Aktenzeichen 23 O 538/20
BGB § 305c, § 307
Leitsatz
1. Verweisen die Bedingungen einer Betriebsschließungsversicherung zum Deckungsumfang “auf die in §§ 6 und 7 IfSG namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger”, besteht kein Leistungsanspruch, wenn der wegen Covid-19 angeordnete Betriebsschließungszeitraum vor dem Zeitpunkt liegt, zu dem Covid-19 namentlich in das IfSG aufgenommen wurde. (Rn. 20 – 22) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine deratrige Regelung in den Versicherungsbedingungen unterliegt als leistungsbeschreibende Klausel keiner Inhalts- oder Transparenzkontrolle. (Rn. 23 – 25) (redaktioneller Leitsatz)
Gründe
Die zulässige Klage ist unbegründet.
A.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Leistungen aus der Betriebs und Mehrkostenversicherung für diejenigen wirtschaftlichen Nachteile, die ihr im Zeitraum zwischen dem 18.03.2020 und dem 17.04.2020 wegen der auf Grund von COVID-19 über das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege vom 16.03.2020 angeordneten Schließung ihres Betriebs entstanden sein mögen.
Für behördlich wegen COVID-19 angeordnete Betriebsschließungen besteht im vorliegenden Fall frühestens ein Versicherungsschutz ab dem 23.05.2020. Der hier geltend gemachte Unterbrechungsschaden soll indes schon vor diesem Zeitpunkt eingetreten sein.
I.
Der streitgegenständliche Unterbrechungsschaden ist nicht vom Versicherungsschutz umfasst.
Der Umfang des zwischen den Parteien vereinbarten Versicherungsschutzes bestimmt sich aus dem Vertrag und den dazugehörigen Versicherungsbedingungen (Anlage K2). Letztere bestimmen als versicherte Betriebsunterbrechung nur solche behördlichen Betriebsschließungen, die auf Grund meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger ergangen sind. Dabei definiert § 5 Nr. 2 der Versicherungsbedingungen weiter, dass nicht beliebige Krankheiten oder Krankheitserreger den Versicherungsfall auslösen sollen, sondern allein Betriebsschließungen auf Grund der „in den §§ 6 und 7 Infektionsschutzgesetz namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger“.
Maßgeblich bei der Auslegung dieser Versicherungsbedingungen ist, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer diese nach aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verständig würdigen und verstehen muss (vgl. BGH r+s 2010, 286 [287]).
Dies vorausgeschickt, ist die Klausel von den „in den §§ 6 und 7 Infektionsschutzgesetz namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger“ so zu verstehen, dass frühestens und erst bei Aufnahme von Krankheiten und Krankheitserreger in das IfSG ein Versicherungsschutz für daraufhin angeordnete Betriebsschließungen bestehen soll. Denn der Satzbestandteil, „namentlich genannt“, kann in seinem Regelungskontext nur so verstanden werden, dass der Versicherungsschutz allein und ausschließlich für die im IfSG ausdrücklich genannten Krankheiten und Krankheitserreger bestehen soll – „namentlich“ im IfSG genannt sind mit anderen Worten die im IfSG „ausdrücklich“ genannten Krankheiten und Krankheitserreger. So nehmen die Versicherungsbedingungen ohne weitere Ergänzung oder Einschränkungen auf die Bestimmungen der §§ 6 und 7 IfSG Bezug und führen den Begriff der Krankheiten und Krankheitserreger an keiner anderen Stelle näher aus. Dies kann bei verständiger Würdigung nur so verstanden werden, dass die Parteien damit den Begriff der Krankheiten und Krankheitserreger durch den Inhalt des IfSG abschließend haben definieren wollen (vgl. dazu OLG Hamm, COVuR 2020, 536 [537] mAnm. Reiff; LG Essen, Urteil vom 11.11.2020, Az. 18 O 180/20, BeckRS 2020, 34553, Rdnr. 23; LG Stuttgart, Urteil vom 29.10.2020, Az. 35 O 32/20, BeckRS 2020, 2..9758 Rdnr. 15; LG Bayreuth, Endurteil vom 15.10.2020, Az. 21 O 281/20, BeckRS 2020, 2..9047 Rdnr. 15; ferner LG Ravensburg, COVuR 2020, 765 [766]).
