Verkehrsrecht

Fahrerlaubnis, Vollziehung, Fahrerlaubnisentziehung, Ermessensentscheidung, Anfechtungsklage, Bescheid, Eintragung, Entziehung, Punktestand, Auslegung, Zulassung, Antragsteller, Sofortvollzug, Rechtsmittel, sofortige Vollziehung, Entziehung der Fahrerlaubnis, aufschiebende Wirkung

Aktenzeichen  Au 7 S 21.2074

Datum:
3.11.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 42566
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,– EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Entziehung seiner Fahrerlaubnis.
1. Der im Jahr 1996 geborene Antragsteller war Inhaber einer Fahrerlaubnis der Klassen AM, B und L.
Unter dem 12. Januar 2021 teilte das Kraftfahrt-Bundesamt der Fahrerlaubnisbehörde des Landratsamtes …(im Folgenden: Landratsamt) mit, dass für den Antragsteller vier Punkte im Fahreignungsregister eingetragen seien. Diese ermahnte ihn daher mit Schreiben vom 1. Februar 2021 aufgrund eines Punktestandes von vier Punkten unter gleichzeitigem Hinweis auf die Möglichkeit einer freiwilligen Teilnahme an einem Fahreignungsseminar mit der Folge eines Punkteabzuges. Ferner wurde er darauf hingewiesen, dass beim Erreichen von acht Punkten die Fahrerlaubnis entzogen werde.
Mit Schreiben vom 15. und 16. Juni 2021 teilte der Bevollmächtigte des Antragstellers dem Landratsamt mit, dass fünf weitere Ordnungswidrigkeiten geahndet worden seien, welche alle am 15. Juni 2021 rechtskräftig geworden seien, nachdem die Rechtsmittel dagegen jeweils per Fax zurückgenommen worden seien. Die entsprechenden Nachweise legte er bei.
Unter dem 30. Juni 2021 teilte das Kraftfahrt-Bundesamt der Fahrerlaubnisbehörde mit, dass für den Antragsteller vier Punkte im Fahreignungsregister eingetragen seien.
Mit Schreiben vom 1. Juli 2021, zugestellt am 6. Juli 2021, ermahnte die Fahrerlaubnisbehörde den Antragsteller (nochmals) aufgrund eines Punktestandes von vier Punkten unter gleichzeitigem Hinweis auf die Möglichkeit einer freiwilligen Teilnahme an einem Fahreignungsseminar mit der Folge eines Punkteabzuges. Ferner wurde er darauf hingewiesen, dass beim Erreichen von acht Punkten die Fahrerlaubnis entzogen werde.
Mit Schreiben vom 15. Juli 2021 teilte das Landratsamt auf Anfrage mit, das Schreiben des Bevollmächtigten mit Anlagen über die Rücknahme der Einsprüche erhalten zu haben. Diese Information sei jedoch nicht relevant, da erst nach Mitteilung des Punktestandes durch das Kraftfahrt-Bundesamt Maßnahmen ergriffen würden.
Unter dem 21. Juli 2021 teilte das Kraftfahrt-Bundesamt der Fahrerlaubnisbehörde mit, dass für den Antragsteller sieben Punkte im Fahreignungsregister eingetragen seien. Mit Schreiben vom 26. Juli 2021, zugestellt am 6. August 2021, verwarnte die Fahrerlaubnisbehörde den Antragsteller aufgrund eines Punktestandes von sieben Punkten. Der Antragsteller wurde nochmalig darauf hingewiesen, dass beim Erreichen von acht Punkten die Fahrerlaubnis entzogen werde. Er wurde auch auf die Möglichkeit einer freiwilligen Teilnahme an einem Fahreignungsseminar hingewiesen.
Unter dem 18. August 2021 teilte das Kraftfahrt-Bundesamt der Fahrerlaubnisbehörde mit, dass für den Antragsteller acht Punkte im Fahreignungsregister eingetragen seien.
Mit Anhörungsschreiben vom 7. September 2021 hörte das Landratsamt den Antragsteller zur beabsichtigten Fahrerlaubnisentziehung an und gab ihm Gelegenheit, sich bis zum 22. September 2021 zu äußern. Mit Schreiben vom 14. September 2021 äußerte sich der Bevollmächtigte dahingehend, dass die Entziehung gegen § 4 Abs. 6 StVG verstoße, da die Fahrerlaubnisbehörde nicht gehindert sei, Informationen über Zuwiderhandlungen zu nutzen, die sie auf anderem Weg als durch Mitteilung des Kraftfahrt-Bundesamts erhalten habe. Sie sei auch nicht an eine vorläufige Berechnung durch das Kraftfahrt-Bundesamt gebunden.
Mit Bescheid vom 28. September 2021, dem Antragsteller laut Postzustellungsurkunde am 2. Oktober 2021 zugestellt, entzog die Fahrerlaubnisbehörde dem Antragsteller die Fahrerlaubnis in vollem Umfang (Nr. 1 des Bescheides) und verpflichtete den Antragsteller, seinen Führerschein unverzüglich beim Landratsamt …abzugeben oder eine entsprechende Versicherung an Eides statt über den Verbleib vorzulegen (Nr. 2 des Bescheides). Die sofortige Vollziehung der Nummer 2 dieses Bescheides wurde angeordnet (Nr. 3 des Bescheides). Für den Fall, dass der Führerschein nicht innerhalb von sieben Tagen nach Zustellung dieses Bescheides abgeliefert werde, wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 250,- EUR angedroht (Nr. 4 des Bescheids).
