Aktenzeichen M 21 S 17.40291
Leitsatz
1 Wird ein Asylantrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt, hat die gerichtliche Prüfung sich nicht nur auf die Feststellungen des Bundesamtes zum Vorliegen von Asylgründen und der Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und des subsidiären Schutzes zu beschränken. Auch das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG ist zum Gegenstand der Prüfung zu machen, auch wenn dies § 36 AsylG nicht ausdrücklich zu entnehmen ist. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2 Der Beginn einer Berufsausbildung spielt im Rahmen der für die Abschiebungsandrohung nach § 34 AsylG maßgeblichen Prüfung zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote keine Rolle. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gründe
I.
Der nicht ausgewiesene Antragsteller ist nach eigenen Angaben malischer Staatsangehöriger. Er reiste am 28. Dezember 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 1. September 2016 bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) einen Asylantrag.
Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt am 14. Oktober 2016 brachte der Antragsteller zur Begründung seines Asylbegehrens vor, sein Vater sei bei der Armee gewesen. Er habe den seine Frau und den Antragsteller nach Bamako geschickt, weil es in Tinam, wo sie gewohnt hätten, nicht mehr sicher gewesen sei. Der Antragsteller habe in Bamako dann Wahlkampf für die Partei Adema gemacht. Er habe später gegen Bezahlung einen Putschversuch unternommen. Er sei dann gefangen genommen und gefoltert worden. Ein Freund seines Vaters habe ihm zur Flucht verholfen. Ein weiterer Freund habe ihm dann geraten, Mali zu verlassen und der Freund seines Vaters habe ihm über einen Geldtransfer-Service Geld für die Flucht zukommen lassen. Auf der Reise sei er in der Sahara von Rebellen gefangen genommen worden. er habe dann 32.000 Fcfa gezahlt und sei freigelassen worden. Er habe in Mali außerdem noch ein religiöses Problem gehabt. Er habe sich mit der Tochter des Imam seines Heimatdorfes angefreundet, was von diesem nicht gutgeheißen worden sei.
Mit Bescheid vom 5. Mai 2017 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf Asylanerkennung sowie auf subsidiären Schutz als offensichtlich unbegründet ab (Nrn. 1 bis 3). Es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4). Der Antragsteller wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen, andernfalls wurde die Abschiebung nach Mali angedroht (Nr. 5). Schließlich wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6).
Zur Begründung heißt es in dem Bescheid, die Schilderungen des Antragstellers seien nicht glaubhaft. Sie wirkten konstruiert und auswendig gelernt. Selbst als wahr unterstellt, habe sich die Sachlage in Mali zugunsten des Antragstellers geändert. Ihm drohe jedenfalls jetzt keine Gefahr mehr. Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG lägen entsprechend der allgemeinen Lage in Mali und unter Berücksichtigung der individuellen Umstände des Antragstellers nicht vor.
Der Antragsteller hat am 16. Mai 2017 durch seinen Bevollmächtigten Klage erhoben (M 21 K 17.40289),
mit der er (sinngemäß) beantragt, den Bescheid vom 5. Mai 2017 mit Ausnahme der Ziffer 2 aufzuheben und die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen sowie weiter hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
Gleichzeitig beantragt er,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Zur Begründung nimmt er Bezug auf sein Vorbringen im Rahmen der Anhörung und weist ergänzend darauf hin, dass er seit dem 1. September 2017 eine Ausbildung als Beton- und Stahlbetonbauer absolviert.
Das Bundesamt hat mit Schreiben vom 23. Mai 2017 die Verwaltungsakte vorgelegt und sich weder zu dem Klagenoch zu dem Eilverfahren geäußert.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowohl in diesem als auch im Eilverfahren sowie auf die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag, die kraft Gesetzes (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, § 75 AsylG) ausgeschlossene aufschiebende Wirkung der erhobenen Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen, ist zulässig, aber nicht begründet.
Nach § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf die Aussetzung der Abschiebung in den Fällen der Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen, wobei Tatsachen und Beweismittel, die von den Beteiligten nicht angegeben worden sind, unberücksichtigt bleiben, es sei denn, sie sind gerichtsbekannt oder offenkundig (§ 36 Abs. 4 Satz 2 AsylG). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach– und Rechtslage ist der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts, § 77 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. AsylG. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes liegen vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Abschiebungsandrohung einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166 ff.). Die gerichtliche Überprüfung der vom Bundesamt getroffenen Offensichtlichkeitsfeststellung hat im Hinblick auf den nach Art .19 Abs. 4 GG gebotenen effektiven Rechtsschutz aufgrund der als asylerheblich vorgetragenen oder zu erkennenden Tatsachen und in Anwendung des materiellen Asylrechts erschöpfend, wenngleich mit Verbindlichkeit allein für das Eilverfahren zu erfolgen (BVerfG, B.v. 19.6.1990 – 2 BvR 369/90 – juris Rn. 20). Die Anforderungen entsprechen insofern denjenigen der Ablehnung einer asylrechtlichen Klage als offensichtlich unbegründet (BVerfG, B.v. 19.6.1990 a.a.O. – juris Rn. 21).
Anknüpfungspunkt zur Frage der Bestätigung oder Verwerfung des Sofortvollzugs durch das Gericht muss daher die Prüfung sein, ob das Bundesamt den Antrag zu Recht als offensichtlich unbegründet abgelehnt hat und ob diese Ablehnung auch weiterhin Bestand haben kann.
Das Gericht hat im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auch die Einschätzung des Bundesamtes, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (§ 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG), zum Gegenstand der Prüfung zu machen. Dies ist zwar der gesetzlichen Regelung des § 36 AsylG nicht ausdrücklich zu entnehmen, jedoch gebieten die verfassungsrechtlichen Gewährleistungen der Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 103 Abs. 1 GG die diesbezügliche Berücksichtigung auch im Verfahren nach § 36 AsylG (vgl. zur vergleichbaren Rechtslage nach § 51 Ausländergesetz 1990 BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166/221).
Ein Asylantrag ist gemäß § 30 Abs. 1 AsylG offensichtlich unbegründet, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und die Voraussetzungen für die Flüchtlingseigenschaft (einschließlich der Voraussetzungen für subsidiären Schutz) offensichtlich nicht vorliegen. Dies ist dann anzunehmen, wenn an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise keine Zweifel bestehen und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Ablehnung des Antrags geradezu aufdrängt (BVerfG, B.v. 21.7.2000 – 2 BvR 1429/98 – juris Rn. 3).
Entsprechend diesem Maßstab begegnet die Entscheidung des Bundesamts keinen ernstlichen Zweifeln. Das Gericht folgt den Gründen des angefochtenen Bescheids, nimmt auf diesen Bezug (§ 77 Abs. 2 AsylG) und weist ergänzend auf Folgendes hin:
Soweit der Antragsteller im gerichtlichen Verfahren nunmehr geltend macht, er absolviere seit 1. September 2017 eine Berufsausbildung, spielt dies im Rahmen der für der Abschiebungsandrohung nach § 34 AsylG maßgeblichen Prüfung zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote keine Rolle und vermag daher nicht zu einer für den Antragsteller günstigen Entscheidung im vorliegenden Verfahren führen.
Die auf der Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet beruhende Abschiebungsandrohung mit der einwöchigen Ausreisefrist nach §§ 34, 36 Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG ist damit nicht zu beanstanden.
Der Antrag ist daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).