Verwaltungsrecht

Erfolgloser Eilantrag gegen die Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet

Aktenzeichen  M 21 S 17.32448

Datum:
12.7.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 80 Abs. 5
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
AsylG AsylG § 30 Abs. 1, § 36 Abs. 1, Abs. 4 S. 1

 

Leitsatz

1 Wird das Vorbringen zum Fluchtschicksal im Klageverfahren vollständig ausgewechselt und ist ohne jeglichen Anknüpfungspunkt zum Vorbringen im Asylverwaltungsverfahren, liegt ein völlig untauglicher Versuch vor, dem Vorbringen nachträglich asylrechtliche Relevanz zu verleihen. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2 Bei einem voll erwerbsfähigen jungen Mann, insbesondere wenn er auch noch über familiäre Bindungen in Sierra Leone verfügt, besteht regelmäßig keine extreme Gefahrenlage im Hinblick auf die Lebensbedingungen dort. (Rn. 18 – 19) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der nicht ausgewiesene Antragsteller ist nach eigenen Angaben sierra-leonischer Staatsangehöriger und reiste am 18. November 2013 auf dem Landweg von Frankreich kommend in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 4. April 2014 stellte der Antragsteller beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) Antrag auf Asyl.
Der Antragsteller führte bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt am 6. September 2016 zur Begründung seines Asylantrages aus, er habe im Krieg seinen Vater verloren. In Sierra Leone gebe es Korruption und Ermordungen. Er habe um sein Leben rennen müssen. Er wisse nicht, was in den neun Jahren nach Ermordung seines Vaters passiert sei. Er wisse auch nicht, an welchen Orten er sich befunden habe. Er habe die Namen der Orte nicht verstehen können. Jedenfalls könne er nicht nach Sierra Leone zurückgehen.
Mit Bescheid vom 3. Februar 2017 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf Asylanerkennung sowie auf subsidiären Schutz als offensichtlich unbegründet ab (Nrn. 1 bis 3), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4), forderte den Antragsteller zum Verlassen der Bundesrepublik innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung auf und drohte die Abschiebung nach Sierra Leone an (Nr. 5). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.
Zur Begründung heißt es in dem Bescheid, der Antragsteller habe nicht ansatzweise flüchtlingsrelevante Fluchtgründe oder Anknüpfungsmerkmale vorgetragen. Er sei in seinen Schilderungen oberflächlich, allgemein und unpräzise geblieben. Es bestünden zudem erhebliche Zweifel, ob dies tatsächlich der Wahrheit entsprche. Selbst wenn dies aber so sei, stellten die Schilderungen des Antragstellers keinen flüchtlingsrelevanten Fluchtgrund dar. Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz1 AufenthG lägen entsprechend der allgemeinen Lage in Sierra Leone und unter Berücksichtigung der individuellen Umstände des Antragstellers nicht vor. Er sei in erwerbsfähigem Alter und habe familiäre Bildungen in Sierra Leone. Es bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass er nicht im Stande sein würde, bei einer Rückkehr sich eine zumindest existenzsichernde Grundlage zu schaffen.
Der Antragsteller hat am 9. Februar 2017 zur Niederschrift Klage erhoben (M 21 K 17.32447) und (sinngemäß) beantragt, den Bescheid vom 3. Februar 2017 mit Ausnahme der Ziffer 2 aufzuheben und die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen sowie weiter hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
Gleichzeitig wurde beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Zur Begründung ließ der Antragsteller durch seine nunmehr bestellte Bevollmächtigte vortragen, sein Vater sei bereits vor seiner Geburt im Jahr 1995 getötet worden. Der Antragsteller habe sich nach dem Ende seiner Schulzeit im Alter von 12 Jahren einer Gruppe, den Kamajors, angeschlossen, da diese über genügend Essen und medizinische Versorgung verfügt hätten. Diese seien aber aufgrund ihrer Brutalität und ihren primären Ziels des Handels mit Blutdiamanten vielerorts gehasst gewesen. Zudem hätten sie aktiv Kindersoldaten rekrutiert. Der Antragsteller sei dann geflüchtet, obwohl bekannt sei, dass die Kamajors geflüchtete Kindersoldaten mit aller Härte und Brutalität verfolgten und töteten.
Das Bundesamt hat mit Schreiben vom 10. Februar 2017 die Akten vorgelegt und sich weder zu der Klage noch zu dem Antrag geäußert.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten in diesem und im Klageverfahren sowie auf die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Der Antrag, die kraft Gesetzes (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, § 75 AsylG) ausgeschlossene aufschiebende Wirkung der erhobenen Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen, ist zulässig, aber nicht begründet.
