Verwaltungsrecht

Abbruch des Auswahlverfahrens bei behebbaren Mängeln

Aktenzeichen  1 E 1425/21 Ge

Datum:
7.1.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG Gera 1. Kammer
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:VGGERA:2022:0107.1E1425.21GE.00
Normen:
Art 33 Abs 2 GG
Art 123 Abs 1 VwGO
Spruchkörper:
undefined

Leitsatz

1. Der Fall, dass dem Dienstherrn im Wege einer einstweiligen Anordnung untersagt wird, den von ihm ausgewählten Bewerber zu ernennen, kann nicht mit dem Fall, in dem der Dienstherr einen Fehler des Auswahlverfahrens erkannt hat, gleichgesetzt werden.(Rn.39)

2. Vom Dienstherrn erkannte, aber behebbare Mängel stellen keinen sachlichen Grund für den Abbruch des Auswahlverfahrens dar.(Rn.37)

Tenor

Dem Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung aufgegeben, das mit Vermerk vom 7. Oktober 2021 abgebrochene Auswahlverfahren zum 1. September 2021 hinsichtlich der Beförderung im mittleren Polizeivollzugsdienst in die Besoldungsgruppe A 9 mit Amtszulage ThürBesG für den Beförderungskreis Landespolizeiinspektion S … mit der Antragstellerin als Bewerberin fortzusetzen.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin, die als Beamtin des mittleren Polizeivollzugsdienstes im Amt einer Polizeihauptmeisterin (Besoldungsgruppe A 9 ThürBesG) im Dienst des Antragsgegners steht, begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen den Abbruch eines Beförderungsauswahlverfahrens.
Unter dem 24. Juni 2021 traf die Thüringer Landespolizeidirektion die Organisationsgrundentscheidung, von den vom Thüringer Ministerium für Inneres und Kommunales im Erlasswege zugewiesenen Beförderungsmöglichkeiten zum 1. September 2021 im Beförderungskreis Landespolizeiinspektion S … 20 Beamte mit einem nach A 9 besoldeten Statusamt des mittleren Polizeivollzugsdienstes zu befördern. In einem Auswahlvermerk vom 22. Juli 2021 legte sodann der Vizepräsident der Thüringer Landespolizeidirektion dar, dass unter Heranziehung der aktuellen dienstlichen Beurteilungen als primärer Auswahlgrundlage 40 Beamte in die nähere Auswahl kämen, die im Gesamturteil der Notenstufe „übertrifft die Anforderungen in besonderem Maße“ (13 bis 15 Punkte) bzw. „übertrifft die Anforderungen“ (10 bis 12 Punkte) beurteilt worden seien. Unter diesen Beamten befanden sich auch die Antragstellerin – die mit 12 Punkten im Gesamturteil bewertet wurde – sowie die Polizeihauptmeisterin … J …, deren Beurteilung mit 10 Punkten im Gesamturteil abschloss. Von den 40 Beamten wurden die 20 Beamten zur Beförderung in das Amt eines Polizeihauptmeisters mit Amtszulage ausgewählt, die mit dem Gesamturteil „übertrifft die Anforderungen in besonderem Maße“ (13 bis 15 Punkte) bzw. „übertrifft die Anforderungen“ (12 Punkte) beurteilt wurden.
Mit Schreiben vom 30. Juli 2021 wurde der Antragstellerin mitgeteilt, dass sie in das Beförderungsauswahlverfahren zum 1. September 2021 im Beförderungskreis der Landespolizeiinspektion S … von A 9 nach A 9 mit Amtszulage Polizeivollzugsdienst einbezogen worden sei. Unter Berücksichtigung der vorliegenden aktuellen dienstlichen Beurteilungen aller von Amts wegen in das Beförderungsverfahren einbezogenen Bediensteten sei beabsichtigt, die Antragstellerin in die Besoldungsgruppe A 9 mit Amtszulage zu befördern.
