Aktenzeichen M 19L DA 16.4811
SGB IX § 84 Abs. 1
Leitsatz
Das Präventionsverfahren, das der Sicherstellung der dauerhaften Fortsetzung des Beschäftigungsverhältnisses dient, verfolgt eine andere Zielrichtung als das behördliche Disziplinarverfahren und rechtfertigt nicht dessen Verzögerung. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Dem Antragsgegner wird zum Erlass einer Disziplinarverfügung, zur Erhebung einer Disziplinarklage oder zur Einstellung des Disziplinarverfahrens eine Frist von drei Monaten ab Zustellung dieses Beschlusses gesetzt.
II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt eine gerichtliche Fristsetzung zum Abschluss eines Disziplinarverfahrens.
Der Antragsteller befindet sich seit 27. Oktober 2010 im Krankenstand. Seit November 2010 ist beim Verwaltungsgericht München ein beamtenrechtliches Klageverfahren wegen Dienstunfähigkeit des Antragstellers anhängig. Seit Juni 2015 läuft beim Zentrum Bayern Familie Soziales – Region Oberbayern, Integrationsamt – ein Präventionsverfahren nach § 84 Abs. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) IX. Mit Schreiben vom 14. Januar 2016 leitete das Polizeipräsidium München ein Disziplinarverfahren gegen den Antragsteller ein. Zugrunde lag der Vorwurf, er sei seit Juli 2015 mehrfach durch das Polizeipräsidium München ausgesprochenen Aufforderungen nicht nachgekommen, dem Ärztlichen Dienst der Bayerischen Polizei Befund- und Entlassungsberichte vorzulegen und sich von diesem untersuchen zu lassen. Einen vom Antragsteller gegen die Untersuchungsanordnung und die Ablehnung, eine Begleitperson zur Untersuchung mitzubringen, gerichteten Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz lehnte das Verwaltungsgericht München mit Beschluss vom 8. Januar 2016 (M 5 E 15.5938) ab; die hiergegen gerichtete Beschwerde wies der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 15. Februar 2016 (3 CE 16.161) zurück. Am 16. Februar 2016 führte der Ärztliche Dienst der Bayerischen Polizei eine polizeiärztliche Untersuchung durch, die am 14. April 2016 fortgesetzt wurde. Mit Schriftsatz vom 11. April 2016 nahm der Antragsteller die Gelegenheit zur Äußerung im Disziplinarverfahren wahr. Nach einem Gesundheitszeugnis vom 28. Juni 2016 war er zum Untersuchungszeitpunkt vorbehaltlich einer weiteren gesundheitlichen Stabilisierung für den Verwaltungsdienst sowohl innerhalb als auch außerhalb der bayerischen Polizei gesundheitlich geeignet und dienstfähig. Ein Gespräch am 27. Juli 2016 endete dennoch mit dem Ergebnis, dass ein Dienstantritt weder beim Polizeipräsidium München noch allgemein im Polizeibereich möglich erscheine. Aus einem Gesundheitszeugnis vom 10. August 2016 ergibt sich, dass aus psychiatrischer Sicht eine chronifizierte seelische Gesundheitsstörung bestehe mit sich hieraus ergebender erheblich verminderter Belastbarkeit. Aus medizinischer Sicht sei ein Arbeitsversuch im Sinne einer Bewährungserprobung und in der Folge ein Dienstantritt im Bereich des Polizeipräsidiums München nicht zu erwarten. Daher werde eine Überprüfung der Einsetzbarkeit vorerst außerhalb des Polizeipräsidiums München und der bayerischen Polizei zur Unterbeweisstellung der Dienstfähigkeit medizinisch befürwortet.
Der Antragsteller beantragte am 21. Oktober 2016 beim Verwaltungsgericht München,
dem Polizeipräsidium München eine Frist zum Abschluss des gegen ihn eingeleiteten Disziplinarverfahrens zu setzen.
Er trug vor, seit seiner Stellungnahme vom 11. April 2016 habe sich in der Sache nichts mehr getan. Der Sachverhalt sei soweit geklärt, dass eine Fortsetzung und zügige Beendigung des Verfahrens möglich gewesen sei.
Der Antragsgegner legte mit Schreiben vom 25. November 2016 die Behördenakten vor, stellte aber keinen Antrag. Er führte aus, derzeit versuche das Bayerische Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr, für den Antragsteller eine Verwendungsmöglichkeit für einen Arbeitsversuch im Innen- und Verwaltungsdienst der Behörden der anderen Geschäftsbereiche zu finden. Ein Abwarten des Ergebnisses der polizeiärztlichen Begutachtung des Antragstellers werde für sachgerecht erachtet. Das Ergebnis der Suche nach einer Verwendungsmöglichkeit werde als wesentlich für die Entscheidung über das weitere Vorgehen im Disziplinarverfahren angesehen.
Der Antragssteller äußerte sich ergänzend mit Schriftsatz vom 12. Dezember 2016 und verwies auf die Belastung durch das laufende Verfahren.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der vorgelegten Behördenakten und der Gerichtsakte verwiesen.
II.
Der Antrag auf Fristsetzung nach Art. 60 Bayerisches Disziplinargesetz (BayDG) hat Erfolg.
