Aktenzeichen M 28 S 17.36632
AsylG § 36
Leitsatz
1 Das Gericht hat bei der Prüfung, ob die Offensichtlichkeitsentscheidung des Bundesamtes ernstlichen Zweifeln begegnet, alle ihm bekannten Rechtsgrundlagen zu berücksichtigen und ist nicht allein auf die vom Bundesamt angeführten Offensichtlichkeitskriterien beschränkt. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die schlechte wirtschaftliche Situation in Nigeria und die damit zusammenhängenden Gefahren führen grundsätzlich nicht zu einer individuellen Gefahr, sondern sind unter die allgemeinen Gefahren zu subsumieren, denen die Bevölkerung allgemein ausgesetzt ist. Ein gesunder junger lediger Mann ist in der Lage, sich mit Gelegenheitsarbeiten „durchzuschlagen“ und sein Existenzminimum zu sichern. (Rn. 21 – 22) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
I.
Der Antragsteller ist nach eigenen Angaben nigerianischer Staatsangehöriger. Nach eigenen Angaben reiste er im Dezember 2016 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 5. Januar 2017 stellte er einen Asylantrag.
Bei der Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 19. Januar 2017 gab der Antragsteller zur Begründung seines Asylantrags im Wesentlichen an:
sein Vater sei gestorben, es gebe niemanden mehr, der ihm helfen könne. Aus diesem Grund hätten sein Bruder und er das Land verlassen und seien nach Libyen gefahren. Er habe nicht genug Geld zum Überleben gehabt. Auch in Lagos habe es keine Arbeit gegeben. Er sei nicht verfolgt worden, sondern habe Nigeria verlassen, um in Libyen zu arbeiten. Die Reise nach Deutschland hätte er durch die Arbeit in Libyen finanziert.
Mit Bescheid vom 30. März 2017, lehnte das Bundesamt die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziffer 1.), auf Asylanerkennung (Ziffer 2.) sowie auf subsidiären Schutz (Ziffer 3.) jeweils als offensichtlich unbegründet ab, stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 4.), forderte den Antragsteller auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen, andernfalls werde er abgeschoben (Ziffer 5.) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 6.).
Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt:
Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des internationalen Schutzes und die Anerkennung als Asylberechtigter lägen offensichtlich nicht vor.
Der Antragsteller sei offensichtlich kein Flüchtling. Staatliche Verfolgung sei nicht vorgetragen worden.
Gemäß § 30 Abs. 2 AsylG sei ein Asylantrag insbesondere offensichtlich unbegründet, wenn nach den Umständen des Einzelfalls offensichtlich ist, dass sich der Ausländer nur aus wirtschaftlichen Gründen oder um einer allgemeinen Notsituation zu entgehen, im Bundesgebiet aufhält. Der Antrag sei daher als offensichtlich unbegründet abzuweisen, da der Antragsteller nach seinen eigenen Angaben sein Heimatland ausschließlich aus wirtschaftlichen Gründen verlassen habe. Aus diesem Grund seien auch die Flüchtlingseigenschaft sowie der subsidiäre Schutz abzulehnen.
Abschiebeverbote lägen nicht vor. Hinsichtlich des § 60 Abs. 5 AufenthG komme in erster Linie eine Verletzung des Art. 3 EMRK in Betracht. In Bezug auf Gefahren einer Verletzung des Art. 3 EMRK, die individuell durch einen konkret handelnden Täter drohten, sei keine andere Bewertung als bei der Prüfung des subsidiären Schutzes denkbar. Die derzeitigen humanitären Bedingungen im Nigeria führten auch nicht zu der Annahme, dass bei Abschiebung des Antragstellers ausnahmsweise eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliege. Die hierfür vom EGMR geforderten hohen Anforderungen an den Gefahrenmaßstab seien nicht erfüllt. Auch unter Berücksichtigung der individuellen Umstände des Antragstellers sei die Wahrscheinlichkeit einer Verletzung des Art. 3 EMRK durch die Abschiebung nicht beachtlich. Grundsätzlich sei davon auszugehen, dass für Rückkehrer in Nigeria die Möglichkeit bestehe, ökonomisch eigenständig und allein zu leben und auch ohne Hilfe Dritter zu überleben. Allein in wenigen besonders gelagerten Einzelfällen komme deshalb wegen der allgemeinen schwierigen sozialen und wirtschaftlichen Lage in Nigeria ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 i.V.m. Art. 3 EMRK in Betracht. Ein derartiger Ausnahmefall könne hier nicht angenommen werden. Der 21-jährige, gesunde Antragsteller verfüge nach eigenen Angaben über 10 Jahre Schulbildung und habe vor seiner Ausreise als Holzfäller gearbeitet.
