Aktenzeichen M 3 E 17.4737
AsylG § 30a
Leitsatz
Tenor
I. Der Antragsgegner wird verpflichtet, den Antragstellern vorläufig bis zum Endes des Schuljahres 2017/2018 die Teilnahme am regulären Schulunterricht in der zuständigen Sprengelschule zu ermöglichen.
II. Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 5.000, – Euro festgesetzt.
IV. Den Antragstellern wird unter Beiordnung von Rechtsanwalt … Prozesskostenhilfe gewährt.
Gründe
I.
Die Antragsteller sind kosovarische Staatsangehörige und seit Mai 2017 in … untergebracht. Mit dem Antrag begehren sie eine Beschulung in der regulären Sprengelschule und nicht in der Übergangsklasse, die im Transitzentrum angeboten wird.
Die Antragsteller reisten mit ihren Eltern am … April 2014 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten am … Mai 2014 einen Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und Anerkennung als Asylberechtigte, der mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 18. Februar 2015 als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde. Gleichzeitig wurde der subsidiäre Schutzstatus nicht zuerkannt und festgestellt, dass keine Abschiebungsverbote vorliegen. Die Familie wurde aufgefordert, Deutschland innerhalb einer Woche zu verlassen. Zugleich wurde der Familie für den Fall, dass sie der Anordnung nicht nachkommt, die Abschiebung in das Heimatland angedroht. Der hiergegen gestellte Antrag auf Eilrechtsschutz wurde mit Beschluss des VG München vom 11. März 2015 abgelehnt, die Klage wurde mit Urteil des VG München vom 17. April 2015 (Az. M 17 K 15.30114) unanfechtbar abgewiesen.
Zunächst war die Familie seit 3. November 2014 in einer dezentralen Unterkunft des Landkreises F* … untergebracht. Mit Bescheid vom 15. Februar 2016 wurden die Antragsteller dem jetzigen Bayerischen Transitzentrum … (BayTMI) zugewiesen. Die Antragsteller besuchten im Schuljahr 2016/2017 vom 13. September 2016 bis zu ihrer Verlegung in die BayT** die staatliche Grundschule A* … Nach der Verlegung nach M* … wurden die Antragsteller durch das Staatliche Schulamt in der Stadt … ab dem 8. Mai 2017 der dort eingerichteten Übergangsklasse zugewiesen. Auf den Antrag der Antragsteller vom … Mai 2017 stimmte die Regierung von Oberbayern mit Schreiben vom 3. Juli 2017 für den verbleibenden Zeitraum bis zum Schuljahresende des Schuljahres 2016/2017 einer Regelbeschulung der Antragsteller zu, riet jedoch aus schulpädagogischer Sicht von einem kurzfristigen Wechsel in die Regelschule ab. Dabei wurde darauf hingewiesen, dass die Antragsteller ab dem Schuljahr 2017/2018 zur Erfüllung der Schulpflicht besonderen am BayTMI errichtete Klassen und Unterrichtsgruppen zugewiesen würden. Die Eltern folgten diesem Rat. Mit Schreiben vom … August 2017 beantragten die Eltern der Antragsteller erneut die Gestattung des Schulbesuchs an einer Regelschule außerhalb der Unterkunft. Dies lehnte die Regierung von Oberbayern mit Schreiben vom 1. September 2017 ab.
Mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom *. Oktober 2017, eingegangen am selben Tag, beantragten die Antragsteller beim Bayerischen Verwaltungsgericht München im Wege der einstweiligen Anordnung, den Antragsgegner zu verpflichten, den Antragstellern vorläufig die Teilnahme am regulären Schulunterricht in der zuständigen Sprengelschule zu ermöglichen.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, durch die Beschulung in M* … werde den Antragstellern eine altersgemäße, ihrem Kenntnisstand entsprechende Beschulung vorenthalten. Aufgrund des langjährigen Aufenthalts in Deutschland, des Besuches des deutschen Kindergartens und des früheren Besuches der Regelschule seien sie im Stande, am regulären Unterricht teilzunehmen. In M* … finde nur ein Rumpfunterricht statt, der dem in Übergangsklassen entspreche. Es würden nur einige wenige Fächer unterrichtet, der Unterricht finde in zwei Gruppen statt, unterschieden in Grund- und Mittelschule, es werde altersgemischt gelehrt.
