Verkehrsrecht

Rechtmäßige Fahrerlaubnisentziehung wegen Amphetaminkonsums

Aktenzeichen  Au 7 K 15.1839

Datum:
5.8.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
Anlage 4 zur FeV Nr. 9.1
FeV FeV § 46 Abs. 1 S. 2
StVG StVG § 3
VwGO VwGO § 113 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1 Eine attestierte Drogenfreiheit im Zeitpunkt der Begutachtung steht der Annahme eines Konsums (hier: Amphetamine) im Zeitpunkt der Behördenentscheidung nicht entgegen, wenn dieser damalige – und zeitnahe – Konsum zugegeben wurde. (redaktioneller Leitsatz)
2 Für das Vorliegen eines Ausnahmefalls im Sinne der Nr. 3 der Vorbemerkung zu Anlage 4 der FeV ist der Antragsteller darlegungs- und beweisbelastet. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
III.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

[1]) Die Klage ist teilweise bereits unzulässig. Hinsichtlich der Androhung des Zwangsgelds bei nicht fristgemäßer Abgabe des Führerscheins (Ziffer 3 des Bescheidtenors) hat sich der Bescheid vom 1. September 2015 mittlerweile erledigt, da der Kläger der Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins am 14. September 2015 nachgekommen ist. Nach Erledigung der Zwangsgeldandrohung besteht für die mit der Klage umfassend beantragte Bescheidsaufhebung jedenfalls hinsichtlich der Ziffer 3 des Bescheids kein Rechtsschutzinteresse mehr, so dass die Klage insoweit unzulässig ist.
[2]) Soweit die Klage zulässig ist, hat sie in der Sache keinen Erfolg. Der Bescheid des Beklagten vom 1. September 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. November 2015 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 79 Abs. 1 Nr. 1, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Fahrerlaubnisentziehung ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (st. Rspr., vgl. zuletzt BVerwG, U. v. 23.10.2014 – 3 C 3/13 – DAR 2014, 711, juris). Damit ist hier auf die Zustellung des Widerspruchsbescheids vom 10. November 2015, die am 16. November 2015 erfolgt ist, abzustellen.
Rechtsgrundlage für die Entziehung der Fahrerlaubnis ist § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl S. 310), zuletzt geändert durch Gesetz vom 2. März 2015 (BGBl S. 186) (StVG) in Verbindung mit § 46 Abs. 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 18. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl S. 1980), zuletzt geändert durch Verordnung vom 16. Dezember 2014 (BGBl. S. 2213), sowie Anlage 4 Nr. 9.1 und Nr. 9.2.2 zur FeV. Danach hat die Fahrerlaubnisbehörde demjenigen, der sich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist, die Fahrerlaubnis – ohne einen Ermessensspielraum – zu entziehen. Dies gilt nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV insbesondere dann, wenn Erkrankungen oder Mängel nach Anlage 4, 5 oder 6 vorliegen und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist.
Gemäß Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV besteht bei Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (außer Cannabis) keine Fahreignung. Es ist nicht erforderlich, dass ein Fahrzeug unter Betäubungsmitteleinfluss geführt oder Betäubungsmittel wiederholt konsumiert wurden oder gar Abhängigkeit besteht, wenn es sich nicht um Cannabis handelt. Gesetzliche Grenzwerte, wie z. B. bei Alkoholkonsum der Fall, bestehen nicht. Amphetamine stellen Betäubungsmittel im Sinne von § 1 Abs. 1 des Gesetzes über den Verkehr mit Betäubungsmitteln – Betäubungsmittelgesetz – (BtmG) i. V. m. Anlage III zum BtmG dar und unterfallen damit Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV. Amphetamine sind sogenannte „harte Drogen“ im Sinne der Anlage 4 zur FeV, deren einmaliger Konsum schon eine Nichteignung begründet, ohne dass es auf die Häufigkeit der Betäubungsmitteleinnahme, die Höhe der nachgewiesenen Betäubungsmittelkonzentration oder eine Teilnahme am Straßenverkehr in berauschtem Zustand ankäme (vgl. Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV; vgl. auch: Nr. 3.14.1 der Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahreignung des gemeinsamen Beirats für Verkehrsmedizin beim Bundesministerium für Verkehr, Bau-und Wohnungswesen und beim Bundesministerium für Gesundheit, Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch-Gladbach, Mai 2014; BayVGH, B. v. 31.7.2013 – 11 CS 13.1395 -; B. v. 30.10.2007 – 11 CS 07.942 – jeweils juris; OVG NW, B. v. 27.10.2014 – 16 B 1032/14 – juris).
Der Kläger gab im Gutachten der … vom 11. August 2015 an, im Dezember 2014 Amphetamin (Pep) konsumiert zu haben und hat damit seine Fahreignung verloren. Die Fahrerlaubnis war ihm zu entziehen.
a) Der Einwand des Prozessbevollmächtigten des Klägers, die Behörde habe zu Unrecht die Fahrerlaubnis entzogen, weil mit Gutachten vom 11. August 2015 festgestellt worden sei, dass der Kläger aktuell keine Betäubungsmittel im Sinne des BtMG nimmt, ist nach Auffassung des Gerichts nicht begründet. Denn auch wenn der Kläger zum Zeitpunkt der Begutachtung keine Betäubungsmittel einnahm, so stellte sich durch die Drogenanamnese im Rahmen der Begutachtung heraus, dass er im Dezember 2014 Amphetamin konsumierte. Insoweit besteht also kein Widerspruch zwischen einer festgestellten Drogenfreiheit zum Zeitpunkt der Begutachtung und einer Entziehung der Fahrerlaubnis wegen eines Betäubungsmittelkonsums in der nahen Vergangenheit.