Es sei davon auszugehen, dass der Antragsteller in Nigeria für seinen Lebensunterhalt sorgen könne.
Dem Antragsteller drohe auch keine individuelle Gefahr für Leib oder Leben, die zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG führen würde. .
Die Abschiebungsandrohung sei gemäß § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG zu erlassen. Die Ausreisefrist von einer Woche ergebe sich aus § 36 Abs. 1 AsylG. Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG werde nach § 11 Abs. 2 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.
Der Bescheid wurde ausweislich der Behördenakten am 1. April 2017 zugestellt.
Gegen diesen Bescheid erhob der Antragsteller am 5. April 2017 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München und beantragte, den Bescheid des Bundesamtes vom 30. März 2017 in den Ziffern 1.) und 3.) bis 6.) aufzuheben sowie die Antragsgegnerin zu verpflichten, festzustellen, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft vorliegen, die Beklagte zu verpflichten, den subsidiären Schutzstatus anzuerkennen sowie die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG bestehen. Diese Klage, über die noch nicht entschieden ist, wurde zunächst unter dem Aktenzeichen M 21 K 17.36632 und wird nunmehr unter dem Aktenzeichen M 28 K 17.36632 geführt. Ferner beantragte er ebenfalls am 5. April 2017, hinsichtlich der Ausreiseaufforderung und der Abschiebungsandrohung die aufschiebende Wirkung der der Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird ergänzend auf die Gerichtsakten und die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung zulässig (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, § 75 AsylG; § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO i.V.m. § 36 Abs. 3 AsylG), jedoch unbegründet.
Die Aussetzung der Abschiebung darf nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen (Art. 16 a Abs. 4 Satz 1 GG, § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG). Ernstliche Zweifel liegen dann vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhalten wird (BVerfGE 94, 166, 194). Tatsachen und Beweismittel, die von den Beteiligten nicht angegeben worden sind, bleiben unberücksichtigt, es sei denn, sie sind gerichtsbekannt oder offenkundig (§ 36 Abs. 4 Satz 2 AsylG).
Die Androhung der Abschiebung unter Bestimmung einer Ausreisefrist von einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung stützt sich auf die Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet (§ 34 Abs. 1 i.V.m. § 36 Abs. 1 AsylG). Das Gericht hat daher die Einschätzung des Bundesamts, dass die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und für die Zuerkennung internationalen Schutzes offensichtlich nicht vorliegen, zum Gegenstand seiner Prüfung zu machen. Maßgeblich ist dabei, ob sich diese Einschätzung im Ergebnis als tragfähig und rechtmäßig erweist. Darüber hinaus hat das Gericht gemessen am Maßstab der ernstlichen Zweifel auch zu prüfen, ob das Bundesamt zu Recht das Vorliegen von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG verneint hat (vgl. zum Ganzen: Marx, Kommentar zum AsylG, 9. Auflage 2017, § 36 Rdnr. 43, 56 f. jew. m.w.N.). Das Gericht hat bei der Prüfung, ob die – nicht im Ermessen stehende – Offensichtlichkeitsentscheidung des Bundesamtes ernstlichen Zweifeln begegnet, alle ihm bekannten Rechtsgrundlagen zu berücksichtigen und ist nicht allein auf die Prüfung der vom Bundesamt angeführten Offensichtlichkeitskriterien beschränkt (VG Aachen, Beschluss vom 20.03.2017 – 2 L 103/17.A). In Anwendung dieser Grundsätze kommt das Gericht zu der Überzeugung, dass der Asylantrag des Antragstellers zum Zeitpunkt der Entscheidung gemäß § 30 AsylG als offensichtlich unbegründet anzusehen ist.
Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffen Bescheids vom 30. März 2017. Das Bundesamt ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und für die Zuerkennung internationalen Schutzes offensichtlich nicht vorliegen. Nicht zu beanstanden ist auch, dass das Bundesamt keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG festgestellt hat. Dem Antragsteller droht offensichtlich weder im Hinblick auf die allgemeine Situation in Nigeria noch aufgrund besonderer individueller Umstände eine asylerhebliche Bedrohung, Verfolgung oder Gefährdung im Sinne des Art. 16 a Abs. 1 GG sowie der §§ 3 ff. AsylG, § 4 AsylG und § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG.
Zur Begründung wird zur Vermeidung von Wiederholungen zunächst auf die Ausführungen im Bescheid des Bundesamts 20. März 2017 verwiesen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Nur ergänzend ist noch Folgendes auszuführen:
Es ist insbesondere schon nach den eigenen Angaben des Antragstellers davon auszugehen, dass er sich aus rein wirtschaftlichen Gründen bzw. um einer allgemeinen Notsituation zu entgehen, im Bundesgebiet aufhält (§ 30 Abs. 2 AsylG).
Es bestehen auch keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller im Falle einer Rückkehr nach Nigeria in eine derart schlechte wirtschaftliche Lage kommen könnten, dass ausnahmsweise in seinem außergewöhnlichen Einzelfall aufgrund schlechter humanitärer Bedingungen bzw. einer mit hoher Wahrscheinlichkeit bestehenden extremen Gefahrenlage ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG bzw. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in Betracht zu ziehen wäre (dazu BVerwG, U. v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 23 – 26 sowie Rn. 38).
Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die schlechte wirtschaftliche Situation in Nigeria – hier leben immer noch ca. 70% der Bevölkerung am Existenzminimum und sind von informellem Handel und Subsistenzwirtschaft abhängig (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria – Lagebericht – vom 21. November 2016, Stand September 2016, Nr. I.2.) – und die damit zusammenhängenden Gefahren grundsätzlich nicht zu einer individuellen, gerade dem Antragsteller drohenden Gefahr führt, sondern unter die allgemeinen Gefahren zu subsumieren ist, denen die Bevölkerung oder relevante Bevölkerungsgruppe allgemein ausgesetzt ist und die gemäß § § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG durch Anordnungen gemäß § 60 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen sind (VG Augsburg, Beschluss vom 20. Januar 2017 – Au 7 S 16.32934).
Die Rechtsprechung geht zudem überwiegend davon aus, dass ein gesunder, junger, lediger Mann in Nigeria in der Lage ist, sein Existenzminimum zu sichern (vgl. z.B. VG Augsburg, Beschluss vom 09.05.2017 – Au 7 S 17.31306, VG München, Beschluss vom 21. Juli 2017, M 28 S. 17-36429). Der Antragsteller hat dies selbst im Ausland, hier in Libyen, für mehrere Monate geschafft. Er hat in Nigeria immerhin 10 Jahre lang die Schule besucht, wenn auch ohne Abschluss. Ausreichend ist in Bezug auf die wirtschaftliche Situation des Antragstellers, dass es ihm voraussichtlich gelingen wird, sich mit Gelegenheitsarbeiten „durchzuschlagen“ (vgl. hierzu VG Minden, Urteil vom 14.03.2017 – 10 K 2413/16.A sowie VG Würzburg, Urteil vom 12. August 2016 – W 1 K 16.30842). Nur als ergänzende Erwägung kommt hinzu, dass der Antragsteller im Falle einer freiwilligen Rückkehr nach Nigeria finanzielle Unterstützung aus den Programmen REAG bzw. GARP erhalten kann, die es ihm erleichtern würden, eine Übergangszeit bis zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zu überbrücken (vgl. hierzu VG Minden, Urteil vom 14.03.2017 – 10 K 2413/16.A).
Nach alldem war der gemäß § 83 b AsylG gerichtskostenfreie Antrag mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.