Verwaltungsrecht

Eilrechtsschutz bei Herkunft aus einem sicheren Herkunftsstaat

Aktenzeichen  M 21 S 17.45983

Datum:
13.9.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 80 Abs. 2 S. 1, Abs. 5
GG GG Art. 16 Abs. 3 S. 1
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
AsylG AsylG § 30 Abs. 1, § 34 Abs. 1 S. 1, § 36 Abs. 4, § 75, § 77 Abs. 2

 

Leitsatz

1 Wird der Asylantrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt, hat die gerichtliche Überprüfung der vom Bundesamt getroffenen Offensichtlichkeitsfeststellung aufgrund der vorgetragenen Tatsachen und in Anwendung des materiellen Asylrechts erschöpfend, wenngleich mit Verbindlichkeit allein für das Eilverfahren zu erfolgen. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
2 Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist auch die Einschätzung des Bundesamtes, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vorliegen, zum Gegenstand der Prüfung zu machen, auch wenn dies der gesetzlichen Regelung des § 36 AsylG nicht ausdrücklich zu entnehmen ist. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der nicht ausgewiesene Antragsteller ist nach eigenen Angaben ghanaischer und libyscher Staatsangehöriger. Er reiste am 27. Juli 2016 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 14. September 2016 bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) einen Asylantrag.
Der Antragsteller wurde mit Urteil des Amtsgerichts München vom 25. Januar 2016 wegen vorsätzlichen gewerbsmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und einem Monat verurteilt.
Bei seiner Anhörung durch das Bundesamt am 4. Juli 2017 brachte der Antragsteller zur Begründung seines Asylbegehrens vor, er habe Ghana bereits im Alter vor 14 Jahren verlassen. Er habe bis dahin seinen Vater nie kennengelernt. Seine Mutter habe ihn auf seinen Wunsch nach Libyen zu seinem Vater gebracht. Er habe sich dann von seiner Mutter losgesagt, da sie eine Schlampe sei. Sein Vater habe ihn freudig empfangen. Er habe dort eine Ausbildung begonnen. Als der Krieg in Libyen begonnen habe, sei sein Vater im ersten Helikopter, der von Gadafi nach Bengasi geschickt worden sei, abgeschossen worden und verstorben. Er selbst sei dann nach Tripolis gegangen. Dort sei es irgendwann schlechter geworden. Seine Freundin sei schwanger geworden und er habe Drogen genommen. Eines Tages habe er beschlossen, dass er gemeinsam mit seiner Familie nach Europa kommen wolle. Die Freundin habe das Kind auf dem Boot verloren. Sie hätten dann gemeinsam in Italien gelebt, bis seine Freundin erneut schwanger geworden sei. Er habe sie dann nach Deutschland geschickt, weil die Lebenssituation in Italien schlecht gewesen sei. Nach Ghana könne er nicht zurück, weil er seine Mutter hasse. Zudem kenne er dort niemanden.
Mit Bescheid vom 10. Juli 2017 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf Asylanerkennung sowie auf subsidiären Schutz als offensichtlich unbegründet ab (Nrn. 1 bis 3). Es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4). Der Antragsteller wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen, andernfalls wurde die Abschiebung nach Ghana angedroht (Nr. 5).
Zur Begründung heißt es in dem Bescheid, der Antragsteller stamme aus einem sicheren Herkunftsstaat im Sinne des Art. 16a Abs. 3 Satz 1 GG. Er habe nichts glaubhaft vorgetragen oder vorgelegt, was zu der Überzeugung gelangen ließe, dass in seinem Falle, entgegen der Einschätzung der allgemeinen Lage in seinem Herkunftsstaat, die vorgenannten Voraussetzungen für die Annahme einer begründeten Furcht vor Verfolgung oder die Gefahr eines ernsthaften Schadens erfüllt seien.
Der Antragsteller hat am 18. Juli 2017 durch seinen Bevollmächtigten Klage erhoben (M 21 K 17.45982), mit der er (sinngemäß) beantragt,
den Bescheid vom 10. Juli 2017 aufzuheben und die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen, hilfsweise ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen sowie weiter hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
