Versicherungsrecht

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Aktenzeichen  21 O 1688/20

Datum:
7.5.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 10557
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Memmingen
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
IV. Der Streitwert wird auf € 31.730,75 festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage erweist sich als nicht begründet.
I.
Die Klage ist zulässig.
Das Landgericht Memmingen ist sachlich nach §§ 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG, örtlich nach § 215 VVG zuständig.
II.
Die zulässige Klage ist jedoch nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Leistungen aus der zwischen den Parteien bestehenden Betriebsschließungsversicherung. Nach § 2 Nr. 1 der Zusatzbedingungen leistet der Versicherer Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten bei Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG in der Fassung vom 20.07.2000) beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger (siehe Nr. 2) den versicherten Betrieb oder eine versicherte Betriebsstätte zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern bei Menschen schließt. Diese Voraussetzungen lagen vorliegend nicht vor.
1. Zwar musste die von der Klagepartei betriebene Gaststätte durch die Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 16.03.2020 mit Wirkung zum 18.03.2020 bis einschließlich 17.05.2020 aufgrund entsprechender Verlängerungen schließen.
2. Allerdings ist die Schließung nicht vom Versicherungsschutz der Betriebsschließungsversicherung umfasst, da die Schließung nicht auf einem vereinbarten Risiko beruhte. Die Erkrankung COVID-19 ist vom Versicherungsvertrag nicht umfasst.
a) Maßgebend für die Frage, ob ein Versicherungsschutz besteht, ist der Inhalt des Versicherungsvertrages und damit dessen Auslegung nach allgemeinen Grundsätzen. Die AGB sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an. In erster Linie ist vom Bedingungswortlaut auszugehen. Der mit den Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind. Bei der hier in Rede stehenden Betriebsschließungsversicherung ist überdies zu berücksichtigen, dass der typische Adressaten- und Versichertenkreis nicht in Verbraucherkreisen zu suchen ist, sondern vielmehr geschäftserfahrene und mit AGB vertraut ist, nachdem die Versicherung ihrem Inhalt und Zweck nach auf Gewerbebetriebe abzielt (vgl. Oberlandesgericht Stuttgart, Urteil vom 15.02.2021, 7 U 351/20; dazu allgemein BGH, Urteil vom 18.11.2020 – 4 ZR 217/19, Rdnr. 11).
b) Gemessen hieran kann der verständige Versicherungsnehmer die unter § 2 Nr. 2 der ZB-BSV genannten Krankheiten und Krankheitserreger nur als erschöpfende Aufzählung der versicherten Krankheiten und Krankheitserreger verstehen. Durch den gewählten Wortlaut „sind die folgenden () namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger“ wird deutlich, dass „namentlich“ vorliegend im Sinne von „mit Namen genannt“ gebraucht wird. Die Verwendung des Begriffs „folgende“ verdeutlicht sodann den abschließenden Charakter der nachfolgenden Aufzählung von Krankheiten und Krankheitserregern. Durch die Nennung von nur bestimmten, mit Namen genannten Krankheiten und Krankheitserregern muss sich dem verständigen Versicherungsnehmer auch aufdrängen, dass diese Aufzählung nicht deckungsgleich mit allen im IfSG genannten meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserregern sein kann. Würde der Versicherer den Versicherungsschutz auf alle im IfSG bezeichneten Krankheiten und Krankheitserreger erstrecken, hätte es der Nennung einer Auswahl von bestimmten meldepflichtigen Krankheiten nicht bedurft, eine Aufzählung wäre insoweit überflüssig gewesen.
Aus Sicht der Kammer ist weder der konkrete Wortlaut, noch eine andere Auslegungsmethode dazu geeignet, bei einem verständigen Versicherungsnehmer den Eindruck zu erwecken, der Versicherer wolle uneingeschränkt für Schließungen aufgrund jedweder denkbaren Infektionskrankheit die Einstandspflicht übernehmen.
