Aktenzeichen Au 7 K 16.31586
Leitsatz
1 Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, nämlich der alleinstehenden Frauen, die vom Menschenhandel betroffen sind oder waren und sich davon befreit haben, mag die Zugehörigkeit zu einer abgrenzbaren sozialen Gruppe im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG darstellen. (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)
2 Das Gericht geht davon aus, dass die weibliche Genitalverstümmelung in allen bekannten Formen nach wie vor in Nigeria verbreitet ist. (Rn. 54 und 55) (redaktioneller Leitsatz)
3 Nach den Erkenntnismaterialien gibt es keinerlei Beleg dafür, dass bei der Volksgruppe der Edo bzw. Bini überhaupt noch die Praxis der weiblichen Beschneidung durchgeführt wird. (Rn. 58) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klagen werden abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Über die Klagen konnte trotz Ausbleibens der Beklagten in der mündlichen Verhandlung am 21. Juni 2017 entschieden werden. In der Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde darauf hingewiesen, dass bei Ausbleiben eines Beteiligten nach § 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann.
Die zulässigen Klagen sind unbegründet.
Der Bescheid vom 5. August 2016 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger zu 1 bis 4 nicht in ihren Rechten. Die Kläger haben weder einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 AsylG) noch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes (§ 4 AsylG). Auch Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen nicht vor (§ 113 Abs. 1 und 5 VwGO).
1. Die Kläger haben keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG.
Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Eine solche Verfolgung kann nicht nur vom Staat ausgehen (§ 3c Nr. 1 AsylG), sondern auch von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (§ 3c Nr. 2 AsylG) oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (§ 3c Nr. 3 AsylG). Allerdings wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (§ 3e Abs. 1 AsylG).
Als vorverfolgt gilt ein Schutzsuchender dann, wenn er aus einer durch eine eingetretene oder unmittelbar bevorstehende politische Verfolgung hervorgerufenen ausweglosen Lage geflohen ist. Die Ausreise muss das objektive äußere Erscheinungsbild einer unter dem Druck dieser Verfolgung stattfindenden Flucht aufweisen. Das auf dem Zufluchtsgedanken beruhende Asyl- und Flüchtlingsrecht setzt daher grundsätzlich einen nahen zeitlichen (Kausal-) Zusammenhang zwischen der Verfolgung und der Ausreise voraus.
In der Klage wird geltend gemacht, dass die Klägerin zu 1 in Nigeria Opfer von Menschenhandel geworden sei (nachfolgend unter a) und der Klägerin zu 2 bei einer Rückkehr nach Nigeria Genitalverstümmelung (nachfolgend unter b) drohe.
Das Gericht bewertet jedoch die behaupteten Verfolgungsgeschichten als unglaubhaft.
Es obliegt nämlich dem Schutzsuchenden, sein Verfolgungsschicksal glaubhaft zur Überzeugung des Gerichts darzulegen. Er muss daher die in seine Sphäre fallenden Ereignisse, insbesondere seine persönlichen Erlebnisse, in einer Art und Weise schildern, die geeignet ist, seinen geltend gemachten Anspruch lückenlos zu tragen. Dazu bedarf es – unter Angabe genauer Einzelheiten – einer stimmigen Schilderung des Sachverhalts. Daran fehlt es in der Regel, wenn der Schutzsuchende im Lauf des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellungen nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe nicht nachvollziehbar erscheinen, und auch dann, wenn er sein Vorbringen im Laufe des Verfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Begehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (VGH BW, U.v. 27.8.2013 – A 12 S 2023/11 – juris; HessVGH, U.v. 4.9.2014 – 8 A 2434/11.A – juris).
An der Glaubhaftmachung von Verfolgungsgründen fehlt es in der Regel, wenn der Ausländer im Laufe des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellung nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe unglaubhaft erscheint.
So liegt der Fall hier.
a) Es lässt sich nicht feststellen, dass die Klägerin zu 1 vor ihrer Ausreise aus Nigeria oder im Falle ihrer Rückkehr nach Nigeria landesweit von politischer Verfolgung betroffen war bzw. bedroht sein wird.
Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, nämlich der alleinstehenden Frauen, die von Menschenhandel betroffen sind oder waren, sich davon befreit haben (und die Täter angezeigt haben vgl. VG Würzburg, U.v. 17.11.2015 – W 2 K 14.30213 – juris) mag die Zugehörigkeit zu einer abgrenzbaren sozialen Gruppe im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG darstellen. Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 AsylG wegen begründeter Furcht vor Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (§ 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG) kommt im Falle der Klägerin zu 1 jedoch nicht in Betracht, da ihr Vorbringen nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlungen nicht glaubhaft ist bzw. zur Überzeugung des Gerichts nicht den Tatsachen entspricht.