Die Entziehung der Fahrerlaubnis wurde damit begründet, dass der Antragsteller acht Punkte im Fahreignungsregister erreicht habe. Die Maßnahmen des FahreignungsBewertungssystems seien ordnungsgemäß durchgeführt worden.
Der Berechnung wurden folgende Eintragungen zugrunde gelegt:
Tattag
Rechtskraft der Entscheidung
Tatbestand:
Punkte
17.04.2018
04.09.2018
verbotswidriges Benutzen eines Mobiltelefons als Führer des Kraftfahrzeugs
1
27.04.2020
09.07.2020
Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit
1
10.07.2020
15.12.2020
Nichteinhaltung des erforderlichen Mindestabstands
1
30.11.2020
15.06.2021
Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit
1
14.01.2021
15.06.2021
Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit
1
14.01.2021
15.06.2021
verbotswidriges Benutzen eines Mobiltelefons als Führer des Kraftfahrzeugs
1
31.01.2021
15.06.2021
Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit
2
Die vorgeschriebenen vorherigen Stufen seien eingehalten worden. Eine Anfechtungsklage gegen die Entziehung habe gemäß § 4 Abs. 9 StVG keine aufschiebende Wirkung und die sofortige Vollziehung der Nr. 2 des Bescheids werde nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO angeordnet. Nur so könne gewährleistet werden, dass der Führerschein nicht zur Vortäuschung einer bestehenden Fahrerlaubnis genutzt werde, obwohl diese entzogen worden sei. Deshalb sei die sofortige Vollziehung der Ablieferung des Führerscheins geboten.
2. Am 11. Oktober 2021 ließ der Antragsteller gegen den Bescheid Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg erheben. Diese wird unter dem Az. Au 7 K 21.2073 geführt.
Unter demselben Datum ließ der Antragsteller zudem einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gemäß § 80 Abs. 5 VwGO stellen und beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Hinsichtlich der Begründung wird auf diese Bezug genommen.
3. Mit Schriftsatz vom 18. Oktober 2021 beantragte der Antragsgegner,
den Antrag abzulehnen.
Hinsichtlich der Begründung wird auf diesen Bezug genommen.
Mit Schreiben vom 2. November 2021 leitete der Antragsgegner die Auskunft des Kraftfahrt-Bundesamts vom 28. Oktober 2021 weiter, wonach für den Antragsteller zwischenzeitlich 10 Punkte eingetragen seien.
4. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichts- und vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ist zulässig, führt aber in der Sache nicht zum Erfolg.
1. Der Antrag ist nach entsprechender Auslegung zulässig.
a) Er ist gemäß § 122 Abs. 1, § 88 VwGO entsprechend dem Begehren des Antragstellers auszulegen. Zugrunde zu legen ist, dass Widerspruch und Anfechtungsklage grundsätzlich aufschiebende Wirkung haben gemäß § 80 Abs. 1 VwGO. Diese entfällt nur, wenn die Behörde die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten angeordnet hat (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO) oder dies gesetzlich angeordnet ist (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 1 – 3 VwGO). Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 1 – 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen, im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen.
Nach diesen Grundsätzen ist hier davon auszugehen, dass gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 1 VwGO die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die gemäß § 4 Abs. 9 Straßenverkehrsgesetz (StVG) kraft Gesetzes sofort vollziehbare Entziehung der Fahrerlaubnis in Nr. 1 des Bescheides, sowie gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 2 VwGO die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Pflicht zur Ablieferung des Führerscheins in Nr. 2 des Bescheides, deren sofortige Vollziehung der Antragsgegner in Nr. 3 des Bescheides angeordnet hat, beantragt sein sollen. Bezüglich der Nr. 2 des Bescheides hat die Fahrerlaubnisbehörde die sofortige Vollziehung in Nummer 3 des Bescheides nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO angeordnet. Nur aufgrund dieser behördlichen Anordnung ist die Nr. 2 des Bescheides sofort vollziehbar, insbesondere ist die Pflicht zur Abgabe des Führerscheins nach § 47 Abs. 1 Satz 1 und 2 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980) nicht im Sinne des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO durch Bundesgesetz vorgeschrieben, da die Fahrerlaubnisverordnung kein formelles Gesetz im Sinne dieser Vorschrift ist (BayVGH, B.v. 22.9.2015 – 11 CS 15.1447 – juris Rn. 23 unter Aufgabe seiner bisherigen Rspr. BayVGH, B.v. 9.6.2005 – 11 CS 05.478 – juris Rn. 50; Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl. 2017, § 80 Rn. 65). Die Pflicht zur Ablieferung des Führerscheins gemäß § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG entstammt demgegenüber zwar einem formellen Gesetz, entsteht ausweislich des Wortlauts aber erst „nach der Entziehung“, womit in systematischer Abgrenzung zum „unverzüglich“ i.S.d. § 47 Abs. 1 Satz 1 FeV auf den Zeitpunkt der Bestandskraft abgestellt wird.
