Verkehrsrecht

Internationales Privatrecht, Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Außervertragliche Schuldverhältnisse, Rechtsanwaltsgebühren, Vorhaltekosten, Auslagenpauschale, Mitverschuldensanteil, Rom II-VO, Sachverständigengutachten, Sachverständigenbüro, Reparaturkosten, Erstattungsfähige, Unerlaubte Handlung, Gutachterkosten, Streitwert, Sorgfaltspflichtverletzung, Elektronischer Rechtsverkehr, Elektronisches Dokument, Direktklage

Aktenzeichen  3 C 1314/19

Datum:
7.6.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 28720
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
Schweinfurt
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Der Geschädigte kann, wenn der Versicherer im Hoheitsgebiet eines europäischen Mitgliedsstaates ansässig ist, bei einem Verkehrsunfall im Ausland an seinem Wohnsitzgericht eine Klage unmittelbar gegen den Versicherer der Gegenseite erheben, da eine Direktklage im deutschen Recht zulässig. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

Auf den Einspruch der Beklagten vom 29.05.2020 hin wird das Versäumnisurteil vom 19.05.2020 wie folgt abgeändert:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.836,10 € zu zahlen.
2. Die durch die Säumnis bedingten Kosten trägt die Beklagte. Im übrigen trägt von den Kosten des Rechtsstreits die Klägerin 50 % und die Beklagte 50 %.
3. Das Urteil ist für die Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar. Das Urteil ist für die Beklagte hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn sie nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 3.702,20 € festgesetzt.

Gründe

A.
Die zulässige Klage ist teilweise begründet.
Die Klägerin hat einen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung von 1.836,10 € Euro.
I. Die Klage ist zulässig.
Das AG Schweinfurt ist örtlich zuständig. Der Geschädigte kann bei einem Verkehrsunfall im Ausland an seinem Wohnsitzgericht eine Klage unmittelbar gegen den Versicherer der Gegenseite erheben, da eine Direktklage gem. § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG im deutschen Recht zulässig ist und der Versicherer im Hoheitsgebiet eines europäischen Mitgliedsstaates ansässig war, BGH NJW 2008, 2343 (VI ZR 200/05), EuGH VersR 2008, 111 (C.463/06, FBTO Schadeverzekeringen NV ./. Odenbreit).
Das Amtsgericht Schweinfurt ist gem. den §§ 1 ZPO, 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG auch sachlich zuständig.
II. Anwendbares Recht:
Vorliegend ist materiell rechtlich das Recht des Vereinigten Königreichs, insbesondere Englisches Recht, maßgebend (Deliktsstatut).
Gem. Art. 4 Rom II-VO ist auf ein außervertragliches Schuldverhältnis aus unerlaubter Handlung das Recht des Staates anzuwenden, in dem der Schaden eintritt, unabhängig davon, in welchem Staat das schadensbegründende Ereignis oder indirekte Schadensfolgen eingetreten sind (Tatortregel).
Haben der Ersatzpflichtige und der Verletzte ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht in demselben Staat, unterliegen Ansprüche aus Straßenverkehrsunfällen gemäß Abs. 1 dem Recht des Unfallorts, vgl. Junker in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 4 Rom II-VO Rn. 96.
Gem. Art. 15 Rom II-VO ist das nach dieser Verordnung auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht insbesondere maßgebend
a) für den Grund und den Umfang der Haftung einschließlich der Bestimmung der Personen, die für ihre Handlungen haftbar gemacht werden können;
b) die Haftungsausschlussgründe sowie jede Beschränkung oder Teilung der Haftung;
c) das Vorliegen, die Art und die Bemessung des Schadens oder der geforderten Wiedergutmachung, ….
