Verkehrsrecht

Konsum von Amphetamin, Anhörungsrüge (hier verneint)

Aktenzeichen  AN 10 S 20.02642

Datum:
29.1.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 12508
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVG § 3 Abs. 1
FeV § 46 Abs. 1
FeV Ziffer 9.1 der Anlage 4 zur

 

Leitsatz

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

II.
Der Antragsteller begehrt nach Auslegung des gestellten Antrags (§§ 122 Abs. 1, 88 VwGO) die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis und die Ablieferungspflicht seines Führerscheins gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Halbs. 2 VwGO. Der Antrag wird weiter dahingehend ausgelegt, dass er sich nicht auf die Zwangsmittelandrohung in Ziffer V des streitgegenständlichen Bescheids bezieht, da der Führerschein des Antragstellers bereits zu den Akten gelangt ist und die Verpflichtung aus Ziffer II des Bescheids insoweit schon erfüllt ist. Auch kann er sich auf die in Ziffer 3 des Bescheids erfolgte Ablehnung der Erweiterung der Fahrerlaubnis nicht beziehen, da insoweit der Antrag unstatthaft wäre und in der Hauptsache auch lediglich Anfechtungsklage gestellt wurde. Der so verstandene Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Halbs. 2 VwGO ist zulässig, aber unbegründet.
1. Die Begründung des Sofortvollzugs nach § 80 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ist in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden. Nach dieser Vorschrift hat die Behörde unter Würdigung des jeweiligen Einzelfalls darzulegen, warum sie abweichend vom Regelfall der aufschiebenden Wirkung, der Widerspruch und Klage grundsätzlich zukommt (vgl. § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO), die sofortige Vollziehbarkeit des Verwaltungsakts angeordnet hat (vgl. BayVGH, B.v. 27.3.2012 – 11 CS 12.201 – juris Rn. 22). Das besondere öffentliche Interesse am Sofortvollzug wurde sowohl bezüglich der Entziehung der Fahrerlaubnis als auch bezüglich der Vorlageverpflichtung in ausreichender Form begründet. So hat der Antragsgegner im Wesentlichen ausgeführt, es müsse davon ausgegangen werden, dass der Antragsteller bis zur Ausschöpfung aller Rechtsmittel gegen die Straßenverkehrsvorschriften verstößt und dabei andere Verkehrsteilnehmer gefährdet oder schädigt. Da der Antragsteller zum Führen von Kraftfahrzeugen als nicht geeignet anzusehen sei, müssten seine Interessen gegenüber den schutzwürdigen Interessen der Allgemeinheit zurückgestellt werden. Diese schutzwürdigen Interessen der Allgemeinheit, die den Schutz der höchsten Rechtsgüter, Leben und Gesundheit, umfassten, würden das private Interesse des Antragstellers an der weiteren Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr überwiegen. Mit der Ablieferung des Führerscheins könne nicht bis zum rechtskräftigen Abschluss eines etwaigen Rechtsbehelfsverfahrens gewartet werden, da mit einer missbräuchlichen Benutzung des Führerscheins gerechnet werden müsse.
Dies ist nicht zu beanstanden. Da es sich beim Fahrerlaubnisrecht um einen besonderen Teil des Sicherheitsrechts handelt, entspricht es der ständigen Rechtsprechung der Kammer, dass es für die Anordnungsbehörde ausreicht, die typische Interessenlage dieser Fallgruppe aufzuzeigen und auszuführen, dass im Falle möglicherweise ungeeigneter Fahrzeugführer ein Ausschluss an der weiteren Teilnahme am Straßenverkehr wegen der davon ausgehenden akuten Gefahr schnellstmöglich anzuordnen ist. Im gerichtlichen Verfahren erfolgt keine materielle Überprüfung der Begründung der Behörde nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO, sondern es wird eine eigenständige Interessenabwägung durchgeführt (st. Rspr., vgl. BayVGH, B.v. 16.12.2015 – 11 CS 15.2377 – juris Rn. 10; B.v. 24.8.2010 – 11 CS 10.1139 – juris Rn. 29; B.v. 10.3.2008 – 11 CS 07.3453 – juris Rn. 16).
2. Der streitgegenständliche Bescheid ist voraussichtlich auch im Übrigen rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO analog).
Im vorliegenden Fall eines Antrags nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Halbs. 2 VwGO stellt das Gericht in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehbarkeit angeordnet worden ist, die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs ganz oder teilweise wieder her, wenn das Interesse des Antragstellers an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung das öffentliche Interesse am Sofortvollzug überwiegt. Im Rahmen dieser Interessenabwägung haben die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache erhebliche Bedeutung. Bleibt dieser Rechtsbehelf mit hoher Wahrscheinlichkeit erfolglos, wird die Abwägung in der Regel zum Nachteil des Betroffenen ausfallen, da dann das von der Behörde geltend gemachte besondere Interesse am Sofortvollzug regelmäßig überwiegt.
