Verkehrsrecht

Untersagung des Führens von fahrerlaubnisfreien Fahrzeugen – Erfolgloser Prozesskostenhilfeantrag wegen fehlender Erfolgsaussicht der Klage

Aktenzeichen  W 6 KO 16.932

Datum:
26.9.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 80 Abs. 5
FeV FeV § 3 Abs. 1, Abs. 2, § 11 Abs. 6, Abs. 8
StVG StVG § 29 Abs. 8

 

Leitsatz

Wie lange dem Inhaber einer Fahrerlaubnis bzw. dem Führer eines Fahrzeugs ein in der Vergangenheit liegendes Fehlverhalten (hier: Alkoholdelikte) entgegengehalten werden darf, beantwortet sich – soweit einschlägige Regelungen vorhanden sind – nach Maßgabe gesetzlicher Tilgungs- und Verwertungsbestimmungen (Anschluss BVerwG NJW 2005, 3081). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung des Prozessbevollmächtigten wird abgelehnt

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Bevollmächtigten für einen noch zu stellenden Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner ebenfalls noch zu erhebenden Klage gegen die Untersagung des Führens von fahrerlaubnisfreien Kraftfahrzeugen, insbesondere auch Mofas.
Nach einer Mitteilung des Kraftfahrtbundesamtes vom 19. November 2015 verpflichtete der Antragsgegner (vertreten durch das Landratsamt Haßberge) den Antragsteller wegen wiederholter Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss mit Schreiben vom 9. Dezember 2015 zur Beibringung eines medizinisch psychologischen Gutachtens unter anderem zur Prüfung, ob insbesondere nicht zu erwarten sei, dass das Führen von fahrerlaubnisfreien Kraftfahrzeugen und ein die Fahrsicherheit beeinträchtigender Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher getrennt werden könnten. Folgende vom Antragsteller begangene Verkehrszuwiderhandlungen seien zu verwerten:
6. April 1995:Fahrlässige Trunkenheit im Verkehr (Pkw)
(Blutalkoholkonzentration 1,52 Promille)
20. Juni 1995:Fahrlässige Trunkenheit im Verkehr (Mofa)
(Blutalkoholkonzentration 1,83 Promille)
10. Dezember 1996:Fahrlässiges Fahren ohne Fahrerlaubnis
8. Juli 2003:Fahrlässige Trunkenheit im Verkehr (Mofa)
(Blutalkoholkonzentration 1,98 Promille)
1. Juli 2015:Führen eines Kraftfahrzeugs unter Alkoholeinfluss (Mofa)
mit einer Atemalkoholkonzentration von 0,25 mg/l
Nach Anhörung untersagte der Antragsgegner dem Antragsteller mit Bescheid vom 24. August 2016 das Führen von fahrerlaubnisfreien Kraftfahrzeugen, insbesondere auch Mofas (Nr. 1). Der sofortige Vollzug des Bescheides wurde angeordnet (Nr. 2). Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt: Zur Vorbereitung der Entscheidung habe die Verwaltungsbehörde bei wiederholten Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss die Beibringung eines medizinisch psychologischen Gutachtens anzuordnen (§ 13 Nr. 2 Buchst. b FeV i. V. m. § 11 Abs. 3 FeV). Die vorgeworfenen Auffälligkeiten unterlägen keinem Verwertungsverbot, da eine Tilgungsreife noch nicht eingetreten sei. Die Urteile über die Trunkenheitsfahrten am 6. April 1995 und 20. Juni 1995 seien verwertbar. Nach § 65 Abs. 9 Satz 1 Halbs. 