Aktenzeichen M 8 S 17.51200
Leitsatz
Es sind keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass das spanische Asylsystem systemische Mängel iSd Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 Dublin III-VO aufweist. (Rn. 17 – 21) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 18. April 2017.
Der Antragsteller ist nach eigenen Angaben Staatsangehöriger der Demokratischen Republik Kongo, reiste ebenfalls eigenen Angaben zufolge am 30. Januar 2017 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte hier am 9. März 2017 einen Asylantrag. Eine EURODAC-Recherche durch das Bundesamt ergab einen Treffer der Kategorie 2 für Spanien.
Am 17. März 2017 wurde vom Bundesamt ein Übernahmegesuch an Spanien gerichtet, dem Spanien mit Schreiben vom 17. April 2017 zugestimmt hat.
Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 18. April 2017, dem Antragsteller zugestellt am 20. April 2017, wurde in Nummer 1 der Antrag auf Asyl als unzulässig abgelehnt, in Nummer 2 festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) nicht vorliegen, in Nummer 3 die Abschiebung nach Spanien angeordnet und in Nummer 4 das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.
Am 24. April 2017 erhob der Antragsteller mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom selben Tag Klage gegen den Bescheid des Bundesamts vom 18. April 2017 erhoben. Mit gleichzeitig gestelltem Antrag nach § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) beantragt er,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 18. April 2017 wird anzuordnen.
Zur Begründung wird ausgeführt, es lägen dringende humanitäre Gründe vor, die einer Rückführung nach Spanien entgegenstünden. Der Antragsteller leide an einer Sehverschlechterung und habe am 16. Juni 2017 einen Untersuchungstermin. Vor der Abklärung könne eine Abschiebung nicht durchgeführt werden.
Das Bundesamt hat die Verfahrensakte elektronisch vorgelegt. Eine weitergehende Äußerung oder Antragstellung erfolgte nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtssowie die vorgelegte Behördenakte des Bundesamts Bezug genommen.
II.
Der gemäß § 34a Abs. 2 Satz 1 Asylgesetz (AsylG) i. V. m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO zulässige Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der in der Hauptsache erhobenen Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid ist unbegründet, da die in der Hauptsache erhobene Klage voraussichtlich keinen Erfolg haben wird.
Entfaltet ein Rechtsbehelf – wie hier – von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i. V. m. § 75 Abs. 1 AsylG), kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Das Gericht trifft dabei eine eigene Ermessensentscheidung, bei der es abzuwägen hat zwischen dem sich aus § 75 AsylG ergebenden öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfes. Dabei sind insbesondere die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Eilverfahren gebotene summarische Prüfung, dass die Klage voraussichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid schon bei kursorischer Prüfung als rechtswidrig, so besteht kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei einer allgemeinen Interessenabwägung.
1. Lehnt das Bundesamt auf der Grundlage von § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG die Durchführung eines Asylverfahrens als unzulässig ab und ordnet nach § 34a Abs. 1 AsylG die Abschiebung in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union – hier nach Spanien – an, besteht die Besonderheit, dass das Bundesamt lediglich die Frage nach dem für die Prüfung des Asylbegehrens des Antragstellers zuständigen Mitgliedstaat erwogen hat, sich aber nicht mit den Gründen für die Gewährung von Asyl und der Frage nach einer Abschiebung in den Herkunftsstaat befasst hat. Die Zuständigkeitsprüfung nach der Dublin III-VO und die inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens erfolgt in zwei getrennten Verfahren. Die Frage nach der Prüfung des für das Asylverfahren zuständigen Mitgliedstaates ist der inhaltlichen Prüfung des Asylantrags vorgelagert.
2. Gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Dies ist hier der Fall.
Spanien ist als Mitgliedsstaat, in dem der Antragsteller ausweislich des EURODAC-Treffers „ES2“ illegal aus einem Drittland in die EU eingereist ist, für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig.