b) Der Antrag soll sich nach Auslegung hingegen wohl nicht gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 1 VwGO gegen die Androhung des – kraft gesetzlicher Anordnung in Art. 21a Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz (VwZVG) sofort vollziehbaren – Zwangsgeldes gemäß der Nr. 4 des Bescheides richten. Es wird nach Aktenlage davon ausgegangen, dass der Antragsteller seinen Führerschein abgegeben hat, zumindest findet sich in der Akte eine Kopie der Vorderseite des Führerscheins. Da der Führerschein – nach Aktenlage – somit bei der Fahrerlaubnisbehörde abgeliefert ist, würde es sich hierbei um einen unzulässigen Antrag handeln. Das angedrohte Zwangsgeld kann aufgrund der Ablieferung nicht mehr fällig werden. Die Zwangsgeldandrohung hat sich damit erledigt. Ein Rechtsschutzbedürfnis zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Zwangsgeldandrohung bestünde damit nicht (vgl. VG München, B.v. 4.12.2015 – M 1 S 15.4366 – Rn. 18 – juris). Nicht erledigt durch die Ablieferung des Führerscheins hat sich hingegen die Verpflichtung zur Abgabe desselben in Nr. 2 des Bescheides, denn diese stellt den Rechtsgrund für das vorläufige Behaltendürfen dieses Dokuments für die Fahrerlaubnisbehörde dar (BayVGH, B.v. 12.2.2014 – 11 CS 13.2281 – juris).
2. Der Antrag ist aber unbegründet.
a) Die Anordnung des Sofortvollzugs in der Nr. 3 hinsichtlich der Abgabeverpflichtung der Nr. 2 des Bescheides ist formell rechtmäßig.
Die Regelung unter Nr. 1 des angefochtenen Bescheides (Entziehung der Fahrerlaubnis) ist bereits kraft Gesetzes sofort vollziehbar (§ 4 Abs. 9 StVG), sodass für diese keine Begründung i.S.d. § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO erforderlich ist. Im Hinblick auf die Nr. 2 des Bescheides hat das Landratsamt die sofortige Vollziehung in Nr. 3 des Bescheides im Einklang mit der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (s. z.B. BayVGH, B.v. 22.9.2015 – 11 CS 15.1447 – juris Rn. 23), der die Kammer folgt, angeordnet. Die hierzu im streitgegenständlichen Bescheid abgegebene Begründung (siehe S. 6 des Bescheides) genügt den formellen Anforderungen der Begründungspflicht des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4, Abs. 3 Satz 1 VwGO, denn die Behörde hat ausreichend einzelfallbezogen dargelegt, warum sie abweichend vom Regelfall der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch oder Klage die sofortige Vollziehbarkeit der Verpflichtung, den Führerschein abzuliefern, angeordnet hat. Im Bereich des Sicherheitsrechts, zu dem auch das Fahrerlaubnisrecht gehört, kann sich die Behörde zur Rechtfertigung der sofortigen Vollziehung darauf beschränken, die für diese Fallgruppe typische Interessenlage aufzuzeigen und deutlich zu machen, dass sie auch im konkreten Fall vorliegt (s. z.B. BayVGH, B.v. 24.8.2010 – 11 CS 10.1139 – juris). Hier sollte ausweislich der Begründung der von einem Führerschein typischerweise ausgehende Rechtsschein der Berechtigung zum Führen eines Kraftfahrzeugs ausgeschlossen werden. Im gerichtlichen Verfahren erfolgt keine materielle Überprüfung der Begründung der Behörde nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO.
b) Vielmehr wird eine eigenständige gerichtliche Interessenabwägung durchgeführt (BayVGH, B.v. 16.12.2015 – 11 CS 15.2377 – juris; B.v. 8.9.2015 – 11 CS 15.1634 – juris Rn. 6 m.w.N.). Das Gericht hat bei der Entscheidung über den Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen bzw. wiederherzustellen, eine eigene Ermessensentscheidung zu treffen. Im Rahmen dieser Entscheidung ist das Interesse des Antragstellers, zumindest vorläufig weiter von seiner Fahrerlaubnis Gebrauch machen zu können, gegen das Interesse der Allgemeinheit daran, dass dies unverzüglich unterbunden wird, abzuwägen. Ausschlaggebend im Rahmen dieser Abwägungsentscheidung sind grundsätzlich in erster Linie die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels, dessen aufschiebende Wirkung angeordnet oder wiederhergestellt werden soll, hier also der Anfechtungsklage vom 11. Oktober 2021. Lässt sich schon bei summarischer Prüfung eindeutig feststellen, dass der angefochtene Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist und den Betroffenen in seinen Rechten verletzt, sodass die Klage mit Sicherheit Erfolg haben wird (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), kann kein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts bestehen. Andererseits ist für eine Interessenabwägung, die zugunsten des Antragstellers ausgeht, im Regelfall kein Raum, wenn keine Erfolgsaussichten in der Hauptsache bestehen. Erscheint der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen, hat eine reine Interessenabwägung stattzufinden.
Nach diesen Grundsätzen kommt die Kammer im Rahmen ihrer eigenen originären Ermessensentscheidung zu dem Ergebnis, dass nach summarischer Prüfung keine Erfolgsaussichten in der Hauptsache bestehen (aa) und auch im Übrigen das Vollzugsinteresse der Allgemeinheit das Aussetzungsinteresse des Antragstellers hier überwiegt (bb).
aa) Die Klage gegen den Bescheid vom 28. September 2021 wird nach summarischer Prüfung erfolglos bleiben.
(1) Bedenken gegen die formelle Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides bestehen nicht und wurden auch nicht vorgetragen.
