Verkehrsrecht

Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach Trunkenheitsfahrt

Aktenzeichen  M 1 K 15.2809

Datum:
8.3.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
FeV FeV § 11 Abs. 8 S. 1, § 13 S. 1 Nr. 2
StGB StGB § 69

 

Leitsatz

1 Die Fahrerlaubnisbehörde muss die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anordnen, wenn ein Strafgericht eine Fahrerlaubnis wegen Alkoholmissbrauchs in Gestalt der Straßenverkehrsteilnahme unter Alkoholeinfluss unabhängig von der BAK entzogen hat.    (redaktioneller Leitsatz)
2 Die strafgerichtliche Begriff der Fahrungeeignetheit nach § 69 Abs.1 StGB, stimmt inhaltlich mit dem behördlichen Maßstab über die Ungeeignetheit nach § 2 Abs. 4 S. 1, § 3 Abs. 1 S. 1 StVG iVm. § 11 Abs. 1 S. 3, § 46 Abs. 1 S. 2 FeV überein.    (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist unbegründet, da der Kläger auf die beantragte Fahrerlaubnis keinen Rechtsanspruch hat (§ 113 Abs. 5 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
Die Beklagte hat vom Kläger berechtigt nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) die Vorlage eines Gutachtens über eine medizinisch-psychologische Untersuchung verlangt und, da er dem nicht nachgekommen ist, zu Recht gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf seine Fahrungeeignetheit geschlossen. Zu einem solchen Schluss war die Fahrerlaubnisbehörde der Beklagten berechtigt, da die Aufforderung an den Kläger zur Gutachtensbeibringung zulässig war (vgl. BVerwG, U. v. 14.11.2013 – 3 C 32.12 – BVerwGE 148, 230 – juris Rn. 36).
1. Nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d FeV ordnet die Fahrerlaubnisbehörde zur Vorbereitung einer Entscheidung über die Erteilung einer Fahrerlaubnis die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens an, wenn „die Fahrerlaubnis aus einem der unter den Buchstaben a bis c genannten Gründe entzogen war“. Buchstabe a betrifft unter anderem den Fall „Vorliegen von Tatsachen, die die Annahme von Alkoholmissbrauch begründen“, Buchstabe b die Fallkonstellation einer wiederholten Zuwiderhandlung im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss und Buchstabe c den Fall des Führens eines Kraftfahrzeugs im Straßenverkehr bei einer Blutalkoholkonzentration von mindestens 1,6‰ oder einer Atemalkoholkonzentration von mindestens 0,8 mg/l. Bei der einmaligen Trunkenheitsfahrt des Klägers am 10. Juli 2014 war eine BAK von 1,15‰ festgestellt worden. Damit scheidet in seinem Fall eine Anwendung der Buchstaben b und c hinsichtlich einer Gutachtensanordnung bereits tatbestandlich aus.
2. Der von der Beklagten erlassenen Beibringungsanordnung stand nicht entgegen, dass dem Kläger die Fahrerlaubnis nicht von einer Behörde, sondern von einem Strafgericht nach §§ 69, 69 a Strafgesetzbuch (StGB) entzogen worden war. § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d FeV nennt als Voraussetzung lediglich, dass die Fahrerlaubnis (aus einem der unter den Buchstaben a bis c genannten Gründe) „entzogen war“. Aufgrund neuerer Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass auch die strafgerichtliche Entziehung nach § 69 StGB eine solche Entziehung ist (BVerwG, B. v. 24.6.2013 – 3 B 71.12 – juris Ls. 1 und Rn. 6).
3. Die Beklagte durfte aufgrund der strafgerichtlichen Entziehung der Fahrerlaubnis auch davon ausgehen, dass beim Kläger Anzeichen für Alkoholmissbrauch vorliegen. Unter Berücksichtigung der geänderten Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (BayVGH, U. v. 17.11.2015 – 11 BV 14.2738 – DAR 2016, 41 – juris Rn. 30 ff.) steht dem nicht entgegen, dass der Kläger am 10. Juli 2014 ein Kraftfahrzeug mit einer BAK von (nur) 1,15‰ und damit unterhalb des in § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV genannten Werts von 1,6‰ geführt hat.
3.1 Ob als Tatsache, die die Annahme von Alkoholmissbrauch nach Buchstabe a begründet, der BAK-Wert von 1,6‰ nach Buchstabe c von Bedeutung ist, wird in der Rechtsprechung unterschiedlich beantwortet. Der Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. Juni 2013 (3 B 71.12 a. a. O.) nimmt hierzu nicht ausdrücklich Stellung. Zwar lag dieser Entscheidung eine einmalige Trunkenheitsfahrt mit einer BAK von 1,58‰ zugrunde, doch bezieht sich diese Revisionsentscheidung nicht auf die Frage des relevanten BAK-Werts, sondern ausschließlich auf die Frage, ob bezüglich § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d FeV die Entziehung der Fahrerlaubnis durch ein Strafgericht derjenigen durch eine Fahrerlaubnisbehörde gleichsteht (BayVGH, B. v. 8.10.2014 – 11 CE 14.1776 – juris Rn. 19; ebenso Mahlberg, DAR 2014, 419/420 f.).