Art. 3 Abs. 1 der Dublin-III-VO sieht vor, dass der Asylantrag von dem Mitgliedsstaat geprüft wird, der nach den Kriterien des Kapitel III der Dublin-III-VO als zuständiger Mitgliedsstaat bestimmt wird. Bei Anwendung dieser Kriterien ist Spanien für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig. Gemäß Art. 13 Abs. 1 Satz 1 der Dublin-III-VO ist derjenige Mitgliedsstaat für die Prüfung des Asylantrages zuständig, über dessen Grenze der Asylbewerber aus einem Drittstaat illegal eingereist ist. Ausgehend vom Vortrag des Antragstellers und nach dem EURODAC-Treffer ist die Einreise in Spanien erfolgt. Dies wird belegt durch den für den Antragsteller erzielten EURODAC-Treffer mit der Kennzeichnung „ES2“. Die Ziffer „2“ steht für einen Fall eines Drittstaatsangehörigen, der beim illegalen Überschreiten der EU-Außengrenze aufgriffen wurde (Art. 24 Abs. 4 i.V.m. Art. 14 Abs. 1 VO (EU) Nr. 603/2013 vom 26.6.2013).
Das Aufnahmegesuch der Antragsgegnerin nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. a, Art. 21 Abs. 1 der Dublin-III-VO wurde am 17.. März 2017 gestellt und von Seiten der spanischen Behörden mit Schreiben vom 17. April 2017 positiv beantwortet.
3. Die Abschiebung nach Spanien kann gemäß § 34a Abs. 1 AsylG auch durchgeführt werden.
Die Zuständigkeit ist nicht gemäß Art. 3 Abs. 2 UAbs. 3 der Dublin-III-VO auf die Antragsgegnerin übergegangen, weil eine Überstellung an Spanien als den zuständigen Mitgliedsstaat an Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 der Dublin-III-VO scheitern würde. Es sind keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Antragsteller im Falle einer Abschiebung nach Spanien infolge systemischer Schwachstellen des dortigen Asylverfahrens oder der dortigen Aufnahmebedingungen einer hinreichend wahrscheinlichen Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ausgesetzt wäre.
Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93 und 2 BvR 2315/93 – juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10 – juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedsstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) entspricht. Allerdings ist diese Vermutung nicht unwiderleglich. Vielmehr obliegt den nationalen Gerichten die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedsstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für den Antragsteller führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedsstaat einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 GRCh ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 a.a.O.). Die Vermutung ist aber nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedsstaaten widerlegt. An die Feststellung systemischer Mängel sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist daher nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris).
Ausgehend von diesen Maßstäben und im Einklang mit der aktuellen Rechtsprechung ist im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht davon auszugehen, dass der Antragsteller in Spanien aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft, dort einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein (vgl. z.B. VG München, U.v. 10.5.2016 – M 12 K 15.50782 – juris Rn. 32). Dem Gericht liegen keine Erkenntnisse darüber vor, dass systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen bestehen.
Nach dem Jahresbericht zur Menschenrechtslage in Spanien des Departements of State der Vereinigten Staaten von Amerika vom 25. Juni 2015 zur Behandlung von Asylbewerbern ist in Spanien das Asylrecht vielmehr gesetzlich garantiert und wird auch durch angemessene administrative Strukturen abgesichert. So kann insbesondere bei jeder Polizeistation ein Asylgesuch angebracht werden, ohne dass die Gefahr einer Abschiebung besteht. Jedes Asylgesuch wird individuell geprüft; gegen ablehnende Entscheidungen ist gerichtlicher Rechtsschutz gewährleistet. Zwar wurden nach Berichten von amnesty international und Humans Rights Watch in den spanischen Exklaven Ceuta und Melilla Asylbewerber ohne Möglichkeit der Asylantragstellung wieder nach Marokko zurückgeschoben und auch unverhältnismäßige Gewalt gegen diese Personen ausgeübt. Hierbei handelt es sich jedoch um eine lokale Problemlage der auf dem afrikanischen Kontinent befindlichen beiden spanischen Exklave, die keinen Rückschluss auf allgemeine Mängel des Asylverfahrens in Spanien zulässt. Hiergegen spricht darüber hinaus, dass diese Fälle gerichtlich untersucht werden und die spanische Regierung angekündigt hat, auch in den Exklaven Grenzposten zu errichten, wo sich Asylsuchende registrieren lassen können (vgl. amnesty international, Jahresbericht 2015 vom 25. Februar 2015 zu Spanien zum Stichwort „Rechte von Flüchtlingen und Migranten“; Human Rights Watch, World Report 2015 vom 29. Januar 2015 zu Spanien).