Das angerufene Gericht hat die Schadensberechnung auch sonst in derselben Weise vorzunehmen wie ein Gericht im Staat der lex causae. So wie bei Rechtsgeschäften nicht zwischen einem Vornahmestatut und einem Wirkungsstatut zu trennen ist, erfolgt auch bei unerlaubten Handlungen keine kollisionsrechtliche Trennung von Haftungsgrund und Haftungsfolgen, vgl. Junker in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 15 Rom II-VO Rn. 14.
Im engeren Sinne ist englisches Recht anwendbar, da jede Gebietseinheit des vereinigten Königreichs als eigener Staat gilt. Der Unfall hat in England stattgefunden, somit ist englisches Recht anwendbar. Dies ergibt sich aus den Ausführungen des Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht, dem sich das Gericht aus eigener Überzeugung anschließt.
II. Haftung
Die Beklagte haftet zu 50 %.
Dies ergibt sich nach Würdigung der Ausführungen des Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht und den Ausführungen des Sachverständigen B..
1. Die Beklagte haftet der Klägerin als Haftpflichtversicherung. Nach Art. 18 Rom II-VO kann eine solche Direktklage erhoben werden, wenn entweder das Deliktsstatut oder das Versicherungsvertragsstatut eine solche Direktklage vorsieht. Das englische Recht sieht eine Direktklage des Geschädigten gegen den Haftpflichtversicherer des Schädigers in Sec. 1 des Third Parties (Rights against Insurers) Act 2010 – 2010, c.10 – vor.
2a. Letztlich geht das Gericht nach Würdigung der Zeugenaussage des Zeugen S… und den Ausführungen des Sachverständigen B. von folgendem Sachverhalt aus:
Der klägerische Lkw fuhr – aus der dreispurigen N. Orbital Road kommend – in den zweispurig zu befahrenden Park Street-Kreisverkehr („Roundabout“) ein. Der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs beabsichtigte den Kreisverkehr an der dritten Ausfahrt, an der A414, zu verlassen, d. h an der – im Verhältnis zur Einfahrt – genau entgegengesetzten Seite des Kreisverkehrs gelegenen Ausfahrt. Das klägerische Fahrzeug befuhr zum Unfallzeitpunkt die linke, also äußere Fahrspur. Kurz vor der 2. Ausfahrt wurde der klägerische Lkw von dem auf der rechten Spur fahrenden Beklagtenfahrzeug überholt. Der Fahrer des Kleintransporters beabsichtigte den Kreisverkehr an der Ausfahrt N. Orbital Road/A405 zu verlassen und zog daher knapp vor dem klägerischen Fahrzeug nach links um in diese Ausfahrt abzubiegen. Dabei touchiert der Kleintransporter den klägerischen Lkw vorne rechts und fuhr dann in die erwähnte Ausfahrt ein.
Der Zeuge S… schilderte glaubhaft und detailliert den beabsichtigten Fahrverlauf.
Aus den Ausführungen des Sachverständigen B. ergab sich insbesondere, dass es zu einer Kollision gekommen war, die zu den Ausführungen des Zeugen S… passte, insbesondere das vom Kleintransporter eine Ausfahrt benutzt werden sollte und der Lkw links nach außen versetzt gegenüber dem Transporter am Kreisverkehr weiterfahren wollte.
Der Sachverständige führte aus, dass das Beklagtenfahrzeug mit Geschwindigkeitsüberschuss am klägerischen Fahrzeug vorne rechts vorbeifuhr und es hierbei touchiert.
Das Gericht schließt sich aus eigener Überzeugung den in sich logischen und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen B. an.
b. Bei Annahme des vorliegenden Sachverhalts haftet die Beklagte zu 50 % nach englischem Recht. Das Gericht schließt sich insoweit aus eigener Überzeugung den nachvollziehbaren und schlüssigen Ausführungen des Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht an.
Nach englischem Recht haftet ein Schädiger bei Verkehrsunfällen nur dann, wenn ihm ein Verschulden nachgewiesen werden kann („fault liability“).
