Verkehrsrecht

Erfordernis einer Verwarnung bei Punkten nach altem Recht

Aktenzeichen  AN 10 K 17.00140

Datum:
23.4.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 17167
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVG § 3 Abs. 2 S. 3, § 4 Abs. 3, 5, § 24, § 65 Abs. 3 Nr. 4 S. 3
StVO § 23 Abs. 1a, § 49
FeV § 47 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

Hat die Fahrerlaubnisbehörde ordnungsgemäß die zweite Maßnahmenstufe nach altem Recht erreicht bzw. durchlaufen, bedarf es keiner erneuten Verwarnung nach § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 2 StVG. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

Die Klage ist zwar zulässig. Insbesondere wird sie dahingehend ausgelegt, dass sie sich nicht auf die Zwangsmittelandrohung in Ziffer IV des streitgegenständlichen Bescheids bezieht, da der Kläger seinen Führerschein bereits abgegeben hat und die Verpflichtung aus Ziffer II des Bescheids insoweit schon erfüllt ist.
Die Klage ist jedoch nicht begründet. Der Bescheid vom 10. Januar 2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Rechtsgrundlage für die Entziehung der Fahrerlaubnis ist § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG in der ab 1. Mai 2014 geltenden. Maßgeblich für gerichtliche Prüfung von fahrerlaubnisrechtlichen Entziehungsverfügungen ist nämlich die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung (BVerwG, U.v. 27.9.1995 – 11 C 34.94 – juris).
Nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich für den Betroffenen acht oder mehr Punkte im Fahreignungsregister ergeben. Dabei ist gemäß § 4 Abs. 5 Satz 5 StVG auf den Punktestand abzustellen, der sich zum Zeitpunkt der Begehung der letzten zur Ergreifung der Maßnahme führenden Straftat oder Ordnungswidrigkeit ergeben hat. Gemäß § 4 Abs. 2 Satz 3 StVG ergeben sich Punkte mit der Begehung der Straftat oder Ordnungswidrigkeit, sofern sie rechtskräftig geahndet wird. Nach
§ 4 Abs. 5 Satz 6 Nr. 1 StVG werden bei der Berechnung des Punktestandes Zuwiderhandlungen unabhängig davon berücksichtigt, ob nach deren Begehung bereits Maßnahmen ergriffen worden sind, nach § 4 Abs. 5 Satz 6 Nr. 2 StVG überdies nur dann, wenn deren Tilgungsfrist zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgelaufen ist. Spätere Verringerung des Punktestands auf Grund von Tilgungen bleiben unberücksichtigt (§ 4 Abs. 5 Satz 7 StVG). Nach § 4 Abs. 6 Satz 1 StVG darf eine Entziehung der Fahrerlaubnis weiter nur erfolgen, wenn die Vorschaltmaßnahmen einer Ermahnung und einer Verwarnung ergangen sind. Sofern die Maßnahme der jeweils davorliegenden Stufe noch nicht ergriffen worden ist, ist diese gemäß § 4 Abs. 6 Satz 2 StVG zu ergreifen. In diesem Fall verringert sich der Punktestand mit Wirkung vom Tag des Ausstellens der ergriffenen Ermahnung auf fünf Punkte und der Verwarnung auf sieben Punkte, wenn der Punktestand zu diesem Zeitpunkt nicht bereits durch Tilgungen oder Punkteabzüge niedriger ist, § 4 Abs. 6 Satz 3 StVG.
Die genannten Voraussetzungen liegen hier vor.
Der Kläger hat aufgrund mehrerer Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr im Zeitraum vom 5. September 2011 bis 19. August 2016 einen Punktestand von acht Punkten nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem erreicht.
Kein Streit besteht zwischen den Beteiligten dahingehend, dass die im angefochtenen Bescheid aufgeführten Verkehrszuwiderhandlungen tatsächlich begangen worden sind. Es ist auch nichts ersichtlich dafür, dass die im Bescheid aufgeführten Verkehrszuwiderhandlungen zu Unrecht verwertet sein könnten, dies insbesondere vor dem Hintergrund der gesetzlichen Regelung zu
§ 4 Abs. 5 Satz 4 StVG, dass die Behörde bei den hier in Rede stehenden Maßnahmen an die rechtskräftige Entscheidung über Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten gebunden ist. Es ist auch nichts ersichtlich dafür, dass die Fahrerlaubnisbehörde die Bewertungsregeln des § 4 StVG nicht richtig angewandt haben könnte. Insbesondere waren die herangezogenen Ahndungen von Verkehrszuwiderhandlungen im maßgeblichen Zeitpunkt der Begehung der „letzten“ Verkehrszuwiderhandlung am 19. August 2016 verwertbar, insbesondere noch nicht getilgt.
