Verwaltungsrecht

Ausreichende Sachverhaltsaufklärung bei einem Zweitantrag nach § 71a AsylG

Aktenzeichen  RN 5 S 17.34611

Datum:
9.10.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 80 Abs. 5
AufenthG AufenthG § 11 Abs. 1, § 60 Abs. 7
AsylG AsylG § 26a, § 36 Abs. 4 S. 1, § 71a
RL 2013/32/EU Art. 13 Abs. 2 lit. b
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 34

 

Leitsatz

1. Bei einem Zweitantrag nach § 71a AsylG muss der vorangegangene erfolglose Abschluss eines Asylverfahrens in einem Mitgliedstaat ermittelt werden; bloße Mutmaßungen genügen nicht. (Rn. 10 – 11) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es gehört zu den Obliegenheiten des Asylbewerbers, dass er eine ablehnende Entscheidung des anderen EU-Mitgliedstaats auch bei seiner Antragstellung vorlegt und so bei der Aufklärung des Sachverhalts mitwirkt. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine Aufklärung durch das Bundesamt im Antwort-Request-Verfahren kann ausreichend sein (so auchVG München BeckRS 2017, 123896). (Rn. 13 – 16) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Der Antragsteller, senegalischer Staatsangehöriger, vom Volk der Wolof und muslimischen Glaubens, stellte am 22.10.2013 bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) einen Asylantrag. Der Antragsteller hat bereits in Belgien einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Er trug vor, dass er bisexuell sei und sein Asylantrag in Belgien abgelehnt worden sei. Auf ein Informationsersuchen des Bundesamtes teilte die belgische Behörde mit Schreiben vom 16.5.2017 mit, dass das Verfahren zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz in Belgien erfolglos abgeschlossen wurde (Bl. 152 BA).
Mit Bescheid des Bundesamtes vom 28.8.2017 wurde der Antrag als unzulässig abgelehnt (Nr. 1). Es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nicht vorliegen (Nr. 2) und der Antragsteller aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen. Die Abschiebung in den Senegal wurde angedroht (Nr. 3). Schließlich wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 36 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 4).
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, es handele sich bei dem erneuten Asylantrag in der Bundesrepublik Deutschland um einen Zweitantrag im Sinne des § 71 a AsylG, da der Antragsteller bereits in einem sicheren Drittstaat gemäß § 26 a AsylG ein Asylverfahren erfolglos betrieben habe. Wiederaufgreifensgründe habe der Antragsteller weder dargelegt noch seien sie sonst ersichtlich. Abschiebungsverbote auch wegen gesundheitlicher Gründe lägen nicht vor. Zwar sei der Antragsteller nach einer Schilddrüsenoperation auf die Einnahme des Hormonpräparates L-Tyroxin angewiesen. Es handele sich hier aber ein Medikament, das in Dakar erhältlich sei.
Gegen den am 31.8.2017 zugestellten Bescheid reichte der Antragsteller zur Niederschrift des Gerichts am 4.9.2017 Klage ein und beantragt gleichzeitig,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung gemäß § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen.
Zur Begründung beziehe er sich auf die vorgelegten medizinischen Unterlagen. Wegen seiner chronischen Erkrankung (Schilddrüsentumor) könne er im Senegal keinen Lebensunterhalt verdienen. Infolgedessen sei ihm auch nicht möglich, die erforderlichen Medikamente auch für den erhöhten Augendruck zu bezahlen. Er müsse auch noch möglicherweise an der Schilddrüse operiert werden, weil die Ultraschall-Befunde immer unscharf seien. Sein bester Freund im Senegal sei verstorben, weil er sich die Krankenbehandlung nicht leisten habe können.
Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze sowie auf die vorgelegten Behördenakten und ärztlichen Gutachten Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage ist unbegründet.
Gemäß §§ 71 a Abs. 4 i.V.m. § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf die Aussetzung der Abschiebung im Fall eines Zweitantrags, in dem ein weiteres Asylverfahren nicht durchgeführt wird, nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen. Ernstliche Zweifel in diesem Sinne liegen dann vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (vgl. BVerfG vom 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – juris, Rn. 99). Dies ist hier im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AsylG) nicht der Fall.
Nach § 71 a Abs. 1 AsylG ist dann, wenn ein Ausländer nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat (§ 26a AsylG), für den Rechtsvorschriften der europäischen Gemeinschaft nur die Zuständigkeit für die Durchführung von Asylverfahren gelten oder mit dem die Bundesrepublik Deutschland darüber einen völkerrechtlichen Vertrag geschlossen hat, im Bundesgebiet einen Asylantrag (Zweitantrag) stellt, ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des VwVfG vorliegen. Anderenfalls ist der Antrag als unzulässig zurückzuweisen (§ 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG).
§ 71 a AsylG setzt damit den erfolglosen Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat voraus. Ein erfolgloser Abschluss des in einem anderen Mitgliedstaat betriebenen Asylverfahrens setzt voraus, dass der Asylantrag entweder unanfechtbar abgelehnt oder das Verfahren nach Rücknahme des Antrags bzw. dieser gleichgestellten Verfahrensweise endgültig eingestellt worden ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 14.12.2016 – 1 C 4.16 – juris, Rn. 29 ff.; BayVGH, Urteil vom 3.12.2015 – 13a B 15.50069 – juris, Rn. 24 ff.).
Dazu muss der vorangegangene erfolglose Abschluss eines Asylverfahrens in einem Mitgliedstaat ermittelt werden. Bloße Mutmaßungen genügen nicht.
Angaben des Ausländers stellen in aller Regel keine hinreichende verlässliche Tatsachenbasis dar, insbesondere bei Antragsrücknahmen. Wenn aber ein Asylbewerber – wie hier – vorträgt, dass sein Asylgesuch von einem anderen Mitgliedstaat abgelehnt worden ist, gehört es zu seinen Obliegenheiten, dass er diese Entscheidung dann auch bei der Antragstellung vorlegt (vgl. Art. 13 Abs. 2 Buchst. bder Verfahrensrichtlinie Asyl (Richtlinie 2013/32 EU)) und so bei der Aufklärung des Sachverhalts mitwirkt (§ 15 Abs. 1 und 2 Nr. 1 AsylG, so auch VG Frankfurt(Oder) vom 9.3.2017 Az.6 L 203/17.A-,juris).
Das Bundesamt kann sich bei der erforderlichen Aufklärung, ob ein Asylverfahren erfolglos abgeschlossen ist, auch auf das im europäischen Asylsystem vorgesehene Informationsaustauschverfahren, insbesondere auf Art. 34 der Verordnung EU (Nr. 604/2013) stützen. Auch eine solche Antwort im Antwort-Request-Verfahren kann ausreichend sein (so auch VG München v. 4.9.2017 – M 21 S. 17.45996-,juris).
Im vorliegenden Fall ist die Antwort der belgischen Behörde vom 16.5.2017 für die Sachverhaltsermittlung ausreichend, ob das Asylverfahren des Antragstellers mit negativer Sachentscheidung ohne Zuerkennung eines Schutzstatus( s.BVerwG a.a.O.Rn.30) abgeschlossen worden ist und ob dieses Verfahren unanfechtbar ist.
Auf ein Informationsersuchen nach Art. 34 VO (EU) Nr. 604/2013 hat der Mitgliedstaat Belgien im Schreiben vom 16.5.2017 die erbetenen Informationen, einschließlich eingelegter Rechtsbehelfe und deren Ausgang, übermittelt. Mit Schreiben vom 16.5.2017 hat Belgien dem Bundesamt mitgeteilt, dass der Antragsteller dort am 30.3.2012 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat. Eine ablehnende Entscheidung erging nach materieller Prüfung am 17.8.2013 („after asubstantive examination“) und wurde am 17.9.2013 in einem Rechtsbehelfsverfahren („appeal) erneut bestätigt (Bl. 152 BA). Nachdem in diesem Antwortschreiben ausdrücklich der Hinweis erfolgt ist, dass eine materielle Prüfung stattgefunden hat, kann im europäischen Asylsystem davon ausgegangen werden, dass im dortigen Mitgliedstaat das Asylvorbringen des Antragstellers daraufhin geprüft wurde, ob ein internationaler Schutzanspruch besteht und gegebenenfalls noch, ob nationaler Abschiebungsschutz besteht (s. Art. 5 der Verfahrensrichtlinie 2013/32/EU).