Ein Schadensersatzanspruch ergibt sich vorliegend aus dem „tort of neglience“, da der Fahrer des Beklagtenfahrzeugs eine ihm obliegende Sorgfaltspflicht („Duty of care“) schuldhaft verletzt hat und dadurch einen kausalen Schaden der Klägerin herbeigeführt hat.
Voraussetzung hierfür ist, dass dem Schädiger gegenüber dem Geschädigten die Einhaltung einer Sorgfaltspflicht oblag (1), er diese Pflicht verletzt hat (2) und dadurch in vorhersehbarer Weise einen Schaden verursacht hat (3), wobei die Sorgfaltspflichtverletzung schuldhaft begangen sein muss (4).
(1) Vorliegend oblagen beiden Fahrern Sorgfaltspflichten, nämlich aus dem Road Traffic Act 1988 und dem Highway Code, welche das Verhalten der Teilnehmer am Straßenverkehr regeln. Der Verstoß gegen eine solche Regel hat indizielle Wirkung für die Begründung oder Verneinung der zivilrechtlichen Haftung des Verantwortlichen. Eine abschließende Beurteilung im konkreten Fall ist vom Richter vorzunehmen. Dabei ist insbesondere die im Highway Code vorgesehene Regel für die konkrete Verkehrssituation zu berücksichtigen, welche allerdings nicht zwingend ist.
Der Fahrer des Beklagtenfahrzeugs verstieß gegen Rule 133 („Spurwechsel“) und 187 des Highway Code.
Der Fahrer des Beklagtenfahrzeugs vergewisserte sich nicht, dass beim Ausfahren aus dem Kreisverkehr und dem Wechsel von der rechten auf die linke Spur die linke Seite frei gewesen war, bevor auf diese Seite wechselte. Zu diesem Zeitpunkt war der Lkw der Klägerin auf dieser Spur.
Zudem achtete er nicht auf den falsch fahrenden Verkehr und hielt nicht genügend Abstand.
Zwar fuhr das klägerische Fahrzeug auf der falschen Spur, links und nicht auf der rechten Spur, gleichwohl hätte der Fahrer des Beklagtenfahrzeugs sein Wechselmanöver von der rechten auf die linke Spur so einrichten müssen, dass es nicht zu einer Kollision gekommen wäre. Er hätte in Betracht ziehen müssen, dass der klägerische Lkw auf der falschen Spur unterwegs war. Er hätte sich hinter dem klägerischen Lkw auf der linken Spur einordnen müssen. Er hielt nicht ausreichend Abstand zum klägerischen Lkw.
(2) Der Schädiger hat den Schaden unter Verletzung der ihm obliegenden dargelegten „duty of care“ herbeigeführt.
(3) Die eingetretene Schädigung ist kausal auf die Pflichtverletzung zurückzuführen.
(4) Der Fahrer des Beklagtenfahrzeugs hat die Pflichtverletzung zu vertreten.
Allerdings ist vorliegend ein Mitverschulden („contributory negligence“) des Fahrers des klägerischen Fahrzeugs zu berücksichtigen, da dieser im Kreisverkehr auf der falschen Spur fuhr und insofern gegen Rule 186 des Highway Code verstieß (in Anlehnung an die Erwägungen des Court of Appeal im Fall Grace v. Tanner).
Nachdem der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs an der übernächsten Ausfahrt ausfahren wollte, hätte er sich bei der Zufahrt auf der mittleren Spur einordnen müssen, die auf die rechte Fahrspur des Kreisverkehrs führte. Erst nach Passieren der letzten Ausfahrt vor der Zielausfahrt hätte der Fahrer links blinken und sich links einordnen müssen, um den Kreisverkehr auf der linken Fahrspur zur verlassen. Die linke Fahrspur ist den Verkehrsteilnehmern vorbehalten, die den Kreisverkehr an der nächsten Ausfahrt verlassen wollen. Der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs hätte besondere Aufmerksamkeit auf den Verkehr legen müssen, der um ihn herum war. Möglicherweise hat er es unterlassen, in den Rückspiegel zu schauen, da der Zeuge S… angegeben hatte, den Kleinlaster nicht gesehen zu haben. Insofern hätte er damit rechnen müssen, dass ein anderer Verkehrsteilnehmer die Fahrspur überquert, die er befuhr, um den Kreisverkehr zu verlassen.