(2) Die in Nr. 1 des Bescheides getroffene Entziehungsentscheidung ist auch materiell rechtmäßig und verletzt den Antragsteller folglich nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Fahrerlaubnisbehörde ging beim Erlass des Bescheides zutreffend von einem Erreichen von acht Punkten im Fahreignungsregister (FAER) aus.
Im Rahmen der gerichtlichen Prüfung fahrerlaubnisrechtlicher Entziehungsverfügungen ist nach ständiger Rechtsprechung auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der abschließenden Entscheidung der handelnden Verwaltungsbehörde abzustellen (vgl. BVerwG, U.v. 27.9.1995 – 11 C 34.94 – BVerwGE 99, 249 = juris Rn. 9, und B.v. 22.1. 2001 – 3 B 144.00 – juris Rn. 2). Da ein Widerspruchsverfahren hier nicht durchgeführt wurde, ist dies der Zeitpunkt des Erlasses des streitgegenständlichen Entziehungsbescheids vom 28. September 2021, d.h. der Tag der Bekanntgabe am 2. Oktober 2021.
Maßgebliche Rechtsgrundlage für die Entziehung der Fahrerlaubnis ist § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG. Danach gilt der Inhaber einer Fahrerlaubnis als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen und die Fahrerlaubnis ist ihm zu entziehen, wenn sich acht oder mehr Punkte im FAER ergeben. Nach § 4 Abs. 2 Satz 3 StVG ergeben sich Punkte mit der Begehung der Straftat oder Ordnungswidrigkeit, sofern sie rechtskräftig geahndet wird. Nach § 4 Abs. 5 Satz 5 StVG ist für das Ergreifen der Maßnahmen auf den Punktestand abzustellen, der sich zum Zeitpunkt der Begehung der letzten zur Ergreifung der Maßnahme führenden Straftat oder Ordnungswidrigkeit ergeben hat. Damit hat der Gesetzgeber das in der Rechtsprechung entwickelte sog. Tattagprinzip normiert. Es kommt hier also auf den Punktestand am 31. Januar 2021 an. Durch die am 31. Januar 2021 begangene Ordnungswidrigkeit, die seit 15. Juni 2021 rechtskräftig geahndet ist und mit zwei Punkten bewertet wurde, hat der Antragsteller jedenfalls am 31. Januar 2021 acht Punkte im FAER erreicht. Hierzu wird auf die Übersicht oben unter I.1 Bezug genommen. Eine spätere Veränderung des Punktestands wäre für die Fahrerlaubnisentziehung im Übrigen unerheblich, da spätere Verringerungen des Punktestands aufgrund von Tilgungen unberücksichtigt bleiben (§ 4 Abs. 5 Satz 7 StVG). Das Tilgungsrecht nach § 29 StVG steht der Verwertung der Taten vorliegend nicht entgegen (§ 29 Abs. 7 Satz 1 StVG). Die Fahrerlaubnisbehörde darf eine Maßnahme nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 oder 3 StVG erst ergreifen, wenn die Maßnahme der jeweils davorliegenden Stufe nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 oder 2 StVG bereits ergriffen worden ist (§ 4 Abs. 6 Satz 1 StVG). Sofern die Maßnahme der davorliegenden Stufe noch nicht ergriffen worden ist, ist diese zu ergreifen (§ 4 Abs. 6 Satz 2 StVG). Der Antragsteller hat das Stufensystem des § 4 Abs. 5 Satz 1 StVG hiernach ordnungsgemäß durchlaufen und daher keinen Anspruch auf eine Punktereduzierung nach § 4 Abs. 6 Satz 3 StVG, sodass ihm die Fahrerlaubnis gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG (zwingend) zu entziehen war.
(a) So wurde dem Antragsteller beim Stand von vier Punkten im FAER mit Schreiben des Landratsamts vom 1. Juli 2021 eine Ermahnung als erste Maßnahmenstufe (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 StVG) erteilt. Die Möglichkeit zur Punktereduzierung durch ein Fahreignungsseminar hat der Antragsteller nicht wahrgenommen.
(b) Beim Stand von sieben Punkten im FAER ergriff das Landratsamt sodann mit Schreiben vom 26. Juli 2021 die Verwarnung als zweite Stufe (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 StVG).
(c) Eine Punktereduzierung gemäß § 4 Abs. 6 Satz 3 i.V.m. Satz 2 StVG kommt nicht in Betracht, da die beiden der Entziehung vorgelagerten Maßnahmen der Ermahnung und Verwarnung (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 und 2 StVG) ordnungsgemäß ergriffen wurden.