Die nicht für die Beförderung ausgewählte Polizeihauptmeisterin … J … beantragte am 12. August 2021 beim Verwaltungsgericht Gera, dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO zu untersagen, die zur Beförderung vorgesehenen 20 Beamten in die Besoldungsgruppe A 9 mit Amtszulage zu befördern und in die Planstellen einzuweisen. Das Verfahren wurde beim Verwaltungsgericht Gera unter dem Aktenzeichen 1 E 873/21 Ge angelegt. Mit Schreiben vom 26. August 2021 beschränkte … J … ihren Antrag ausschließlich auf die Antragstellerin. Der Antragsgegner nahm daraufhin die Beförderung der übrigen ausgewählten 19 Beamten vor.
Im Abbruchvermerk vom 7. Oktober 2021 führte der Vizepräsident der Thüringer Landespolizeidirektion aus, dass im Rahmen des gerichtlichen Eilverfahrens ein Fehler bei der Erstellung der in das Auswahlverfahren einbezogenen Regelbeurteilung der Polizeihauptmeisterin … J … festgestellt worden sei, der zu einer Beeinträchtigung dieser in ihrem Bewerbungsverfahrensanspruch aus Art. 33 Abs. 2 GG führe. Aufgrund dessen werde die Auswahlentscheidung zugunsten der Antragstellerin zurückgenommen und das Auswahlverfahren abgebrochen.
Die Beteiligten des Verfahrens 1 E 873/21 Ge erklärten im Oktober 2021 den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt.
Mit am 3. November 2021 zugestellten Schreiben vom 25. Oktober 2021 teilte der Antragsgegner der Antragstellerin mit, dass im Rahmen des Verwaltungsstreitverfahrens 1 E 873/21 Ge ein Fehler bei der Erstellung der in das Auswahlverfahren einbezogenen Regelbeurteilung bei der unterlegenen Bewerberin festgestellt worden und die Bewerberin dadurch in ihrem Bewerbungsverfahrensanspruch aus Art. 33 Abs. 2 GG verletzt worden sei. Das Auswahlverfahren sei daher abzubrechen und die Auswahlentscheidung zugunsten der Antragstellerin zurückzunehmen. Die Antragstellerin legte hiergegen Widerspruch ein.
Die Antragstellerin hat am 23. November 2021 um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht.
Wegen des Vorbringens der Antragstellerin wird auf die Antragsschrift vom 23. November 2021 (Blatt 11 bis 15 der Gerichtsakte) und den Schriftsatz vom 16. Dezember 2021 (Blatt 40 f. der Gerichtsakte) Bezug genommen.
Die Antragstellerin beantragt,
den Erlass einer einstweiligen Anordnung, durch die dem Antragsgegner aufgegeben wird, das Auswahlverfahren hinsichtlich der Beförderung im mittleren Polizeivollzugsdienst in die Besoldungsgruppe A 9 mit Amtszulage ThürBesG für den Beförderungskreis Landespolizeiinspektion S … im Geschäftsbereich der Landespolizeidirektion zum 1. September 2021 fortzusetzen und die Antragstellerin neu zu bescheiden.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Wegen des Vortrags des Antragsgegners wird auf die Schriftsätze vom 30. November 2021 (Blatt 25 f. der Gerichtsakte) und vom 21. Dezember 2021 (Blatt 46 f. der Gerichtsakte) und wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten des vorliegenden Verfahrens, des Verfahren 1 E 873/21 Ge sowie der beigezogenen Behördenvorgänge des Antragsgegners (2 Akten) und die Personalakten der Antragstellerin und von Frau … J … (2 Akten), die bei Gericht als Beiakten 1 bis 4 geführt werden, Bezug genommen.
Der Rechtsstreit ist mit Beschluss des Gerichts vom 23. Dezember 2021 auf die Berichterstatterin als Einzelrichterin übertragen worden.
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, über den zu entscheiden die Berichterstatterin als Einzelrichterin gemäß § 6 Abs. 1 VwGO befugt ist, erweist sich als zulässig und begründet.
Nach § 123 Abs. 1 VwGO kann das Verwaltungsgericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung des Rechts der Antragstellerin vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Satz 1). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint (Satz 2). Dazu hat die Antragstellerin Tatsachen glaubhaft zu machen, aus denen sich ergibt, dass ihr ein Anspruch, ein Recht oder ein sonstiges schützenswertes Interesse zusteht (Anordnungsanspruch) und ferner, dass dieser Anordnungsanspruch infolge einer Gefährdung durch vorläufige Maßnahmen gesichert werden muss, somit eine Eilbedürftigkeit besteht (Anordnungsgrund) (vgl. § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO).
