Verkehrsrecht

Höhe des Restwertes bei Verkauf des Unfallwagens

Aktenzeichen  10 U 2526/20

Datum:
24.6.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 28315
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 249, § 254 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Eine Verletzung der Schadensminderungspflicht besteht vorliegend nicht darin, dass der Geschädigte das Unfallfahrzeug zu dem nach dem Privatgutachten ermittelten erzielbaren Erlös auf dem regionalen Markt veräußerte. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Geschädigte ist nicht verpflichtet, die Haftpflichtversicherung des Schädigers vor der Veräußerung darauf hinzuweisen, dass er auf der Basis des ihm vorliegenden Sachverständigengutachtens vorgehen werde. Erst recht ist er nicht verpflichtet, die Haftpflichtversicherung des Schädigers zur Abgabe eines höheren Restwertangebots aufzufordern (vgl. BGH BeckRS 2005, 11163).(Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

6 O 2862/19 2020-03-23 Urt LGTRAUNSTEIN LG Traunstein

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Beklagten vom 21.04.2020 gegen das Endurteil des LG Traunstein vom 23.03.2020 durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 II 1 ZPO wegen offensichtlich fehlender Erfolgsaussicht zurückzuweisen.
Weder eine grundsätzliche Bedeutung der Sache noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Senats aufgrund mündlicher Verhandlung (§ 522 II 1 Nr. 1 -3 ZPO); eine solche ist auch nicht aus sonstigen Gründen geboten (§ 522 II 1 Nr. 4 ZPO).
2. Es wird hiermit Gelegenheit zur Stellungnahme zu der beabsichtigten Entscheidung bis einen Monat nach Zustellung dieses Beschlusses gegeben (§ 522 II 2 ZPO).
Der Hinweis nach § 522 II 2 ZPO dient nicht der Verlängerung der gesetzlichen Berufungsbegründungsfrist (OLG Koblenz NJOZ 2007, 698); neuer Sachvortrag ist nur in den Grenzen der §§ 530, 531 II 1 ZPO zulässig (BGHZ 163, 124), wobei die Voraussetzungen des § 531 II 1 ZPO glaubhaft zu machen sind (§ 531 II 2 ZPO).
3. Nach derzeitiger Sachlage empfiehlt es sich, zur Vermeidung unnötiger weiterer Kosten die Rücknahme der Berufung binnen dieser Frist zu prüfen (im Falle einer Rücknahme ermäßigt sich gem. Nr. 1222 Satz 2 KV-GKG die Gebühr für das Verfahren im Allgemeinen von 4,0 auf 2,0).
4. Der Senat beabsichtigt, den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 11.070 € festzusetzen.

