Aktenzeichen M 17 S 17.41210
Leitsatz
Die aufschiebende Wirkung einer Klage gegen die Abschiebungsandrohung nach Griechenland ist anzuordnen, wenn er erst im Hauptsacheverfahren abschließend geklärt werden kann, ob ein Abschiebungsverbot nach § 80 Abs. 5 AufenthG vorliegt (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die in Nr. 3 des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 15. Mai 2017 enthaltene Abschiebungsandrohung wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
I.
Der Antragsteller ist afghanischer Staatsangehöriger, Volkszugehöriger der Hazara und schiitischen Glaubens. Er reiste nach eigenen Angaben am …2015 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 14. Juni 2016 Asylantrag.
Bei der Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am …2016 gab der Antragsteller im Wesentlichen an, dass er in Griechenland Asylantrag gestellt und dort eine Aufenthaltsgestattung erhalten habe. Als er 14 Jahre alt gewesen sei, habe er in Afghanistan an der Schule, an der die Frauen an der Wahl für das Ministerium teilgenommen hätten, als Kellner arbeiten sollen. Dann habe er aber den alten Damen bei der Wahl helfen und diese beeinflussen sollen. Am Abend sei sein Freund, der ihm diese Arbeit vermittelt habe, zu ihm gekommen und habe gesagt, dass der Chef des Wahlkampfbüros herausgefunden habe, dass bei der Wahl große Fehler gemacht worden seien und dass sie dafür verantwortlich sein. Wenn sie sie fänden, brächten sie sie um. Sein Vater habe daraufhin die Ausreise organisiert. In Griechenland sei er in einer schlimmen Unterkunft gewesen. Er habe diese nicht verlassen dürfen, es habe sehr wenig zu essen gegeben und sie hätten keine hygienischen Artikel und kein warmes Wasser gehabt. Auch die Polizei sei mit ihnen nicht gut umgegangen. Außerdem sei er sehr depressiv.
Mit Schreiben vom 31. August 2016 teilte Griechenland mit, dass dem Antragsteller am 13. Dezember 2013 subsidiärer Schutz zuerkannt worden war.
Am 8. Mai 2017 wurde der Antragsteller zur Zulässigkeit des Asylantrags gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 i.V.m. § 25 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 AsylG angehört.
Mit Bescheid vom 15. Mai 2017, zugestellt am 17. Mai 2017, lehnte das Bundesamt den Antrag als unzulässig ab (Nr. 1) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) nicht vorliegen (Nr. 2). Der Antragsteller wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen, anderenfalls wurde ihm die Abschiebung nach Griechenland bzw. in einen anderen Staat, in den er einreisen darf oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist, angedroht. Der Antragsteller darf nicht nach Afghanistan abgeschoben werden (Nr. 3). Zudem wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 4).
Zur Begründung führte das Bundesamt insbesondere aus, dass der Asylantrag aufgrund der Gewährung internationalen Schutzes durch Griechenland als unzulässig abgelehnt und damit nicht materiell geprüft werde. Abschiebungsverbote lägen nicht vor. Dem Antragsteller werde die Abschiebung nach Griechenland, also einem Mitgliedstaat der Europäischen Union, angedroht. Hierbei handele es sich um einen sicheren Herkunftsstaat. Der Antragsteller habe nicht glaubhaft vorgetragen oder vorgelegt, dass ihm in Griechenland eine durch einen staatlichen oder nichtstaatlichen Akteur verursachte Folter oder relevante unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung drohe. Die derzeitigen humanitären Bedingungen in Griechenland führten nicht zu der Annahme, dass bei einer Abschiebung des Antragstellers eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliege. Es lägen keine Informationen vor, die die Annahme rechtfertigten, dass anerkannte Schutzberechtigte in Griechenland einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung ausgesetzt seien. Eine solche Behandlung müsse ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um als unmenschlich oder erniedrigend im Sinne von Art. 3 EMRK zu gelten. Dieses Maß erreichten die Verhältnisse, die der Antragsteller geschildert habe, nicht. Auch unter Berücksichtigung der individuellen Umstände des Antragstellers sei die Wahrscheinlichkeit einer Verletzung des Art. 3 EMRK durch die Abschiebung nicht beachtlich. Personen mit Flüchtlingsanerkennung und subsidiär geschützte Personen seien griechischen Bürgern in Bezug auf Arbeit, Ausbildung, Gesundheitsversorgung und Sozialhilfe gleichgestellt. Die Angabe des Antragstellers bezüglich seines Aufenthalts in einem Camp mit schlechten Verhältnissen beziehe sich auf die Zeit, in der er noch als Asylsuchender gegolten habe. Auch bezüglich der Wohnungssuche sei der Antragsteller griechischen Staatsangehörigen gleichgestellt. Nach Information des Auswärtigen Amtes hätten anerkannte Schutzberechtigte seit 2017 auch Zugang zum neu eingeführten System der Sozialhilfe. Dem Antragsteller drohe auch keine individuelle Gefahr für Leib oder Leben. Bezüglich seiner gesundheitlichen Situation sei bislang kein fachärztliches Attest vorgelegt worden. Im Übrigen sei grundsätzlich die medizinische Grundversorgung für anerkannte Asylsuchende in Griechenland gewährleistet.