Nach Art. 60 Abs. 1 Satz 1 BayDG kann der Beamte bei Gericht die Bestimmung einer Frist zum Abschluss des Disziplinarverfahrens beantragen, wenn ein behördliches Disziplinarverfahren nicht innerhalb von sechs Monaten seit der Einleitung durch Einstellung, durch Erlass einer Disziplinarverfügung oder durch Erhebung der Disziplinarklage abgeschlossen worden ist. Liegt ein zureichender Grund für ein länger als sechs Monate dauerndes behördliches Disziplinarverfahren nicht vor, bestimmt das Gericht nach Art. 60 Abs. 2 Satz 1 BayDG eine Frist, in der das Disziplinarverfahren abzuschließen ist.
Das Polizeipräsidium München hat das Disziplinarverfahren mit Schreiben vom 14. Januar 2016 eingeleitet (vgl. Art. 19 Abs. 1 BayDG), so dass im maßgeblichen Zeitpunkt dieses Beschlusses mehr als sechs Monate vergangen sind.
Ein zureichender Grund für den fehlenden Abschluss des behördlichen Disziplinarverfahrens ist nicht gegeben.
Ein solcher fehlt, wenn eine unangemessene Verzögerung des Disziplinarverfahrens vorliegt, wenn also die Sachaufklärung und die Entscheidung über eine Einstellung des Verfahrens, den Erlass einer Disziplinarverfügung oder die Erhebung der Disziplinarklage nicht mit der gebotenen und möglichen Beschleunigung durchgeführt worden sind (vgl. Köhler in Hummel/Köhler/Mayer, BDG, 6. Aufl. 2016, § 62 Rn. 10). Ein eventuelles säumiges Verhalten der für die Durchführung des Disziplinarverfahrens zuständigen Behörde muss dabei schuldhaft sein (BVerwG, B.v. 11.8.2009 – 2 AV 3.98 – juris Rn. 2).
Wie sich aus der vorgelegten Behördenakte ergibt, handelt es sich vorliegend nicht um ein komplexes Verfahren. Im Mittelpunkt steht der Vorwurf an den Antragsteller, er sei seit Juli 2015 mehrfach durch das Polizeipräsidium München ausgesprochenen Aufforderungen nicht nachgekommen, dem Ärztlichen Dienst der Bayerischen Polizei Befund- und Entlassungsberichte vorzulegen und sich von diesem untersuchen zu lassen. Seit der Äußerung des Antragstellers im Disziplinarverfahren mit Schriftsatz vom 11. April 2016 ist das Disziplinarverfahren nicht fortgeführt worden. Die Gesundheitszeugnisse vom 28. Juni und 10. August 2016 und das am 27. Juli 2016 geführte Gespräch betreffen nicht die Inhalte des behördlichen Disziplinarverfahrens, sondern die Frage des weiteren Einsatzes des Antragstellers in Behörden der Polizei oder der inneren Verwaltung und damit das Präventionsverfahren nach § 84 Abs. 1 SGB IX. Nach dieser Vorschrift schaltet der Arbeitgeber bei Eintreten von personen-, verhaltens- oder betriebsbedingten Schwierigkeiten im Arbeits- oder sonstigen Beschäftigungsverhältnis, die zur Gefährdung dieses Verhältnisses führen können, möglichst frühzeitig die Schwerbehindertenvertretung, die in § 93 SGB IX genannten Mitarbeitervertretungen sowie das Integrationsamt ein, um mit ihnen alle Möglichkeiten und alle zur Verfügung stehenden Hilfen zur Beratung und mögliche finanzielle Leistungen zu erörtern, mit denen die Schwierigkeiten beseitigt werden können und das Arbeitsverhältnis möglichst dauerhaft fortgesetzt werden kann. Das Präventionsverfahren, das hier wohl an die langdauernde Erkrankung des Antragstellers anknüpft und der Sicherstellung der dauerhaften Fortsetzung des Beschäftigungsverhältnisses dient, verfolgt eine andere Zielrichtung als das behördliche Disziplinarverfahren; Gegenstand der disziplinarrechtlichen Bewertung ist die Frage, welche Disziplinarmaßnahme in Ansehung der Persönlichkeit des Beamten geboten ist, um die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes und die Integrität des Berufsbeamtentums möglichst ungeschmälert aufrecht zu erhalten (BVerwG, U.v. 9.10.2014 – 2 B 60.14 – juris Rn. 19; BayVGH, U.v. 29.6.2016 – 16b D13.993 – juris Rn. 36). Auch aus der Äußerung des Antragsgegners ergibt sich nicht, dass das Ergebnis des Präventionsverfahrens für die Entscheidung im Disziplinarverfahren von wesentlicher Bedeutung ist. Auf das beim Verwaltungsgericht München noch laufende beamtenrechtliche Klageverfahren zur Klärung der Dienstfähigkeit des Antragstellers hat sich der Antragsgegner nicht berufen; er hat vielmehr in Kenntnis dieses Umstands das Disziplinarverfahren eingeleitet und nicht nach Art. 24 Abs. 3 Satz 1 BayDG ausgesetzt, was gegen eine Vorgreiflichkeit der Erkenntnisse aus diesem Verfahren spricht.
Dem Antragsgegner war daher eine Frist zu setzen, innerhalb der das Disziplinarverfahren abzuschließen ist. Das Gericht hält hier eine Frist von drei Monaten für ausreichend. Dabei wird einerseits dem Interesse des Antragstellers an einem zügigen Abschluss des Verfahrens Rechnung getragen, andererseits verbleibt dem Antragsgegner ein ausreichender zeitlicher Spielraum, in dem er die Ermittlungen fortsetzen und zum Abschluss bringen kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf Art. 72 Abs. 4 Satz 1 BayDG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (Art. 60 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. Art. 51 Abs. 2 Satz 4 BayDG.