Verkehrsrecht

Ermittlung des Punktestandes – Intertemporales Recht

Aktenzeichen  11 CS 17.2467

Datum:
14.2.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 2305
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
Sätze 5 bis 7, § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Buchst. a, Abs. 4 Nr. 3, § 65 Abs. 3 Nr. 3 Satz 1
StVG § 4 Abs. 2 Satz 3, § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3

 

Leitsatz

Bei der Ermittlung des Punktestands, insbesondere hinsichtlich der Tilgungsvorschriften, ist für die Frage, ob insoweit die frühere oder die ab dem 01.05.2014 geltenden Rechtslage maßgeblich ist, nicht auf den Tatzeitpunkt, sondern auf den Zeitpunkt der Eintragung im (früheren) Verkehrszentralregister bzw. im (jetzigen) Fahreignungsregister abzustellen. Auf Entscheidungen, die bis zum Ablauf des 30.04.2014 begangene Zuwiderhandlungen ahnden und erst ab dem 01.05.2014 im Fahreignungsregister gespeichert werden, sind das Straßenverkehrsgesetz und die auf Grund des § 6 Abs. 1 Nr. 1 lit. s StVG erlassenen Rechtsverordnungen in der ab dem 01.05.2014 geltenden Fassung anzuwenden (Anschluss BVerwG BeckRS 2017, 103747). (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 6 S 17.1246 2017-11-22 Bes VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 10.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antragsteller ist Berufskraftfahrer und wohnt im Bundesgebiet. Er wendet sich im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gegen die Aberkennung des Rechts, von seiner ungarischen Fahrerlaubnis in der Bundesrepublik Deutschland Gebrauch zu machen, und die Pflicht zur Vorlage seines Führerscheins.
Mit Bescheid vom 10. Oktober 2017 entzog das Landratsamt H. dem Antragsteller dessen ungarische Fahrerlaubnis (Nr. 1), verpflichtete ihn zur Vorlage des Führerscheins spätestens innerhalb von fünf Tagen nach Zustellung des Bescheids zur Eintragung der fehlenden Fahrberechtigung im Inland (Nr. 2), ordnete hinsichtlich dieser Verpflichtung die sofortige Vollziehung an (Nr. 3) und drohte für den Fall der nicht fristgerechten Vorlage des Führerscheins ein Zwangsgeld an (Nr. 4). Der Antragsteller habe nach der letzten Mitteilung des Kraftfahrt-Bundesamts mit einer am 19. Juli 2016 begangenen Ordnungswidrigkeit acht Punkte im Fahreignungs-Bewertungssystem erreicht. Er sei zuvor ordnungsgemäß ermahnt und verwarnt worden.
Am 16. Oktober 2017 legte der Antragsteller seinen Führerschein dem Landratsamt zur Anbringung des Sperrvermerks vor.
Über die gegen den Bescheid erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht Würzburg, soweit ersichtlich, noch nicht entschieden. Den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 22. November 2017 abgelehnt. Da der Antragsteller seinen Führerschein bereits vorgelegt habe, sei der Antrag unzulässig, soweit er sich gegen die Zwangsgeldandrohung richte. Im Übrigen sei er dahingehend auszulegen, dass der Antragsteller die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die kraft Gesetzes sofort vollziehbare Entziehung der Fahrerlaubnis und die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die für sofort vollziehbar erklärte Verpflichtung zur Vorlage des Führerscheins beantrage. Insoweit sei der Antrag jedoch unbegründet, da die im angefochtenen Bescheid verfügten Maßnahmen rechtmäßig seien. Insbesondere habe das Landratsamt auch die bei Erlass des Bescheids bereits getilgten Zuwiderhandlungen vom 20. März 2014 und 7. November 2014 noch berücksichtigen dürfen.
Zur Begründung der hiergegen eingereichten Beschwerde, der der Antragsgegner entgegentritt, lässt der Antragsteller vortragen, die Fahrerlaubnisbehörde hätte wegen Eintritts der von Amts wegen zu prüfenden Tilgungsreife zumindest die Verkehrszuwiderhandlung vom 20. März 2014 nicht mehr verwerten dürfen. Zum Tattag sei noch die vor dem 1. Mai 2014 geltende Rechtslage maßgeblich gewesen. Auf den Zeitpunkt der Speicherung im Fahreignungsregister komme es nicht an.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Es kann dahinstehen, ob sie unzulässig ist, weil sie keinen bestimmten Antrag enthält (§ 146 Abs. 4 Sätze 3 und 4 VwGO). Die Beschwerde ist jedenfalls unbegründet. Aus den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), ergibt sich nicht, dass der angefochtene Bescheid rechtswidrig wäre.
1. Entgegen der Beschwerdebegründung hat das Landratsamt die mit einem Bußgeld von 160,- Euro geahndete und einem Punkt bewertete Verkehrszuwiderhandlung vom 20. März 2014 (Nichteinhaltung des Mindestabstands) bei Erlass des Bescheids am 10. Oktober 2017 zu Recht berücksichtigt.
a) Nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) in der Bekanntmachung vom 5. März 2003 (BGBl I S. 310, 919), zuletzt geändert durch Gesetz vom 17. August 2017 (BGBl I S. 3202), gilt der Inhaber einer Fahrerlaubnis als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen und ihm ist die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich acht oder mehr Punkte nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem ergeben und er vorher das Stufensystem (Ermahnung und Verwarnung) korrekt durchlaufen hat.