Der Entziehung der Fahrerlaubnis steht vorliegend auch nicht § 4 Abs. 6 Satz 1 StVG entgegen.
Die Fahrerlaubnisbehörde hat vorliegend vor Entziehung der Fahrerlaubnis die hier vorgeschriebenen Vorschaltmaßnahmen nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und auch Nr. 2 StVG a. F. (Verwarnung, Anordnung eines Aufbauseminars) getroffen. Sie hat auch für die nach den Regelungen des alten Rechts zu behandelnden Verkehrszuwiderhandlungen vom 5. September 2011 bis 9. Oktober 2013 die damals maßgeblichen Regelungen des § 4 StVG a. F. eingehalten. Insbesondere hat sie den Punktestand des Klägers nach § 4 Abs. 5 Satz 1 StVG a. F. zutreffend auf 13 Punkte reduziert, weil die Verkehrszuwiderhandlungen vom 31. Juli 2013 und 6. August 2013 noch vor der am 24. September 2013 ergangenen Verwarnung verwirklicht wurden. Dem sich so ergebenden Stand von 13 Punkten wurde zutreffend ein Punkt aus der Verkehrszuwiderhandlung vom 19. Oktober 2013 zugerechnet. Daraufhin erfolgte auch wegen Erreichens von dann 14 Punkten zulässigerweise die dann auch ergangene Anordnung des Aufbauseminars vom 19. März 2014. Hiermit ergab sich dann zum maßgeblichen Zeitpunkt der Umstellung auf das neue Punktesystem zum 1. Mai 2014 ein Punktestand von „alten“ 14 Punkten. Nach der Tabelle zu § 65 Abs. 3 Nr. 4 Satz 1 StVG ergab sich nach dem neuen Fahreignungs-Bewertungssystem ein Stand von „neuen“ 6 Punkten. Hinzu kamen dann jeweils ein Punkt für die Verkehrszuwiderhandlungen vom 8. Januar 2015 und 19. August 2016.
Nicht zu folgen ist in diesem Zusammenhang dem Vortrag des Klägers, dass er beim Stand von 6 bzw. 7 Punkten im Sinne von § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 StVG verwarnt hätte werden müssen. Dies ergibt sich hinsichtlich des 6. Punktes aus § 65 Abs. 3 Nr. 4 Satz 3 StVG, wonach die Einordnung in das neue Fahreignungs-Bewertungssystem allein nicht zu einer Maßnahme nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem führt. Hierzu wird in der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 17/12636, S. 50) ausgeführt, Satz 3 stelle klar, dass die Umstellung des Systems und die dadurch erstmalige Einordnung in die neuen Maßnahmenstufen nicht zur Maßnahmenergreifung führten. Vielmehr führten nur eine Zuwiderhandlung und das hierauf folgende erstmalige Erreichen einer Maßnahmenstufe – nach altem wie nach neuem Recht – zu einer Maßnahme (vgl. auch BayVGH, B.v. 7.1.2015 – 11 CS 14.2653 – juris). Da der Kläger durch Übertragung seiner früheren Punkte in das neue Bewertungssystem zum 1. Mai 2014 bereits die ab einem Punktestand von sechs Punkten greifende Stufe zwei erreicht und diese Stufe somit nicht erst durch weitere Zuwiderhandlungen erstmals erreicht hatte, bedurfte es vor der Entziehung der Fahrerlaubnis mit Erreichen der Stufe drei (8 Punkte) keiner Verwarnung nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 StVG. Der Kläger hat ordnungsgemäß die zweite Maßnahmenstufe nach altem Recht erreicht bzw. durchlaufen und bedurfte deshalb nach der vorgenannten Vorschrift keiner erneuten Verwarnung nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 StVG. Vielmehr war die Fahrerlaubnisbehörde berechtigt und verpflichtet, ohne dass insoweit ein Ermessensspielraum gegeben wäre, dem Kläger die Fahrerlaubnis zu entziehen.
Mithin erweist sich auch die Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins gemäß § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG i.V.m. § 47 Abs. 1 Satz 1 FeV als Annexentscheidung zur Fahrerlaubnisentziehung als rechtmäßig.
Die Kostenentscheidung basiert auf § 154 Abs. 1 VwGO.


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