Die Antragsteller seien schulpflichtig und hätten einen Rechtsanspruch, ordnungsgemäß beschult zu werden. Dies sei gegenwärtig nicht der Fall.
Art. 36 Abs. 3 Satz 6 BayEUG sei nicht einschlägig. Diese – in dieser Form rechtswidrige Regelung – greife nur für die Kinder ein, die nach dem Asylgesetz verpflichtet seien, in einer besonderen Aufnahmeeinrichtung im Sinne des § 30a AsylG zu wohnen. Diese Voraussetzungen lägen weder bei den Antragstellern noch bei ihren Eltern vor. Ihr Asylverfahren habe vom Bundesamt nicht mehr beschleunigt bearbeitet werden können, es sei vielmehr bereits vollziehbar abgeschlossen gewesen, als sie nach M* … verlegt worden seien. Die Antragsteller seien daher nicht nach dem Asylgesetz verpflichtet, in einer besonderen Aufnahmeeinrichtung im Sinne des § 30a AsylG zu wohnen. Daran ändere auch nichts, dass § 30a Abs. 3 Satz 2 AsylG regele, dass die Wohnverpflichtung von Satz 1 bis zur Ausreise fortgelte. Denn eine Wohnverpflichtung nach Satz 1 habe im vorliegenden Fall zu keiner Zeit bestanden.
Ungeachtet dessen verstoße Art. 36 Abs. 3 Satz 6 BayEUG in der vorliegenden Form gegen höherrangiges Recht, zunächst Art. 2 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 GG im Hinblick auf die Kinder, Art. 6 Abs. 2 GG im Hinblick auf die erziehungsberechtigten Eltern und Art. 7 Abs. 1 GG im Hinblick auf den staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrag.
Art. 26 der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, wonach jeder das Recht auf Bildung habe, die auf „die volle Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit“ gerichtet sein müsse, Art. 28, 29 der UN-Kinderrechtskonvention und insbesondere der Grundsatz des Art. 3 Abs. 1 UN-KRK des Vorranges des Kindeswohls seien verletzt. Auch Art. 14 der Grundrechtecharta der Europäischen Union gewähre jeder Person das Recht auf Bildung, was nach Abs. 2 auch die Möglichkeit umfasse, unentgeltlich am Pflichtschulunterricht teilzunehmen. Die RL 2013/33/EU (AufnahmeRichtlinie) habe dies in Art. 14 umgesetzt. Nach dessen Abs. 1 gestatteten die Mitgliedsstaaten minderjährigen Kindern in ähnlicher Weise wie den eigenen Staatsangehörigen den Zugang zum Bildungssystem. Der nachfolgende Satz, wonach “der Unterricht in Unterbringungszentren erfolgen kann“, stelle keine inhaltliche Beschränkung des grundsätzlich bestehenden Rechtsanspruchs auf Zugang zum Bildungssystem dar. Er regle lediglich den Ort, an dem der Bildungsanspruch eingelöst werde bzw. werden könne. Es sei den Staaten freigestellt, in Aufnahmeeinrichtungen eigene Schulen einzurichten, nicht aber schlechtere als für die eigenen Staatsangehörigen. Genau dies geschehe jedoch in M* …, da dort lediglich Übergangsklassen eingerichtet seien, die von Schülern mit unterschiedlichen Sprachkenntnissen, unterschiedlichem Bildungsstand und Alter besucht würden. Dort würden drei oder vier Jahrgänge von Schülern zusammengefasst und auf einem minimalen Niveau unterrichtet. Art. 36 Abs. 3 Satz 3 BayEUG verlange jedoch, dass Schülerinnen und Schüler in der Pflichtschule „grundsätzlich in die Jahrgangsstufe einzuweisen (sind), in die Schulpflichtige gleichen Alters, die seit Beginn ihrer Schulpflicht ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Bayern haben, regelmäßig eingestuft sind“. Von dieser Vorgabe weiche Art. 36 Abs. 3 Satz 6 BayEUG ab. Allein darin liege eine sachlich nicht gerechtfertigte Diskriminierung.