1 StVG würden Entscheidungen, die vor dem 1. Januar 1999 im Verkehrszentralregister eingetragen worden seien, bis 1. Oktober 2004 nach den Bestimmungen des § 29 StVG in der bis 1. Januar 1999 geltenden Fassung i. V. m. § 13a StVZO a. F. getilgt. Nach § 29 Abs. 1 Satz 1 StVG a. F. i. V. m. § 13a Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a StVZO a. F. gelte für die in das Verkehrszentralregister einzutragende Freiheitsstrafe von fünf Monaten für die Trunkenheitsfahrt am 20. Juni 1995 eine Tilgungsfrist von zehn Jahren, nach § 13a Abs. 1 Satz 2 StVZO a. F. beginnend mit dem Tag des Urteils (8.9.1995), so dass die Tilgungsfrist am 7. September 2005 geendet hätte. Aufgrund des neuerlichen Urteils des Amtsgerichts Haßfurt vom 5. August 2003 (Trunkenheitsfahrt am 8.7.2003) und somit noch vor Ablauf der Tilgungsfrist sei jedoch eine Tilgungshemmung nach § 29 Abs. 6 Satz 1 StVG eingetreten. Diese Trunkenheitsfahrt unterliege gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 3 StVG einer zehnjährigen Tilgungsfrist bis 4. August 2013. Da dem Antragsteller bisher keine neue Fahrerlaubnis erteilt worden sei, sei noch die Regelung über die Anlaufhemmung nach § 29 Abs. 5 Satz 1 StVG anzuwenden, so dass die Tilgungsfrist nicht vor dem 5. August 2008 zu laufen begonnen habe. Sie ende mit Ablauf des 4. August 2018. Da diese gegenwärtig noch nicht verstrichen sei, blieben auch die strafgerichtlichen Entscheidungen vom 30. Juni 1995 und 8. September 1995 verwertbar.
Mit Schriftsatz vom 2. September 2016, bei Gericht eingegangen am 8. September 2016 ließ der Antragsteller beantragen,
ihm für den beabsichtigten Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage unter Beiordnung seines Bevollmächtigten Prozesskostenhilfe zu bewilligen.
Im beigefügten Klageentwurf, der auch den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Landratsamts Haßberge vom 24. August 2016 enthält, ist zur Begründung ausgeführt: Der Antragsgegner verkenne rechtsfehlerhaft, dass die zugrunde gelegten Verkehrsverstöße von 1995, 1996 und 2003 für ein Verwaltungsverfahren nach dem 1. Juli 2015 nicht mehr verwertbar seien. Die Verwertung widerspreche den einschlägigen gesetzlichen Vorschriften und der Zielsetzung des Gesetzgebers. Zudem sei eine Verwertung völlig unverhältnismäßig. Zwischen dem Verstoß vom 1. Juli 2015 und dem letzten Verstoß vom 7. Juli 2003 liege ein Zeitraum von zwölf Jahren. In diesem Zeitraum habe der Kläger unbeanstandet als Mofa-Fahrer am Straßenverkehr teilgenommen. Ein einmaliger Verstoß vom 1. Juli 2015 im Rahmen einer Ordnungswidrigkeit mit einer Atemalkoholkonzentration von 0,25 mg/l könne die veranlasste Anordnung des Landratsamts nicht begründen.
Der Antragsgegner beantragte mit Schriftsatz vom 13. September 2016:
Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
Zur Begründung ist unter weitgehender Wiederholung der Argumentation aus dem streitgegenständlichen Bescheid ausgeführt, dass die vorgeworfenen Auffälligkeiten keinem Verwertungsverbot unterlägen. Es sei geboten, auch das Führen von nicht führerscheinpflichtigen Kraftfahrzeugen in die Gefahrenvorsorge einzubeziehen. Aus der Nichtvorlage des Gutachtens habe auf die fehlende Eignung geschlossen werden dürfen (§ 11 Abs. 8 i. V. m. § 3 Abs. 1 FeV). Die beabsichtigte Rechtsverfolgung biete damit keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte (einschließlich der Akte des Verfahrens W 6 K0 16.932) sowie die beigezogene Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist bei sachgerechter Auslegung (§ 88 VwGO analog) als isolierter Prozesskostenhilfeantrag zu verstehen. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe war abzulehnen, weil der noch zu stellende Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der ebenfalls noch zu erhebenden Klage gegen den Bescheid vom 24. August 2016 keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.