Spätestens seit der zum 5. Dezember 2014 in Kraft getretenen erneuten Gesetzesänderung bezüglich des StVG ist für das Ergreifen von Maßnahmen nach rechtskräftiger Ahndung der Zuwiderhandlung nicht mehr ausschließlich auf den sich für den betreffenden Tattag ergebenden Punktestand abzustellen. Maßgebend für die Rechtmäßigkeit einer Maßnahme nach § 4 Abs. 5 Satz 1 StVG und eine Verringerung des Punktestandes nach § 4 Abs. 6 Satz 3 i.V.m. Satz 2 StVG sind die im Fahrerlaubnisregister eingetragenen und der Fahrerlaubnisbehörde im Zeitpunkt des Ergreifens der Maßnahme nach § 4 Abs. 8 StVG übermittelten Zuwiderhandlungen. Nach neuer Rechtslage sollen im Rahmen des Fahreignungs-Bewertungssystems bei Fahrerlaubnisinhabern, die sich durch eine Anhäufung von innerhalb kurzer Zeit begangenen Verkehrsverstößen als ungeeignet erwiesen haben, die Verkehrssicherheit und das Ziel, die Allgemeinheit vor ungeeigneten Fahrern zu schützen, Vorrang vor dem Erziehungsgedanken haben. Für das Fahreignungs-Bewertungssystem des § 4 StVG soll es nicht mehr darauf ankommen, dass eine Maßnahme den Betroffenen vor der Begehung weiterer Verstöße erreicht und ihm die Möglichkeit der Verhaltensänderung einräumt, bevor es zu weiteren Maßnahmen kommen darf. Die Erziehungswirkung liegt – laut dem Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur zur Begründung der vorgeschlagenen und im Gesetzgebungsverfahren angenommenen Änderungen des Regierungsentwurfs – dem Gesamtsystem als solchem zu Grunde, während die Stufen in erster Linie der Information des Betroffenen dienen. Die Maßnahmen stellen somit lediglich eine Information über den Stand im System dar. Die Prüfung der Behörde, ob die Maßnahme der vorangehenden Stufe bereits ergriffen worden ist, ist vom Kenntnisstand der Behörde bei der Bearbeitung zu beurteilen und beeinflusst das Entstehen von Punkten nicht (BT-Drs. 18/2775 S. 9 f.). Umgesetzt wird dieser vom Gesetzgeber gewollte Systemwechsel insbesondere durch § 4 Abs. 5 Satz 6 Nr. 1 und § 4 Abs. 6 Satz 4 StVG. Gemäß § 4 Abs. 5 Satz 6 Nr. 1 StVG werden bei der Berechnung des Punktestandes Zuwiderhandlungen unabhängig davon berücksichtigt, ob nach deren Begehung bereits Maßnahmen ergriffen worden sind. Diese Vorschrift soll die Punktebewertung eines Verkehrsverstoßes auch dann ermöglichen, wenn er vor dem Ergreifen einer Maßnahme begangen wurde, bei dieser Maßnahme aber noch nicht verwertet werden konnte, etwa weil deren Ahndung erst später Rechtskraft erlangt hat oder sie erst später im Fahreignungsregister eingetragen oder der Behörde zur Kenntnis gelangt sei (BT-Drs. 18/2775 S. 10). Ein solcher Fall liegt hier vor. Sämtliche Ordnungswidrigkeiten sind gemäß § 4 Abs. 5 Satz 6 Nr. 1 StVG zu berücksichtigen, obwohl der Antragsteller erst mit Zugang des Schreibens vom 1. Juli 2021 am 6. Juli 2021 bzw. mit Zugang des Schreibens vom 26. Juli 2021 am 6. August 2021 und damit nach der Begehung sämtlicher zugrundeliegender Ordnungswidrigkeiten ermahnt bzw. verwarnt wurde. § 4 Abs. 6 Satz 4 StVG stellt ausdrücklich auf den Kenntnisstand der Fahrerlaubnisbehörde ab. Nach dieser Bestimmung erhöhen Punkte für Zuwiderhandlungen, die vor der Verringerung nach Satz 3 begangen worden sind und von denen die nach Landesrecht zuständige Behörde erst nach der Verringerung Kenntnis erhält, den sich nach Satz 3 ergebenden Punktestand (vgl. zur Systematik auch Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl. 2017, § 4 StVG Rn. 88a). Im Fahreignungs-Bewertungssystem entscheidet die Fahrerlaubnisbehörde mithin auf der Grundlage der ihr gemäß § 4 Abs. 8 StVG vom Kraftfahrt-Bundesamt übermittelten Eintragungen im Fahreignungsregister. Dieser Kenntnisstand ist maßgebend für die Rechtmäßigkeit der Maßnahmen nach § 4 Abs. 5 StVG. Für die Frage, ob die Maßnahme der davor liegenden Stufe noch nicht ergriffen worden ist und sich, wenn zunächst diese Maßnahme zu ergreifen ist, der Punktestand verringert (§ 4 Abs. 6 Satz 2 und 3 StVG), kann nichts anderes gelten. Eine andere Betrachtung liefe dem Ziel der Gesetzesänderung zuwider, bei einer Anhäufung von Verkehrsverstößen die Entziehung der Fahrerlaubnis auch dann zu ermöglichen, wenn der Betroffene nach der Verwarnung die Entziehung der Fahrerlaubnis nicht mehr durch eine Änderung seines Verkehrsverhaltens verhindern kann (vgl. zum Ganzen BVerwG, U.v. 26.01.2017 – 3 C 21/15 – juris Rn. 22 ff.).
