörde unnötiger Weise den Sofortvollzug der Entziehung angeordnet hat. Bei dieser Entscheidung hat das Gericht das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes gegen das Interesse des Antragstellers, von der Vollziehung vorläufig verschont zu bleiben, abzuwägen. Die Abwägung orientiert sich dabei maßgeblich an den Erfolgsaussichten der Klage in der Hauptsache.
Im vorliegenden Fall fällt diese Interessenabwägung zu Lasten des Antragstellers aus. Nach der – im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes allein möglichen – summarischen Prüfung erweist sich die Entziehung der Fahrerlaubnis des Antragstellers sowie die Abgabeverpflichtung bezüglich des Führerscheins als offensichtlich rechtmäßig.
1. Die Entziehung der Fahrerlaubnis findet ihre Rechtsgrundlage in § 2a Abs. 2 S. 1 Nr. 3 StVG. Danach hat die Fahrerlaubnisbehörde dem Inhaber einer Fahrerlaubnis auf Probe dessen Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn er nach Ablauf der in § 2a Abs. 2 S. 1 Nr. 2 StVG genannten Frist innerhalb der Probezeit eine weitere schwerwiegende oder zwei weitere weniger schwerwiegende Zuwiderhandlungen begangen hat.
Dies ist beim Antragsteller der Fall. Er hat innerhalb der Probezeit und nach Ablauf der Zweimonatsfrist nach der vorherigen Verwarnung erneut eine schwerwiegende Zuwiderhandlungen begangen; der Antragsgegner hatte zuvor ihm gegenüber die in § 2a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 und 2 StVG vorgegebenen Maßnahmen ordnungsgemäß ergriffen.
1.1 Der Antragsteller befand sich im Zeitpunkt des hier maßgeblichen dritten Verkehrsverstoßes vom … März 2018 noch in der Probezeit des § 2a Abs. 1 S. 1 StVG. Nach dieser Vorschrift beträgt die Probezeit beim erstmaligen Erwerb einer Fahrerlaubnis zwei Jahre vom Zeitpunkt der Erteilung an. Dem Antragsteller wurde seine Fahrerlaubnis erstmals am 27. März 2015 erteilt, so dass seine Probezeit zunächst bis zum 27. März 2017 dauerte. Sie verlängerte sich nach § 2a Abs. 2a S. 1 StVG um zwei (weitere) Jahre, d.h. bis zum 27. März 2019, nachdem der Antragsgegner mit Verfügung vom 24. September 2015 die Teilnahme an einem Aufbauseminar nach Absatz 2 S. 1 Nr. 1 angeordnet hatte.
1.2 Der Antragsteller hat nach Ablauf der Zwei-Monats-Frist des § 2a Abs. 2 S. 1 Nr. 2 StVG auch die für die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 2a Abs. 2 S. 1 Nr. 3 StVG erforderliche schwerwiegende Zuwiderhandlung begangen. Am … März 2018 überschritt der Antragsteller die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 31 km/h, was mit einer Geldbuße von 120 EUR und mit einem Punkt rechtskräftig geahndet wurde. Bei diesem dritten Verstoß handelte es sich (abermals) um eine schwerwiegende Zuwiderhandlung nach A.2.1 der Anlage 12 zu § 34 FeV.
1.3 Vor der Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 2a Abs. 2 S. 1 Nr. 3 StVG sind die Maßnahmen nach § 2a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 StVG (Anordnung des Aufbauseminars vom 24. September 2015) und Nr. 2 StVG (Verwarnung vom 27. Dezember 2016) ordnungsgemäß ergriffen worden.
Am … Mai 2015 überschritt der Antragsteller die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 21 km/h, was mit einer Geldbuße von 70 EUR und mit einem Punkt rechtskräftig geahndet wurde. Bei dem Verstoß handelte es sich um eine schwerwiegende Zuwiderhandlung nach A.2.1 der Anlage 12 zu § 34 FeV. Mit Bescheid vom 24. September 2015 ordnete der Antragsgegner daraufhin nach § 2a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 StVG die Teilnahme des Antragstellers an einem Aufbauseminar an und setzte dafür eine Frist bis zum 24. Dezember 2015. In der Zeit vom … Dezember 2015 bis zum … Dezember 2015 nahm der Antragsteller an einem solchen Aufbauseminar teil.