1.
Der Antrag ist zulässig.
Er wahrt insbesondere die erforderliche Frist. Das Bundesverwaltungsgericht hat hinsichtlich des Zeitpunkts, wann einstweiliger Rechtsschutz nach § 123 VwGO gegen den Abbruch eines Bewerbungsverfahren zu beantragen ist, in Orientierung an dem für Beamte generell geltenden Rechtsmittelsystem (vgl. § 126 Abs. 2 BBG, § 54 Abs. 2 BeamtStG, § 74 Abs. 1 Satz 1 VwGO) entschieden, dass dies innerhalb eines Monats nach Zugang der Abbruchmitteilung erfolgt sein muss. Anderenfalls darf der Dienstherr darauf vertrauen, dass der Bewerber den Abbruch des Auswahlverfahrens nicht angreift, sondern sein Begehren im Rahmen einer neuen Ausschreibung weiterverfolgt (BVerwG, Urteil vom 3. Dezember 2014 – 2 A 3/13 -, juris).
Der Antragsgegner hat die Antragstellerin mit am 3. November 2021 zugegangenen Schreiben vom 25. Oktober 2021 über den Abbruch des Beförderungsauswahlverfahrens zum 1. September 2021 im Beförderungskreis der Landespolizeiinspektion S … von A 9 nach A 9 mit Amtszulage Polizeivollzugsdienst informiert. Die Antragstellerin hat am 23. November 2021 und damit innerhalb der Monatsfrist um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht.
2.
Der Antrag ist auch begründet.
a)
Die Antragstellerin hat einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
Dieser folgt aus dem Umstand, dass im Interesse der Rechtssicherheit umgehend zu klären ist, ob die betreffende Stelle doch in dem vom Dienstherrn abgebrochenen Auswahlverfahren zu vergeben ist oder ein weiteres Verfahren eingeleitet werden darf. Das Begehren auf zeitnahe Fortführung des begonnenen Auswahlverfahrens kann durch eine Hauptsacheklage nicht erreicht werden (BVerwG, Urteil vom 10. Dezember 2020 – 2 C 12/20 -, juris). Der Anordnungsgrund für einen Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO ergibt sich aus dem Inhalt des Rechtsschutzbegehrens selbst, das auf eine sofortige Verpflichtung des Dienstherrn gerichtet ist und deshalb bereits aus strukturellen Gründen nur im Wege des Eilrechtsschutzes verwirklicht werden kann (BVerwG, Urteil vom 3. Dezember 2014 – 2 A 3/13 -, a. a. O.)
b)
Der Antragstellerin steht darüber hinaus ein Anordnungsanspruch zur Seite. Die Entscheidung des Antragsgegners, das Stellenbesetzungsverfahren abzubrechen, verletzt den Bewerbungsverfahrensanspruch der Antragstellerin.
Der aus Art. 33 Abs. 2 Grundgesetz (GG) folgende Bewerbungsverfahrensanspruch gibt Bewerbern um ein öffentliches Amt ein grundrechtsgleiches Recht auf leistungsgerechte Einbeziehung in eine Bewerberauswahl. Die Bewerbung darf nur aus Gründen abgelehnt werden, die durch Art. 33 Abs. 2 GG gedeckt sind. Der Bewerbungsverfahrensanspruch ist auf ein konkretes Stellenbesetzungsverfahren für die Vergabe eines bestimmten (höheren) Statusamtes gerichtet, das möglichst zeitnah nach der Auswahlentscheidung durch Beförderung des ausgewählten Bewerbers besetzt werden soll. Aus dieser Verfahrensabhängigkeit folgt, dass der Anspruch erlischt, wenn das Verfahren beendet wird. Das kann dadurch geschehen, dass der Dienstherr das Verfahren rechtswirksam abbricht (BVerwG, Urteil vom 29. November 2012 – 2 C 6/11 -, juris; BVerwG, Urteil vom 10. Dezember 2020 – 2 C 12/20 -, a. a. O.).