Auch aus dem aktuellen „aida Country Report: Spain“ vom 18. April 2016, abrufbar unter www.asylumineurope.org/reports/country/spain, ergibt sich nichts anderes. Die Aufnahmebedingungen für Flüchtlinge sind in dem Bericht ausführlich dargestellt (Seiten 36 ff. des Berichts). Anhaltspunkte für systemische Mängel im oben genannten Sinne lassen sich den Ausführungen nicht entnehmen. Schutzsuchende erhalten Schutz und angemessene soziale sowie auch medizinische Versorgung zur Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse von der Asylantragstellung bis zum Abschluss des Integrationsprozesses. In aller Regel sind Unterkünfte in ausreichender Kapazität verfügbar. Insoweit ist im Bericht ausgeführt, dass wegen vorübergehender Engpässe bei der Unterbringung infolge eines Anstiegs der Flüchtlingszahlen aktuell im September 2015 die Unterbringungskapazitäten entsprechend erhöht worden seien. Ein gegebenenfalls zu verzeichnender vorübergehender Mangel konnte mithin behoben werden und war nicht von Dauer. Eine regelhaft defizitäre Unterbringungssituation kann darin nicht ansatzweise gesehen werden. Nach dem königlichen Dekret Nr. 16/2012 erhalten Migranten ohne regulären Aufenthaltsstatus zwar nur einen beschränkten Zugang zum Gesundheitssystem. Ausnahmen gelten jedoch in Notfällen sowie für Minderjährige, Schwangere, Patienten mit Infektionskrankheiten sowie psychischen Erkrankungen (vgl. www.i…com, Ausgabe 59, Juni bis August 2013). Grundsätzlich ist zudem nach Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2003/09/EG des Rates vom 27. Januar 2003 (Aufnahmerichtlinie) davon auszugehen, dass in den Mitgliedsstaaten – und damit auch in Spanien – die Asylbewerber die erforderliche medizinische Versorgung erhalten, die zumindest die Notversorgung und die unbedingt erforderliche Behandlung von Krankheiten umfasst. Schließlich gewähren die Mitgliedstaaten nach Art. 15 Abs. 2 der vorgenannten Richtlinie Asylbewerbern mit besonderen Bedürfnissen die erforderliche medizinische oder sonstige Hilfe.
4. Individuelle, außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 der Dublin-III-VO notwendig machen, liegen ebenso wenig vor wie inlands- oder zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse.
Nach § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Antragsteller hat das von ihm vorgetragene Vorliegen einer Augenerkrankung nicht durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft gemacht (§ 60a Abs. 2c Satz 2 und 3 AufenthG). Da sich der Antragsteller ausweislich der als Anlage zum Schriftsatz vom 24. April 2017 vorgelegten Unterlagen bereits in (augen-)ärztlicher Behandlung befindet, wäre ihm dies auch ohne Inanspruchnahme der nunmehr zur Mitbeurteilung hinzugezogenen …-Augenklinik möglich gewesen (vgl. § 60a Abs. 2d Satz 1 und 2 AufenthG). Selbst also wenn im Sinne des Vortrags des Antragstellers das Bestehen einer Augenerkrankung mit einer damit einhergehenden Sehverschlechterung seit zwei Jahren unterstellt wird, ist mit den hierzu vorgelegten Unterlagen keinerlei Nachweis seiner Reiseunfähigkeit i.S.d. § 60a Abs. 2c AufenthG erbracht, sodass kein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis nachgewiesen ist.
Wie vorstehend unter 3. ausgeführt, ist zudem in Spanien eine angemessene medizinische Versorgung für Asylbewerber vorhanden, sodass auch kein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis inmitten steht. Die möglicherweise geringere Möglichkeit der Behandelbarkeit einer Erkrankung in einem anderen Staat, in den der Betroffene abgeschoben werden soll, führt im Übrigen auch nur in ganz besonderen Ausnahmefällen zu einer unmenschlichen Behandlung im Sinn der Art. 4 GRCh und Art. 3 EMRK durch den abschiebenden Staat, nämlich dann, wenn humanitäre Gründe zwingend entgegenstehen (vgl. EGMR, U.v. 27.5.2008 – 26565/05 – juris Rn.42 ff.; BVerwG, B.v. 25.10.2012 – 10 B 16.12. – InfAuslR 2013, 45). Anhaltspunkte dafür, dass im Falle des Antragstellers solche zwingenden humanitären Gründe in Gestalt eines besonderen Einzelfalls vorliegen würden, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Das Verfahren ist nach § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).