Art. 36 Abs. 3 Satz 6 BayEUG genüge nur dann rechtsstaatlichen und menschenrechtlichen Vorgaben, wenn er dahingehend interpretiert werde, dass er nur für die Kinder gelte, die auch in der Regelschule „besonderen Klassen oder Unterrichtsgruppen zuzuweisen“ wären (vgl. Art. 36 Abs. 3 Satz 5 BayEUG). Die hier vorgenommene Auslegung, die Wissensvermittlung und ihren Umfang ausschließlich an den asylrechtlichen Aufenthaltsstatus anzuknüpfen, sei sachwidrig.
Außerdem beantragten die Antragsteller, den Antragstellern Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Bevollmächtigten zu gewähren.
Eine Erklärung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse wurde vorgelegt.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Bei den Übergangsklassen an den verschiedenen Dependancen des BayTMI handle es sich um jahrgangsgemischte Grund- und Mittelschulklassen. Diese Klassen stellten Außenklassen der der jeweiligen Dependance zugeordneten Sprengelschule dar. Der Unterricht werde von den Lehrkräften der Sprengelschule erteilt. Der Stundenplan entspreche grundsätzlich der Stundentafel der Übergangsklassen für die Grund- bzw. Mittelschule und sei auf die Gegebenheiten vor Ort abgestimmt. Gemäß Ziffer 4 der Bestimmungen zur Stundentafel könne das Staatliche Schulamt bei Übergangsklassen in besonderen Aufnahmeeinrichtungen nach § 30a AsylG insbesondere entsprechend der Zusammensetzung der Schülerinnen und Schüler einer Klasse hinsichtlich der Fächer und der Stundenanteile der Stundentafel abweichen. Dementsprechend liege der Schwerpunkt in allen Fächern auf dem Erlernen der deutschen Sprache bzw. auf der weiteren Deutschförderung.
Es bestehe kein Anordnungsgrund.
Durch die beantragte Beschulung in der Regelklasse würde die Hauptsache vorweggenommen. Von dem grundsätzlichen Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache im einstweiligen Rechtsschutz könne hier auch keine Ausnahme gemacht werden, da in der Hauptsache keine überwiegenden Erfolgsaussichten bestünden. Zudem würden die Antragsteller zwar jahrgangsgemischt beschult, der altersmäßigen und lern- und leistungsbezogenen Heterogenität innerhalb der Klassen werde jedoch durch entsprechende Binnendifferenzierung Rechnung getragen. Im alltäglichen Unterricht sei dies eine grundlegende und obligatorische Aufgabe aller Lehrkräfte. Der Unterricht werde in allen Klassen nach der aktuellen, in Bayern gültigen Methodik und Didaktik gestaltet. Es sei deshalb nicht zutreffend, dass den Antragstellern eine angemessene Beschulung vorenthalten werde.
Es bestehe kein Anordnungsanspruch.
Die Voraussetzungen von Art. 36 Abs. 3 Satz 6 BayEUG seien erfüllt. Die Antragsteller seien nach dem Asylgesetz verpflichtet, in einer besonderen Aufnahmeeinrichtung im Sinne des § 30a AsylG zu wohnen. Bei dem BayTMI handele es sich gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 1 DVAsyl um eine besondere Aufnahmeeinrichtung im Sinne von §§ 30a, 5 Abs. 5 AsylG. Eine Wohnpflicht ergebe sich bereits aus § 47 Abs. 1a AsylG. Hiernach seien Ausländer aus einem sicheren Herkunftsstaat (§ 29a) verpflichtet, bis zur Entscheidung des Bundesamtes über den Asylantrag und im Falle der Ablehnung des Asylantrags nach § 29a AsylG als offensichtlich unbegründet oder nach § 29 Absatz 1 Nummer 1 AsylG als unzulässig bis zur Ausreise oder bis zum Vollzug der Abschiebungsandrohung oder -anordnung in der für ihre Aufnahme zuständigen Aufnahmeeinrichtung zu wohnen. Der Umstand, dass der Asylantrag der Antragsteller damals nicht nach § 29a AsylG, sondern nach § 30 Abs. 1 AsylG als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden sei, weil der Kosovo zum Entscheidungszeitpunkt noch nicht in die Liste der sicheren Herkunftsländer aufgenommen gewesen sei, ändere an diesem Ergebnis nichts. Es habe bestanden und bestehe auch in diesem Fall über den Wortlaut hinaus die Wohnpflicht der Betroffenen in der BayTMI nach § 47 Abs. 1a AsylG, da es keinen Unterschied machen könne, ob die Ablehnung des Antrags vor der Rechtsänderung als offensichtlich unbegründet gemäß § 30 Abs. 1 AsylG oder nach der Rechtsänderung als offensichtlich unbegründet nach § 29a AsylG erfolgt sei.
