Verkehrsrecht

Haftungsverteilung bei Unfall im Rahmen eines Überholmanövers

Aktenzeichen  10 U 970/21

Datum:
28.7.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 20699
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
StVO § 9

 

Leitsatz

Hat der durch einen Überholvorgang im Straßenverkehr geschädigte Kläger den Fahrtrichtungsanzeiger unter Verstoß gegen § 9 Abs. 1 S. 1 StVO erst kurz vor dem Einleiten seines Abbiegevorgangs gesetzt und hat er zudem gegen die doppelte Rückschaupflicht gem. § 9 Abs. 1 S. 4 StVO verstoßen, so kann eine Haftungsverteilung zwischen dem überholten Kläger und dem (unzulässig) überholenden Beklagten von 50 zu 50 gerechtfertigt sein. (Rn. 3 – 6) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

5 O 3229/19 2021-02-04 Endurteil LGTRAUNSTEIN LG Traunstein

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten vom 19.02.2021 wird das Endurteil des LG Traunstein vom 04.02.2021 (Az. 5 O 3229/19) in Nr. 1. und Nr. 2 abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 1.596,48 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 13.12.2020 sowie weitere 78,90 € zu zahlen.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben der Kläger 71% und die Beklagten als Gesamtschuldner 29% zu tragen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen
V. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 1.596,48 € festgesetzt.

Gründe

A.
Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird abgesehen (§§ 540 II, 313 a I 1 ZPO i. Verb. m. § 544 II Nr. 1 ZPO).
B.
Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete, somit zulässige Berufung hat in der Sache vollumfänglich Erfolg.
I. Das Landgericht hat zu Recht einen Anspruch des Klägers auf Schadensersatz bejaht, hierbei jedoch rechtsfehlerhaft eine Haftungsquote von 70 zu 30 zu Lasten der Beklagten angenommen. Bei Unterstellung des vom Landgericht rechtsfehlerfrei gefundenem Ergebnisses der sorgfältig durchgeführten Beweisaufnahme ist statt dessen eine Haftungsverteilung von 50 zu 50 zwischen den Parteien sachgerecht und damit zutreffend.
Im Rahmen der Abwägung der wechselseitigen Verursachungsbeiträge gemäß § 17 I StVG wurde den Verursachungsbeiträgen der klägerischen Fahrerin, der Zeugin R., seitens des Landgerichts nicht ausreichend Gewicht beigemessen. Denn diese hat vorliegend in mehrfacher Hinsicht die in § 9 StVO geregelten Verkehrsregeln missachtet. So hätte die klägerische Fahrerin beim Abbiegen in ein Grundstück (vgl. S. 2 des Ersturteils) die Verpflichtungen des § 9 V StVO einhalten, also jegliche Gefährdungen anderer Verkehrsteilnehmer ausschließen müssen. Wer abbiegen will, muss das rechtzeitig ankündigen (§ 9 I 1 StVO), wovon hier nicht die Rede sein kann (vgl. S. 5 des Ersturteils: „Dabei war der Fahrtrichtungsanzeiger … erst kurz vor dem Einleiten des Abbiegevorgangs gesetzt worden.“). Zuletzt hat die klägerische Fahrerin auch gegen die doppelte Rückschaupflicht verstoßen (§ 9 I 4 StVO, vgl. Ersturteil S. 5 unten).
Der Einwand der Klagepartei, dass keiner der Zeugen angegeben habe, dass der Beklagte zu 1) beim Überholen den Blinker gesetzt hatte, so dass für die klägerische Fahrerin der Überholvorgang des Beklagten zu 1) zum Zeitpunkt ihres Abbiegeentschlusses nicht zwingend erkennbar gewesen war, greift hiergegen nicht durch. Denn seitens der Klagepartei wird hierbei außer Acht gelassen, dass entsprechend den nachvollziehbaren und damit überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. F. der Überholvorgang des Beklagten zu 1) zum Zeitpunkt des Abbiegevorgangs der klägerischen Fahrerin für diese erkennbar gewesen war sowie, dass die klägerische Fahrerin den streitgegenständlichen Unfall demzufolge hätte vermeiden können, indem sie nicht abgebogen wäre (vgl. S. 25 f. des schriftlichen Gutachtens vom 28.10.2020). Hiervon ist das Landgericht auch zutreffend ausgegangen.
Auch der Einwand der Klagepartei, dass der Beklagte zu 1) aufgrund einer unklaren Verkehrslage das klägerische Fahrzeug gemäß § 5 III Nr. 1 StVO nicht habe überholen dürfen, greift nicht durch und vermag eine überwiegende Haftung der Beklagten hinsichtlich des klägerischen Schadens nicht zu rechtfertigen. Denn vorliegend überzeugte sich das Landgericht rechtsfehlerfrei davon, dass die klägerische Fahrerin vor der Einleitung ihres Abbiegevorgangs den linken Fahrtrichtungsanzeiger gesetzt hatte sowie, dass demzufolge der Abbiegevorgang des klägerischen Fahrzeuges für den Beklagten zu 1) rechtzeitig erkennbar gewesen wäre (vgl. hierzu auch S. 21, 26 des schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen Dipl.-Ing. F. vom 28.10.2020). Weiter zog das Landgericht hieraus die zutreffende Konsequenz, dass der Beklagte zu 1) das klägerische Fahrzeug nicht überholen durfte, da ein Rechtsüberholen aufgrund der Fahrbahnbreite nicht möglich war (§ 5 V StVO), sowie dass der Beklagte zu 1) statt dessen hinter dem klägerischen Fahrzeug hätte warten müssen, bis dieses die Straße freigemacht hat.
II. Ausgehend von der vorstehend dargestellten Haftungsquote und unter Zugrundelegung eines der Höhe nach unstreitigem klägerischen Gesamtschadens in Höhe von 7.982,40 € sowie der hierauf bereits vorgerichtlich beklagtenseits geleisteten Zahlung in Höhe von 2.394,72 € beläuft sich somit der noch offene Restanspruch des Klägers auf einen Betrag in Höhe von 1.596,48 €. Ausgehend von einem Gegenstandswert in Höhe von 3.991,20 € (50% der unstreitigen Schadenshöhe) und unter Berücksichtigung der hierauf bereits vorgerichtlich beklagtenseits geleisteten Zahlung in Höhe von 334,75 € steht dem Kläger hinsichtlich der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten noch ein Erstattungsanspruch gegen die Beklagten in Höhe von 78,90 € zu.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 I, 92 I 1 Fall 2 ZPO.
IV. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Ersturteils und dieses Urteils beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO i. Verb. m. § 544 II Nr. 1 ZPO.
V. Die Revision war nicht zuzulassen. Gründe, die die Zulassung der Revision gem. § 543 II 1 ZPO rechtfertigen würden, sind nicht gegeben. Mit Rücksicht darauf, dass die Entscheidung einen Einzelfall betrifft, ohne von der höchst- oder obergerichtlichen Rechtsprechung abzuweichen, kommt der Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung zu noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.


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