Verwaltungsrecht

Erfolgreicher Eilantrag gegen Abschiebungsandrohung nach Entziehung des internationalen Schutzes in Italien

Aktenzeichen  Au 7 S 17.30656

Datum:
6.4.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 1 Abs. 1 Nr. 2, § 29 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 5, § 34a Abs. 1 S. 1, § 35, § 36 Abs. 3 S. 1, § 71a Abs. 1 S. 1
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 18 Abs. 1 lit. d, Art. 23 Abs. 2 UAbs. 2
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
VwGO VwGO § 80 Abs. 5

 

Leitsatz

Nach Entziehung des zuvor gewährten internationalen Schutzstatus in einem Dublin-Mitgliedstaat ist der Erlass einer Abschiebungsandrohung in diesen Staat durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nicht rechtmäßig.  (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage (Az.: Au 7 K 17.30655) gegen die Abschiebungsandrohung im Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 30. Januar 2017 (Gesch.-Z.: …) wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Der nach seinen Angaben am … 1992 geborene Antragsteller, der keine Ausweisdokumente vorlegte und angibt, nigerianischer Staatsangehöriger zu sein, begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die im Bescheid vom 30. Januar 2017 verfügte Abschiebungsandrohung nach Italien.
1. Der Antragsteller reiste nach seinen Angaben am 1. Juni 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein.
Am 11. August 2015 stellte der Antragsteller in Deutschland beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) einen Asylantrag.
Nach den Erkenntnissen des Bundesamtes (EURODAC-Treffer) hat der Kläger bereits am 9. April 2015 in Italien einen Asylantrag gestellt.
Am 7. Oktober 2015 stellte das Bundesamt ein Wiederaufnahmegesuch an Italien.
Die italienischen Behörden haben am 7. Oktober 2015 dem Bundesamt mitgeteilt, das Wiederaufnahmeersuchen erhalten zu haben. Eine weitergehende Stellungnahme erfolgte seitens der italienischen Behörden zunächst nicht.
Daraufhin lehnte das Bundesamt mit Bescheid vom 21. Januar 2016 (Gesch.-Z.: …) den Asylantrag des Klägers als unzulässig ab (Nr. 1 des Bescheides) und ordnete dessen Abschiebung nach Italien an (Nr. 2 des Bescheides). Die gegen diesen Bescheid erhobene Klage wurde mit (mittlerweile rechtskräftigem) Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 18. April 2016 (Az.: Au 7 K 16.50015) abgewiesen.
2. Am 10. März 2016 teilten die italienischen Behörden (Ministero dell`Interno) der Antragsgegnerin mit, dass sie die Wiederaufnahme des Antragstellers nicht akzeptieren, da ihm in Italien internationaler Schutz und eine Aufenthaltserlaubnis aufgrund subsidiären Schutzes bewilligt worden sei. Die Behörde sei daher für den Fall des Antragstellers nicht mehr zuständig, seit sein Asylverfahren in Italien abgeschlossen worden sei. Eine mögliche Überstellung des Antragstellers sei auf der Grundlage des bilateralen Rückübernahmeabkommens zwischen Italien und Deutschland („Police Agreement“) durchzuführen und die Antragsgegnerin habe ihre Anfrage an die Fax Nummer …. zu senden (s. Bl. 107 der Bundesamtsakte).
Das Bundesamt teilte der für den Antragsteller zuständigen Ausländerbehörde (Landratsamt …) daraufhin mit Schreiben vom 16. März 2016 mit, dass die auf der Grundlage der Dublin Verordnung geplante Überstellung nicht mehr vollzogen werden könne und wies auf die bilateralen Abkommen der Grenzschutzdirektionen hin.
Mit Schreiben vom 8. August 2016 teilte das Bundespolizeipräsidium der Ausländerbehörde des Landratsamtes … mit, dass die italienischen Behörden der Wiedereinreise des Antragstellers nicht zugestimmt hätten, da ihm der subsidiäre Schutz entzogen worden sei. Beigefügt war das Schreiben des italienischen Innenministeriums vom 19. Juli 2016, dass die Überstellung des Antragstellers nicht mehr möglich sei, da ihm der subsidiäre Schutz entzogen worden sei. Das Landratsamt … informierte das Bundesamt über diese Gegebenheiten mit Schreiben vom 10. August 2016 (dort eingegangen am 11.8.2016).
3. Mit Bescheid vom 30. Januar 2017 lehnte das Bundesamt den Antrag als unzulässig ab (Nr. 1) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen (Nr. 2). Der Antragsteller wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Sollte er die Ausreisefrist nicht einhalten, werde er nach Italien abgeschoben. Er könne auch in einen anderen Staat abgeschoben werden, in den er einreisen dürfe oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei. Der Antragsteller dürfe nicht nach Nigeria abgeschoben werden (Nr. 3). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 4).
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Asylantrag nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG unzulässig sei, da dem Antragsteller bereits in Italien internationaler Schutz gewährt worden sei.
Der Bescheid wurde laut Aktenvermerk des Bundesamtes am 1. Februar 2017 als Einschreiben zur Post gegeben.
4. Am 10. Februar 2017 wurde hiergegen Klage erhoben mit dem Antrag, den Bescheid des Bundesamtes vom 30. Januar 2017 in Ziffer 1 bis 3, Satz 1 bis 3 aufzuheben und die Antragsgegnerin zu verpflichten, dem Antragsteller die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen und weiter hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
Gleichzeitig wurde beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die mit dem Bescheid des Bundesamtes verbundene Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung anzuordnen.
Zur Begründung wurde mit Schriftsatz vom 20. Februar 2017 im Wesentlichen ausgeführt, dass die Antragsgegnerin die Information nicht berücksichtigt habe, dass Italien der Wiedereinreise des Antragstellers nicht zugestimmt habe, da ihm der subsidiäre Schutz entzogen worden sei.