Für diese Sichtweise spricht dabei insbesondere, dass durch die Bezugnahme auf das IfSG und die dort enumerativ aufgezählten Krankheiten und Krankheitserreger der Versicherungsumfang nachvollziehbar verständlich wird. Ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer wird die Versicherungsbedingungen so verstehen, dass nur bei ihrem Namen genannten Krankheiten und Krankheitserreger versichert sind (siehe auch LG Lüneburg, Urteil vom 30.11.2020, Az. 5 O 171/20, BeckRS 2020, 3..3998 Rdnr. 25). Ohne einen Bezug auf konkrete Krankheiten und Krankheitserreger läge es letztlich völlig im Unklaren, für welche Erreger überhaupt ein Versicherungsschutz bestehen soll; ein Versicherungsschutz für Betriebsschließungen auf Grund sämtlich nur denkbarer (infektiöser) Erreger kann ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer aus dem Sinnzusammenhang der Versicherung nämlich nicht erwarten. Dies schon deshalb nicht, weil eine Versicherung, die sämtliche möglichen – also auch gegenwärtig noch völlig unbekannten – Infektionen umfassen würde, sich in ihrem Risiko und ihren Kosten schon versicherungslogisch nicht kalkulieren ließe.
Im von der Klägerin geltend gemachten Zeitraum vom 18.03.2020 bis zum 17.04.2020 warCOVID-19 nicht von den im IfSG genannten Krankheiten und Krankheitserreger umfasst. Der Gesetzgeber hat COVID-19 erst mit Wirkung zum 23.05.2020 in das Gesetz aufgenommen. Die zuvor ergangene, und mit dem Zweiten Bevölkerungsschutzgesetz außer Kraft gesetzte, Verordnung des Bundesministeriums für Gesundheit vom 30.01.2020 hat den Kanon der im IfSG genannten Krankheiten und Krankheitserreger nämlich gerade nicht erweitert. Dies ist erst durch das bereits genannte Zweiten Bevölkerungsschutzgesetz geschehen, das COVID-19 jetzt ausdrücklich erfasst, vgl. §§ 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Buchst, t) und 7 Abs. 1 Nr. 44a IfSG. Die ministerielle Verordnung hingegen hatte allein zum Gegenstand, dass eine Infektion mit COVID-19 als zunächst gerade nicht im IfSG genannte Krankheit gleichwohl den Gesundheitsämtern namentlich zu melden ist – mit diesem „namentlich“ gemeint ist, dass eine COVID-19-lnfektion über die Infektion als solche hinaus mit bestimmten Personendaten des Infizierten zu melden gewesen war (vgl. § 9 IfSG). Eine ausdrückliche Aufnahme von COVID-19 in das IfSG ist damit nicht verbunden gewesen – hierzu wäre der Verordnungsgeber auch nicht ermächtigt gewesen.
II.
Einen Anspruch auf Versicherungsleistungen kann die Klägerin auch nicht daraus herleiten, dass § 15 Nr. 2 der Versicherungsbedingungen den Umfang versicherter behördlicher Betriebsschließungen unwirksame beschränken würde.
Einer Transparenz- oder Inhaltskontrolle gemäß §§ 305c oder 307 BGB steht schon entgegen, dass es sich bei § 15 Nr. 2 der Versicherungsbedingungen um eine leistungsbeschreibende Klausel handelt, die nicht der Klauselkontrolle unterfällt.
Klauseln, die – wie hier – der erstmaligen Beschreibung des vertraglichen Inhalts dienen, legen bei Vertragsschluss fest, was als Leistung versprochen ist und können schon aus diesem Grund begriffslogisch nicht von einer (noch gar nicht eingegangen) Verpflichtung abweichen (vgl. Weiler, in: Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann [GesamtHrsg], Beck-Online Großkommentar, Stand: 01.12.2020, § 308 Rdnr. 58). Leistungsbeschreibende Klauseln unterfallen deshalb nicht der Klauselkontrolle (BT-Drs. 14/7052, S. 188; BGH, NJW 1987, 1931 [1935]; vgl. auch H. Schmidt, in: Hau/Poseck [Hrsg.], BeckOK BGB, 56. Edition Stand: 01.11.2020, § 307 Rdnr. 159).
§ 15 Nr. 2 der Versicherungsbedingungen legt den Umfang der von den Parteien geschuldeten Vertragsleistungen fest, da diese den Versicherungsfall und damit letztlich die Hauptleistungspflicht der Beklagten überhaupt erst (teilweise) definiert. Mit § 15 Nr. 2 der Versicherungsbedingungen ist also keine Beschränkung der Leistungspflicht der Beklagten verbunden, sondern es werden zuallererst die Grenzen der Reichweite des Versicherungsfalles abgesteckt (LG Lünebürg, Urteil vom 30.11.2020, Az. 5 O 171/20, BeckRS 2020, 3..3998 Rdnr. 29; siehe auch LG Es sen, Urteil vom 11.11.2020, Az. 18 O 180/20, BeckRS 2020, 34553, Rdnr. 29).