Bei der Ermittlung des Punktestands, insbesondere hinsichtlich der Tilgungsvorschriften, ist für die Frage, ob insoweit die frühere oder die ab dem 1. Mai 2014 geltenden Rechtslage maßgeblich ist, nicht auf den Tatzeitpunkt, sondern auf den Zeitpunkt der Eintragung im (früheren) Verkehrszentralregister bzw. im (jetzigen) Fahreignungsregister abzustellen. Auf Entscheidungen, die bis zum Ablauf des 30. April 2014 begangene Zuwiderhandlungen ahnden und erst ab dem 1. Mai 2014 im Fahreignungsregister gespeichert werden, sind das Straßenverkehrsgesetz und die auf Grund des § 6 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. s StVG erlassenen Rechtsverordnungen in der ab dem 1. Mai 2014 geltenden Fassung anzuwenden (§ 65 Abs. 3 Nr. 3 Satz 1 StVG; BVerwG, U.v. 26.1.2017 – 3 C 21.15 – BVerwGE 157, 235 Rn. 20). Damit kommt es für die Tilgung und Verwertbarkeit der vom Antragsteller begangenen Verkehrszuwiderhandlung vom 20. März 2014 aufgrund des Umstands, dass der hierzu ergangene Bußgeldbescheid vom 30. April 2014 erst am 26. November 2014 rechtskräftig und am 18. Dezember 2014 im Fahreignungsregister gespeichert wurde, auf die nach dem 1. Mai 2014 geltenden Vorschriften an. Ein Verstoß gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes liegt insoweit nicht vor (BayVGH, B.v. 18.5.2015 – 11 BV 14.2839 – DAR 2015, 479; B.v. 26.9.2016 – 11 CS 16.1566 – juris m.w.N.).
Bei Entscheidungen über eine Ordnungswidrigkeit, die mit einem Punkt bewertet ist, beträgt die Tilgungsfrist zwei Jahre und sechs Monate (§ 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Buchst. a StVG). Sie beginnt bei gerichtlichen und verwaltungsbehördlichen Bußgeldentscheidungen sowie bei anderen Verwaltungsentscheidungen mit dem Tag der Rechtskraft oder Unanfechtbarkeit der beschwerenden Entscheidung (§ 29 Abs. 4 Nr. 3 StVG), hier also am 26. November 2014, und lief daher am 26. Mai 2017 ab.
b) Für die kraft Gesetzes sofort vollziehbare Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 4 Abs. 9 StVG), die bei einer ausländischen Fahrerlaubnis die Wirkung einer Aberkennung des Rechts hat, von der Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen (§ 3 Abs. 2 Satz 2 StVG, § 46 Abs. 5 der Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV), hat die Behörde auf den Punktestand abzustellen, der sich zum Zeitpunkt der Begehung der letzten zur Ergreifung der Maßnahme führenden Straftat oder Ordnungswidrigkeit ergeben hat (§ 4 Abs. 5 Satz 5 StVG). Punkte ergeben sich mit der Begehung der Straftat oder Ordnungswidrigkeit, sofern sie rechtskräftig geahndet wird (§ 4 Abs. 2 Satz 3 StVG). Bei der Berechnung des Punktestands werden Zuwiderhandlungen unabhängig davon berücksichtigt, ob nach deren Begehung bereits Maßnahmen ergriffen worden sind, und nur dann berücksichtigt, wenn deren Tilgungsfrist zu dem in § 4 Abs. 5 Satz 5 StVG genannten Zeitpunkt noch nicht abgelaufen war (§ 4 Abs. 5 Satz 6 StVG). Im Fall des Antragstellers war die letzte zum Erreichen von acht Punkten und damit zur Entziehung der Fahrerlaubnis führende Ordnungswidrigkeit die (ebenfalls mit einem Punkt bewertete) Zuwiderhandlung vom 19. Oktober 2016. Zu diesem Zeitpunkt war die Ordnungswidrigkeit vom 20. März 2014 noch nicht getilgt. Spätere Verringerungen des Punktestands auf Grund von Tilgungen bleiben unberücksichtigt (§ 4 Abs. 5 Satz 7 StVG).
Damit hat das Landratsamt den Eintritt der Tilgungsreife am 26. Mai 2017 bei Erlass des Bescheids zu Recht unberücksichtigt gelassen. Die einjährige Überliegefrist (§ 29 Abs. 6 Satz 2, Satz 3 Nr. 2, Abs. 7 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 3 Nr. 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb StVG) war im Zeitpunkt des Bescheiderlasses noch nicht abgelaufen und daher noch kein Verwertungsverbot eingetreten (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 6.10.2017 – 11 CS 17.953 – NZV 2018, 47; B.v. 6.10.2017 – 11 CS 17.1144 – juris). Dem Antragsteller kommt auch nicht zugute, dass der zur Ordnungswidrigkeit vom 19. Oktober 2016 ergangene Bußgeldbescheid vom 18. Januar 2017 erst am 27. Juli 2017 und damit nach Eintritt der Tilgungsreife der Eintragung vom 20. März 2014 rechtskräftig wurde. Vielmehr hatte der Antragsteller bereits mit der Begehung der Zuwiderhandlung vom 19. Oktober 2016 die Acht-Punkte-Grenze erreicht.
2. Die Beschwerde war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 52 Abs. 1 i.V.m. § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG und den Empfehlungen in Nrn. 1.5 Satz 1, 46.3, 46.4 und 46.6 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl. 2017, Anh. § 164 Rn. 14).
3. Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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