Nach der in diesem Verfahren gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtslage liegen die Voraussetzungen der Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG i.V.m. § 46 Abs. 1 Satz. 1 FeV i.V.m. Ziffer 9.1 der Anlage 4 zur FeV vor, so dass der Bescheid des Antragsgegners vom 3. November 2020 zu Recht ergangen ist, weswegen die vom Antragsteller erhobene Klage voraussichtlich keinen Erfolg haben wird. Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Fahrerlaubnisentziehung ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten, abschließenden Verwaltungsentscheidung (st. Rspr, vgl. zuletzt BVerwG, U.v. 23.10.2014 – 3 C 3/13 – DAR 2014, 711 – juris). Da ein Widerspruchsverfahren hier nicht durchgeführt wurde, ist dies der Zeitpunkt des Erlasses des streitgegenständlichen Entziehungsbescheids vom 3. November 2020, d.h. der Tag der Bekanntgabe am 4. November 2020.
a) Der Bescheid ist nicht deshalb formell rechtswidrig, da der jetzige Bevollmächtigte des Antragstellers vor Erlass des Bescheids keine Gelegenheit zur Stellungnahme hatte.
Dem Antragsteller wurde mit Schreiben des Antragsgegners vom 28. September 2020, zugestellt am 29. September 2020, Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb von zwei Wochen gegeben. Nachdem sich der ehemalige Bevollmächtigte des Antragstellers angezeigt und Akteneinsicht beantragt hat, ging die Akte am 16. Oktober 2020 wieder beim Antragsgegner ein. Mit Fax vom 20. Oktober 2020 bat der ehemalige Bevollmächtigte um Verlängerung der Anhörungsfrist um zwei Wochen. Die Anhörungsfrist wurde vom Antragsgegner bis zum 29. Oktober 2020 verlängert. Mit Fax vom 22. Oktober 2020 teilte der jetzige Bevollmächtigte die Mandatsübernahme mit, beantragte Akteneinsicht und kündigte die Nachreichung der Vollmacht an. Mit Fax vom 28. Oktober 2020 bat der Antragsgegner um Vorlage einer anwaltlichen Vollmacht. Mit Fax vom 3. November 2020 übermittelte der jetzige Bevollmächtigte des Antragstellers die am 26. Oktober 2020 unterzeichnete Vollmacht. Der Antragsgegner teilte dem Bevollmächtigten des Antragstellers mit Schreiben vom 4. November 2020 mit, dass die Vollmacht am 3. November 2020 um 16:13 Uhr per Fax dem Antragsgegner übermittelt worden sei. Da die (verlängerte) Anhörungsfrist bereits abgelaufen sei und die angeforderte Vollmacht nicht vorgelegen habe, sei der Bescheid über die Entziehung der Fahrerlaubnis am Vormittag des 3. November 2020 an den Antragsteller versandt worden. Gleichzeitig wurde dem Bevollmächtigten Akteneinsicht gewährt.
Es ist nicht zu beanstanden, dass der Antragsgegner den Bescheid am 3. November 2020 erlassen hat, ohne dem jetzigen Bevollmächtigten zuvor Akteneinsicht mit anschließender Gelegenheit zur Stellungnahme gewährt zu haben. Art. 14 Abs. 1 Satz 3 BayVwVfG sieht ausdrücklich vor, dass auf Verlangen der Behörde die Vollmacht schriftlich nachzuweisen ist. Die Schriftform ist aber nicht (konstitutive Wirksamkeits-) Voraussetzung der Vertretungsbefugnis, sondern dient lediglich zur Absicherung der Behörde (vgl. HK-VerwR/Winfred Porz, 4. Aufl. 2016, VwVfG § 14 Rn. 9). Vorliegend erfolgte die Vollmachtsvorlage erst nach Erlass des Entzugsbescheids, obwohl die Vollmacht bereits am 26. Oktober 2020 und damit noch innerhalb der verlängerten Anhörungsfrist unterzeichnet wurde. Es ist allein Sache des Bevollmächtigten, sich um die Vollmachtserteilung durch seinen Mandanten zu kümmern und diese dann auf Verlangen rechtzeitig bei der Behörde vorzulegen. Zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses war zudem die verlängerte Anhörungsfrist bereits seit einigen Tagen abgelaufen. Unabhängig davon liegt vorliegend kein Verfahrensfehler vor. Nach dem Wortlaut des Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG kommt es allein darauf an, dass dem Betroffenen ausreichend Gelegenheit gegeben wird, sich zu äußern. Dies ist hier zu bejahen, zumal die Behörde von sich aus die Zweiwochenfrist um weitere zwei Wochen verlängert hat. Im Übrigen wäre ein etwaiger Verfahrensfehler jedenfalls durch das gerichtliche Verfahren geheilt, vgl. Art. 45 Abs. 1 Nr. 3 BayVwVfG.
b) Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG und § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV) hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 3 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 2 Abs. 8 StVG, § 46 Abs. 3 FeV). Steht die Nichteignung des Betroffenen zur Überzeugung der Fahrerlaubnisbehörde fest, unterbleibt gemäß § 11 Abs. 7 FeV die Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens. Nach Nr. 9.1 der Anlage 4 zu §§ 11, 13 und 14 FeV entfällt bei Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (ausgenommen Cannabis), hier Amphetamin (vgl. § 1 Abs. 1 BtMG i.V.m. Anlage III), die Fahreignung. Dies gilt unabhängig von der Häufigkeit des Konsums, von der Höhe der Betäubungsmittelkonzentration, von einer Teilnahme am Straßenverkehr in berauschtem Zustand und vom Vorliegen konkreter Ausfallerscheinungen beim Betroffenen (stRspr, vgl. zuletzt BayVGH, B.v. 27.6.2019 – 11 CS 19.961 – juris Rn. 12 m.w.N.). Diese Rechtsprechung trägt dem erhöhten Suchtpotenzial und der Gefährlichkeit der illegalen Droge Amphetamin Rechnung. Dementsprechend ist die Entziehung der Fahrerlaubnis bereits dann gerechtfertigt, wenn einmalig harte Drogen im Körper des Fahrerlaubnisinhabers und damit deren Einnahme nachgewiesen worden sind oder, wenn der Fahrerlaubnisinhaber die Einnahme solcher Substanzen eingeräumt hat (vgl. BayVGH, B.v. 26.3.2019 – 11 CS 18.2333 – juris Rn. 11 m.w.N.). Gemäß § 11 Abs. 7 FeV unterbleibt die Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens, wenn die Nichteignung des Betroffenen zur Überzeugung der Fahrerlaubnisbehörde feststeht (BVerwG, U.v. 23.10.2014 – 3 C 3.13 – NJW 2015, 2439 Rn. 36; BayVGH, B.v. 5.12.2018 – 11 CS 18.2351 – juris Rn. 9).
Dass der Antragsteller Amphetamin konsumiert und – ohne dass es fahrerlaubnisrechtlich darauf ankäme – unter der Wirkung dieser Substanz am 6. September 2020 ein Kraftfahrzeug geführt hat, steht aufgrund der polizeilichen Ermittlungen, des freiwilligen Drogenschnelltests vor Ort und des ärztlichen Befundberichts des Labors … vom 22. September 2020 fest. Die beim Antragsteller entnommene Blutprobe vom 6. September 2020 ergab eine Amphetaminkonzentration im Blut des Antragstellers von 476 ng/ml.
Zweifel an der Verwertbarkeit des ärztlichen Befundberichts vom 22. September 2020 und der dort festgestellten Amphetaminkonzentration bestehen nicht und wurden auch von der Antragstellerseite nicht vorgetragen. Mithin liegen die Voraussetzungen nach Nummer 9.1 der Anlage 4 zur FeV vor. Für den Antragsteller besteht daher keine Eignung mehr.
Soweit der Antragsteller vorträgt, er habe mit Schreiben per Fax vom 22. Oktober 2020 an das Bayerische Polizeiverwaltungsamt Einspruch gegen den Bußgeldbescheid vom 13. Oktober 2020 wegen des Vorfalls vom 6. September 2020 erhoben und dieser Bußgeldbescheid sei somit bis auf Weiteres nicht rechtskräftig, kann dies nicht zum Erfolg des Antrags führen. Vorliegend kommt es nicht darauf an, ob der Antragsteller im Rahmen eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens dafür belangt wird. Entscheidend ist allein, dass der Antragsteller harte Drogen eingenommen hat, was durch die ausgewertete Blutprobe nachgewiesen ist.
Aufgrund der festgestellten Nichteignung war die Fahrerlaubnisbehörde nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG und § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV zur Entziehung der Fahrerlaubnis verpflichtet. Der Fahrerlaubnisbehörde war für diese Entscheidung keinerlei Ermessen eingeräumt. Steht die Nichteignung fest, so ist die Fahrerlaubnis zwingend zu entziehen.
Dem Antragsteller steht die Möglichkeit offen, gemäß Ziffer 9.5 Anlage 4 zur FeV durch den Nachweis einjähriger Abstinenz und eines tiefgreifenden Einstellungswandels die Wiedererlangung seiner Fahreignung zu belegen (vgl. BayVGH, B.v. 27.3.2009 – 11 CS 09.85; VG Regensburg, U.v. 20.1.2011 – RN 8 S 11.33, jeweils juris).
Nach alledem ist die mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 3. November 2020 erfolgte Entziehung der Fahrerlaubnis damit rechtmäßig.
Dies hat zur Folge, dass auch die unter Ziffer II des streitgegenständlichen Bescheids verfügte Vorlageverpflichtung bezüglich des Führerscheins als Annexentscheidung zur Fahrerlaubnisentziehung gemäß § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG, § 47 Abs. 1 FeV zu Recht ergangen ist.
Aufgrund der insgesamt negativen Prognose hinsichtlich der Erfolgsaussichten der Anfechtungsklage überwiegt das Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheids das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seiner Anfechtungsklage. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO war daher abzulehnen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 und 2 GKG i.V.m. den Ziffern 1.5 und 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung des Jahres 2013.


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