Verwaltungsrecht

Anspruch auf bedarfsgerechten Kinderkrippenplatz

Aktenzeichen  M 18 E 17.3843

Datum:
21.9.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 123
SGB VIII SGB VIII § 24 Abs. 2
AGSG AGSG Art. 45a

 

Leitsatz

1. § 24 Abs. 2 S. 1 SGB VIII gewährt den Eltern ein echtes Wahlrecht zwischen einer Kindertageseinrichtung (Krippe) und einer Tagespflegeeinrichtung. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
2. Als bedarfsgerecht kann ein Betreuungsplatz nur angesehen werden, wenn die Fahrtzeit zwischen der Wohnung und der Kinderkrippe zumutbar ist, aber auch den Eltern – soweit sie erwerbstätig sind – in vertretbarer Zeit die Erreichung ihres Arbeitsplatzes möglich ist. Der Anspruch aus § 24 Abs. 2 SGB VIII erstreckt sich andererseits nicht darauf, einen Platz zu erhalten, der sich ohne größere Verzögerungen in bereits bestehende Verpflichtungen einbauen lässt. (Rn. 33 – 35) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt im Rahmen einer einstweiligen Anordnung die Verpflichtung der Antragsgegnerin, ihm einen individuell zumutbaren Krippen Platz in Wohnortnähe mit einer Betreuungszeit von werktäglich 8 bis 9 Stunden zu verschaffen.
Der Antragsteller ist am … … … geboren. Die Eltern des Antragstellers meldeten ihn bereits am 18. April 2016 auf … an. Mit einer E-Mail vom 8. Februar 2017 an die Antragsgegnerin erklärte die Mutter des Antragstellers, dass der Kindsvater derzeit arbeitslos sei und sie selbst mit dem Arbeitgeber im Juni 2017 einen Wiedereinstieg nach der Elternzeit vereinbart habe. Da sie bisher keine Zusage für einen Betreuungs Platz im Mai 2017 habe, bitte sie um einen Beratungstermin.
Die Mutter des Antragstellers bat mit einer weiteren E-Mail vom 26. April 2017 um einen Beratungstermin, da immer noch kein Betreuungs Platz vorliege. Auf diese E-Mail antwortete die Antragsgegnerin am 27. April 2017 mit einer E-Mail, in der abgefragt wurde, ab wann ein Platz benötigt würde. Es fänden bis in den Sommer hinein alle 10 Tage neue Wartelistenplatzvergaben aus dem … -System statt. Sie bitte daher um Mitteilung Anfang Juni, falls bis dahin noch kein Platz über den … vergeben worden sei. Bei Notwendigkeit eines Betreuungsplatzes vor dem September 2017 bitte die Antragsgegnerin um die Rücksendung des angehängten Bedarfsformulars binnen 2 Wochen. Für eine persönliche Beratung wurden die Öffnungszeiten und der Standort der persönlichen Beratungsstelle mitgeteilt.
Mit E-Mail vom 1. Juni 2017 teilte die Mutter des Antragstellers der Antragsgegnerin mit, dass sie immer noch keine Zusage hätte. Die Kindsmutter habe nun die Elternzeit bis September 2017 verlängert. Ab da bestehe jedoch ein dringender Platzbedarf. In der Antwort-E-Mail vom 2. Juni 2017 bat die Antragsgegnerin um Rücksendung des Bedarfsformulars.
Das Bedarfsformular ging am 14. Juni 2017 bei der Antragsgegnerin ein. Auf diesem ist keine formularmäßige Auswahlmöglichkeit zwischen Kinderkrippe und Tagesmutter ersichtlich und kein Formularfeld, mit dem die Eltern des Antragstellers mitteilen können, dass ein weiteres Geschwisterkind existiert. Ein PKW stehe nicht zur Verfügung. Der Kindsvater arbeite derzeit zwischen 8.00 und 15.00 Uhr 30 Wochenstunden in Unterhaching, wolle jedoch auf 40 Wochenstunden aufstocken, sobald die Betreuung der Kinder sichergestellt sei. Die Kindsmutter arbeite in der M* …, München, für 38,5 Wochenstunden (zwischen 8 bzw. 9 Uhr bis ca. 16.30 bzw. 17.30 Uhr).