Gründe

I.
Eine mündliche Verhandlung ist nicht gem. § 522 II 1 Nr. 4 ZPO geboten.
Eine „existentielle Bedeutung“ des Rechtsstreits für den Berufungsführer aufgrund der Natur des Rechtsstreits ist vorliegend nicht gegeben: Der Rechtsstreit betrifft Schadensersatzansprüche wegen Sach- und Vermögensschäden im Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall.
Eine „existentielle Bedeutung“ des Rechtsstreits ist auch nicht wegen der Höhe des in Streit befindlichen Betrages gegeben. Die absolute Höhe des Betrages ist grundsätzlich nicht entscheidend (OLG Koblenz, Beschluss vom 16.2.2012 – 10 U 817/11 [juris Rz. 28]; r+s 2013, 450 [451 für eine monatliche Berufsunfähigkeitsrente von knapp 400 €]; OLG Hamm, Beschluss vom 18.9.2013 – 3 U 106/13 [juris Rz. 1] in einer Arzthaftungssache; OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 25.11.2013 – 18 U 1/13 [juris Rz. 22]). Eine Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz des Berufungsführers (vgl. zu dieser Fallgestaltung OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 30.8.2012 – 21 U 34/11 [juris Rz. 4; Nichtzulassungsbeschwerde durch Beschl. des BGH v. 20.2.2014 – VII ZR 265/12 zurückgewiesen]; Stackmann JuS 2011, 1087 [1088 unter II 4]) ist nicht dargetan oder sonst ersichtlich.
Sie scheidet im Übrigen deshalb aus, da der Berufungsstreitwert unter dem Betrag liegt, für welchen eine Anfechtbarkeit nach § 522 III ZPO i. Verb. m. § 544 II ZPO gegeben ist, woraus zu folgern ist, dass der Rechtsstreit keine die Existenz des Berufungsführers berührende Bedeutung hat.
II.
Die Berufung ist auch offensichtlich unbegründet (§ 522 II 1 Nr. 1 ZPO).
1. Eine offensichtliche Unbegründetheit ist gegeben, wenn für jeden Sachkundigen ohne längere Nachprüfung erkennbar ist, dass die vorgebrachten Berufungsgründe (solche sind nur eine Rechtsverletzung [§ 513 I Var. 1 i. Verb. m. § 546 ZPO], eine unrichtige Tatsachenfeststellung [§ 513 I Var. 2 i. Verb. m. § 529 I Nr. 1 ZPO] oder das Vorbringen neuer berücksichtigungsfähiger Angriffs- und Verteidigungsmittel [§ 513 I Var. 2 i. Verb. m. §§ 529 I Nr. 2, 531 II ZPO]) das angefochtene Urteil nicht zu Fall bringen können (vgl. BVerfG NJW 2002, 814 [815]). Offensichtlichkeit setzt aber nicht voraus, dass die Aussichtslosigkeit gewissermaßen auf der Hand liegt, also nur dann bejaht werden dürfte, wenn die Unbegründetheit der Berufung anhand von paratem Wissen festgestellt werden kann (BVerfG EuGRZ 1984, 442 f.); sie kann vielmehr auch das Ergebnis vorgängiger gründlicher Prüfung sein (vgl. BVerfGE 82, 316 [319 f.]).
2. Dem Senat ist es nicht verwehrt, auf der Grundlage der erstinstanzlichen tatsächlichen Feststellungen ergänzende, das angefochtene Urteil weiter rechtfertigende oder berichtigende Erwägungen anzustellen (OLG Stuttgart VRS 122 [2012] 340; OLG Düsseldorf v. 10.4.2012 – 2 U 3/10 [juris]; OLG Köln v. 20.4.2012 – 5 U 139/11 [juris]; KG RdE 2013, 95; OLG Koblenz VersR 2013, 708; OLG Hamm VersR 2013, 604).
3. Dies zugrunde gelegt, nimmt der Senat zunächst zur Vermeidung von Wiederholungen auf die ausführlich und sorgfältig begründete Entscheidung des LG Traunstein Bezug, in der zu allen relevanten Punkten sowohl im Ergebnis als auch in der Begründung in nicht ergänzungsbedürftiger Weise zutreffend Stellung genommen worden ist.
Im Hinblick auf das Berufungsvorbringen ist zu bemerken:
a) Der Geschädigte ist nicht verpflichtet, die Haftpflichtversicherung des Schädigers vor der Veräußerung darauf hinzuweisen, dass er auf der Basis des ihm vorliegenden Sachverständigengutachtens vorgehen werde (Senat, Hinweis v. 17.01.2007 – 10 U 5316/06); erst recht ist er nicht verpflichtet, die Haftpflichtversicherung des Schädigers zur Abgabe eines höheren Restwertangebots aufzufordern (BGH NJW 1993, 1849 [1851 unter II 4]; 2005, 3134 [3135 unter II 3]; Senat DAR 1999, 407 = OLGR 1999, 407; Hinweis v. 17.01.2007 – 10 U 5316/06; OLG Saarbrücken 12.11.2002 – 3 U 790/01-25; OLG Düsseldorf VersR 