3.2 Die obergerichtliche Rechtsprechung zur Frage des Verhältnisses von § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a und c ist uneinheitlich. Während der Bayerische Verwaltungsgerichtshof früher wiederholt davon ausging, dass Gutachtensanordnungen in Fällen einmaliger Trunkenheitsfahrten unter 1,6‰ unzulässig sind (BayVGH, B. v. 20.3.2009 – 11 CE 08.3028 – juris Rn. 12 [BAK: 1,34‰]; B. v. 9.2.2009 – 11 CE 08.3308 – juris Rn. 14 [BAK: 1,31‰]), hat er diese Rechtsprechung nunmehr ausdrücklich aufgegeben und kommt, ebenso wie der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (U. v. 18.6.2012 – 10 S 452/10 – juris Rn. 48 [BAK: 1,58‰]; B. v. 15.1.2014 – 10 S 1748/13 – juris Rn. 10 [BAK: 1,2‰]) und das Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern (B. v. 22.5.2013 – 1 M 123/12 – juris Rn. 12 [BAK: 1,34‰]), zum gegenteiligen Ergebnis (BayVGH, U. v. 17.11.2015 – 11 BV 14.2738 – DAR 2016, 41 – juris Rn. 30 ff.).
3.3 Nach der neuen Auffassung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ist die Fahrerlaubnisbehörde verpflichtet, die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anzuordnen, wenn einem Betroffenen die Fahrerlaubnis vom Strafgericht wegen (fahrerlaubnisrechtlichen) Alkoholmissbrauchs in Gestalt der Straßenverkehrsteilnahme unter Alkoholeinfluss unabhängig von der BAK und damit aus einem der unter den Buchstaben a bis c des § 13 Satz 1 Nr. 2 FeV genannten Gründe entzogen wurde. Dieser führe nach Entziehung der Fahrerlaubnis durch das Strafgericht zu fortbestehenden Eignungszweifeln und daher nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d FeV zur Anforderung eines Fahreignungsgutachtens.
Die Fahreignung sei gemäß Nr. 8.2 der Anlage 4 zur FeV erst dann wieder gegeben, wenn der Missbrauch beendet und die Änderung des Trinkverhaltens gefestigt sei. Dies sei durch eine medizinisch-psychologische Untersuchung aufgrund von § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d FeV von der Fahrerlaubnisbehörde zu klären. Der strafgerichtlichen Feststellung der Fahrungeeignetheit komme insoweit keine geringere Bedeutung zu als der verwaltungsbehördlichen Feststellung. Der Beurteilungsvorrang der Strafgerichte sei gerechtfertigt, weil dabei ein identischer Prüfungsmaßstab zur Anwendung gelange. Der in § 69 Abs. 1 StGB verwendete Begriff der Ungeeignetheit stimme inhaltlich mit dem in § 2 Abs. 4 Satz 1, § 3 Abs. 1 Satz 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG) i. V. m. § 11 Abs. 1 Satz 3, § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV enthaltenen Maßstab überein. Deshalb könne für die Auslegung des Begriffs der Ungeeignetheit in § 69 StGB der Zweck der Vorschrift des § 3 Abs. 1 StVG über die Entziehung der Fahrerlaubnis durch die Verwaltungsbehörde herangezogen werden (BayVGH, U. v. 17.11.2015 – 11 BV 14.2738 – DAR 2016, 41 – juris insbesondere Rn. 32, 39 ff., 47).
3.4 Eine wie hier durch das Strafgericht im Anschluss an die strafgerichtliche Entziehung der Fahrerlaubnis getroffene Entscheidung, aufgrund einer Teilnahme des Betroffenen an verkehrspsychologischen Maßnahmen die Sperrfrist für eine Wiedererteilung der Fahrerlaubnis zu verkürzen, ist in diesem Zusammenhang nicht von ausschlaggebender Bedeutung. Insoweit besteht auch keine Bindungswirkung gegenüber der Fahrerlaubnisbehörde (kritisch hierzu Koehl, DAR 2016, 47 f.).
4. Aus diesen Gründen ist die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
schriftlich beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder
Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf EUR 5.000,- festgesetzt (§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz -GKG- i. V. m.
Nr. 46.3 der Empfehlungen des Streitwertkatalogs
2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 200,- übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift eines Beteiligten sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.


Ähnliche Artikel


Nach oben