Die Rechtmäßigkeit des Abbruchs eines Stellenbesetzungsverfahrens setzt in formeller Hinsicht voraus, dass die Bewerber von dem Abbruch rechtzeitig und in geeigneter Form Kenntnis erlangen. Der Dienstherr muss unmissverständlich zum Ausdruck bringen, dass er das Stellenbesetzungsverfahren ohne Stellenbesetzung endgültig beenden will. Der für den Abbruch maßgebliche Grund muss, sofern er sich nicht evident aus dem Vorgang selbst ergibt, schriftlich dokumentiert werden (BVerwG, Urteil vom 29. November 2012 – 2 C 6/11 -, a. a. O.).
In materieller Hinsicht kann der Abbruch zum einen aus der Art. 33 Abs. 2 GG vorgelagerten Organisationsgewalt des Dienstherrn gerechtfertigt sein. Danach hat der Dienstherr darüber zu entscheiden, ob und wann er welche Statusämter zur Besetzung bereithält. So kann der Dienstherr etwa das Verfahren abbrechen, weil er die Stelle, die dem erfolgreichen Bewerber übertragen werden sollte, nicht mehr besetzen will. Ebenso stellt es einen sachlichen, dem Organisationsermessen zugehörigen Grund für einen Abbruch dar, wenn der Dienstherr sich entschlossen hat, die Stelle neu zuzuschneiden (BVerwG, Urteil vom 29. November 2012 – 2 C 6/11 -, a. a. O.). Die gerichtliche Kontrolle ist in diesen Fällen auf die Prüfung beschränkt, ob sich die Entscheidung über den Abbruch als willkürlich oder rechtsmissbräuchlich erweist (BVerwG, Beschluss vom 10. Dezember 2018 – 2 VR 4/18 -, juris).
Soll das Amt unverändert bestehen bleiben und auch vergeben werden, betrifft der Abbruch nicht lediglich die der Organisationsgewalt des Dienstherrn vorbehaltene Entscheidung darüber, ob und welche Ämter er schaffen will. In diesen Fällen muss der vom Dienstherrn für den Abbruch vorgebrachte Grund den Vorgaben des Art. 33 Abs. 2 GG genügen. Ein solcher sachlicher Grund ist insbesondere gegeben, wenn das bisherige Auswahlverfahren fehlerhaft war und nicht mehr zu einer ordnungsgemäßen Auswahlentscheidung führen kann (BVerwG, Urteil vom 10. Dezember 2020 – 2 C 12/20 -, a. a. O.). Unsachlich hingegen sind etwa solche Gründe für einen Abbruch, die das Ziel verfolgen, einen unerwünschten Kandidaten aus leistungsfremden Erwägungen von der weiteren Auswahl für die Stelle auszuschließen oder einen bestimmten Bewerber bei der späteren Auswahlentscheidung zu bevorzugen (BVerwG, Urteil vom 29. November 2012 – 2 C 6/11 -, a. a. O.). Bei der Prüfung, ob ein sachlicher Grund für den Abbruch des Auswahlverfahrens besteht, hat sich das Gericht ausschließlich auf die anlässlich des Abbruchs dokumentierten Gründe zu beschränken (OVG für das Land Schleswig-Holstein, Beschluss vom 20. November 2019 – 2 MB 10/19 -, juris). Ob diese die wahren Beweggründe des Dienstherrn sind, ist ebenso ohne Belang wie die Frage, ob sich der Abbruch durch einen anderen Sachgrund rechtfertigen ließe (OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 4. Februar 2020 – 1 B 1519/19 -, juris).
In Anwendung der vorstehenden Grundsätze ist die Abbruchentscheidung des Antragsgegners zwar in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden (dazu im Folgenden unter aa)). Der von dem Antragsgegner dokumentierte Grund erfüllt jedoch nicht die materiellen Anforderungen an einen rechtmäßigen Abbruch (dazu im Folgenden unter bb)).
aa)
Die Abbruchentscheidung des Antragsgegners ist in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden.