An der Verfassungsmäßigkeit von Art. 36 Abs. 3 Satz 6 BayEUG bestünden keine Zweifel. Für alle Kinder und Jugendlichen in Bayern gälten vom Grundsatz her dieselben rechtlichen Rahmenbedingungen für die Schulpflicht (vgl. Art. 35 BayEUG). Art. 36 Abs. 3 Satz 6 BayEUG treffe seit 1. August 2017 eine Sonderregelung. Diese sei Bestandteil des Bayerischen Integrationsgesetzes vom 13. Dezember 2016. Zur Begründung werde auf die Drucksache des Bayerischen Landtags Nr. 17/13604 verwiesen. Vor diesem Hintergrund werde deutlich, dass auch die Schulpflichtigen, die nach dem Asylgesetz in einer besonderen Aufnahmeeinrichtung wohnen müssten, vor Ort ein adäquates schulisches Bildungsangebot gemäß dem Fächerkanon der Übergangsklasse erhielten.
Demgegenüber erwidern die Antragsteller mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom … November 2017, der Unterricht in den jahrgangsgemischten Übergangsklassen entspreche nicht dem des Unterrichts in den Regelschulklassen. In diesen Übergangsklassen werde die Bildung den ausländerrechtlichen Interessen untergeordnet. Der Einwand der Vorwegnahme der Hauptsache wiege deshalb nicht schwer, weil auch gegenwärtig die Hauptsache vorweggenommen werde, aber zu Lasten der Antragsteller. Da diese das Regelschulniveau hätten, sie aber nur Übergangsklassen besuchen dürften, werde ihnen ihr Recht auf adäquate Bildung vorenthalten. Art. 36 Abs. 3 Satz 6 BayEUG erzwinge dieses Ergebnis nicht, da darin Schulpflichtige nur „in die dort eingerichteten Klassen und Unterrichtsgruppen“ zugewiesen würden. Von Übergangsklassen sei dort nicht die Rede. Art. 36 Abs. 3 Satz 6 BayEUG sei keine Ermächtigungsgrundlage dafür, die Antragsteller in Übergangsklassen zu parken, obwohl sie aufgrund von Fähigkeiten und Kenntnisstand imstande seien, einem Regelschulunterricht zu folgen.
Die Regierung von Oberbayern gehe nicht darauf ein, dass die Antragsteller nicht nach dem Asylgesetz verpflichtet seien, in einer besonderen Aufnahmeeinrichtung im Sinne des § 30a AsylG zu wohnen. § 30a AsylG betreffe nur Ausländer, deren Asylanträge im beschleunigten Verfahren durchgeführt würden. Eine solche Entscheidung des Bundesamts habe es aber im Asylverfahren der Antragsteller nicht gegeben. Art. 36 Abs. 3 Satz 6 BayEUG genüge nur dann rechtsstaatlichen und menschenrechtlichen Vorgaben, wenn er dahingehend interpretiert werde, dass er nur für die Kinder gelte, die auch in der Regelschule „besonderen Klassen oder Unterrichtsgruppen zuzuweisen“ wären (vgl. Art. 36 Abs. 3 Satz 5 BayEUG).