b) Ein Ausnahmefall im Sinne der Nr. 3 der Vorbemerkung zu Anlage 4 der FeV liegt hier nicht vor. Der Wortlaut dieser Bestimmung zeigt, dass sie an besondere Umstände anknüpft, die ihren Ursprung in der Person des Betroffenen selbst haben und bewirken, dass er aufgrund seiner besonderen Steuerungs- oder Kompensationsfähigkeit trotz Drogenkonsums ausnahmsweise fahrgeeignet ist. Es obliegt insoweit dem Betroffenen, durch schlüssigen Vortrag die besonderen Umstände darzulegen und nachzuweisen, die ein Abweichen von der Regelvermutung rechtfertigen sollen (BayVGH, B. v. 27.5.2013 – 11 CS 13.718 – juris). Durch die entsprechende Regelung in der Vorbemerkung 3 zur Anlage 4 der FeV wird dem in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit durch den Verordnungsgeber Genüge getan. Ausnahmen von der Regelvermutung der Anlage 4 zur FeV sind im vorliegenden Fall weder ansatzweise vorgetragen noch sonst ersichtlich.
c) Der Kläger hat die verloren gegangene Fahreignung auch noch nicht wieder erlangt. Eine einmal wegen Betäubungsmittelkonsums verloren gegangene Fahreignung kann gemäß Nr. 9.5 der Anlage 4 zur FeV frühestens nach einjähriger nachgewiesener Abstinenz wieder erlangt werden. Sollte diese Vorschrift unmittelbar nur bei Betäubungsmittelabhängigkeit anwendbar sein, so ist sie jedenfalls entsprechend auf alle Fälle eines die Fahreignung ausschließenden Betäubungsmittelkonsums anzuwenden (vgl. BayVGH, B. v. 9.5.2005 – 11 CS 04.2526 – BayVBl. 2006, 18). Die einjährige Drogenfreiheit, innerhalb derer die Fahrerlaubnisbehörde unter Anwendung von § 11 Abs. 7 FeV von der Ungeeignetheit des Betroffenen ausgehen darf, beginnt mit einer nachvollziehbar vorgetragenen Abstinenz (vgl. BayVGH, B. v. 9.5.2005, a. a. O.). Im vorliegenden Fall war die „verfahrensrechtliche Ein-Jahres-Frist“, selbst wenn man zugunsten des Klägers von einer Drogenabstinenz ab Dezember 2014 (Konsumzeitpunkt des Amphetamins) ausginge, im maßgeblichen Zeitpunkt der Zustellung des Widerspruchsbescheids am 16. November 2015, noch nicht abgelaufen. Der Beklagte hatte daher von der Ungeeignetheit des Klägers auszugehen und musste ihm die Fahrerlaubnis zwingend entziehen; ein Ermessen stand der Fahrerlaubnisbehörde bei dieser Entscheidung nicht zu. Aufgrund der vorgenannten Rechtsprechung kann dem klägerischen Vortrag, dass eine Fahrerlaubnisentziehung trotz anschließender Drogenabstinenz von 8 Monaten unverhältnismäßig sei, nicht gefolgt werden.
3) Da somit die Entziehung der Fahrerlaubnis der gerichtlichen Überprüfung standhält, verbleibt es auch bei der in Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheids enthaltenen Verpflichtung, den Führerschein abzuliefern. Diese – im Bescheid vom 1. September 2015 hinsichtlich der Frist konkretisierte – Verpflichtung ergibt sich aus § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG i. V. m. § 47 Abs. 1 Satz 1 und 2 FeV.
4) Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
5) Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711Zivilprozessordnung (ZPO).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zugelassen wird. Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg,
Hausanschrift: Kornhausgasse 4, 86152 Augsburg, oder
Postfachanschrift: Postfach 11 23 43, 86048 Augsburg,
schriftlich zu beantragen.
Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstr. 23, 80539 München, oder
Postfachanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München,
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen. Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn
1. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2. die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4. das Urteil von einer Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, des Bundesverwaltungsgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5. wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Bevollmächtigte sind die in § 67 Absatz 2 Satz 1 und Absatz 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen zugelassen. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch die in § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO genannten Personen vertreten lassen.
Der Antragsschrift sollen 4 Abschriften beigefügt werden.
Beschluss:
Der Wert des Streitgegenstands wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt (§ 52 Abs. 1 GKG und der Empfehlung Nr. 46.3 des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200,- Euro übersteigt oder die Beschwerde zugelassen worden ist.
Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg,
Hausanschrift: Kornhausgasse 4, 86152 Augsburg, oder
Postfachanschrift: Postfach 11 23 43, 86048 Augsburg,
schriftlich einzureichen oder zu Protokoll der Geschäftsstelle einzulegen; § 129a der Zivilprozessordnung gilt entsprechend. Der Mitwirkung eines Bevollmächtigten bedarf es hierzu nicht.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift sollen 4 Abschriften beigefügt werden.


Ähnliche Artikel


Nach oben