Eine Vorlage der belgischen Entscheidung mit Gründen ist nicht nötig. Nach Art. 34 Abs. 3 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 kann der zuständige Mitgliedstaat zwar außerdem einem anderen Mitgliedstaat ersuchen, ihm die Gründe, die den Antrag des Antragstellers zugrunde liegen und gegebenenfalls die Gründe für die bezüglich seines Antrags getroffenen Entscheidungen mitzuteilen, soweit dies zur Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlich ist. Dazu muss der Asylbewerber aber zustimmen. Zudem kann der andere Mitgliedstaat unter bestimmten Voraussetzungen die Beantwortung des Ersuchens ablehnen.
Im vorliegenden Fall ist es bei summarischer Prüfung nicht erforderlich, die Sachentscheidung aus Belgien anzufordern. Der Antragsteller trägt vor, dass er wegen seiner Bisexualität in seinem Heimatland verfolgt worden sei. Er handelt sich hier aber um Vorverfolgungsgründe, die der Antragsteller bereits in seinem früheren Asylverfahren im anderen Mitgliedstaat vorbringen hätte können. Es handelt sich hier nicht um neue Tatsachen i. S. d. § 71 a Abs. 1 i. V. m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG.
Das Bundesamt hat deshalb zu Recht den Antrag als unzulässig abgelehnt (Nr. 1 des Bescheides).
Es liegen zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts auch keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 7 AsylG aus gesundheitlichen Gründen vor. Das Bundesamt hat im angefochtenen Bescheid bereits ausführlich dargelegt, dass wegen der Schilddrüsenoperation im Februar 2014 und der notwendigen Medikation aus gesundheitlichen Gründen keine Abschiebungsverbote vorliegen. Das Gericht nimmt insoweit Bezug auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Bescheides, denen es folgt (§ 77 Abs. 2 AsylG). Der Antragsteller hat auch im gerichtlichen Verfahren keine qualifizierte Bescheinigung nach § 60 a Abs. 2 c AufenthG vorgelegt, aus der sich eine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung ergibt. Nach der durchgeführten Schilddrüsenoperation im Februar 2014 hat der Antragsteller nach dem vorgelegten Gutachten zwar rechts und links noch Schilddrüsenreste. Doch der Tumormarker ist stabil und weiterhin niedrig (so ärztliches Attest vom 14.6.2017 von Dr. … …, Bl. 19 GA). Als Therapie wird die Fortführung der aktuellen Schilddrüsenmedikamentation empfohlen sowie eine Tumornachsorgeuntersuchung in sechs Monaten).
Die vom Antragsteller benötigte Medikation entspricht medizinischen Standards. Sie ist auch im Senegal erhältlich, wie im Bescheid bereits ausgeführt ist.
Der Antragsteller hat auch nicht durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung belegt, dass er wegen einer Augenerkrankung (Glaukom) oder Migräne eine lebensbedrohliche oder schwer wiegende Erkrankung hat. Bei Glaukom gibt es verschiedene Schweregrade. Aus der vorgelegten ärztlichen Bescheinigung des Augenarztes Dr. … vom 15.6.2015 ergibt sich aber nur ein Verdacht auf Glaukom. Aus dem ärztlichen Attest des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. … vom 25.9.2015 ergibt sich ein grenzwertig erhöhter Augeninnendruck und chronische Kopfschmerzen. Insgesamt ergibt sich aus diesen Attesten keine lebensbedrohliche oder schwer wiegende Erkrankung.
Es liegt deshalb derzeit keine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung vor.
Außerdem ist der Antragsteller vollschichtig arbeitsfähig. Nach der vorgelegten sozialmedizinischen gutachterlichen Stellungnahme der Bundesagentur für Arbeit vom 6.12.2016 ist der Antragsteller vollschichtig arbeitsfähig. Dabei ist sein Zustand nach Schilddrüsentumor-OP bereits berücksichtigt. Bei der gebotenen generalisierenden Betrachtungsweise kann deshalb davon ausgegangen werden, dass der Antragsteller arbeitsfähig ist und bei Rückkehr in den Senegal Arbeit finden und dort nicht verelenden wird. Insoweit folgt das Gericht den Ausführungen im angefochtenen Bescheid und sieht gemäß § 77 Abs. 2 AsylG von einer weiteren Darstellung der Gründe ab.
Der Antrag ist daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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