2006, 1657). Eine Verletzung der Schadensminderungspflicht besteht vorliegend nicht darin, dass die Geschädigte das Fahrzeug zu dem nach dem Privatgutachten ermittelten erzielbaren Erlös veräußerte. Der Geschädigte darf grundsätzlich auf das Gutachten vertrauen, ohne dadurch gegen seine Schadensminderungspflicht zu verstoßen. Ausnahmen bestehen in Fällen außergewöhnlich grober Fehlbegutachtung (LG Bochum NZV 1993, 196), Offensichtlichkeit des Mangels (OLG Düsseldorf SP 2007, 366), wobei bloße Erkennbarkeit nicht genügt nicht (Eggert VA 2007, 215 [218]) oder wenn die Unrichtigkeit auf falschen Angaben des Auftraggebers oder einem kollusiven Zusammenwirken mit dem Gutachter beruht (OLG Hamm OLGR 2001, 319 = NZV 2001, 433 = DAR 2001, 506 = VRS 101 [2001] 169; OLG Saarbrücken zfs 2003, 308 = MDR 2003, 685 = OLGR 2003, 107; KG DAR 2003, 318 und VerkMitt. 2005, 28; Senat NZV 2006, 261 [262]; LG Passau SP 2004, 351; LG Heilbronn SP 2004, 390; LG Berlin NJOZ 2004, 2001; LG Regensburg NZV 2005,49; LG Landshut SP 2007, 267; AG Ulm VersR 2005, 1379; AG Herford SP 2005, 175; AG Berlin-Mitte SP 2006, 259). Der Sachverständige ist kein Erfüllungsgehilfe des Geschädigten i.S.d. §§ 278, 254 II BGB (OLG Hamm DAR 1997, 275; OLG Nürnberg SP 2002, 358 = VRS 103 [2002] 321 = OLGR 2002, 471 = NVwZ-RR 2002, 711; OLG Düsseldorf SP 2007, 366; Eggert VA 2007, 215 [218]).
Der Sachverständige, dessen Sachkunde auch dem Senat aus zahlreichen erholten Gutachten bekannt ist; hat den im Gutachten angegebenen erzielbaren Erlös auf der Grundlage von mehreren auf dem regionalen Markt erholten verbindlichen Kaufangeboten ermittelt. Es handelt sich um Angebote, die auf dem dem Geschädigten zugänglichen allgemeinen Markt erzielbar sind. Entgegen der Auffassung der Berufung handelt es sich auch um Angebote aus dem regionalen Markt. Beim Höchstbietenden handelt es sich um dasjenige Autohaus in R., bei welchem die Geschädigte später auch die Ersatzbeschaffung tätigte. Die weiter angefragten Firmen haben ihren Sitz unweit S. bzw. betreffend die Firma Automobile W. unweit L. Das Privatgutachten enthält daher entgegen der Auffassung der Berufung sehr wohl einen Restwert, auf dessen Grundlage der Geschädigte das Fahrzeug veräußern durfte. Die Beschränkung auf den regionalen Markt soll, wie der BGH bestätigt hat (BGH v. 25.06.2019 – VI ZR 358/18), dem Geschädigten die Möglichkeit eröffnen, das Fahrzeug einer ihm vertrauten Vertragswerkstatt oder einem angesehenen Gebrauchtwagenhändler bei dem Erwerb eines Ersatzwagens in Zahlung zu geben. Deshalb darf er sich an den Restwertpreisen in seinem Umfeld orientieren und muss auch nicht vor einem Verkauf dem Schädiger oder dessen Haftpflichtversicherer die Möglichkeit einräumen, ihm höhere Restwertangebote zu übermitteln (BGH v. 27.09.2016 – VI ZR 673/15).
b) Wie ausgeführt war die Geschädigte nicht verpflichtet, den Eingang eines höheren Restwertangebotes der Versicherung nach Einstellung in spezielle, der Geschädigten nicht zugängliche Restwertbörsen abzuwarten. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass zum Zeitpunkt der Ersatzbeschaffung wie auch zum danach liegenden Zeitpunkt des Zugangs des höheren Angebotes nach Einstellung des Pkw in eine Restwertbörse die der Beklagten zustehende Prüffrist noch nicht abgelaufen war. Diese bezweckt, der Versicherung die Prüfung ihrer Einstandspflicht nach Grund und Höhe zu ermöglichen, ohne in Verzug zu geraten. Sie dient nicht dazu, der Versicherung die erforderliche Zeit zu verschaffen, um ein gegenüber einem privaten Schadensgutachten, auf dessen Grundlage der Geschädigte als Herr des Restitutionsverfahrens das beschädigte Fahrzeug veräußern darf, höheres Restwertangebot einzuholen.
III.
Da, wie aus dem Vorstehenden erhellt, auch die Voraussetzungen des § 522 II 1 Nr. 2 und 3 ZPO vorliegen, beabsichtigt der Senat, die Berufung gem. § 522 II 1 ZPO durch Beschluss zurückzuweisen.


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