Der Vollzug des Maßnahmensystems ist, wie § 4 Abs. 8 und § 28 Abs. 4 StVG sowie die Gesetzesbegründung zeigen, auf die Übermittlung der entsprechenden Daten und auf deren Kenntnisnahme beim Empfänger angelegt. Ob etwas anderes gilt, wenn ein Berufen auf die Unkenntnis als rechtsmissbräuchlich anzusehen wäre (vgl. BayVGH, B.v. 28.4.2016 – 11 CS 16.537 – ZfS 2016, 415 Rn. 13), kann offen bleiben. Anhaltspunkte für einen Rechtsmissbrauch ergeben sich hier keinesfalls. Die Fahrerlaubnisbehörde muss auch nicht unmittelbar vor dem Ergreifen der Maßnahme nochmals beim Kraftfahrt-Bundesamt den aktuellen Punktestand erfragen. Eine solche Rechtspflicht lässt sich den Regelungen zum Fahreignungs-Bewertungssystem nicht entnehmen (ebenso Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl. 2017, § 4 StVG Rn. 60 m.w.N.). Der Gesetzgeber hat in § 4 Abs. 8 StVG eine Übermittlungspflicht des Kraftfahrt-Bundesamtes, nicht aber eine Nachfragepflicht der Fahrerlaubnisbehörde begründet (BVerwG, U.v. 26.01.2017 – 3 C 21/15 – juris Rn. 26 f.).
Wann die Fahrerlaubnisbehörde die jeweiligen Maßnahmen ergreifen kann, hängt nicht nur vom zeitlichen Abstand der Verkehrsverstöße, sondern auch davon ab, wann deren Ahndung rechtskräftig wird (§ 4 Abs. 2 Satz 3 StVG), wann die Gerichte, Staatsanwaltschaften und anderen Behörden dem Kraftfahrt-Bundesamt die über die Zuwiderhandlungen zu speichernden Daten mitteilen (§ 28 Abs. 4 StVG), wann das Kraftfahrt-Bundesamt der Fahrerlaubnisbehörde die Eintragungen im Fahreignungsregister übermittelt (§ 4 Abs. 8 StVG) und welche Bearbeitungszeiten bei der Fahrerlaubnisbehörde selbst anfallen. Ein Zusammenhang zwischen der Gestaltung und Dauer des Verfahrens und der Fahreignung des Fahrerlaubnisinhabers besteht nicht. Ein Fahrerlaubnisinhaber, der wie der Antragsteller mehrere, acht oder mehr Punkte ergebende Zuwiderhandlungen begangen hat, ist zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht besser geeignet und gefährdet die Allgemeinheit nicht weniger, wenn die Staatsanwaltschaft und anschließend das Kraftfahrt-Bundesamt diese Verkehrsverstöße gleichzeitig weitermelden. Das Fahreignungs-Bewertungssystem kommt jedoch ohne eine Anknüpfung an das betreffende Straf- oder Bußgeldverfahren nicht aus (BVerwG, U.v. 26.01.2017 – 3 C 21/15 – juris Rn. 40).
(d) Nichts anderes folgt entgegen der Ansicht der Antragstellerseite aus der Mitteilung seitens des Bevollmächtigten des Antragstellers an das Landratsamt über die am 15. Juni 2021 rechtskräftig gewordenen fünf weiteren Ordnungswidrigkeiten. Das Gericht geht gemäß § 4 Abs. 8 StVG von einer Übermittlungspflicht des KraftfahrtBundesamtes, nicht aber einer Nachfragepflicht der Fahrerlaubnisbehörde aus. Die maßgebliche Kenntnis sämtlicher begangener Taten erlangte der Antragsgegner somit nicht schon durch das Schreiben des Prozessbevollmächtigten des Antragstellers vom 15. bzw. 16. Juni 2021, sondern erst durch die jeweilige Mitteilung des Kraftfahrt-Bundesamts mit Auskünften vom 30. Juni 2021, 21. Juli 2021 und 18. August 2021. Hierfür ist auf § 4 Abs. 8 Satz 1 StVG abzustellen, wonach zur Vorbereitung der Maßnahmen nach § 4 Abs. 5 StVG das Kraftfahrt-Bundesamt bei Erreichen der jeweils für das Ergreifen von Maßnahmen maßgeblichen Punktestände der nach Landesrecht zuständigen Behörde die vorhandenen Eintragungen aus dem Fahreignungsregister zu übermitteln hat. Die Kammer teilt die in der Rechtsprechung vertretene Einschätzung, wonach allein eine solche Übermittlung die Rechtsfolgen des § 4 Abs. 6 StVG auslöst. Das Gesetz sieht ein besonderes Verwaltungsverfahren vor, in dessen Rahmen Zuwiderhandlungen mitgeteilt werden, die zu einer Punkterhöhung und einer Eintragung im Fahreignungsregister führen. Die Mitteilung dient gemäß § 4 Abs. 8 Satz 1 StVG zur Vorbereitung der Maßnahmen gemäß § 4 Abs. 5 StVG und ist daher auch Voraussetzung dafür, dass die vom Gesetz vorgesehenen Maßnahmen ergriffen werden können. Es ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber dem Betroffenen die Möglichkeit geben wollte, die Kenntnisverschaffung der Fahrerlaubnisbehörde an dem Kraftfahrt-Bundesamt vorbei und außerhalb des in § 4 Abs. 8 StVG geregelten Verfahrens selbst in die Hand zu nehmen. Wie sich aus dem zugrundeliegenden Verwaltungsvorgang ergibt, hat das Kraftfahrt-Bundesamt den Antragsgegner jeweils zeitnah über den vom Antragsteller erreichten Punktestand informiert. Würde dies anders gesehen werden, müsste sich die Fahrerlaubnisbehörde wie hier bei privaten Mitteilungen erst im Einzelfall beim Kraftfahrt-Bundesamt oder bei der Bußgeldbehörde erkundigen, solange nicht sicher ist, dass die private Mitteilung der Wahrheit entspricht. Auch enthält die private Mitteilung in der Regel nicht die nach § 4 Abs. 8 Satz 1 StVG erforderliche Mitteilung über den jeweiligen aktuellen Punktestand; auch er müsste von der Fahrerlaubnisbehörde in Erfahrung gebracht werden. Um solche Unwägbarkeiten und einen dadurch verursachten vermehrten Verwaltungsaufwand zu vermeiden, liegt die Auslegung nahe, dass der Gesetzgeber mit § 4 Abs. 8 Satz 1 StVG die Kenntniserlangung an eine entsprechende Mitteilung des Kraftfahrt-Bundesamts knüpfen wollte (vgl. zum Ganzen SächsOVG, B.v. 10.2.2017 – 3 B 215/16 – juris Rn. 8).