In der Auslegung der Regierung von Oberbayern verstoße Art. 36 Abs. 3 Satz 6 BayEUG gegen höherrangiges Recht. Aus Art. 2 Abs. 1 GG ergebe sich zunächst die Pflicht des Staates, jedem Kind ein Recht auf ungehinderte Entfaltung seiner Persönlichkeit sowie seiner Begabungen und Anlagen zu gewähren. Des Weiteren bestehe ein Recht der Eltern, die Schule zu wählen. Und schließlich schütze Art. 3 Abs. 1 GG die Antragsteller vor der Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit.
Weiter fordere auch das Unionsrecht die hier vertretene Auslegung des Art. 36 Abs. 3 Satz 6 BayEUG. Art. 14 der Grundrechtecharta der Europäischen Union gewähre jeder Person das Recht auf Bildung, was nach Abs. 2 auch die Möglichkeit umfasse, unentgeltlich am Pflichtschulunterricht teilzunehmen. Die RL 2013/33/EU (Aufnahme-Richtlinie) habe dies in Art. 14 umgesetzt.
Schließlich bedingten völkerrechtliche Bestimmungen eine Auslegung des Art. 36 Abs. 3 Satz 6 BayEUG, die einem Anspruch der Antragsteller auf ordnungsgemäße Beschulung nicht entgegenstehe. Andernfalls wären Art. 26 der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, wonach jeder das Recht auf Bildung habe, die auf „die volle Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit“ gerichtet sein müsse, Art. 14 EMRK und Art. 2 des 1. Zusatzprotokolls sowie Art. 28, 29 der UN Kinderrechtskonvention und der Grundsatz des Vorranges des Kindeswohls (Art. 3 Abs. 1 UN-KRK) verletzt.
Zusammenfassend verstoße eine Auslegung des Art. 36 Abs. 3 Satz 6 BayEUG, wie sie die Regierung von Oberbayern vornehme, mit der alle Kinder in den Transitzentren vom Besuch der Regelschule ausgeschlossen würden, gegen höherrangiges Recht. Eine allein an den Aufenthaltsstatus und die Nationalität der Antragsteller anknüpfende Differenzierung sei verfassungs-, unions- und völkerrechtswidrig. Im Wege der Konformauslegung sei Art. 36 Abs. 3 Satz 6 BayEUG daher so anzuwenden, dass den Kindern, die von ihrem Kenntnis- und Leistungsstand her hierzu imstande seien – namentlich den Antragstellern -, der Besuch einer Regelschule gestattet werden müsse, um dort wie ihre (deutschen) Klassenkameraden gefördert zu werden.
Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag ist auch begründet.
1. Zwar ist gemäß § 123 Abs. 5 VwGO ein Antrag auf einstweilige Anordnung gemäß § 123 VwGO generell ausgeschlossen, soweit der Antragsteller vorläufigen Rechtsschutz nach § 80 oder § 80a VwGO verlangen kann. Im vorliegenden Fall hat die Regierung von Oberbayern auf Nachfrage des Gerichts die Rechtsansicht geäußert, dass es sich bei der Verweisung der Antragsteller in die Übergangsklasse des BayTMI nicht um einen Verwaltungsakt im Sinne des Art. 35 BayVwVfG handelt, sondern lediglich um eine schulorganisatorische Maßnahme, da diese Übergangsklassen Außenklassen der zuständigen Sprengelschulen darstellen und der Unterricht von den Lehrkräften der Sprengelschule erteilt wird. Eine rein schulorganisatorische Maßnahme liegt jedoch nur dann vor, wenn der Maßnahme keine Außenwirkung zukommt. Dies ist grundsätzlich bei der Zuteilung eines Schülers in eine bestimmte Klasse seiner Jahrgangsstufe der Fall. Dabei wird aber in aller Regel nicht die Qualität des erteilten Unterrichts berührt. Dies ist aber vorliegend der Fall, da sich der Unterricht in der Übergangsklasse des BayTMI erheblich von dem in der Regelklasse unterscheidet. Abgesehen davon ist eine Außenwirkung wohl auch darin zu sehen, dass den Eltern die ihnen grundsätzlich zustehende Entscheidung über die Bestimmung der Schulform entgegen Art. 44 Abs. 1 BayEUG und Art. 6 Abs. 2 GG vorenthalten wird. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn die betroffenen Schüler in der Lage sind, dem Unterricht auch in der Regelklasse zu folgen. Letztlich kann diese Frage jedoch dahingestellt und einer Entscheidung in einem Hauptsacheverfahren überlassen werden. Denn wenn die Verweisung in die Übergangsklasse einen Verwaltungsakt darstellt, sind die sich gegen diese Maßnahme wendenden Schreiben der Antragsteller als Widersprüche dagegen auszulegen, denen – da kein Sofortvollzug angeordnet wurde – aufschiebende Wirkung zukommt.