In der der Antragstellerin am 3. November 2021 zugestellten Mitteilung vom 25. Oktober 2021 hat der Antragsgegner unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass er das Auswahlverfahren ohne die Stellenbesetzung abbrechen will. Er hat hierbei auch den maßgeblichen Grund, nämlich den festgestellten Fehler bei der Erstellung der in das Auswahlverfahren einbezogenen Regelbeurteilung der unterlegenen Bewerberin, genannt. Der Antragsgegner hat zugleich seine Abbrucherwägungen in dem Vermerk vom 7. Oktober 2021 schriftlich niedergelegt.
bb)
Der von dem Antragsgegner dokumentierte Grund erfüllt jedoch nicht die materiellen Anforderungen an einen rechtmäßigen Abbruch.
(1)
Der Abbruch ist nicht aus der Art. 33 Abs. 2 GG vorgelagerten Organisationsgewalt des Antragsgegners erfolgt. In dem Abbruchvermerk vom 7. Oktober 2021 und im Schreiben des Antragsgegners an die Antragstellerin vom 25. Oktober 2021 hat der Antragsgegner nämlich weder eine Entscheidung dahingehend getroffen, die Beförderung in ein nach A 9 mit Amtszulage besoldetes Amt überhaupt nicht mehr stattfinden zu lassen, noch die Stelle neu zuzuschneiden.
(2)
Der Abbruch genügt auch nicht den Vorgaben des Art. 33 Abs. 2 GG. Die dokumentierte Begründung enthält keinen sachlichen Grund, das begonnene Auswahlverfahren nicht zu Ende zu führen.
Der Antragsgegner hat dokumentiert, dass das bisherige Auswahlverfahren nach seiner Ansicht fehlerhaft war. Grund für den Abbruch des Auswahlverfahrens war, dass der Antragsgegner im Rahmen des gerichtlichen Eilverfahrens 1 E 873/21 Ge einen Fehler bei der Erstellung der in das Auswahlverfahren einbezogenen Regelbeurteilung der Polizeihauptmeisterin ____ J … und damit in der Auswahlgrundlage festgestellt hat. Dem bei der Beförderung zu beachtenden Grundsatz der Bestenauslese, der sich aus Art. 33 Abs. 2 GG und § 9 BeamtStG ergibt, entspricht es, zur Ermittlung des Leistungsstandes konkurrierender Bewerber in erster Linie auf unmittelbar leistungsbezogene Kriterien zurückzugreifen. Regelmäßig sind dies die aktuellsten Beurteilungen (BVerwG, Urteil vom 27. Februar 2003 – 2 C 16/02 -, juris). Dementsprechend ist hier auch der Antragsgegner vorgegangen. Er hat ausweislich des Auswahlvermerks vom 22. Juli 2021 die 20 Beamten zur Beförderung in das Amt eines Polizeihauptmeisters mit Amtszulage ausgewählt, die in ihrer aktuellen dienstlichen Beurteilung mit dem Gesamturteil „übertrifft die Anforderungen in besonderem Maße“ (13 bis 15 Punkte) bzw. „übertrifft die Anforderungen“ (12 Punkte) beurteilt wurden.
Demgegenüber kann der Begründung nicht entnommen werden, dass das Auswahlverfahren nicht mehr zu einer ordnungsgemäßen Auswahlentscheidung führen kann, das bisherige Verfahren also an nicht behebbaren Mängeln mit der Folge leidet, dass eine den Anforderungen des Art. 33 Abs. 2 GG gerecht werdende Auswahlentscheidung allein in einem weiteren Auswahlverfahren denkbar ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. Dezember 2018 – 2 VR 4/18 -, juris). Der von dem Antragsgegner festgestellte Fehler bei der Erstellung der Regelbeurteilung stellt keinen nicht behebbaren Mangel des Auswahlverfahrens dar. Wie der Antragsgegner in seinem Schriftsatz vom 30. November 2021 ausgeführt hat, wird die neue Beurteilung für ____ J … derzeit erstellt. Die Regelbeurteilung kann damit erneut fehlerfrei angefertigt und sodann das Auswahlverfahren fortgeführt werden.