Hiergegen erhob der Antragsteller am 22. Mai 2017 beim Bayerischen Verwaltungsgericht München Klage (M 17 K 17.41209) und beantragte gleichzeitig vorläufigen Rechtsschutz gemäß § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 5 AufenthG vorliege, da die Abschiebung gegen Art. 3 EMRK verstoßen würde. Der Antragsteller sei aufgrund der unhaltbaren humanitären Bedingungen für anerkannte Flüchtlinge in Griechenland nach Deutschland gereist. Er müsse in Griechenland damit rechnen, als Obdachloser auf der Straße zu leben, und zwar unter gesundheitsgefährdenden Bedingungen und in einer gewalttätigen Umgebung. Er müsse mit rassistischen Übergriffen rechnen und der Zugang zum Sozialsystem sei von Voraussetzungen abhängig, die er nicht erfüllen könne, wie zum Beispiel einem Wohnsitz. Ohne ausreichende griechische Sprachkenntnisse habe er keine reale Aussicht auf Arbeit. Ihm seien während seines Aufenthalts in Griechenland auch keine Sprachschulungen gewährt worden. Er müsse bei einer Rückkehr damit rechnen, seinen Lebensunterhalt nicht sichern und nicht in angemessenen hygienischen Verhältnissen leben zu können. Auf Berichte von Pro Asyl, Amnesty international und dem griechischen Flüchtlingsrat wurde Bezug genommen. Außerdem fehle es an der rechtlichen Grundlage für eine Abschiebungsandrohung statt einer Abschiebungsanordnung bei vorheriger Flüchtlingsanerkennung in einem sicheren Drittstaat. Die Androhung könne auch nicht als zulässiges milderes Mittel gegenüber der Anordnung angesehen werden. Insbesondere stünde dem Antragsteller gegen eine Abschiebungsanordnung ein erhöhter Rechtsschutz zu. Der Erlass einer Abschiebungsandrohung sei nur möglich, wenn die Voraussetzungen nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vorlägen, was vom Bundesamt festzustellen sei. Demgegenüber dürfe das Bundesamt bei Entscheidungen nach § 26a AsylG die in § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylG genannten Tatbestandsvoraussetzung gerade nicht prüfen, weil es alleine die Zulässigkeit des Asylantrags zu überprüfen habe.
Die Antragsgegnerin stellte keinen Antrag.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte in diesem Verfahren und im Verfahren M 17 K 17.41209 sowie auf die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet.
Der Antragsteller möchte erreichen, dass die kraft Gesetzes (§ 75 AsylG) ausgeschlossene aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid vom 15. Mai 2017 nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO i.V.m. § 36 Abs. 3 AsylG angeordnet wird.
Nach § 36 Abs. 4 AsylG kann das Gericht der Hauptsache u.a. im Fall der Unzulässigkeit nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG auf Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO die Aussetzung der Abschiebung anordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Tatsachen und Beweismittel, die von den Beteiligten nicht angegeben worden sind, bleiben unberücksichtigt, es sei denn, sie sind gerichtsbekannt oder offenkundig. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts liegen ernstliche Zweifel vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166 ff.).
Im vorliegenden Fall kann bei summarischer Prüfung nicht festgestellt werden, dass an der Richtigkeit der vom Bundesamt getroffenen Entscheidungen vernünftigerweise keine Zweifel bestehen. Vielmehr sind die Erfolgsaussichten der Klage als offen zu bewerten, da insbesondere erst in der mündlichen Verhandlung abschließend geklärt werden kann, ob beim Kläger im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (B.v. 8.5.2017 – 2 BvR 157/17) ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK vorliegt. Da die Interessen des Antragstellers insoweit überwiegen, war die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Dem (gerichtskostenfreien, § 83b AsylG) Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.
Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.