Nach § 166 VwGO i. V. m. § 114 Satz 1 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Der Antrag auf Prozesskostenhilfe kann bereits vor Erhebung des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO gestellt werden (Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl. 2015, § 166 Rn. 1).
Der Antragsteller hat seine Bedürftigkeit durch die Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nachgewiesen.
Der noch zu stellende Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der noch zu erhebenden Klage gegen Nr. 1 des Bescheids vom 24. August 2016 hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist zulässig. Denn die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die insoweit von der Fahrerlaubnisbehörde getroffene Anordnung entfällt, weil diese in Nr. 2 ihres Bescheids die unter Nr. 1 getroffene Anordnung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO für sofort vollziehbar erklärt hat. In diesem Fall kann das Gericht der Hauptsache nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO die aufschiebende Wirkung wiederherstellen.
Im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO prüft das Gericht, ob die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der sofortigen Vollziehung gegeben sind. Im Übrigen trifft es eine eigene Abwägungsentscheidung anhand der in § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO normierten Kriterien. Hierbei ist das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung gegen das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seiner Klage abzuwägen. Bei dieser Abwägung sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache dann von maßgeblicher Bedeutung, wenn nach summarischer Prüfung von der offensichtlichen Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des streitgegenständlichen Verwaltungsakts und der Rechtsverletzung des Antragstellers auszugehen ist. Jedenfalls hat das Gericht die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs bei seiner Entscheidung mit zu berücksichtigen, soweit diese sich bereits übersehen lassen. Sind diese im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vollkommen offen, ist eine reine Interessenabwägung vorzunehmen.
Ausgehend von diesen Grundsätzen ist nach summarischer Prüfung der Hauptsache, wie im vorliegenden Verfahren geboten, festzustellen, dass der Bescheid vom 24. August 2016 rechtmäßig ist und den Antragsteller nicht in seinen Rechten verletzt. Denn der Antragsgegner durfte gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf die Nichteignung des Antragstellers schließen, da der Antragsteller das zu Recht geforderte Gutachten nicht beigebracht hat.
Rechtsgrundlage für die Untersagung des Führens von (fahrerlaubnisfreien) Fahrzeugen ist § 3 Abs. 1 FeV. Erweist sich nach Satz 1 dieser Vorschrift jemand als ungeeignet oder nur noch bedingt geeignet zum Führen von Fahrzeugen oder Tieren, hat die Fahrerlaubnisbehörde ihm das Führen zu untersagen, zu beschränken oder die erforderlichen Auflagen anzuordnen. Rechtfertigen Tatsachen die Annahme, dass der Führer eines Fahrzeugs (oder Tieres) zum Führen ungeeignet oder nur noch bedingt geeignet ist, finden gemäß § 3 Abs. 2 FeV die Vorschriften der §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung. Der Schluss auf die Nichteignung ist nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV dann zulässig, wenn sich der Betroffene weigert, sich untersuchen zu lassen oder das von der Fahrerlaubnisbehörde geforderte Gutachten nicht fristgerecht beibringt.
Die Voraussetzungen für die Untersagung des Führens von fahrerlaubnisfreien Fahrzeugen im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 FeV nach § 3 Abs. 1 und 2, § 11 Abs. 8 FeV sind vorliegend gegeben. Der Antragsteller hat das vom Landratsamt Haßberge mit Schreiben vom 9. Dezember 2015 zu Recht geforderte medizinisch psychologische Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung nicht vorgelegt.