Dass vom Dienstherrn erkannte, aber behebbare Mängel keinen sachlichen Grund für den Abbruch des Auswahlverfahrens darstellen, ergibt sich aus folgenden Überlegungen:
Allgemein anerkannt ist, dass in der Regel ein Abbruch jedenfalls dann sachlich gerechtfertigt ist, wenn dem Dienstherrn im Wege einer einstweiligen Anordnung untersagt wird, den von ihm ausgewählten Bewerber zu ernennen (BVerfG, Beschluss vom 24. September 2015 – 2 BvR 1686/15 -, juris; BVerwG, Urteil vom 29. November 2012 – 2 C 6/11 -, a. a. O.). In der Rechtsprechung ist für diese Fallgruppe streitig, ob zur effektiven Sicherung des Bewerbungsverfahrensanspruchs auch im Rahmen einer gerichtlichen Beanstandung nur ein nicht behebbarer Mangel den Abbruch des Auswahlverfahrens rechtfertigen kann (bejahend: OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 12. Juli 2018 – 1 B 1160/17 -; Bayerischer VGH, Beschluss vom 5. Februar 2019 – 3 CE 18.2608 -; Hessischer VGH, Beschluss vom 1. Oktober 2020 – 1 B 1552/20 -; verneinend: OVG Lüneburg, Beschluss vom 7. Mai 2018 – 5 ME 41/18 -; OVG Sachsen, Beschluss vom 2. September 2020 – 2 B 247/20 -; OVG für das Land Schleswig-Holstein, Beschluss vom 20. November 2019 – 2 MB 10/19 – und Beschluss vom 14. Juli 2021 – 2 MB 26/20 -; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 8. November 2021 – 4 S 1431/21 -; jeweils zitiert nach juris).
Dieser Streit kann hier dahinstehen, weil der Fall, dass dem Dienstherrn im Wege einer einstweiligen Anordnung untersagt wird, den von ihm ausgewählten Bewerber zu ernennen, nicht mit dem vorliegenden Fall – in dem der Dienstherr einen Fehler des Auswahlverfahrens erkannt hat – gleichgesetzt werden kann. Denn es macht einen gravierenden Unterschied, ob ein Verwaltungsgericht eine Beanstandung ausgesprochen und die Stellenbesetzung untersagt hat oder ob die Auswahlbehörde selbst einen solchen Mangel erkennt und das Verfahren abbricht (anders insoweit: Schleswig-Holsteinisches VG, Beschluss vom 22. August 2019 – 12 B 40/19 -, sowie VG Ansbach, Beschluss vom 21. Dezember 2020 – AN 1 E 20.01447 -, jeweils zitiert nach juris). Während nämlich die Beendigung eines Auswahlverfahrens, das nach einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung verfassungsrechtlichen Zweifeln begegnet, mit dem von Art. 33 Abs. 2 GG angestrebten Ziel der Bestenauslese regelmäßig in Einklanggebracht werden kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. September 2015 – 2 BvR 1686/15 -, a. a. O.), gilt dies nicht notwendigerweise, wenn der Dienstherr Fehler im Auswahlverfahren nur behauptet. Nimmt der Dienstherr die von ihm erkannten Fehler zum Anlass, das Verfahren abzubrechen, besteht nämlich die Gefahr, dass er die von ihm festgestellte Rechtswidrigkeit der getroffenen Auswahlentscheidung für eine seinen personalpolitischen Zielsetzungen entgegenkommende, abweichend steuernde Reaktion ausnutzt, obwohl eine Behebung des Mangels im bisherigen Auswahlverfahren mit dem bisherigen Bewerberkreis möglich wäre (vgl. hierzu OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 12. Juli 2018 – 1 B 1160/17 -, a. a. O.). Wie bereits oben ausgeführt, sind Gründe, die das Ziel einer willkürlichen Einflussnahme auf den Bewerberkreis verfolgen, aber als unsachlich anzusehen. Nur wenn der Dienstherr im Abbruchvermerk plausibel darlegt, warum das bisherige Auswahlverfahren nicht mehr zu einer ordnungsgemäßen Entscheidung führen kann, können die am Auswahlverfahren beteiligten Bewerber erkennen, ob Rechtsschutz in Anspruch genommen werden soll, weil die Entscheidung des Dienstherrn ihren Bewerbungsverfahrensanspruch berührt.