Die verwendeten Klauseln sind aus Sicht der Kammer auch nicht intransparent. Dies folgt auch nicht aus einem Auseinanderfallen von Versicherungsvertrag und IfSG. Im Grundsatz ist davon auszugehen, und dies ist auch jedem Versicherungsnehmer bekannt, dass jede Versicherung Einschränkungen enthält, um die Prämien hierfür in einem bezahlbaren Rahmen zu halten, welche wiederum die Leistungsfähigkeit der Versicherung gegenüber allen Versicherungsnehmern sicherstellen soll (vgl. LG Göttingen, Urteil vom 13.01.2021, 5 O 111/20). Dem würde es zuwider laufen, wenn die Vertragsparteien den konkreten Umfang der zwischen ihnen zivilrechtlich bestehenden versicherungsvertraglichen Ansprüche quasi „aus der Hand“ geben, indem sie die Versicherungsleistungen an eine zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses unbekannte staatliche Bewertung eines zukünftigen Infektionsgeschehens knüpfen. Dies würde den Interessen beider Parteien nicht gerecht, weil die nach dem IfSG zuständigen Behörden einen gänzlich anderen Blickwinkel haben müssen, als die hiesigen Vertragsparteien (vgl. LG Göttingen, a.a.O.). Anderes ergibt sich für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer auch nicht aus dem für ihn erkennbaren Zweck des Leistungsversprechens des Versicherers. Auch insoweit kann der Versicherungsnehmer erwarten, dass der Versicherer Risiken für bekannte Krankheiten übernimmt, die in ihren möglichen Auswirkungen abschätzbar sind. Eine berechtigte Erwartung dahin, der Versicherer werde ohne Unterschied und ohne die Möglichkeit, eine Gefahrträchtigkeit einer Krankheit abschätzen zu können, Versicherungsschutz gewähren wollen, ist nach dem Wortlaut der Versicherungsbedingungen nicht begründbar (vgl. Insoweit OLG Stuttgart, Urteil vom Etwas anderes ergibt sich auch nicht aufgrund des Umstandes, dass gemäß § 5 Nr. 4 der ZB-BSV nicht versichert sind Schäden ohne Rücksicht auf mitwirkende Ursachen aufgrund von Prionenerkrankungen oder dem Verdacht hierauf. Damit wird nicht der Eindruck erweckt, der Versicherer verstehe den Katalog in Ziff. 1.2 der Zusatzbedingungen nicht als abschließend. Es wird lediglich darauf hingewiesen, dass eine Mitursächlichkeit einer anderen Erkrankung, ebenso wie die Mitursächlichkeit, anderer, äußerer Faktoren, den Versicherungsschutz entfallen lässt. Ein Rückschluss von dieser Ausnahme auf den Umfang der Leistungspflicht liegt für einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer gerade nicht nahe, schon gar nicht kann hieraus bei verständiger Betrachtung der Schluss gezogen werden, der in Ziff. 2 Nr. 2 der Zusatzbedingungen erkennbar abschließend formulierte Katalog solle wieder geöffnet werden (vgl. insoweit OLG Stuttgart, a.a.O.).
Bei dieser Sichtweise der Versicherungsbedingungen liegt auch keine Unklarheit im Sinne von § 305c Abs. 2 BGB vor. Es bedarf insoweit auch zur Kenntlichmachung des Umstandes, dass die Beklagte nur die ausdrücklich aufgeführten Krankheiten und Krankheitserreger vom Versicherungsschutz umfasst sehen will, keiner zusätzlichen Einfügung des Wortes „nur“ oder ähnliches (vgl. dazu auch Rixecker in Schmit, COVID-19, 2. Auflage, § 11 Rdnr. 63).
Es liegt auch vorliegend keine Gefährdung des Vertragszwecks der Betriebsschließungsversicherung vor, § 307 Abs. 1 S. 1 BGB i.V.m. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB. Zwar ist vorliegend aufgrund der ZB-BSV der Leistungsumfang der Versicherung auf diejenigen Fälle, die dort namentlich benannt sind, begrenzt. Der von der Beklagten versprochene Versicherungsschutz wird damit jedoch nicht ausgehöhlt, da weiterhin Auswirkungen auf den Geschäftsbetrieb infolge einer großen Anzahl von Krankheiten und Krankheitserregern versichert ist.
3. Mangels Hauptforderung bestehen keine Ansprüche auf Zinsen oder vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten.
III.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 709 S. 1, S. 2 ZPO.
IV.
Der Streitwert richtet sich nach dem Zahlungsantrag.


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