Das Bundesamt legte am 16. Februar 2017 die Behördenakte vor.
4. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung in Nr. 3 des angefochtenen Bescheids hat auch in der Sache Erfolg.
1. Der Antrag nach § 80 Absatz 5 VwGO ist gemäß § 36 Abs. 3 S. 1 Asylgesetz (AsylG) zulässig. Insbesondere ist die dort bestimmte Antragsfrist von einer Woche nach Bekanntgabe des streitgegenständlichen Bescheides gewahrt. Aus dem Vermerk des Bundesamtes ergibt sich, dass der Bescheid am 1. Februar 2017 als Einschreiben zur Post gegeben wurde. Die am 10. Februar 2017 erhobene Klage und der gleichzeitig gestellte Antrag auf vorläufigen Rechtschutz sind damit fristgemäß bei Gericht eingegangen.
2. Der Antrag ist auch begründet. Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht auf Antrag im Rahmen einer eigenen Ermessensentscheidung die aufschiebende Wirkung der Klage anordnen, wenn das Interesse des Antragstellers an der beantragten Aussetzung der Vollziehung das bezüglich der Abschiebungsandrohung bestehende öffentliche Interesse an der sofortigen Durchsetzbarkeit des Verwaltungsaktes überwiegt.
Die danach vorzunehmende Abwägung des öffentlichen Vollzugsinteresses der Antragsgegnerin mit dem privaten Aussetzungsinteresse des Antragstellers hat sich maßgeblich – nicht ausschließlich – an den Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu orientieren, wie diese sich bei summarischer Prüfung im vorliegenden Verfahren abschätzen lassen. Diese Interessenabwägung fällt vorliegend zu Gunsten des Antragstellers aus, denn die Abschiebungsandrohung in Nummer 3 des angefochtenen Bescheides des Bundesamtes begegnet nach diesen Maßstäben zu dem für die Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Denn das Bundesamt hat zu Unrecht „Italien“ als denjenigen Zielstaat benannt, in den der Antragsteller abgeschoben werden soll.
a) Die Voraussetzungen für eine Abschiebungsandrohung mit dem Zielstaat Italien gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2, § 35 AsylG liegen ganz offensichtlich nicht vor.
Gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Mitgliedsstaat der Europäischen Union dem Antragsteller bereits internationalen Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG, gewährt hat.
Der Antragsteller hat in Italien zwar zunächst internationalen Schutz in Form des subsidiären Schutzes im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG (Flüchtlingsschutz oder subsidiären Schutz im Sinne der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 [EU-Qualifikationsrichtlinie, ABl. L 337 vom 20.12.2011, S. 9]) erhalten (siehe Mitteilung der italienischen Behörden vom 10.3.2016, Bl. 107 der Bundesamtsakte). Dieser Schutzstatus und das darauf beruhende Aufenthaltsrecht in Italien wurde ihm aber entsprechend der Mitteilung der italienischen Behörden an das Bundespolizeipräsidium vom 19. Juli 2016 wieder entzogen. Das Bundesamt hat von diesem Sachverhalt auch am 11. August 2016 Kenntnis erhalten.
Damit liegen die Voraussetzungen des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG nicht vor.
b) Eine andere Rechtsgrundlage, auf die eine Abschiebungsandrohung mit dem Zielstaat Italien gestützt werden könnte, ist nicht ersichtlich.
Abgesehen davon, dass die nochmalige Einleitung eines sog. „Dublin-Verfahrens“, nunmehr gestützt auf Art. 18 Abs. 1 Buchst. d) der Dublin III-VO, wegen des Ablaufs der 3-Monatsfrist-Frist zur Stellung eines erneuten Wiederaufnahmeersuchens an Italien (Art. 23 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO) nicht mehr in Frage kommt (Fristbeginn: Mitteilung der italienischen Behörden vom 19.7.2016, dass der subsidiäre Schutzstatus entzogen wurde), hätte das Bundesamt in einem solchen Fall eine Abschiebungsanordnung (s. § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG) erlassen müssen; eine Abschiebungsandrohung wäre unzulässig.
Eine Abschiebungsandrohung mit dem Zielstaat Italien kann auch ersichtlich nicht auf die Ermächtigungsgrundlage des § 29 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. § 71a AsylG gestützt werden.
Zwar spricht viel dafür, dass der Schutzantrag des Antragstellers als Zweitantrag nach § 71a AsylG zu werten ist. Aber das Bundesamt hat die ihm obliegende Prüfung (s. § 71a Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG), ob ein weiteres Asylverfahren durchzuführen ist, also ob die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes vorliegen, bisher noch nicht durchgeführt. Zum anderen müsste, wenn das Bundesamt zu dem Ergebnis käme, dass ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen ist und der Asylantrag des Antragstellers gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG als unzulässig abzulehnen ist, die Abschiebungsandrohung dann auf den Zielstaat Nigeria (Herkunftsland des Antragstellers) lauten (soweit das Bundesamt insoweit ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5, 7 Satz 1 AufenthG verneinen würde).
Da somit ernstliche bzw. durchgreifende Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids vom 30. Januar 2017 bestehen, überwiegt das Interesse des Antragstellers an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage hier das öffentliche Interesse an einer unverzüglichen Durchsetzung des Bescheids.
3. Da der Antrag somit erfolgreich ist, trägt die Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens (§ 154 Abs. 1 VwGO). Die Gerichtskostenfreiheit beruht auf § 83b AsylG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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