Auf die E-Mails der Mutter des Antragstellers vom 3. Juli 2017 und 6. Juli 2017 antwortete die Antragsgegnerin mit E-Mail vom 10. Juli 2017. Die Einrichtungszusagen liefen immer noch. Die Kinderberatungsstelle arbeite seit Eingang des Bedarfsformulares an einer Platzvermittlung.
Mit Schreiben des Bevollmächtigten des Antragstellers an die Antragsgegnerin vom 24. Juli 2017 wurde die unverzügliche Erfüllung des Kita-Anspruchs bis zum 1. August 2017 gefordert. Der Antragsgegnerin wurde erstmals mitgeteilt, dass ein weiteres, 2013 geborenes Kind in der Familie lebe, das im Kindergarten in der … … betreut werde.
Die Antragsgegnerin teilte der Mutter des Antragstellers am 28. Juli 2017 per E-Mail und telefonisch mit, dass in der Einrichtung …, noch Plätze frei wären. Mit Schreiben des Bevollmächtigten des Antragstellers vom 7. August 2017 erklärte dieser, dass nach telefonischer Aussage der Einrichtungsleitung von … … der Antragsteller lediglich auf der Warteliste stünde. Da der Kindsvater nicht Vollzeit arbeite, habe die Einrichtungsleitung angegeben, erst Rücksprache mit der Antragsgegnerin über die Prioritäteneinordnung des Antragstellers nehmen zu müssen. Des Weiteren handele es sich um eine Großtagespflege, die nicht dem Elternwunsch entspräche. Die Eltern begehren lediglich einen Platz in einer Kinderkrippe für den Antragsteller.
Mit Schriftsatz vom 16. August 2017 erhob der Bevollmächtigte des Antragstellers Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München mit dem Antrag, die Antragsgegnerin zu verpflichten, dem Antragsteller einen individuell zumutbaren Kinderkrippen Platz mit einer Betreuungszeit von 8 bis 9 Stunden innerhalb 8.00 Uhr bis 16.00 Uhr werktags zu verschaffen. Mit gleichem Schreiben wurde beantragt,
über den Klageantrag vorab im einstweiligen Rechtsschutz zu entscheiden.
Zur Begründung des Antrags wurde vorgetragen, dass der Antragsteller seit dem 12. April 2017 ein Jahr alt sei und daher grundsätzlich ein Anspruch auf einen Krippen Platz bestehe. Die 3-Monatsfrist aus § 24 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII i.V.m. Art. 45a AGSG sei bereits abgelaufen. Die Geltendmachung eines einrichtungsunabhängigen Anspruchs ergebe sich bereits aus der Wahl der maximalen Zahl der möglichen Anmeldungen im … im April 2016. Jedenfalls hätten die Eltern des Antragstellers mit E-Mail vom 8. Februar 2017 an die Antragsgegnerin, die als Anlage K1 vorgelegt werde, unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass sie Hilfe bei Erhalt eines Betreuungsplatzes begehren. Das Angebot eines Betreuungsplatzes in der Einrichtung … … in der … sei nicht geeignet, den Anspruch des Antragstellers zu erfüllen. Es handle sich um eine Großtagespflege, was wegen des Wahlrechts der Eltern zu einem Ausschluss der Einrichtung führe. Weiter sei ein freier Platz nicht nachgewiesen, da der Antragsteller nur auf der Warteliste stehe. Der Platz sei weiter unzumutbar, da unter Berücksichtigung der in Anspruch genommen Zeit und Wegstrecke durch das Wegbringen der älteren Schwester des Antragstellers die Grenze des zumutbaren Aufwandes überschritten sei. Die Mutter des Antragstellers wolle beide Kinder auf dem Weg in die Arbeit wegbringen und der Vater des Antragstellers in der Regel beide Kinder nach der Arbeit abholen.