Der Schluss auf die Nichteignung der Betroffenen im Fall der Nichtbeibringung eines Gutachtens gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV ist nur zulässig, wenn die Anordnung zur Gutachtensbeibringung rechtmäßig war, wenn also die rechtlichen Voraussetzungen für die Anordnung erfüllt sind und die Anordnung auch im Übrigen den Anforderungen des § 11 FeV entspricht. Voraussetzung ist insbesondere, dass die Anordnung zur Beibringung des Gutachtens anlassbezogen und verhältnismäßig erfolgt ist. Der Betroffene muss der Gutachtensaufforderung entnehmen können, was konkret ihr Anlass ist und ob das Verlautbarte die behördlichen Zweifel an seiner Fahreignung zu rechtfertigen vermag. Der Gutachter ist an die Gutachtensaufforderung gebunden (vgl. Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl. 2015, § 11 FeV Rn. 55; Janker/Hühnermann in Burmann/Heß/Jahnke/Hühnermann/Janker, Straßenverkehrsrecht, 24. Aufl. 2016, § 3 StVG Rn. 7c und 7e – jeweils m. w. N.).
Die Gutachtensanordnung ist im Ergebnis rechtlich nicht zu beanstanden.
Die Rechtsgrundlage für Forderung eines medizinisch psychologischen Gutachtens ergibt sich aus § 3 Abs. 2 i. V. m. § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b) FeV. Nach diesen Vorschriften ordnet die Fahrerlaubnisbehörde zur Vorbereitung von Entscheidungen über die Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge oder über die Anordnung von Beschränkungen oder Auflagen an, dass ein medizinisch psychologisches Gutachten beizubringen ist, wenn wiederholt Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss begangen wurden.
Im vorliegenden Fall können der Entscheidung über die Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Kraftfahrzeuge „wiederholte Zuwiderhandlungen“ des Antragstellers im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss i. S. v. § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b) FeV zugrunde gelegt werden. Auf die zutreffenden Ausführungen im Bescheid des Antragsgegners vom 24. August 2016 kann Bezug genommen werden (§ 117 Abs. 5 VwGO analog).
Ergänzend ist auszuführen:
Der Antragsteller hat in der Vergangenheit mehrere Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss begangen. Die lange Dauer zwischen den Trunkenheitsfahrten von 1995 bzw. 2003 und 2015 begründet – anders als der Bevollmächtigte des Antragstellers meint – nicht die Rechtswidrigkeit der Gutachtensaufforderung.
Wie lange dem Inhaber einer Fahrerlaubnis bzw. dem Führer eines Fahrzeugs ein in der Vergangenheit liegendes Fehlverhalten entgegengehalten werden darf, beantwortet sich – soweit einschlägige Regelungen vorhanden sind – nach Maßgabe gesetzlicher Tilgungs- und Verwertungsbestimmungen (vgl. BVerwG, U.v. 9.6.2005 – 3 C 25/04 – Buchholz 442.10 § 2 StVG Nr. 12; BayVGH, B.v. 22.3.2007 – 11 CS 06.1634 – juris; OVG Lüneburg, B.v. 25.4.2007 – 12 ME 142/07 – VD 2007, 206), d. h. insbesondere nach § 29 StVG. Ist der anlassgebende Sachverhalt nach der einschlägigen Rechtsvorschrift noch verwertbar, ist für eine weitere einfallbezogene Prüfung dahingehend, ob die gegebenen Verdachtsmomente noch einen Gefahrenverdacht begründen, kein Raum mehr. Die vom Gesetzgeber festgelegten Tilgungs- und Verwertungsfristen können auch nicht unter Hinweis auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beiseitegeschoben oder relativiert werden (vgl. auch BayVGH, B.v. 7.12.2015 – 11 ZB 15.2271 – juris). Zwischen zwei Trunkenheitsfahrten können mehrere Jahre liegen, solange keine Tilgungsreife eingetreten ist (vgl. OVG NRW, B.v. 27.11.2013 – 16 B 1031/13 – NZV 2014, 543; BayVGH, B.v. 21.3.2016 – 11 CS 16.309 – juris; B.v. 27.9.2013 – 11 CS 13.1399 – juris). In der Rechtsprechung wurden durchaus längere Zeiträume als zehn Jahre zwischen zwei relevanten Alkoholfahrten akzeptiert, ohne dass sie einer Gutachtensaufforderung entgegenstanden, so etwa zwölf Jahre (BayVGH, B.v. 31.10.2014 – 11 CS 14.1627 – juris) oder 13 Jahre (VG Bayreuth, U.v. 13.12.2011 – B 1 K 10.772 – juris).
