Verkehrsrecht

Entziehung der Fahrerlaubnis, Trunkenheitsfahrt mit einem Fahrrad, Alkohol

Aktenzeichen  M 6 K 20.5417

Datum:
17.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 24912
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVG § 3 Abs. 1
FeV § 46 Abs. 1 und Abs. 3
FeV § 11 Abs. 8
FeV § 13 S. 1 Nr. 2 c)

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
1. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Entziehung der Fahrerlaubnis ist regelmäßig derjenige der letzten Behördenentscheidung, also hier der Zustellung des Widerspruchsbescheids. Die Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, wonach bei der gerichtlichen Überprüfung einer Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen ist (Bay VGH, U.v. 17.1.2020 – 11 B 19.127 – juris), ist hier nicht einschlägig, da dem Kläger mit dem streitgegenständlichen Bescheid nicht untersagt wurde fahrerlaubnisfreie Fahrzeuge zu führen.
2. Der Bescheid der Beklagten vom 15. Dezember 2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Die Beklagte hat dem Kläger zu Recht die Fahrerlaubnis entzogen, da er das mit Schreiben vom 7. März 2019 geforderte medizinischpsychologische Gutachten nicht beigebracht hat (§ 3 Abs. 1 Straßenverkehrsgesetz – StVG -, § 46 Abs. 1 und 3 i.V.m. § 11 Abs. 8 Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV)
2.1 Zunächst bestehen hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit der Beklagten gem. § 73 Abs. 2 Satz 1 FeV entgegen der in der mündlichen Verhandlung geäußerten Ansicht des Prozessbevollmächtigten keine Bedenken. Ausweislich der Melderegisterauskunft (Blatt 128 der Behördenakte der Beklagten) vom 7. August 2019 ist der Kläger seit Juli 1995 mit einziger Wohnung in München unter der Adresse gemeldet, die auch bei Klageerhebung als Zustellungsanschrift genannt ist. Er hat diese auch in der mündlichen Verhandlung als Hauptwohnsitz eingeräumt.
2.2 Gemäß § 3 Abs. 1 StVG, § 46 Abs. 1 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich der Inhaber einer Fahrerlaubnis als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Dies gilt insbesondere, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 zur FeV vorliegen und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist. Nach Nr. 8.1 der Anlage 4 zur FeV ist ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, wer das Führen von Fahrzeugen und einen die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher trennen kann (Alkoholmissbrauch).
Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 46 Abs. 3 FeV). Nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV ist zur Klärung von Eignungszweifeln bei Alkoholproblematik ein medizinischpsychologisches Gutachten anzuordnen, wenn der Betreffende ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 ? oder mehr oder einer Atemalkoholkonzentration von 0,8 mg/l oder mehr führt. Darunter fällt auch die erstmalige Fahrt mit einem Fahrrad (BVerwG, B.v. 20.6.2013 – 3 B 102.12 – NJW 2013, 2696 Rn. 5; BayVGH, 7.1.2020 – 11 CS 19.2237 – Juris). Die Teilnahme am Straßenverkehr in erheblich alkoholisiertem Zustand stellt mit jedem Fahrzeug und somit auch mit einem Fahrrad eine gravierende Gefahr für die Sicherheit des Straßenverkehrs dar. Eine festgestellte Blutalkoholkonzentration in dieser Höhe begründet somit den Verdacht eines die Fahreignung ausschließenden Alkoholmissbrauchs (vgl. BVerwG, B.v. 20.6.2013 – 3 B 102.12 – NJW 2013, 2696 Rn. 7), weshalb § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV in solchen Fällen die Beibringung eines medizinischpsychologischen Gutachtens zur Abklärung des Trennungsvermögens bzw. der Trennungsbereitschaft regelmäßig zwingend vorsieht.
Nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV darf die Fahrerlaubnisbehörde bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung des Betroffenen schließen, wenn er sich weigert, sich untersuchen zu lassen, oder wenn er das von ihr geforderte Gutachten nicht fristgerecht beibringt. Der Schluss aus der Nichtvorlage eines angeforderten Fahreignungsgutachtens auf die fehlende Fahreignung ist gerechtfertigt, wenn die Anordnung formell und materiell rechtmäßig war (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 3 C 20.15 – NJW 2017, 1765 Rn. 19 m.w.N.) und für die Nichtbeibringung des angeforderten Gutachtens kein ausreichender Grund besteht. Steht die Nichteignung danach fest, da das rechtmäßig geforderte Gutachten nicht vorgelegt wurde, besteht für die Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Nichtvorlage des Gutachtens kein Ermessensspielraum mehr (BayVGH, 7.1.2020 – 11 CS 19.2237 – Juris).
2.3 Die Anordnung zur Beibringung eines medizinischpsychologischen Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung vom 7. März 2019 (zugestellt 9.3.2019) war rechtmäßig.
Nach § 13 Satz 1 Nr. 2c FeV ordnet die Fahrerlaubnisbehörde an, dass ein medizinischpsychologisches Gutachten beizubringen ist, wenn ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr oder einer Atemalkoholkonzentration von 0,8 mg/l oder mehr geführt wurde.