Die Kammer geht somit nach summarischer Prüfung davon aus, dass die Fahrerlaubnisbehörde die für die Punktereduzierung nach § 4 Abs. 6 Satz 3 StVG maßgebliche Kenntnis von weiteren Verkehrsverstößen nur durch eine Mitteilung des KraftfahrtBundesamts erhalten kann. Informationen, welche der Fahreignungsbehörde von anderen Stellen – etwa vom Fahrerlaubnisinhaber selbst, anderen Behörden oder Gerichten oder auch innerbehördlich – übermittelt werden, stehen den Mitteilungen des Kraftfahrt-Bundesamts nicht gleich (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, B.v. 20.7.2016 – 16 B 382/16 – juris; VG Köln, U.v. 20.5.2016 – 9 L 398/16 – juris). Diese Auslegung des § 4 Abs. 6 Satz 3 StVG ergibt sich, da der Wortlaut der Vorschrift insoweit keine Schlüsse zulässt, aus der Systematik der gesetzlichen Regelung unter Berücksichtigung der Gesetzesmaterialien. Nach § 4 Abs. 8 StVG hat das Kraftfahrt-Bundesamt der zuständigen Fahrerlaubnisbehörde bei Erreichen der jeweiligen Punktestände nach Absatz 5 die vorhandenen Eintragungen aus dem Fahreignungsregister zu übermitteln. Hierin kommt die – auch vom Gesetzgeber in der Begründung des Gesetzentwurfs betonte (vgl. BT-Drs. 18/2775, S. 10) – besondere Stellung des Kraftfahrt-Bundesamts zum Ausdruck (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 20.07.2016, a.a.O.). Der Gesetzgeber ist ausweislich der Begründung des Gesetzentwurfs davon ausgegangen, dass die in § 4 Abs. 5 StVG vorgesehenen Maßnahmen erst nach Rechtskraft und Registrierung ergriffen werden können (BT-Drs. 18/2775, S. 10). Damit dürfte es nach der Konzeption des Gesetzgebers auch für die erforderliche Kenntnis der Fahrerlaubnisbehörde nicht lediglich auf die – hier vom Bevollmächtigten des Antragstellers durch seine Mitteilung d.h. letztlich von der Antragstellerseite als Privatperson verschaffte – Kenntnis von der rechtskräftig geahndeten Tat, sondern auch auf die Kenntnis von deren Registrierung im Fahreignungsregister samt aktuellem Punktestand ankommen (VG Karlsruhe, B.v. 15.3.2017 – 3 K 217/17 – juris Rn. 22).
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass in den gleichzeitigen Rücknahmen der jeweiligen Einsprüche gegen die fünf weiteren Ordnungswidrigkeiten seitens des Antragstellers am 15. Juni 2021 kein missbräuchliches taktisches Vorgehen gesehen werden kann, allerdings haben diese nur zum gleichzeitigen Eintritt der Rechtskraft geführt. Die Auskünfte des Kraftfahrt-Bundesamts vom 30. Juni 2021, 21. Juli 2021 und 18. August 2021 sowie die daraufhin jeweils unverzüglich ergriffenen Maßnahmen des Landratsamts mit Schreiben vom 1. Juli 2021, 26. Juli 2021 und 28. September 2021 sind allesamt auch in zeitlicher Hinsicht ordnungsgemäß erfolgt, sodass für eine willkürliche Rückhaltung o.Ä. keinerlei Anhaltspunkte bestehen.
(e) Der vom Bevollmächtigten zitierte Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 2006 (BVerwG, B.v. 15.12.2006 – 3 B 49/06 – juris) geht vor dem Hintergrund der oben beschriebenen Gesetzesänderung zum Fahreignungs-Bewertungssystem im Jahr 2014 von vornherein fehl. Da somit beide vorhergehenden Maßnahmen-Stufen ordnungsgemäß durchlaufen worden sind, kommt es nicht zu einer Punktereduzierung wegen Nichtergreifens einer vorhergehenden Maßnahme nach § 4 Abs. 6 Satz 3 i.V.m. Satz 2 StVG (vgl. VG Augsburg, B.v. 8.7.2019 – Au 7 S 19.751, bestätigt vom BayVGH, B.v. 23.9.2019 – 11 CS 19.1542).
Nach der Ermahnung vom 1. Juli 2021 bzw. der Verwarnung vom 26. Juli 2021 kam der Antragsteller zu keinem Zeitpunkt mehr auf einen Punktestand der niedrigeren Stufe, sodass eine erneute Maßnahmendurchführung wegen Zurückfallens auf einen geringeren Punktestand nicht zu erfolgen hatte. Vielmehr beging er alle Ordnungswidrigkeiten innerhalb von weniger als drei Jahren.