Nach § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf die Aussetzung der Abschiebung in den Fällen der Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen, wobei Tatsachen und Beweismittel, die von den Beteiligten nicht angegeben worden sind, unberücksichtigt bleiben, es sei denn, sie sind gerichtsbekannt oder offenkundig (§ 36 Abs. 4 Satz 2 AsylG). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts, § 77 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. AsylG. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes liegen vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Abschiebungsandrohung einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166 ff.). Die gerichtliche Überprüfung der vom Bundesamt getroffenen Offensichtlichkeitsfeststellung hat im Hinblick auf den nach Art .19 Abs. 4 GG gebotenen effektiven Rechtsschutz aufgrund der als asylerheblich vorgetragenen oder zu erkennenden Tatsachen und in Anwendung des materiellen Asylrechts erschöpfend, wenngleich mit Verbindlichkeit allein für das Eilverfahren zu erfolgen (BVerfG, B.v. 19.6.1990 – 2 BvR 369/90 – juris Rn. 20). Die Anforderungen entsprechen insofern denjenigen der Ablehnung einer asylrechtlichen Klage als offensichtlich unbegründet (BVerfG, B.v. 19.6.1990 a.a.O. – juris Rn. 21).
Anknüpfungspunkt zur Frage der Bestätigung oder Verwerfung des Sofortvollzugs durch das Gericht muss daher die Prüfung sein, ob das Bundesamt den Antrag zu Recht als offensichtlich unbegründet abgelehnt hat und ob diese Ablehnung auch weiterhin Bestand haben kann.
Das Gericht hat im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auch die Einschätzung des Bundesamtes, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (§ 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG), zum Gegenstand der Prüfung zu machen. Dies ist zwar der gesetzlichen Regelung des § 36 AsylG nicht ausdrücklich zu entnehmen, jedoch gebieten die verfassungsrechtlichen Gewährleistungen der Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 103 Abs. 1 GG die diesbezügliche Berücksichtigung auch im Verfahren nach § 36 AsylG (vgl. zur vergleichbaren Rechtslage nach § 51 Ausländergesetz 1990 BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166/221).
Ein Asylantrag ist gemäß § 30 Abs. 1 AsylG offensichtlich unbegründet, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und die Voraussetzungen für die Flüchtlingseigenschaft (einschließlich der Voraussetzungen für subsidiären Schutz) offensichtlich nicht vorliegen. Dies ist dann anzunehmen, wenn an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise keine Zweifel bestehen und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Ablehnung des Antrags geradezu aufdrängt (BVerfG, B.v. 21.7.2000 – 2 BvR 1429/98 – juris Rn. 3).
Entsprechend diesem Maßstab begegnet die Entscheidung des Bundesamts keinen ernstlichen Zweifeln. Das Gericht folgt den Gründen des angefochtenen Bescheids, nimmt auf diesen Bezug (§ 77 Abs. 2 AsylG) und weist ergänzend auf Folgendes hin:
Insbesondere die im Klageverfahren komplett ausgetauschte Verfolgungsgeschichte des Antragstellers, wonach er nunmehr Mitglied der Kamajors gewesen sein soll und wegen seiner Flucht aus der Gemeinschaft mit dem Tode bedroht werde, wertet das Gericht als nachträglichen, völlig unglaubhaften Versuch, dem Vorbringen des Antragstellers asylrechtliche Relevanz zu verleihen. Dieser Vortrag findet keinerlei Anknüpfungspunkt in dem Vorbringen des Antragstellers bei der persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt. Überdies widerspricht die nunmehr vorgetragene Version nochmals dem ohnehin schon widersprüchlichen Vortrag des Antragstellers beim Bundesamt: Während dieser bei einer Anhörung durch die Regierung von Oberbayern am 27.März 2014 noch behauptete, sein Vater habe ihm seine Ausweisdokumente weggenommen, als er noch klein gewesen sei und er auch zu Beginn seiner Anhörung vor dem Bundesamt noch im Präsens darlegte, sein Vater lebe in Magbass, behauptet der Antragsteller noch im Laufe der Anhörung, sein Vater sei bereits verstorben, als er noch klein gewesen sei, er habe seinen Vater jedoch noch kennengelernt. Im Klageverfahren behauptet der Antragsteller nunmehr, sein Vater sei bereits vor seiner Geburt gestorben.
Das Vorbringen des Antragstellers ist insgesamt unglaubhaft und vermag einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder subsidiären Schutzes nicht zu begründen.
Es besteht darüber hinaus auch kein greifbarer Anhaltspunkt für die Annahme eines Abschiebungsverbots. Die Tatsache, dass die Lebensbedingungen in Sierra Leone allgemein hart sind, stellt für sich gesehen keine lebensbedrohliche Situation und Gefahr im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG dar. Im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die einen Ausländer im Falle der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, kann ein Ausländer Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur ausnahmsweise beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Die Abschiebung wäre nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung allenfalls auszusetzen, wenn der Ausländer ansonsten „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde“ (vgl. BVerwG, U. v. 12.7.2001 – 1 C 5.01 – NVwZ 2002, 101), also im Falle einer schlechten Lebensmittelversorgung, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (BVerwG, a.a.O.).
Das ist bei einem voll erwerbsfähigen jungen Mann wie dem Antragsteller nicht an-zunehmen, zumal er nach eigenen Angaben auch über familiäre Bindungen in Sierra Leone, die ihm ein schnelleres Einleben ermöglichen können.
Die auf der Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet beruhende Abschiebungsandrohung mit der einwöchigen Ausreisefrist nach §§ 34, 36 Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG ist damit nicht zu beanstanden.
Der Antrag ist daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Ge-richtskosten werden nicht erhoben (§ 83 b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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