Gleichzeitig beantragt er,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Zur Begründung nimmt er Bezug auf sein Vorbringen im Rahmen der Anhörung.
Das Bundesamt hat mit Schreiben vom 13. Juli 2017 die Verwaltungsakte vorgelegt und sich weder zu dem Klagenoch zu dem Eilverfahren geäußert.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowohl in diesem als auch im Eilverfahren sowie auf die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag, die kraft Gesetzes (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, § 75 AsylG) ausgeschlossene aufschiebende Wirkung der erhobenen Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen, ist zulässig, aber nicht begründet.
Nach § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf die Aussetzung der Abschiebung in den Fällen der Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen, wobei Tatsachen und Beweismittel, die von den Beteiligten nicht angegeben worden sind, unberücksichtigt bleiben, es sei denn, sie sind gerichtsbekannt oder offenkundig (§ 36 Abs. 4 Satz 2 AsylG). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach– und Rechtslage ist der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts, § 77 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. AsylG. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes liegen vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Abschiebungsandrohung einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166 ff.). Die gerichtliche Überprüfung der vom Bundesamt getroffenen Offensichtlichkeitsfeststellung hat im Hinblick auf den nach Art .19 Abs. 4 GG gebotenen effektiven Rechtsschutz aufgrund der als asylerheblich vorgetragenen oder zu erkennenden Tatsachen und in Anwendung des materiellen Asylrechts erschöpfend, wenngleich mit Verbindlichkeit allein für das Eilverfahren zu erfolgen (BVerfG, B.v. 19.6.1990 – 2 BvR 369/90 – juris Rn. 20). Die Anforderungen entsprechen insofern denjenigen der Ablehnung einer asylrechtlichen Klage als offensichtlich unbegründet (BVerfG, B.v. 19.6.1990 a.a.O. – juris Rn. 21).
Anknüpfungspunkt zur Frage der Bestätigung oder Verwerfung des Sofortvollzugs durch das Gericht muss daher die Prüfung sein, ob das Bundesamt den Antrag zu Recht als offensichtlich unbegründet abgelehnt hat und ob diese Ablehnung auch weiterhin Bestand haben kann.
Das Gericht hat im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auch die Einschätzung des Bundesamtes, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (§ 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG), zum Gegenstand der Prüfung zu machen. Dies ist zwar der gesetzlichen Regelung des § 36 AsylG nicht ausdrücklich zu entnehmen, jedoch gebieten die verfassungsrechtlichen Gewährleistungen der Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 103 Abs. 1 GG die diesbezügliche Berücksichtigung auch im Verfahren nach § 36 AsylG (vgl. zur vergleichbaren Rechtslage nach § 51 Ausländergesetz 1990 BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166/221).
Ein Asylantrag ist gemäß § 30 Abs. 1 AsylG offensichtlich unbegründet, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und die Voraussetzungen für die Flüchtlingseigenschaft (einschließlich der Voraussetzungen für subsidiären Schutz) offensichtlich nicht vorliegen. Dies ist dann anzunehmen, wenn an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise keine Zweifel bestehen und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Ablehnung des Antrags geradezu aufdrängt (BVerfG, B.v. 21.7.2000 – 2 BvR 1429/98 – juris Rn. 3).
Entsprechend diesem Maßstab begegnet die Entscheidung des Bundesamts keinen ernstlichen Zweifeln. Das Gericht folgt den Gründen des angefochtenen Bescheids und nimmt auf diesen Bezug (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Die auf der Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet beruhende Abschiebungsandrohung mit der einwöchigen Ausreisefrist nach §§ 34, 36 Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG ist damit nicht zu beanstanden.
Der Antrag ist daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben