Verwaltungsrecht

Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage gegen die Abschiebungsandrohung

Aktenzeichen  M 21 S 17.39759

Datum:
7.9.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3d, § 3e, § 30 Abs. 1, § 34 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, § 36 Abs. 4 S. 1, § 75
AufenthG AufenthG § 59, § 60 Abs. 7 S. 1, S. 2

 

Leitsatz

Ein gesunder junger, alleinstehender Mann ohne Kinder kann seinen Lebensunterhalt im Süden Malis sicherstellen, sodass für ihn im Falle einer Bedrohung eine innerstaatliche Fluchtalternative besteht. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der nicht ausgewiesene Antragsteller ist nach eigenen Angaben malischer Staatsangehöriger. Er reiste am 22. September 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 31. März 2016 bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) einen Asylantrag.
Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt brachte der Antragsteller zur Begründung seines Asylbegehrens vor, nachdem seine Eltern gestorben seien, sei er gemeinsam mit seinen Geschwistern bei dem Dorfhäuptling aufgewachsen. Sie hätten dort immer arbeiten müssen und seien geschlagen worden. Der Häuptling habe eines Tages gedacht, er habe die Tiere, die er gehütet habe, vergiftet und dann versucht, den Antragsteller ebenfalls zu vergiften. Er sei dann sehr krank geworden und habe trotzdem weiter arbeiten müssen. Enes Tages habe er zwei Schafe genommen, sie verkauft und sei geflohen. Der Häuptling habe ihn dann in Bamako aufgespürt und den Leuten dort gedroht, er werde kommen und alles vor Ort regeln. Danach habe er das Land verlassen.
Mit Bescheid vom 27. April 2017, zugestellt am 4. Mai 2017, lehnte das Bundesamt den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf Asylanerkennung sowie auf subsidiären Schutz als offensichtlich unbegründet ab (Nrn. 1 bis 3). Es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4). Der Antragsteller wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen, andernfalls wurde die Abschiebung nach Mali angedroht (Nr. 5). Schließlich wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6).
Zur Begründung heißt es in dem Bescheid, aus dem Vorbringen des Antragstellers ergäben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung außerhalb seines Herkunftsstaates aufhalte oder bei Rückkehr mit politischen Verfolgungsmaßnahmen rechnen müsse. Die vorgetragenen und auch weiterhin befürchteten Probleme und Ängste, welche durch die Drohungen und Misshandlungen durch den Dorfhäuptling entstanden seien, stellten ausschließlich Übergriffe privater Dritter dar. Zudem stehe dem Antragsteller eine inländische Fluchtalternative zur Verfügung.
Der Antragsteller hat am 11. Mai 2017 durch seinen Bevollmächtigten Klage erhoben (M 21 K 17.39759), mit der er beantragt, den Bescheid vom 27. April 2017 aufzuheben und die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen, hilfsweise ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen sowie weiter hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
Gleichzeitig beantragt er,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Zur Begründung wiederholt und vertieft er sein Vorbringen vor dem Bundesamt.
Das Bundesamt hat mit Schreiben vom 16. Mai 2017 die Akten vorgelegt und sich weder zum Klagenoch zum Eilverfahren geäußert.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowohl in diesem als auch im Klageverfahren sowie auf die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag, die kraft Gesetzes (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, § 75 AsylG) ausgeschlossene aufschiebende Wirkung der erhobenen Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen, ist zulässig, aber nicht begründet.
Nach § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf die Aussetzung der Abschiebung in den Fällen der Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen, wobei Tatsachen und Beweismittel, die von den Beteiligten nicht angegeben worden sind, unberücksichtigt bleiben, es sei denn, sie sind gerichtsbekannt oder offenkundig (§ 36 Abs. 4 Satz 2 AsylG). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach– und Rechtslage ist der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts, § 77 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. AsylG. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes liegen vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Abschiebungsandrohung einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166 ff.). Die gerichtliche Überprüfung der vom Bundesamt getroffenen Offensichtlichkeitsfeststellung hat im Hinblick auf den nach Art .19 Abs. 4 GG gebotenen effektiven Rechtsschutz aufgrund der als asylerheblich vorgetragenen oder zu erkennenden Tatsachen und in Anwendung des materiellen Asylrechts erschöpfend, wenngleich mit Verbindlichkeit allein für das Eilverfahren zu erfolgen (BVerfG, B.v. 19.6.1990 – 2 BvR 369/90 – juris Rn. 20). Die Anforderungen entsprechen insofern denjenigen der Ablehnung einer asylrechtlichen Klage als offensichtlich unbegründet (BVerfG, B.v. 19.6.1990 a.a.O. – juris Rn. 21).
Anknüpfungspunkt zur Frage der Bestätigung oder Verwerfung des Sofortvollzugs durch das Gericht muss daher die Prüfung sein, ob das Bundesamt den Antrag zu Recht als offensichtlich unbegründet abgelehnt hat und ob diese Ablehnung auch weiterhin Bestand haben kann.
Das Gericht hat im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auch die Einschätzung des Bundesamtes, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (§ 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG), zum Gegenstand der Prüfung zu machen. Dies ist zwar der gesetzlichen Regelung des § 36 AsylG nicht ausdrücklich zu entnehmen, jedoch gebieten die verfassungsrechtlichen Gewährleistungen der Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 103 Abs. 1 GG die diesbezügliche Berücksichtigung auch im Verfahren nach § 36 AsylG (vgl. zur vergleichbaren Rechtslage nach § 51 Ausländergesetz 1990 BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166/221).
Ein Asylantrag ist gemäß § 30 Abs. 1 AsylG offensichtlich unbegründet, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und die Voraussetzungen für die Flüchtlingseigenschaft (einschließlich der Voraussetzungen für subsidiären Schutz) offensichtlich nicht vorliegen. Dies ist dann anzunehmen, wenn an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise keine Zweifel bestehen und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Ablehnung des Antrags geradezu aufdrängt (BVerfG, B.v. 21.7.2000 – 2 BvR 1429/98 – juris Rn. 3).
Entsprechend diesem Maßstab begegnet die Entscheidung des Bundesamts keinen ernstlichen Zweifeln. Das Gericht folgt den Gründen des angefochtenen Bescheids, nimmt auf diesen Bezug (§ 77 Abs. 2 AsylG) und weist ergänzend auf Folgendes hin:
Soweit der Antragsteller vorträgt, er werde landesweit vom Häuptling seines Dorfes bedroht, weil diesem Tiere gestorben seien, hegt das Gericht bereits erhebliche Zweifel an der Glaubhaftigkeit dieses Vorbringens. Die Ausführungen des Antragstellers sind hinsichtlich der Bedrohungen und Verletzungen durch den Dorfhäuptling, bei dem er aufgewachsen ist, detailarm und vage. Selbst als wahr unterstellt, führt der Vortrag des Antragstellers aber nicht zu einer Anerkennung von Asyl, der Flüchtlingseigenschaft oder subsidiären Schutzes. Überdies steht ihm nach Überzeugung des Gerichts eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung (§ 3e AsylG). Nach dieser Vorschrift wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft trotz sonst zu bejahender Anspruchsvoraussetzungen nicht zuerkannt, wenn er (1.) in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und (2.) sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.
Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben.
Der Süden Malis ist bürgerkriegsfrei. Von den Kampfhandlungen islamistischer Gruppen, die im Januar 2012 ihren Anfang nahmen, war im Wesentlichen der Norden Malis betroffen, wobei auch dort nunmehr nicht mehr von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt auszugehen ist. Das Gericht geht auch davon aus, dass der Kläger als gesunder junger, alleinstehender Mann ohne Kinder seinen Lebensunterhalt im Süden Malis sicherstellen kann, selbst wenn hierfür mehr zu fordern ist als die bloße Sicherung des Existenzminimums. Darüber hinaus ist darauf zu verweisen, dass der Kläger selbst aus dem Süden Malis stammt und zuletzt dort auch gelebt und gearbeitet hat. Es ist deshalb vernünftigerweise zu erwarten, dass der Kläger in seinem Heimatland, mit dessen Gepflogenheiten und Sprache er durchaus vertraut ist, seinen Lebensunterhalt sicherstellen kann.
Soweit der Antragsteller befürchtet, landesweit durch den Häuptling seines Dorfes gefunden zu werden, ist dies – fünf Jahre nachdem er Mali verlassen hat – mehr als unwahrscheinlich. Das Gericht auch keine Zweifel daran, dass sich der Antragsteller dort, insbesondere in den großen Städten im Süden Malis, auch in der Hauptstadt Bamaku mit 2,5 Millionen Einwohner, unbehelligt von seinem Verfolger niederlassen und sich dort eine wenn auch bescheidene Existenz aufbauen kann. Zudem ist dem Antragsteller auch die Inanspruchnahme des Schutzes durch staatliche Behörden möglich und zumutbar. Zwar mag der Dorfhäuptling innerhalb des Dorfes ein „hohes Tier“ sein, dass er aber auch innerhalb der staatlichen Behörden in großen Städten Einfluss besitzt, ist nicht anzunehmen, zumal der Antragsteller in der Vergangenheit nach eigenen Angaben nie Behörden außerhalb des Dorfes um Hilfe ersucht hat, sondern stets zum Häuptling gegangen ist, wenn es ein Problem gegeben hat.
Auch Abschiebungsverbote liegen nicht vor. Die Tatsache, dass die Lebensbedingungen in Mali allgemein hart sind, stellt für sich gesehen keine lebensbedrohliche Situation und Gefahr im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG dar. Im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die einen Ausländer im Falle der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, kann ein Ausländer Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur ausnahmsweise beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Die Abschiebung wäre nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung allenfalls auszusetzen, wenn der Ausländer ansonsten „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde“ (vgl. BVerwG, U. v. 12.7.2001 – 1 C 5.01 – NVwZ 2002, 101), also im Falle einer schlechten Lebensmittelversorgung, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (BVerwG, a.a.O.). Das ist bei einem voll erwerbsfähigen jungen Mann wie dem Antragsteller nicht an-zunehmen.
Die auf der Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet beruhende Abschiebungsandrohung mit der einwöchigen Ausreisefrist nach §§ 34, 36 Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG ist damit nicht zu beanstanden.
Der Antrag ist daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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