(3) Folglich ist auch die auf die Entziehung gestützte – sofort vollziehbare – Anordnung zur Ablieferung des Führerscheins nach § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG, § 47 Abs. 1 Satz 1 und 2 FeV rechtmäßig und verletzt den Antragsteller daher nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
bb) Erweist sich somit nach alledem der angefochtene Bescheid als mit hoher Wahrscheinlichkeit rechtmäßig, so besteht auch kein Anlass, von dem durch § 4 Abs. 9 StVG gesetzlich statuierten Sofortvollzug durch eine gerichtliche Entscheidung abzuweichen. Im Sinne der allgemeinen Verkehrssicherheit ist es nicht verantwortbar, den Antragsteller angesichts der dokumentierten nachhaltigen und innerhalb von weniger als drei Jahren begangenen wiederholten und punktebewerteten Verkehrsverstöße bis zur eventuellen Bestandskraft der Fahrerlaubnisentziehung am Straßenverkehr teilnehmen zu lassen. Es besteht ein erhebliches Interesse der Allgemeinheit, vor Kraftfahrern geschützt zu werden, die ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen sind. Da sich die angeordnete Maßnahme nach dem oben Gesagten bei summarischer Prüfung als rechtmäßig erweist, besteht kein Raum, entgegen der vom Gesetzgeber in § 4 Abs. 9 StVG vorgenommenen Bewertung die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen bzw. hinsichtlich der Ablieferung des Führerscheins wiederherzustellen. Der Antragsteller hat fortgesetzt und beharrlich Verkehrsordnungswidrigkeiten gehäuft innerhalb kurzer Zeit begangen, die der Verordnungsgeber als verkehrssicherheitsgefährdend einstuft. Die mit der sofort vollziehbaren Entziehung seiner Fahrerlaubnis für den Antragsteller verbundenen Nachteile müssen von ihm im Hinblick auf den hohen Rang der durch die Verkehrsteilnahme eines ungeeigneten Kraftfahrers gefährdeten Rechtsgüter wie Leben und Gesundheit und das entsprechende Interesse der Verkehrssicherheit daher hingenommen werden (vgl. SächsOVG, B.v. 19.5.2016 – 3 B 37/16 – juris Rn. 7; VGH BW, B.v. 4.11.2013 – 10 S 1933/13 – NJW 2014, 487 ff.). Solche negativen Auswirkungen auf den Betroffenen sind typisch und waren dem Gesetzgeber bei Schaffung der Vorschrift bekannt. Maßgeblich ist, dass das vom Antragsteller ausgehende Gefährdungspotential erheblich über dem des Durchschnitts anderer Fahrzeugführer liegt. Dies zeigen insbesondere die für ihn im FAER eingetragenen Zuwiderhandlungen. Der Antragsteller hat mehrfach Geschwindigkeitsbegrenzungen erheblich überschritten, zudem den erforderlichen Abstand nicht eingehalten und beim Führen des Fahrzeugs ein Mobiltelefon benutzt. Diese Kumulation aus den aufgezeigten Tatvorgängen zeigt, dass die Eintragungen im FAER keine Anhäufung von unglücklichen Umständen, sondern Produkt eines uneinsichtigen, vom durchschnittlichen Fahrzeugführer deutlich abweichenden Fahrverhaltens sind. Wenn der Bevollmächtigte des Antragstellers meint, dass die „Besonderheiten des vorliegenden Einzelfalles, namentlich die Verwirklichung einer Reihe von Verstößen innerhalb kürzester Zeit“ in der Begründung des Sofortvollzugs nicht berücksichtigt worden seien und diese daher rechtswidrig machten, so kann das Gericht demgegenüber in diesen Besonderheiten einzig einen weiteren entscheidenden Anknüpfungspunkt für die zu Lasten des Antragstellers ausfallende Interessenabwägung im engeren Sinne sehen.
Auch im Hinblick auf die von der Behörde angeordnete sofortige Vollziehung der Ablieferung des Führerscheins (§ 3 Abs. 2 Satz 3 StVG, § 47 Abs. 1 Satz 1 und 2 FeV) kommt bei dieser Sachlage eine Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage nicht in Betracht.
c) Es ist darauf hinzuweisen, dass die Entziehung der Fahrerlaubnis ab einem Stand von acht Punkten zwingend ist und der Fahrerlaubnisbehörde insoweit keinerlei Ermessensspielraum bleibt. Der Gesetzeswortlaut des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG ist ebenso wie der des allgemeinen § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG insoweit eindeutig. Der Antragsteller wird seine Fahrerlaubnis auf jeden Fall erst wieder erhalten, wenn er eine Frist von sechs Monaten nach Ablieferung des Führerscheins abgewartet (§ 4 Abs. 10 Satz 1 und 3 StVG) und in der Regel ein positives Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung beigebracht hat (§ 4 Abs. 10 Satz 4 StVG).
3. Der Antrag war demnach mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 1 Gerichts kostengesetz (GKG) i.V.m. den Empfehlungen Nr. 46.3 und 1.5 Satz 1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO, 26. Aufl. 2020, Anh. § 164 Rn. 14). Maßgeblich ist vorliegend allein die Klasse B; die übrigen Klassen sind in dieser enthalten (vgl. § 6 Abs. 3 Satz 1 FeV). Für die


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