Die Verfolgungsgeschichte der Klägerin zu 1 ist vielmehr derart von nicht aufklärbaren Widersprüchen und Ungereimtheiten gekennzeichnet, dass das Gericht nicht die volle tatrichterliche Überzeugung (§ 108 VwGO) gewonnen hat, dass von einer Verfolgung der Klägerin zu 1 als Opfer von Menschenhandel auszugehen ist.
Die Klägerin zu 1 konnte den geltend gemachten Verfolgungsgrund, in Nigeria Opfer von Menschenhandel geworden zu sein, nicht glaubhaft machen.
Im gesamten Vortrag ergeben sich zunächst erhebliche Widersprüche und Unstimmigkeiten hinsichtlich des zeitlichen Ablaufs der Reise und der Aufenthaltsorte der Klägerin zu 1.
Im Rahmen der Anhörung vor dem Bundesamt gab die Klägerin zu 1 an, vor ihrer Einreise in Italien sieben Monate in Mali und zwei bzw. fünf Monate in Tunesien (Protokoll über die Anhörung vor dem Bundesamt, nachfolgend: BA-Protokoll, S. 2 Frage 7 und S. 4) gelebt zu haben. Da ihre Ausreise aus Nigeria im Jahr 1995 gewesen sein soll, ist der Vortrag in der mündlichen Verhandlung (Niederschrift über die mündliche Verhandlung, nachfolgend: Niederschrift, S. 4), im Jahr 2000 nach Italien gekommen zu sein, ebenso unschlüssig, wie ihr Vortrag hierzu vor dem Bundesamt (BA-Protokoll, S. 2 Frage 7), 5 Jahre bevor ihre Kinder geboren worden seien, nach Italien gekommen zu sein, was dann im Jahr 2002 gewesen wäre.
Weiter will die Klägerin zu 1 nach ihrem Vortrag im Rahmen der Anhörung vor dem Bundesamt (BA-Protokoll, S. 4) nach ihrer Ankunft in Italien nach … gekommen und vom Schleuser aufgesucht worden sein. Das Leben einer Prostituierten habe angefangen.
In der mündlichen Verhandlung gab die Klägerin zu 1 an, sechs Monate in … gelebt zu haben. Sollte die Klägerin zu 1 tatsächlich Opfer von Menschenhandel geworden sein, hätte sie nicht unbehelligt sechs Monate in … bei Personen aus Ghana leben können. Mit Sicherheit wäre sie gleich angegangen worden, das ausstehende Geld zu bezahlen oder zu „erarbeiten“. Sie gab hierzu in der mündlichen Verhandlung an, in … gar nichts getan zu haben. Nicht nachvollziehbar ist es in diesem Zusammenhang, dass der Schleuser wegen des ausstehenden Geldbetrags für die Reise mit dem Vater der Klägerin zu 1 in Nigeria Kontakt aufgenommen haben soll, während dieser in … jedenfalls nicht an die Klägerin zu 1 herangetreten sein soll, dies, obwohl sie sich ihren Angaben entsprechend dort sechs Monate lang aufgehalten hat (Niederschrift, S. 4).
Während die Klägerin zu 1 vor dem Bundesamt vortrug, in … – wenn auch ungern – als Prostituierte gearbeitet zu haben (BA-Protokoll, S. 4), verneinte sie in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich die Tätigkeit als Prostituierte in Italien (Niederschrift, s. 4).
In diesem Zusammenhang ist es völlig unglaubwürdig, dass die Klägerin zu 1 ab dem Jahr 2001 und danach in dem Zeitraum, als sie mit dem Vater ihrer Kinder zusammen war, also von 2006 bis 2012/2013, keinerlei Probleme mit dem Schleuser wegen der von ihr noch nicht bezahlten Reisekosten gehabt haben will. Ebenso unglaubwürdig ist, dass die Klägerin zu 1 im Jahr 2001 unproblematisch von … weggehen konnte und die Zeit bis 2006 im Grunde allenfalls mit sehr geringen finanziellen Mitteln überstanden haben will.
Weiter ist es nicht glaubhaft, dass sie unproblematisch von … nach … fliegen konnte.
Die Unglaubwürdigkeit des Sachvortrags der Klägerin zu 1 wird auch durch die unschlüssigen Ausführungen zu dem Grund ihrer Ausreise im Jahr 1995 untermauert. Sie gab an, vergewaltigt worden zu sein und in der Folge ein Kind bekommen zu haben. Sollte die Vergewaltigung tatsächlich der Grund für ihre Ausreise gewesen sein, ist nicht nachvollziehbar, warum die Ausreise erst im Jahr 1995 erfolgt sein soll, während das Kind bereits im Jahr 1989 geboren wurde. Auch insoweit lässt sich ein weiterer Widerspruch feststellen. In der mündlichen Verhandlung gab die Klägerin zu 1 an, Nigeria verlassen zu haben, als ihr Kind ein Jahr alt gewesen wäre. Das kann nicht in Einklang gebracht werden mit ihrer Ausreise im Jahr 1995.
Die Schilderung der Klägerin zu 1 zu ihrer Schleusung aus Nigeria ist jedenfalls nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnismaterialien nicht als Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung von Frauen anzusehen. Ansonsten hätte sie nicht derart lange Zeitspannen, wie von der Klägerin zu 1 selbst geschildert, ohne Einflussnahme des Schleusers leben können. Auch wäre es der Klägerin zu 1 mit Sicherheit nicht so leicht gelungen, sich der Tätigkeit, als Prostituierte zu arbeiten, zu entziehen. Wenn die Klägerin zu 1 zwar auch von Bedrohungen ihrer Person und ihrer in Nigeria lebenden Familie berichtet, so wurden hierzu keine konkreten Bedrohungen erwähnt. Vielmehr führte sie in der mündlichen Verhandlung aus, an den Voodoo-Zauber, mit dem die Bedrohungen verknüpft sind, selbst nicht mehr zu glauben, da ihren Kindern tatsächlich nichts passiert sei (BA-Protokoll, S. 5).
Da der Sachvortrag der Klägerin zu 1, sie sollte zur Prostitution gezwungen werden, um ihre Schulden für die Organisation der Reise abzuarbeiten, nach alledem nicht glaubhaft ist, kann zur Überzeugung des Gerichts hier nicht von einer Bedrohung der Klägerin zu 1 durch Menschenhändler ausgegangen werden, so dass die Zuerkennung von Flüchtlingsschutz nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG nicht in Betracht kommt.
b) Soweit für die Klägerin zu 2 im Fall einer Rückkehr nach Nigeria eine Genitalverstümmelung geltend gemacht wird, kann auch insoweit zur Überzeugung des Gerichts nicht von einer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eintretenden Gefahr für die Klägerin zu 2 ausgegangen werden.
Allerdings geht das Gericht nach den vorliegenden Erkenntnissen grundsätzlich davon aus, dass die weibliche Genitalverstümmelung in allen bekannten Formen nach wie vor in Nigeria verbreitet ist. Schätzungen zur Verbreitung der weiblichen Genitalverstümmelung gehen jedoch weit auseinander und reichen von 19% bis zu 50% bis 60% (vgl. dazu etwa Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria – Lagebericht – vom 21. November 2016, Stand September 2016, Nr. II.1.8).
Es wird zwar teilweise von einem Rückgang der Beschneidungspraxis bzw. einem Bewusstseinswandel ausgegangen, dennoch ist die Beschneidungspraxis noch in den Traditionen der nigerianischen Gesellschaft verwurzelt. Nach traditioneller Überzeugung dient die weibliche Genitalverstümmelung der Sicherung der Fruchtbarkeit, der Kontrolle der weiblichen Sexualität, der Verhinderung von Promiskuität und der Sicherung der wirtschaftlichen Zukunft der Frauen durch eine Heirat. Angesichts des Umstandes, dass teilweise nur eine beschnittene Frau als heiratsfähig angesehen wird, kann der Druck auf die Betroffenen als auch auf deren Eltern zur Durchführung einer Beschneidung erheblich sein. Zur Erreichung der „Heiratsfähigkeit“ sind häufig gerade weibliche Familienmitglieder bemüht, die Beschneidung durchführen zu lassen und mitunter erfolgt dies auch gegen den Willen der Eltern. Übereinstimmend wird davon ausgegangen, dass die weibliche Genitalverstümmelung besonders in ländlichen Gebieten und hierbei insbesondere im Süden bzw. Südwesten und im Norden des Landes verbreitet ist. Das Beschneidungsalter variiert von kurz nach der Geburt bis zum Erwachsenenalter und ist abhängig von der jeweiligen Ethnie. Eine einheitliche, bundesweite Gesetzgebung gegen die Beschneidungspraxis gibt es nicht, eine Verfolgung ist lediglich nach dem allgemeinen Strafrecht möglich. Einige Bundesstaaten, darunter auch, haben Gesetze gegen die Genitalverstümmelung erlassen; allerdings sind Verfahren bislang nicht bekannt geworden; ein effektiver Schutz von Frauen und Mädchen durch diese Gesetze müsse bezweifelt werden, jedoch werde von einem Rückgang der Eingriffe berichtet; FGM werde auch gegen den Willen der Eltern durchgeführt (vgl. Auswärtiges Amt – Lagebericht – a.a.O.; Auswärtiges Amt, Auskunft an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 18.7.2008 und vom 21.8.2008; vgl. auch Lageberichte vom 28. August 2013, Nr. II.1.8; und vom 6. Mai 2012, Nr.II.1.8; zum Ganzen außerdem Institut für Afrikakunde, Auskunft an das VG Düsseldorf vom 28. März 2003; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Informationszentrum Asyl und Migration – weibliche Genitalverstümmelung – Formen, Auswirkungen, Verbreitung, Asylverfahren – April 2010; ACCORD – Nigeria – Frauen, Kinder, sexuelle Orientierung, Gesundheitsversorgung, 21. Juni 2011, S. 6ff; WHO, Eliminating female genital mutiliation – an interagency statement – 2008, http://apps.who.int/iris/bitstream/10665/43839/1/ 9789241596442_eng.pdf; VG Aachen, U.v. 16.9.2014 – 2 K 2262/13.A – juris, m.w.N.).
Auf Grund der Angaben der Klägerin zu 1 hat das Gericht jedoch nicht die Überzeugung gewonnen, dass eine Beschneidung der Klägerin zu 2 im Falle der Rückkehr in ihr Heimatland beachtlich wahrscheinlich ist.
Die Mutter der Klägerin zu 2 führt selbst aus, dass sie auf keinen Fall eine Beschneidung ihrer Tochter wolle. Daher ist davon auszugehen, dass jedenfalls im familiären Bereich eine Beschneidung der Klägerin zu 2 nicht droht. Hinzu kommt, dass der Vater der Klägerin zu 2 aus … stammt, während die Kläger aus … kommen. Nachdem die Klägerin zu 1 weiter ausführte, seit vier Jahren keinerlei Kontakt zu dem Vater ihrer Kinder zu haben, ist es unverständlich, wie eine Gefahr durch eine bevorstehende Beschneidung bestehen könnte.
Lediglich ergänzend wir ausgeführt, dass es nach den Erkenntnismaterialien keinerlei Beleg dafür gibt, dass bei der Volksgruppe der Edo, der die Kläger angehören wollen, überhaupt noch die Praxis der weiblichen Beschneidung durchgeführt wird. Insoweit führt die Auskunft des Bundesamts vom 7. Juli 2005 aus, dass nach Befragung der Angehörigen zu der Volksgruppe der Bini, welche auch als Edo bezeichnet werde, die „Praxis der weiblichen Beschneidung“ übereinstimmend als überkommener und bereits seit vielen Jahren als entgegenstehender Brauch zurückgewiesen worden sei (Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 7.7.2005, Az.: 508-516.80/43807).
2. Der beantragte (unionsrechtliche) subsidiäre Abschiebungsschutz nach § 4 AsylG bleibt ohne Erfolg, wofür ergänzend auf die zu § 3 AsylG erläuterten Gründe (siehe unter 1.) verwiesen wird.
Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt dabei auch die Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG). Die Art der Behandlung oder Bestrafung muss eine Schwere erreichen, die dem Schutzbereich des Art. 3 EMRK zuzuordnen ist und für den Fall, dass die Schlechtbehandlung von nichtstaatlichen Akteuren ausgeht, muss der Staat erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sein, Schutz zu gewähren (§ 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG i.V.m. § 3 c Nr. 3 AsylG).
Gemessen an diesen Maßstäben haben die Klägerinnen zu 1 und 2 keinen Anspruch auf die Gewährung subsidiären Schutzes i.S. des § 4 Abs. 1 AsylG. Die Schilderungen zur Gefahr sind völlig unglaubhaft und unsubstantiiert im Sinne von § 30 Abs. 1, Abs. 2 AsylG. Im Herkunftsstaat haben sie (siehe Ausführungen unter 1) keine Gefahr erlebt. Weshalb ihnen bei der Rückkehr ein ernsthafter Schaden, insbesondere eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG) oder gar die Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG) drohen sollte, ist unter keinem Gesichtspunkt erkennbar geworden. Schließlich besteht in Nigeria auch kein internationaler oder innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG.
Für die Kläger zu 3 und 4 wurden keine eigenen Asylgründe geltend gemacht, so dass auch ihnen ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 AsylG) oder auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes (§ 4 AsylG) nicht zusteht.
3. Der streitgegenständliche Bescheid ist auch insoweit rechtmäßig, soweit das Nichtvorliegen von (zielstaatsbezogenen) Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG festgestellt wurde (Ziffer 4 des Bescheids).
a) Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) oder § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind nicht erkennbar.
Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die schlechte wirtschaftliche Situation in Nigeria – hier leben immer noch ca. 70% der Bevölkerung am Existenzminimum und sind von informellem Handel und Subsistenzwirtschaft abhängig (Lagebericht, Nr. I.2.) – und die damit zusammenhängenden Gefahren grundsätzlich nicht zu einer individuellen, gerade den Klägern drohenden Gefahr führt, sondern unter die allgemeinen Gefahren zu subsumieren ist, denen die Bevölkerung oder relevante Bevölkerungsgruppe allgemein ausgesetzt ist und die gemäß § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG durch Anordnungen gemäß § 60 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen sind.
Der Umstand, dass im Falle einer Aufenthaltsbeendigung die Lage eines Betroffenen erheblich beeinträchtigt würde, reicht allein nicht aus, um einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK anzunehmen; anderes kann nur in besonderen Ausnahmefällen gelten, in denen humanitäre Gründe zwingend gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechen, wie zum Beispiel im Falle einer tödlichen Erkrankung in fortgeschrittenen Stadium, wenn im Zielstaat keine Unterstützung besteht (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C-15/12 – BVerwGE 146, 12-31, juris, Rn. 23 ff m.w.N.). Im Hinblick auf die Bewertung eines Verstoßes gegen Art. 3 EMRK gelten dabei bei der Beurteilung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG die gleichen Voraussetzungen wie bei der Frage der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 60 Abs. 2 AufenthG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG wegen unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – a.a.O. – Rn. 22, 36). Die angebliche Bedrohung der Klägerin zu 1 kann, wie bereits oben unter 1. und 2. ausgeführt wurde, insoweit nicht herangezogen werden.
b) Auch eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib und Leben (§ 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG) für einen Betroffenen aufgrund allgemein für die Bevölkerung bestehender Gefahren, die über diese allgemein bestehenden Gefahren hinausgeht ist, nur im Ausnahmefall im Sinne eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen (BVerwG, U. v. 31.1.2013 – a.a.O. Rn. 38). Ein Ausländer kann im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die ihn im Abschiebezielstaat erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur ausnahmsweise beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser allgemein bestehenden Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Denn nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für die Betroffenen die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen den Betroffenen daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der eine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren (zum Ganzen BVerwG, U.v. 31.1.2013 a.a.O. Rn. 38).
Für derartige besondere Gefahren aufgrund schlechter humanitärer oder wirtschaftlicher Verhältnisse ist hier nichts ersichtlich. Insbesondere kann im Falle der Kläger nicht davon ausgegangen werden, dass die schlechte wirtschaftliche Situation in Nigeria zu einem Abschiebungsverbot aufgrund schlechter humanitärer Verhältnisse führt, die im Ausnahmefall als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK qualifiziert werden könnten. Es kann hier davon ausgegangen werden, dass die Klägerin zu 1 als gesunde arbeitsfähige Frau in der Lage sein wird, ein Existenzminimum für die Familie zu sichern, zumal sie vor der Ausreise in Nigeria ihrer Mutter geholfen hat, Früchte ein- und weiter zu verkaufen. Zudem kann davon ausgegangen werden, dass die Klägerin zu 1 und ihre 3 Kinder im Falle der Rückkehr nach Nigeria Hilfe (z.B. im Rahmen einer Unterkunftsmöglichkeit) bei der noch in Nigeria lebenden 27-jährigen Tochter finden können.
4. Gegen die Befristung des Einreise– und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 AufenthG sind keine substantiierten Einwände erhoben worden und solche sind auch nicht ersichtlich.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO iV. m. § 159 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83 b AsylG).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff ZPO.