Mit den Schriftsätzen des Bevollmächtigten des Antragstellers vom 21. August 2017 und 23. August 2017 vertiefte der Bevollmächtigte sein Vorbringen und trug weiteren Sachverhalt vor. Auf diese Schriftsätze wird verwiesen.
Mit E-Mail der Antragsgegnerin an die Kindsmutter des Antragstellers vom 29. August 2017 wurden dem Antragsteller zwei weitere Kinderkrippenplätze angeboten (Kita …).
Mit Schriftsatz vom 30. August 2017 beantragte die Antragsgegnerin
Antragsablehnung.
Der Anspruch sei zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht entstanden, da die Wartefrist des § 24 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII i.V.m. Art. 45a AGSG erst mit Übersendung des Bedarfsformulares am 16. Juni 2017 zu Laufen beginne. Jedenfalls sei ein Anspruch des Antragstellers durch die Vermittlung der drei Kindertageseinrichtungen … erfüllt worden. Die Großtagespflegestelle … sei mit dem ÖPNV ca. 13 Minuten von der Wohnung der Familie entfernt. Von der Pflegestelle … zum Kindergarten der Schwester des Antragstellers wären 16 Minuten mit dem ÖPNV einzurechnen. In der Nähe der … liege die U-Bahnhaltestelle …, mit deren U-Bahnlinien beide Eltern weiter zu ihrer Arbeitsstelle fahren könnten.
Zur Kita … wäre ein Wegzeitaufwand von ca. 25 Minuten per ÖPNV bzw. 12 Minuten mit dem Pkw notwendig. Vom Kindergarten des Geschwisterkindes in die Kita benötige man 27 Minuten mit ÖPNV bzw. 12 Minuten mit dem Pkw. Die Kita … liege in der Nähe der U-Bahnhaltestelle …, mit deren Linie beide Eltern zu ihrer Arbeitsstelle weiterfahren könnten.
Die Kindertageseinrichtung … … liege mit ÖPNV 20 Minuten von der Wohnung der Kindseltern und mit dem PKW 9 Minuten von der Wohnung der Familie entfernt. Vom Kindergarten des Geschwisterkindes bis zur Kita … seien ca. 29 Minuten mit ÖPNV bzw. 12 Minuten mit dem Pkw einzurechnen. Von der … seien die S-Bahnhaltestelle … sowie die U-Bahnhaltestelle … zu erreichen.
Das Gericht forderte mit Schreiben vom 5. September 2017 den Bevollmächtigten des Antragstellers auf, Arbeitszeitnachweise für beide Eltern sowie die Eingangsbestätigung der E-Mail der Mutter des Antragstellers an die Antragsgegnerin vom 8. Februar 2017 vorzulegen. Mit Schreiben vom gleichen Tage ging an die Antragsgegnerin der gerichtliche Hinweis, dass die Möglichkeit bestehe, dass alle drei Einrichtungen für die Betreuung des Antragstellers als unzumutbar angesehen werden könnten. Dies könne sich aus der Länge der Wegstrecke der Kindsmutter beim Bringen ergeben.
Mit Schriftsatz vom 13. September 2017 und vom 15. September 2017 legte der Bevollmächtigte des Antragstellers die Arbeitszeitnachweise und die Eingangsbestätigung der E-Mail vom 9. Februar 2017 vor.
Die Antragsgegnerin vertiefte mit Schriftsatz vom 15. September 2017 ihren Vortrag und rechnete vor, dass sich laut Google-Maps folgende Wegzeiten für die Mutter des Antragstellers beim Bringen beider Kinder auf den Weg zur Arbeit ergäben:
Von der Wohnung der Familie über den Kindergarten der Schwester des Antragsteller in der … zum Arbeitsplatz der Mutter lediglich 45 Minuten per ÖPNV, für denselben Weg über die …, anstatt der …, 71 Minuten per ÖPNV sowie für denselben Weg über die … … anstatt der … insgesamt 75 Minuten. Die Arbeitswegzeitverlängerungen für die Mutter durch den Antragsteller seien lediglich 14 Minuten für die …, 40 Minuten für die … und 44 Minuten für die … … Beim Abholen der Kinder durch den Vater ergebe sich eine Verlängerung von 19 Minuten in der …, von 47 Minuten in der … und von 34 Minuten in der … …
Mit E-Mail vom 1. September 2017 teilte der Vater des Antragstellers der Antragsgegnerin mit, dass sie vorübergehend den Platz in der … annehmen wollten, diesen jedoch nicht als Erfüllung des Anspruchs betrachten, da für zwei Vollzeit-Arbeitende die Betreuungszeiten nicht lang genug seien.
Nach telefonischer Rücksprache am 21. September 2017 erklärte der Bevollmächtigte des Antragstellers, dass den Eltern des Antragstellers ab dem 31. August 2017 wieder ein Auto zur Verfügung stünde. Mit Anruf am gleichen Tag bei der … ermittelte das Gericht, dass es dort zwei verschiedene Gruppen gebe. Die „… …“ haben von 8.00 Uhr bis 16.00 Uhr und am Freitag von 8.00 Uhr bis 15.00 Uhr geöffnet. Dort sei noch ein Platz frei. Die Gruppe „…“ habe von 8.00 Uhr bis 17.00 Uhr und am Freitag von 8.00 Uhr bis 15.00 Uhr geöffnet. Nach telefonischer Auskunft der Kindergarteneinrichtung in der … ist dieser von 7.30 Uhr bis 17.15 Uhr geöffnet.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die übersandte Behörden- sowie auf die Gerichtsakte verwiesen.
II.
Der zulässige Antrag hat keinen Erfolg.
Eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO, wie sie vorliegend begehrt wird, darf nur ergehen, wenn dies zur Abwendung wesentlicher Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Dies setzt voraus, dass sowohl das streitige Rechtsverhältnis und der sich aus diesem ergebende und einer (vorläufigen) Regelung bedürfende Anspruch, der sog. Anordnungsanspruch, nach den Vorschriften des materiellen Rechts als auch die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung, der sog. Anordnungsgrund, bestehen, wobei die dem Anordnungsanspruch und -grund zugrunde liegenden Tatsachen vom Antragsteller glaubhaft zu machen sind (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO)) (Eyermann, VwGO, 13. Auflage 2010, § 123 Rn. 45 u. 48). Maßgebend sind die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (Eyermann, VwGO, 13. Auflage 2010, § 123 Rn. 45 und § 113 Rn. 45).
Ein Anordnungsanspruch des Antragstellers nach § 24 Abs. 2 SGB VIII besteht nicht (mehr).
Der Antragsteller ist am … ein Jahr alt geworden. Die 3-Monatsfrist des § 24 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII i.V.m. Art. 45a AGSG ist mit Ablauf des 16. September 2017 jedenfalls verstrichen. Daher kommt es nicht mehr auf eine Entscheidung an, ob die Eintragung im … im April 2016, die E-Mails am 8. Februar 2017 oder im April 2017 vor dem Eingang des Bedarfsformulars bei der Antragsgegnerin am 16. Juni 2017 fristauslösend waren.
Der Anspruch des Antragstellers ist jedoch seit dem 29. August 2017 als erfüllt anzusehen.
Nicht anspruchserfüllend war die am 28. Juli 2017 angebotene Großtagespflegestelle „… …“ in der …. Diese liegt zwar wohnortnah, ist jedoch keine Kinderkrippe nach § 24 Abs. 2 Satz 1 Var. 1 SGB VIII. Nach einem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 22. Juli 2016, Az: 12 BV 15.719, gewährt § 24 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII den Eltern ein echtes Wahlrecht zwischen einer Kindertageseinrichtung (Kinderkrippe) oder einer Tagespflegeeinrichtung. Auch angesichts der Tatsache, dass es sich bei der Einrichtung … … um eine Großtagespflegestelle handelt, kann nach der Argumentation des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (in Rn. 32 bis 34 des oben genannten Urteils) nichts anderes gelten. Das Wahlrecht sei danach insbesondere deshalb gerechtfertigt, weil laut dem Verwaltungsgerichtshof ein „pädagogisches Gefälle“ zwischen Erzieherinnen einer Kindertageseinrichtung und Tagesmüttern festzustellen sei.
