Verkehrsrecht

Entziehung der Fahrerlaubnis Gruppe 2 aufgrund einer Epilepsie-Erkrankung

Aktenzeichen  RN 8 K 17.1629

Datum:
1.4.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 32299
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVG § 3 Abs. 1
FeV § 11 Abs. 2 S. 5, Abs. 5, § 46 Abs. 1, Anl. 4 Nr. 6.6

 

Leitsatz

Die Begutachtungsleitlinien sind seit der Änderung der Fahrerlaubnis-Verordnung zum 1. Mai 2014 nach Anlage 4a zu § 11 Abs. 5 FeV die Grundlage für die Beurteilung der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Soweit der Rechtsstreit in der mündlichen Verhandlung für erledigt erklärt wurde, wird das Verfahren eingestellt.
II. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
III. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
IV. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.
Soweit die Klage in der mündlichen Verhandlung hinsichtlich der ursprünglich auch begehrten Aufhebung der Ziffer 3 des Bescheids des LRA D.vom 21. Februar 2017 für erledigt erklärt wurde, war das Verfahren gemäß § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen.
Die Einstellung des Verfahrens ist unanfechtbar.
II.
Soweit die Klage im Übrigen aufrechterhalten wurde, ist sie zulässig, aber unbegründet.
Der Bescheid des LRA D.vom 21. Februar 2017 ist in den noch angegriffenen Ziffern rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Die Entziehung der Fahrerlaubnis der Gruppe 2 (Fahrerlaubnisklassen C1, C1E, C und CE) in Ziffer 1 des Bescheids ist rechtmäßig.
a) Rechtsgrundlage für die Entziehung der Fahrerlaubnis ist § 3 Abs. 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG) i.V.m. § 46 Abs. 1 Fahrerlaubnisverordnung (FeV). Danach ist die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Dies ist nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV insbesondere dann der Fall, wenn eine Erkrankung oder ein Mangel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 zur FeV vorliegt und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist. Ein Ermessen besteht dabei nicht.
b) Hinsichtlich Epilepsie wird in Nr. 6.6 der Anlage 4 zur FeV ausgeführt, dass eine Fahreignung für die Fahrerlaubnisklassen der Gruppe 2, zu denen auch die Fahrerlaubnisklassen C1, C1E, C und CE gehören, für die der Kläger zuletzt eine Fahrerlaubnis besaß, bei Epilepsie „ausnahmsweise“ dann besteht, „wenn kein wesentliches Risiko von Anfallsrezidiven mehr besteht, z.B. fünf Jahre anfallsfrei ohne Therapie“. Die Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung (Bericht der Bundesanstalt für Straßenwesen Heft M 115, Stand: 28.12.2016, im Folgenden: Begutachtungsleitlinien) führen hierzu unter Nr. 3.9.6 aus, dass generell gelte, dass die Fahreignung für die Gruppe 2 nur dann erteilt werden dürfe, wenn der Betroffene keine Antiepileptika einnimmt. Die Kraftfahreignung bestehe im Ausnahmefall bei mindestens fünfjähriger Anfallsfreiheit ohne medikamentöse Therapie. In der weiteren Begründung wird hierzu insbesondere angegeben, dass die alleinige Angabe einer anfallsfreien Periode nicht per sei ausreichend sei, es sollten fachärztliche Kontrolluntersuchungen vorliegen, um den Krankheitsverlauf und das Rezidivrisiko fundiert beurteilen zu könne. Zu beachten sei auch, dass die antiepileptische Medikation im Einzelfall negative Einflüsse auf die Fahrtüchtigkeit haben kann. Die Voraussetzungen zum Führen von Fahrzeugen der Gruppe 2 seien insgesamt strenger aufgrund des höheren Risikos anfallbedingter Unfälle sowie der möglichen Unfallschwere.
c) Vorliegend steht aufgrund des vorgelegten ärztlichen Gutachtens vom 1. Dezember 2016 fest, dass der Kläger aufgrund seiner Epilepsie-Erkrankung zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 2 nicht geeignet ist. Beim Kläger liegt damit ein Mangel nach Nr. 6.6 der Anlage 4 zur FeV vor, der die Fahreignung insoweit ausschließt.
Dass sich der Gutachter bei der Beurteilung der Fahreignung des Klägers an den Vorgaben in der Anlage 4 zur FeV und an den Begutachtungsleitlinien orientiert, ist nicht zu beanstanden. Zwar kommt den Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung keine rechtsnormative Qualität zu (vgl. BayVGH, B. v. 17.12.2015 – 11 ZB 15.2200 -, juris), allerdings sind die Begutachtungsleitlinien seit der Änderung der Fahrerlaubnis-Verordnung zum 1. Mai 2014 nach Anlage 4a zu § 11 Abs. 5 FeV die Grundlage für die Beurteilung der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen. Durch die Neueinführung der Anlage 4a zur FeV sollte klargestellt werden, dass Untersuchungen und Gutachten auf Basis der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung zu erfolgen haben (vgl. BRat-Drs. 78/14 v. 26.2.2014, S. 66). Die Begutachtungsleitlinien geben auf der Grundlage eines entsprechenden verkehrsmedizinischen Erfahrungswissens den Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse wieder. Bei der Würdigung eines Gutachtens durch die Fahrerlaubnisbehörde ist daher zu prüfen, ob es in Übereinstimmung mit den Begutachtungsleitlinien erstellt wurde.