Unbeschadet dessen wäre bei einer Unwirksamkeit der Klausel angesichts des Verbots der geltungserhaltenden Reduktion (siehe dazu Basedow, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufläge 2019, § 306 Rdnr. 16) der Versicherungsfall auch gar nicht mehr definiert, weil die Definition der Krankheiten und Krankheitserreger wegfallen würde. Die Ansicht der Klägerin würde damit völlig unklar werden lassen, im welchem Fall dann Anspruch auf Versicherungsleistungen bestünden (so zu Recht LG Lüneburg, a.a.O.).
III.
Unabhängig vorstehender Ausführungen ist § 15 Nr. 2 der Versicherungsbedingungen aber auch in der Sache weder intransparent (§ 305c BGB) noch unbillig benachteiligend (§ 307 BGB).
1. Die streitgegenständliche Versicherungsbedingung ist nicht intransparent gemäß § 305c BGB. Dies insbesondere nicht vor dem Hintergrund der im Groß-Zusammenhang erfolgenden unterschiedlichen Verwendung des Wortes „namentlich“.
Neben der oben dargestellten Verwendungsweise im Sinne von „ausdrücklich“ verwendet der IfSG-Gesetzgeber den Begriff „namentlich“ auch zur Konkretisierung dessen, wie aufgetretenen Krankheiten und Krankheitserreger zu melden sind. „Namentlich“ meint dort, dass die Meldung an die Gesundheitsämter unter konkreter Benennung des Infizierten zu erfolgen hat.
Für die Auslegung und das Verständnis eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers bzgl. des Inhalts der streitgegenständlichen Versicherungsbedingung spielt dies allerdings keine Rolle. Wie oben ausgeführt, bestehen keine vernünftigen Zweifel daran, dass „namentlich“ im Sinne des § 15 Nr. 2 der Versicherungsbedingungen den Bezug (allein) zu den ausdrücklich im IfSG genannten Krankheiten und Krankheitserregern herstellt. Dass der Begriff „namentlich“ an anderer Stelle eine andere Verwendung findet/hat, „verunklart“ den Auslegungsbefund der Verwendungsweise innerhalb der streitgegenständlichen Bedingung nicht, sondern liegt in der Natur der menschlichen Sprache. Es mag an dieser Stelle der sprachphilosophische Hinweis auf die kategoriale Differenz zwischen (so nach Carnap) der Intension eines sprachlichen Zeichens und dessen Extension oder (nach Frege) zwischen dessen Sinn einerseits und dessen Bedeutung andererseits ausreichen – kurz: dasselbe sprachliche Zeichen kann je nach Kontext seiner Verwendung eine unterschiedliche Intension bzw. einen unterschiedlichen Sinn haben (z.B. wäre die Bezeichnung vom „Sonnenaufgang“ im alltagssprachlichen Kontext tunlich, im wissenschaftlichen Kontext aber grober Unfug, weil die Sonne ein Fixstern ist und damit nicht „aufgehen“ kann).
2. Die Versicherungsbedingung des § 15 Nr. 2 benachteiligt die Klägerin auch nicht, so dass der Vertragszweck gefährdet wäre, § 307 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 BGB.
Zweck des Versicherungsvertrages ist die Zahlung einer fixen Geldsumme für den Fall der behördlichen Betriebsschließung auf Grund ausdrücklich im IfSG genannter Krankheiten und Krankheitserreger. Die Beklagte ist als Versicherung grundsätzlich frei in der Bestimmung, welche Risiken sie in den von ihr angebotenen Leistungsumfang aufnehmen möchte und welche nicht. Das heißt mit anderen Worten, die Beklagte deckt mit dem Verweis auf die „namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger“ leicht nachvollziehbar ein kleineres Spektrum versicherter Ereignisse ab, als der Gesetzgeber den Behörden für Betriebsschließungen über das IfSG zur Verfügung stellt (LG Lüneburg, Urteil vom 30.11.2020, Az. 5 O 171/20, BeckRS 2020, 33998, Rdnr. 36). Eine Gefährdung des Vertragszwecks ist damit nicht verbunden. Ein solches Vorgehen ist vielmehr üblich. Versicherungen dienen stets nur der Erfassung spezifischer Risikoaspekte ab. Es steht einem Versicherungsnehmer ohne weiteres frei, einen umfassenderen Versicherungsschutz – wohl in der Regel gegen eine höhere Versicherungsprämie – zu vereinbaren. Eine andere Beurteilung liefe im Ergebnis daraus hinaus, entweder nur alles oder nichts versichern zu können (LG Stuttgart, Urteil vom 29.10.2020, Az. 35 O 32/20, BeckRS 2020, 2..9758 Rdnr. 19)
B.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 1 und 2 ZPO.
C.
Der Streitwert ist gemäß §§ 63 Abs. 2, 48 GKG in Verbindung mit § 3 ZPO festgesetzt worden.