Jedoch erfüllt nach Ansicht des Gerichts die … … in der … … den Anspruch des Antragstellers.
Es handelt sich hierbei um eine Kinderkrippe, die laut Internet-Angaben von 7.30 Uhr bis 18.30 Uhr geöffnet ist. Eine Bedarfsdeckung für den Antragsteller ist mithin durch diesen Platz gegeben.
Auch die Wohnortnähe des Platzes in der … ist noch zu bejahen.
Als bedarfsgerecht kann ein Betreuungs Platz allerdings nur angesehen werden, wenn die Fahrtzeit zwischen der Wohnung und der Kinderkrippe nach den genannten Kriterien zumutbar ist, aber auch den Eltern – sofern sie erwerbstätig sind – in vertretbarer Zeit die Erreichung ihres Arbeitsplatzes möglich ist. Der Gesetzgeber wollte mit der Einführung des Anspruchs auf einen Betreuungs Platz nicht nur den Kindern schon ab der Vollendung des 1. Lebensjahres eine qualifizierte Förderung und Betreuung anbieten, sondern auch die Vereinbarkeit von Beruf und Familie fördern. So scheiden in der Regel Betreuungsplätze aus, die in entgegengesetzter Richtung zur Arbeitsstätte der Eltern liegen, während andererseits Plätze zumutbar sein können, die zwar relativ weit entfernt vom Wohnort des Kindes liegen, aber nahe bei der bzw. auf dem Weg zur Arbeitsstätte der Eltern bzw. eines Elternteiles.
Hierbei lassen sich keine allgemein gültigen Vorgaben aufstellen; vielmehr ist in jedem Einzelfall anhand der individuellen Familiensituation wie auch der konkreten örtlichen Verhätlnisse zu prüfen, ob ein angebotener Betreuungs Platz zumutbar ist.
Der Anspruch nach § 24 Abs. 2 SGB VIII erstreckt sich andererseits jedoch nicht darauf, bei jedweder Konstellation von Arbeits-, Wohn- und Familienverhältnissen einen in kurzer Zeit erreichbaren Krippen Platz zu erhalten, der sich ohne größere zeitliche Verzögerungen in bereits bestehende Verpflichtungen – wie zum Beispiel das Bringen von Geschwisterkindern in den Kindergarten und den Arbeitsweg – einbauen lässt.
§ 24 Abs. 2 SGB VIII sollte zwar die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsleben verbessern, jedoch keinen – rein tatsächlich vielfach nicht realisierbaren – Anspruch auf die (örtlich) optimale Kinderbetreuung schaffen. Die Vorschrift hat nicht zum Ziel, die Belastungen, die mit der Berufstätigkeit unter gleichzeitiger Pflicht, für ein Kind zu sorgen und es zu betreuen, verbunden sind, weitestgehend zu minimieren. § 24 Abs. 2 SGB VIII hat auch nicht die Aufgabe, Eltern alle Unbequemlichkeiten – die sich aus ihrer Erwerbstätigkeit unter gleichzeitiger Pflicht, ein Kind zu betreuen bzw. seine Betreuung sicherzustellen – ergeben, abzunehmen oder auf das geringstmögliche Ausmaß zu reduzieren. Sie bleiben für die Betreuung ihrer Kinder verantwortlich und müssen dafür auch bei ihrer Berufsausübung Rücksicht nehmen (vgl. VG München, U.v. 18.9.2013, a.a.O.).