Der Verstoß gegen den Highway Code spricht indiziell für das Vorliegen eines Mitverschuldens. Insofern ist der Schadensersatzanspruch des Geschädigten in angemessenem Umfang herabzusetzen. Das Mitverschulden wird nach den gleichen Maßstäben beurteilt wie das Verschulden des Schädigers. Dem Gericht steht dabei ein weites Ermessen zu. Das Gericht beurteilt den Mitverschuldensanteil mit 50 %.
III. Schadenshöhe
1. Die Beklagte hat die Gutachterkosten anteilig in Höhe von 183 € zu tragen.
Die Kostenregelung findet sich in Part 44 der CPR. Danach hat das Gericht ein weitreichendes Ermessen darüber, ob eine Partei Kosten an die andere Partei zu zahlen hat, in welcher Höhe Kosten zu zahlen sind und zu welchem Termin. Die allgemeine Regel des Kostenrechts lautet: Die unterlegene Partei hat die Kosten der obsiegenden Partei zu zahlen, es sei denn, das Gericht trifft eine anderslautende Entscheidung.
Gem. Part 33 (6) (d) CPR zählen zu den Kosten auch Kosten der vorprozessualen Rechtsberatung sowie die Kosten eines Schadensgutachtens.
Die Kosten des Gutachtens betragen unstreitig insgesamt 366 €. Dies liegt unter dem Betrag von 750 Pfund bei „small claims track“.
Die Beklagte hat daher anteilig 183 € zu tragen.
2. Die Reparaturkosten belaufen sich laut Sachverständigengutachten netto auf insgesamt 3.137,50 €. Diese sind nach den Ausführungen des Sachverständigen B. auch erforderlich, angemessen und ortsüblich in Bezug auf Kleinteile und UPE Aufschläge. Das Gericht schließt sich aus eigener Überzeugung den in sich logischen und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen an.
Anteilig hat die Beklagte daher 1.568,75 € zu tragen.
3. Die Vorhaltekosten in Höhe von 168,70 € sind erstattungsfähig.
Es sind Vorhaltekosten in Höhe von 84,35 € pro Tag entstanden. Die Reparatur dauerte 2 Tage. Dies ergibt sich aus der Reparaturbestätigung des Kfz Sachverständigenbüro Schmidt vom 09.07.2019, vgl. Anlage K2. Die Vorhaltekosten sind daher anteilig 84,35 €.
4. Für eine Allgemeine Auslagenpauschale kennt das Englische Recht keine Rechtsgrundlage.
Eine Erstattung erfolgt lediglich über die Vorlage von Einzelbelegen.
5. Ein Anspruch auf Verzinsung besteht im englischen Recht nicht. Einen allgemeinen Anspruch auf (pauschalierte) Verzugszinsen im Fall nicht rechtzeitig erfüllter Zahlungspflichten kennt das englische Recht nicht, vgl. RIW 2020, 93.
6. Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten sind nach dem englischen Recht bei „small claims track“, das heißt bei Streitigkeiten mit einem Streitwert bis zu 10.000 Pfund nicht erstattungsfähig.
Die Ausführungen zum Englischen Recht ergeben sich aus dem Gutachten des Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht. Das Gericht schließt sich insofern den nachvollziehbaren und schlüssigen Ausführungen an.
Die Beklagte hat daher der Klägerin eine Gesamtsumme von 1.836,10 € zu erstatten.
B.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
C.
Die Entscheidung die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in § 709 Satz 1 ZPO und §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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