Nach den einschlägigen Tilgungs- und Verwertungsvorschriften besteht hinsichtlich der Taten von 1995 und 2003 kein Tilgungs- oder Verwertungsverbot, insbesondere nicht nach § 29 Abs. 8 Satz 1 StVG a. F.
Gemäß § 29 Abs. 8 Satz 1 StVG in der bis 30. April 2014 geltenden Fassung (StVG a. F.), die bis 30.4.2019 für „Altfälle“ weiterhin zur Anwendung kommt, dürfen die Tat und die Entscheidung einem Betroffenen für die Zwecke des § 28 Abs. 2 – also unter anderen nach dessen Nr. 2 für die Prüfung der Berechtigung zum Führen von Fahrzeugen – nicht mehr vorgehalten und nicht zu seinem Nachteil verwertet werden, wenn eine Eintragung im Verkehrszentralregister getilgt ist.
Im vorliegenden Fall sind – worauf der Antragsgegner zutreffend hinweist – die im Jahr 1995 sowie im Jahr 2003 erfolgten Trunkenheitsfahrten bzw. die betreffenden Entscheidungen im Fahreignungsregister eingetragen. Nach summarischer Prüfung ist auch davon auszugehen, dass diese Eintragungen nach § 29 StVG a. F. noch nicht getilgt bzw. tilgungsreif sind, weil nach den Bestimmungen des § 13a StVZO a. F. bzw. § 29 Abs. 1 Satz 1 StVG a. F. die jeweils zehnjährige Tilgungsfrist gilt. Durch das Urteil des Amtsgerichts Haßfurt vom 5. August 2003 betreffend die Trunkenheitsfahrt am 8. Juli 2003 ist nach § 29 Abs. 6 Satz 1 StVG a. F. eine Tilgungshemmung bzgl. der Trunkenheitsfahrten von 1995 eingetreten. Es entspricht dabei der gesetzgeberischen Absicht, dass sowohl bei Alt- als auch bei Neufällen die Regelungen der Anlauf- und Ablaufhemmung gelten (vgl. BVerwG vom 21.5.2012 – 3 B 65/11 – Buchholz 442.10, § 65 StVG Nr. 2 zu der bis 30.4.2014 geltenden Rechtslage). Da die Tilgungsfrist der Trunkenheitsfahrt vom 8. Juli 2003 nicht vor dem 5. August 2008 zu laufen begonnen hat, endet sie mit Ablauf des 4. August 2018. Denn nach § 29 Abs. 5 Satz 1 StVG a. F. besteht eine Anlaufhemmung für den Fristbeginn. Die Frist beginnt erst nach Wiederteilung bzw. fünf Jahre nach der beschwerenden Entscheidung zu laufen, da der Betroffene in dieser Zeit nicht am Straßenverkehr teilnehmen darf und sich dementsprechend auch nicht bewähren kann (vgl. Euler in Beck’scher Online-Kommentar, OWiG, Stand: 15.7.2016, § 29 StVG, Rn. 6; Janker/Hühnermann in Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 24. Aufl. 2016, § 29 StVG a. F., Rn. 14). Gegen die tilgungshemmenden Vorschriften bestehen keine grundlegenden verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. BVerwG, B.v. 21.5.2012 – 3 B 65/11 – Buchholz 442.10, § 65 StVG Nr. 2 m. Anm. Liebler in juris PR-BVerwG 17/2012 Anm. 5).