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit ist derjenige der Beibringungsanordnung. Zu diesem Zeitpunkt war die Straftat der fahrlässigen Trunkenheit im Verkehr § 316 Abs. 1 und Abs. 2 Strafgesetzbuch noch nicht tilgungsreif. Der zugrundeliegende Strafbefehl wurde am 22. Juli 2014 rechtskräftig (§ 29 Abs. 4 Nr. 1 Straßenverkehrsgesetz – StVG), woraus sich das Tilgungsdatum 22. Juli 2019 ergibt (§ 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StVG). Die Rechtmäßigkeit der Entziehungsverfügung in den Fällen des § 11 Abs. 8 FeV setzt nicht voraus, dass die Gutachtenanforderung auch noch im Zeitpunkt der Entziehungsentscheidung rechtmäßig ergehen könnte. Insoweit ist vielmehr auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der zu überprüfenden Anordnung abzustellen.
Das Bundesverwaltungsgericht (B.v. 9.6.2005a.a.O. – juris Rn. 34) geht davon aus, dass aus einer noch nicht getilgten Eintragung im Verkehrszentralregister auf jeden Fall Zweifel an der Fahreignung resultieren (so auch BayVGH, B.v. 25.6.2019 – 11 ZB 19.187 – juris). Nur hinsichtlich der weiteren Aufklärung wird es als möglich angesehen, dass unter dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit z.B. auch anderweitige Mittel ausreichend sein können (BVerwG a.a.O. Rn. 34). Dies ist dahingehend zu verstehen, dass ausnahmsweise geprüft werden muss, ob die Ausräumung der Fahreignungszweifel auch durch andere, weniger einschneidende Mittel möglich ist (vgl. auch BayVGH, B.v. 4.10.2016 – 11 ZB 16.1535 – juris Rn. 11). Ein solcher Fall liegt hier ersichtlich nicht vor, denn ein längerer Krankenhausaufenthalt ist ebenso wie die bloße Möglichkeit der weiteren Teilnahme am Straßenverkehr keine einem medizinischpsychologischen Gutachten gleichwertige Aufklärungsmaßnahme. Andere, weniger belastende Aufklärungsmaßnahmen hat der Kläger nicht genannt und sind auch nicht ersichtlich.
Auch im Übrigen bestehen keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Gutachtensanordnung.
2.3 Nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV durfte die Fahrerlaubnisbehörde bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung des Betroffenen schließen.
Zum Zeitpunkt der Entziehung der Fahrerlaubnis (Zustellung des Bescheids am 10.8.2019) war – entgegen der in der mündlichen Verhandlung vorgetragenen Auffassung des Prozessbevollmächtigten – die Befugnis der Fahrerlaubnisbehörde zu Entziehung auch noch nicht verwirkt. Verwirkung setzt neben einem Zeitmoment ein Umstandsmoment voraus, aus dem der Betroffene schließen durfte, dass die Behörde nunmehr nicht mehr tätig werden würde. Hierfür ist vorliegend nichts ersichtlich.
Es kann dahinstehen, ob eine Verwirkung im Rahmen sicherheitsrechtlicher Befugnisse, die nicht im Ermessen der Behörde stehen, überhaupt in Betracht kommt (vgl. BayVGH, B.v. 22.10.2014 – 11 C 14.386 – juris Rn. 20). Voraussetzung für eine Verwirkung wäre jedenfalls, dass neben dem Verstreichen eines längeren Zeitraums weitere Umstände hinzukommen, die ein schutzwürdiges Vertrauen darauf begründen, die Behörde werde von ihrer Befugnis auch künftig keinen Gebrauch mehr machen (vgl. BayVGH, B.v. 7.1.2014 – 11 CS 13.2005 – DAR 2014, 281 Rn. 7).
Durch die mehrfachen Aufforderungen, ein medizinischpsychologisches Gutachten beizubringen und die jeweils durch die Arztbriefe veranlassten Fristverlängerungen, war dem Kläger seit Zustellung der ersten Gutachtensaufforderung vom 21. Januar 2015 bewusst, dass eine Entziehung der Fahrerlaubnis im Raum stand. Der bloße Zeitablauf besagt nichts über eine Änderung der durch die Trunkenheitsfahrt belegten problematischen Trinkgewohnheiten (vgl. NdsOVG, B.v. 7.5.2019 – 12 ME 71/19 – juris Rn. 8). Es ist z.B. nicht auszuschließen, dass der Kläger nur unter dem Druck des noch nicht abgeschlossenen Verfahrens die Teilnahme am Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss unterlassen hat oder bis heute durch Zufall nicht mehr aufgefallen ist.
Wie von dem erkennenden Gericht bereits in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, hatte die Beklagte bei der vorliegenden Fallgestaltung weder hinsichtlich der Anordnung zur Beibringung des Fahreignungsgutachtens noch hinsichtlich der Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Nichtvorlage des Gutachtens einen Ermessenspielraum.
3. Da die Entziehung der Fahrerlaubnis rechtmäßig war, ist auch die Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins §§ 3 Abs. 2 StVG, § 47 Abs. 1 FeV nicht zu beanstanden.
Hinsichtlich der Zwangsgeldandrohung wird auf die Begründung des behördlichen Bescheids verwiesen (§ 117 Abs. 5 VwGO).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
5. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung hat ihre Rechtsgrundlage in § 167 Abs. 2, Abs. 1 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 Zivilprozessordnung – ZPO -.


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