Am … Januar 2016 – und damit nach der Teilnahme an diesem Aufbauseminar – beging der Antragsteller eine weitere schwerwiegende Zuwiderhandlung nach A.2.1 der Anlage 12 zu § 34 FeV, indem er erneut die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 21 km/h überschritt, was mit einer Geldbuße von 120 EUR und mit einem Punkt rechtskräftig geahndet wurde.
Dementsprechend wurde der Antragsteller mit Schreiben vom 27. Dezember 2016 nach § 2a Abs. 2 S. 1 Nr. 2 StVG verwarnt. Dabei enthielt das Schreiben den Hinweis, dass der Antragsteller „die Möglichkeit habe“, freiwillig an einer verkehrspsychologischen Beratung innerhalb von zwei Monaten nach Bekanntgabe der Verwarnung teilzunehmen. Damit ist der gesetzlichen Vorgabe, dem Betroffenen sei „nahezulegen“, an einer verkehrspsychologischen Beratung teilzunehmen, genügt.
1.4 Damit war die Folge der Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StVG zwingend; die Vorschrift räumt der Behörde kein Ermessen ein. Die mehrfachen Zuwiderhandlungen gegen Verkehrsvorschriften stehen fest und werden vom Antragsteller nicht bestritten. Die erforderlichen Maßnahmen sowie der streitgegenständliche Bescheid wurden ihm – anders als in der Klage- und Antragsbegründung vorgetragen – auch jeweils durch Zustellung wirksam bekanntgegeben.
1.5 Anhaltspunkte dafür, dass trotz der nach dem Vorstehenden sich ergebenden offensichtlichen Rechtmäßigkeit der Entziehung den Interessen des Antragstellers daran, von der sofortigen Durchsetzung der Entziehung vorläufig verschont zu bleiben, der Vorrang gebührt, sind nicht ersichtlich. Nachteile, die einem Betroffenen in beruflicher oder privater Hinsicht entstehen, müssen von ihm – auch mit Rücksicht darauf, dass der Gesetzgeber in § 2a Abs. 6 StVG grundsätzlich dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes den Vorrang gegenüber dem Interesse des Betroffenen, von der sofortigen Durchsetzung der Entziehungsverfügung vorläufig verschont zu bleiben, eingeräumt hat – in Kauf genommen werden. Die beruflichen Interessen des Antragstellers, namentlich die Bedeutung des Führerscheins für das Erreichen seiner Arbeitsstätte, vermögen gegenüber dem überragend wichtigen Gemeinschaftsgut der Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs nicht den Ausschlag zu geben. (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 25.09.2000 – 2 BvQ 30/00 -, juris, Rn. 8, und vom 15.10.1998 – 2 BvQ 32/98 -, juris, Rn. 5.)
2. Die im angegriffenen Bescheid enthaltene Aufforderung zur unverzüglichen Abgabe des Führerscheins findet ihre Rechtsgrundlage in § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG, § 47 Abs. 1 FeV. Anzumerken bleibt, dass die Fahrerlaubnisbehörde diesbezüglich den Sofortvollzug ohne Begründung angeordnet hat. Dies kann sich aber im Ergebnis auf die Rechtmäßigkeit der Verfügung und die gerichtliche Interessenabwägung insgesamt nicht auswirken, da die Abgabeverpflichtung bei rechtmäßigem Entzug der Fahrerlaubnis zweifellos auch rechtmäßig und sofort vollziehbar anzuordnen ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes – GKG – i.V.m. den Empfehlungen in den Nrn. 1.5 Satz 1 sowie 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, Anh. § 164 Rn. 14).


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