Allerdings sind bei besonderen Umständen beider Eltern bezüglich des Arbeitsweges und der Arbeitszeiten (wie dies zum Beispiel auch bei Schichtarbeitszeiten der Fall sein kann) auch die Eltern gefordert, Flexibilität zu zeigen und beispielsweise – zumindest für einzelne Teilsrecken des Arbeitsweges – ein Fahrrad oder Auto anstelle öffentlicher Verkehrsmittel zu benutzen bzw. die Aufgabenverteilung bezüglich Bringens und Abholens der Kinder untereinander so aufzuteilen, dass keine unzumutbar langen Wegstrecken für einen Elternteil entstehen.
Nach dieser Maßgabe ist es zwar zeitlich für die Kindsmutter unzumutbar, beide Kinder in der Früh vor ihrer Arbeitsaufnahme wegzubringen, da die Fahrtzeiten von der Wohnung der Familie über den Kindergarten Platz der Tochter und der … … bis zum Arbeitsplatz der Mutter laut den genaueren Angaben des MVV-Routenplaners im Internet ca. 80 Minuten reine Fahrzeit per ÖPNV betragen würde. Jedoch ist festzuhalten, dass aufgrund der Erziehungspflichten aus Art. 6 Abs. 1 GG und oben genannten Grundsätzen von den Eltern Flexibilität bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf auch gefordert werden muss. Angesichts der Tatsache, dass (erst auf Nachfrage des Gerichts vom 21. August 2017 bekannt geworden) der Familie des Antragstellers ab dem 31. August 2017 wieder ein Pkw zur Verfügung steht, ist nicht ersichtlich, warum dem Vater des Antragstellers ein Wegbringen der Schwester des Antragstellers frühmorgens vor der Fahrt in die Arbeit mit dem Pkw nicht möglich sein sollte. Der Kindergarten der Schwester des Antragstellers öffnet nach telefonischer Aussage desselben vom 21. September 2017 um 7.30 Uhr. Laut dem Google-Maps-Routenplaner benötigt der Vater des Antragstellers mit dem Pkw lediglich 5 Minuten reine Fahrzeit von der Wohnung der Familie bis zum Kindergarten. Weiterhin benötigt der Vater des Antragstellers vom Kindergarten bis zu seiner Arbeitsstätte laut dem Routenplaner Google-Maps lediglich 15 Minuten. Auch unter Berücksichtigung eines möglichen Staus in den morgendlichen und abendlichen Hauptverkehrszeiten ist es dem Vater des Antragstellers mithin möglich, mit dem Pkw die Schwester des Antragstellers in der Früh in den Kindergarten zu bringen und dennoch um 8.00 Uhr auf der Arbeitsstelle zu sein. Die reine Fahrzeit der Kindsmutter beim Wegbringen des Antragstellers in der Früh beläuft sich auf ca. 60 Minuten von der Haustür über die … … zu ihrer Arbeitsstätte. Dieser Zeitaufwand liegt noch im Rahmen des Zumutbaren für die Mutter des Antragstellers.
Das Gericht verkennt hierbei nicht, dass der Kindsvater auch beide Kinder nach der Arbeit abholen soll. Hierbei ist laut Google-Maps eine Fahrzeit von der Arbeitsstelle über die …- und … von insgesamt 35 Minuten anzusetzen. Beim Ansetzen einer halbstündigen Mittagspause und einer 40-Stundenwoche wäre eine Abfahrtszeit des Kindsvaters von 16.30 Uhr von der Arbeitsstelle realistisch. Selbst beim Einrechnen eines staubedingten Puffers wäre es dem Kindsvater möglich, die Schwester des Antragstellers bis 17.15 Uhr und den Antragsteller bis spätestens 18.30 Uhr abzuholen.
Ein Vortrag, ob die Kindsmutter über ihren Arbeitgeber einen Tiefgaragenstell Platz an ihrem Arbeitsplatz erlangen könnte, ist nicht gegeben, jedoch könnte bei Bejahung desselben auch eine andere zumutbare Verteilung der Hol- und Bringsituation durch die Eltern des Antragstellers ergeben.
Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 154 Abs. 1 VwGO.
Das Verfahren ist nach § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfrei.


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