Insbesondere für den vorliegenden Einzelfall ist festzustellen, dass der Abbruch des Verfahrens wegen eines vom Antragsgegner behaupteten, aber im laufenden Auswahlverfahren behebbaren Mangels den Bewerbungsverfahrensanspruch der Antragstellerin verletzen würde. Ausweislich des Auswahlvermerks des Antragsgegners vom 22. Juli 2021 waren gegenüber der Antragstellerin, die in ihrer letzten Regelbeurteilung im Gesamturteil 12 Punkte erreicht hatte, im Gesamturteil nur 10 Beamte besser und 9 Beamte gleich bewertet worden. Sowohl die 10 besser als auch die 9 gleich bewerteten Beamten sind inzwischen durch den Antragsgegner befördert worden. Der Antragsgegner war zwar nicht gehindert, die Beförderung der anderen ausgewählten 19 Bewerber vorzunehmen. Denn die nicht für die Beförderung ausgewählte Polizeihauptmeisterin ____ J … hat ihren am 12. August 2021 beim Verwaltungsgericht Gera verfolgten Antrag, dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO zu untersagen, die zur Beförderung vorgesehenen 20 Beamten in die Besoldungsgruppe A 9 mit Amtszulage zu befördern und in die Planstellen einzuweisen, mit Schreiben vom 26. August 2021 ausschließlich auf die Antragstellerin beschränkt. Seit dem Zeitpunkt der Beschränkung des Eilverfahrens auf die Beförderung der Antragstellerin war der Antragsgegner befugt, die Beförderung der anderen ausgewählten Beamten vorzunehmen. Grundsätzlich stellt nämlich ein einstweiliges Konkurrentenstreitverfahren ein Beförderungshindernis für die zur Beförderung auf den streitgegenständlichen Beförderungsstellen vorgesehenen Beamten nur im Umfang des Antrags des unterlegenen Bewerbers und damit des Streitgegenstandes des Konkurrentenstreitverfahrens für den Dienstherrn dar (vgl. VG Gera, Urteil vom 14. September 2020 – 1 K 1349/18 Ge -, Seite 13 f. des Urteilsabdrucks m. w. N.). Wenn der Antragsgegner das Auswahlverfahren aber nunmehr abbrechen dürfte, obwohl es noch zu einer ordnungsgemäßen Auswahlentscheidung geführt werden könnte, würde die Antragstellerin in ein neues Auswahlverfahren mit einem ggf. veränderten Bewerberkreis einbezogen werden, während die 19 Konkurrenten der Antragstellerin, von denen 9 im Gesamturteil gleich bewertet wurden, bereits in dem laufenden Auswahlverfahren befördert worden sind.
3.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG. Der Streitwert bemisst sich bei Abbruchverfahren grundsätzlich nach dem Auffangwert und nicht im Hinblick auf die im Streit stehende Stelle. Denn der Antrag ist lediglich auf die Fortsetzung des Auswahlverfahrens und nicht bereits auf die Vergabe des Statusamts oder Dienstpostens an einen bestimmten Bewerber gerichtet (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. Dezember 2018 – 2 VR 4.18 -, juris, und Beschluss vom 29. Juli 2020 – 2 VR 3/20 -, a. a. O.; Bayerischer VGH, Beschluss vom 5. April 2019 – 3 CE 19.314 -; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 8. November 2021 – 4 S 1431/21 -; jeweils zitiert nach juris). Erweist sich der Abbruch als rechtswidrig, könnte noch ein – dann im Streitwert nach dem im Streit stehenden Beförderungsamt zu bemessendes – weiteres Gerichtsverfahren bezüglich der Auswahlentscheidung erfolgen. Erweist sich der Abbruch hingegen als rechtmäßig, stand nur dieser selbst im Streit und ist nach der Regel des § 52 Abs. 2 GKG allgemein zu bewerten (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 8. November 2021 – 4 S 1431/21 -, a. a. O.). Eine Halbierung des Streitwerts scheidet ungeachtet des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes aus. Denn für das Begehren auf Fortführung des abgebrochenen Auswahlverfahrens kommt allein der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung in Betracht (BVerwG, Beschluss vom 29. Juli 2020 – 2 VR 3/20 -, a. a. O.).


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