Des Weiteren besteht hier auch kein relatives Verwertungsverbot nach § 29 Abs. 8 Satz 2 StVG a. F. Diese Vorschrift bestimmt – in Abweichung von Satz 1 – für Eintragungen im Fahreignungsregister über eine gerichtliche Entscheidung, die einer zehnjährigen Tilgungsfrist unterliegen, dass diese nach Ablauf eines Zeitraums, der einer fünfjährigen Tilgungsfrist nach den vorstehenden Vorschriften des § 29 StVG a. F. entspricht, nur noch für Verfahren an die nach Landesrecht zuständige Behörde übermittelt und dort genutzt werden dürfen, wenn es um die Durchführung von Verfahren geht, die eine Erteilung oder Entziehung der Fahrerlaubnis zum Gegenstand haben oder es um das Ergreifen von Maßnahmen nach dem Punktsystem nach § 4 Abs. 3 StVG geht (relatives Verwertungsverbot).
Um ein solches Verfahren i. S. v. § 29 Abs. 8 Satz 2 StVG a. F. handelt es sich zwar vorliegend nicht. Vielmehr geht es hier um ein Verfahren zur Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge. Die Anordnung der Untersagung des Führens von fahrerlaubnisfreien Fahrzeugen kann auch nicht mit der Entziehung der Fahrerlaubnis gleichgesetzt werden (vgl. OVG Magdeburg, B.v. 18.8.2011 – 3 M 348/11 – NJW 2011, 3466: Keine Gleichsetzung des auf Anordnung der Teilnahme an einem Aufbauseminar nach § 3 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 StVG gerichteten Verfahrens mit dem zur Entziehung der Fahrerlaubnis). Denn der Wortlaut des § 29 Abs. 8 Satz 2 StVG a. F. – wie auch der der Neuregelung in § 29 Abs. 7 Satz 2 StVG i. d. F. ab 1. Mai 2014 – ist eindeutig. Betroffen sind insoweit nur Verfahren, die „eine Erteilung oder Entziehung einer Fahrerlaubnis zum Gegenstand“ haben.
Gleichwohl sind auch die älteren Zuwiderhandlungen aus den Jahren 1995 und 2003 verwertbar, weil es im vorliegenden Verfahren um die Prüfung der Berechtigung zum Führen von Kraftfahrzeugen, insbesondere Mofas (also nicht auch von sonstigen fahrerlaubnisfreien Fahrzeugen wie Fahrrädern oder von Tieren), geht und nach § 29 Abs. 8 Satz 3 StVG a. F. – ebenso nach der Neuregelung in § 29 Abs. 7 Satz 3 StVG i. d. F. ab 1. Mai 2014 – ausdrücklich bestimmt ist, dass das Verwertungsverbot nicht für die Prüfung der Berechtigung zum Führen von Kraftfahrzeugen gilt, soweit es um eingetragene gerichtliche Entscheidungen nach §§ 69-69b StGB geht. Diese dürfen auch nach Ablauf der Fünfjahresfrist übermittelt und verwertet werden (Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl. 2015, § 29 FeV Rn. 40). Sowohl die Entscheidung aus dem Jahr 2003 als auch die Entscheidungen betreffend die Taten aus den Jahren 1995 enthielten entsprechende Sperren für die Erteilung der Fahrerlaubnis nach §§ 69, 69a StGB.
Nach alledem durfte das Landratsamt Haßberge aufgrund der Nichtbeibringung des geforderten Gutachtens auf die Nichteignung des Antragstellers schließen. Die Gutachtensaufforderung vom 9. Dezember 2015 und der Untersagungsbescheid vom 24. August 2016 sind nach summarischer Prüfung rechtmäßig und verletzen den Antragsteller nicht in seinen Rechten.
Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Bevollmächtigten (vgl. § 166 VwGO i. V. m. § 114 Satz 1 ZPO und § 121 Abs. 2 ZPO) war infolgedessen abzulehnen, weil keine hinreichende Erfolgsaussichten für den noch zu stellenden Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der ebenfalls noch zu erhebenden Klage bestehen.


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