Das vorgelegte ärztliche Gutachten vom 1. Dezember 2016 legt entsprechend der dargestellten Vorgaben nach der Anlage 4 zur FeV und den Begutachtungsleitlinien verständlich und nachvollziehbar dar, dass der Kläger zum Führen von Fahrzeugen der Gruppe 2 nicht geeignet ist. Im Gutachten wird unterschieden zwischen den Erläuterungen der Eignungsbedenken (Ziffer II des Gutachtens) und der verkehrsmedizinischen Untersuchung (Ziffer III des Gutachtens). Das Gutachten enthält eine umfassende Darstellung der verkehrsmedizinischen Befunde, des ärztlichen Untersuchungsgesprächs sowie des psycho-physischen Leistungstests. Nach Angabe des Klägers habe er in der Wachstumsphase zwei- bis dreimal pro Woche Anfälle gehabt. Nach der Pubertät seien die Anfälle abgeklungen, er habe seit 25 Jahren keinen Krampfanfall mehr gehabt. Er nehme regelmäßig und gewissenhaft seine Medikamente, Orfiril 600 mg 2-0-0 (Antiepileptika), ein. Die entnommene Blutprobe ergab einen Wert von 118 mg/l Valproinsäure (dem Wirkstoff von Orfiril) im Blut. Weiter führt das Gutachten aus, dass ein psychometrischer Test durchgeführt wurde, da der Kläger Antiepileptika einnehme. Bei der Bewertung der Befunde kommt das Gutachten anschließend nachvollziehbar und schlüssig zum Ergebnis, dass beim Kläger aufgrund der dargestellten Vorgaben die Fahreignung für die Gruppe 2 nicht gegeben sei, da er derzeit noch hochdosiert Antiepileptika einnehme.
d) Die im Rahmen des Widerspruchsverfahrens vorgelegte fachärztliche Stellungnahme des behandelnden Arztes des Klägers vom 14. Juni 2017 vermag die Schlüssigkeit und Nachvollziehbarkeit des ärztlichen Gutachtens vom 1. Dezember 2016 nicht zu erschüttern. Unabhängig davon, dass diese fachärztliche Stellungnahme keine Aussage zur Fahreignung des Klägers trifft und dies mangels verkehrsmedizinischer Qualifikation des behandelnden Arztes auch nicht könnte, ist der behandelnde Arzt wegen des bei ihm anzunehmenden Interessenkonflikts nach § 11 Abs. 2 Satz 5 FeV in aller Regel nicht dazu berufen, sich zur Frage der Fahreignung einer Person zu äußern (vgl. BayVGH, B. v. 5.7.2012 – 11 CS 12.1321 -, Rn. 26, juris).
e) Eine Ungleichbehandlung des Klägers gegenüber gesunden Verkehrsteilnehmern oder solchen, bei denen nach den gesetzlichen Vorschriften eine Teilnahmefähigkeit vermutet wird, vermag das Gericht durch die Anwendung der Begutachtungsleitlinien nicht zu erkennen. Der Kläger ist gerade nicht mit Verkehrsteilnehmern vergleichbar, die keine entsprechenden Medikamente mehr einnehmen. Zwar wird in der fachärztlichen Stellungnahme vom 14. Juni 2016 ausgeführt, die Medikation habe der Kläger vorsichtshalber rein prophylaktisch weitergenommen. Allerdings erscheint es dem Gericht unwahrscheinlich, dass ein Arzt ein verschreibungspflichtiges Medikament, wie das vom Kläger eingenommene Orfiril, ohne medizinische Notwendigkeit verordnet. In der mündlichen Verhandlung gab der Kläger hierzu auch an, dass der Arzt ihm derzeit anrate, das Medikament, wenn auch in geringerer Dosierung (600 mg, einmal täglich), weiter zu nehmen. Dies steht im Einklang mit den Ausführungen im ärztlichen Gutachten vom 1. Dezember 2016, wonach der Kläger Antiepileptika einnehme, um die Anfallsfreiheit zu gewährleisten (vgl. S. 11 des Gutachtens). Der Kläger ist damit gerade nicht mit an Epilepsie leidenden Verkehrsteilnehmern vergleichbar, die keine Medikamente (mehr) einnehmen, um die Anfallsfreiheit zu gewährleisten.
Damit steht fest, dass der Kläger nach § 3 Abs. 1 StVG, § 46 FeV i.V.m. Nr. 6.6 der Anlage 4 zur FeV derzeit ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 2 ist. Die Fahrerlaubnis der Klassen C1, C1E, C und CE war deshalb zwingend zu entziehen; Billigkeitserwägungen können keine Rolle spielen.
2. Ist die Entziehung der Fahrerlaubnis rechtmäßig, ist auch die darauf aufbauende Anordnung, den zugehörenden Führerschein abzuliefern (vgl. Ziffer 2 des Bescheids vom 21. Februar 2017) nicht zu beanstanden. Denn nach § 3 Abs. 2 Satz 1 StVG erlischt mit der Entziehung die Fahrerlaubnis und nach § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG ist nach der Entziehung der Führerschein bei der Fahrerlaubnisbehörde abzuliefern. Da dem Kläger die Fahrerlaubnis für die Gruppe 1 verbleibt, wird ihm auf eigene Kosten ein neuer Führerschein für die Klassen A, A1, AM, B, BE, L und T ausgestellt.
3. Die rechtmäßige Auferlegung der Verwaltungskosten beruht auf § 6a StVG i.V.m. §§ 1, 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 Nr. 1 GebOSt, die angesetzte Gebühr von 150,00 Euro ergibt sich aus der Gebühren-Nr. 206 GebTSt (Anlage zu § 1 Abs. 1 Satz 1 GebOSt).
Nach allem war die Klage daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung im Kostenpunkt war gemäß § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO) für vorläufig vollstreckbar zu erklären.


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