2. Zu dem gleichen Ergebnis führt ein auch nach Rechtsansicht der Regierung von Oberbayern hier statthafter Antrag auf einstweilige Anordnung gemäß § 123 VwGO.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO ist eine einstweilige Anordnung auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Der Antragsteller hat demnach sowohl die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung (sog. Anordnungsgrund), als auch das Bestehen eines zu sichernden Rechts (sog. Anordnungsanspruch), glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2, § 294 ZPO).
Selbst wenn diese Voraussetzungen vorliegen, ist es dem Gericht allerdings regelmäßig verwehrt, mit seiner Entscheidung die Hauptsache vorwegzunehmen. Denn es würde dem Wesen und dem Zweck einer einstweiligen Anordnung widersprechen, wenn dem Antragsteller in vollem Umfang gewährt würde, was er nur in einem Hauptsacheprozess erreichen kann. Allerdings gilt im Hinblick auf das verfassungsrechtliche Gebot effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) das grundsätzliche Verbot einer Vorwegnahme der Hauptsacheentscheidung dann nicht, wenn eine bestimmte Regelung zur Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes schlechterdings notwendig ist, d.h. wenn die Ablehnung der begehrten Entscheidung für den Antragsteller mit unzumutbaren Nachteilen verbunden wäre und mit hoher Wahrscheinlichkeit von seinem Obsiegen in der Hauptsache auszugehen ist.
Bei der Entscheidung nach § 123 Abs. 1 VwGO hat das Gericht die widerstreitenden privaten und öffentlichen Interessen der Beteiligten gegeneinander abzuwägen. Für diese Abwägung ist nach ständiger Rechtsprechung (vgl. BayVGH, B. v. 5.8.1992 – 7 CE 92.1896 – BayVBl 1992, 659) – insbesondere dann, wenn wie hier durch die einstweilige Anordnung (jedenfalls faktisch) die Hauptsache vorweggenommen würde – in erster Linie entscheidend, ob die Antragspartei mit einem Erfolg im Hauptsacheverfahren rechnen kann. Wäre eine in der Hauptsache erhobene Klage mit hinreichender Eindeutigkeit zulässig und begründet, so ist dem Antrag in der Regel stattzugeben.
Aufgrund der im Eilverfahren gebotenen summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtslage dürfte sich die Verweisung der Antragsteller in die Übergangsklasse des BayTMI als rechtswidrig erweisen; die Antragsteller haben einen Anspruch auf Teilnahme am regulären Schulunterricht an der zuständigen Sprengelschule glaubhaft gemacht.
Maßgebliche Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch ist Art. 36 Abs. 3 BayEUG. Danach stellt die Schule für jeden aus dem Ausland zugezogenen Schulpflichtigen fest, in welche Jahrgangsstufe der Pflichtschule er einzuweisen ist. Es gilt derjenige Teil der Schulpflicht als zurückgelegt, der dem durch die Einweisung bestimmten Zeitpunkt regelmäßig vorausgeht. Die Schülerinnen und Schüler sind in der Pflichtschule grundsätzlich in die Jahrgangsstufe einzuweisen, in die Schulpflichtige gleichen Alters, die seit Beginn ihrer Schulpflicht ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Bayern haben, regelmäßig eingestuft sind (Art. 36 Abs. 3 Sätze 1 bis 3 BayEUG).
Aufgrund der von den Antragstellern vorgelegten Zwischenzeugnisse des vorangegangenen Schuljahres 2016/2017 vom 17. Februar 2017 sowie den Lernstandsberichten der …schule …- … vom 28. Juli 2017 beteiligten sich die Antragsteller gut am Unterricht und machten durch ihren Fleiß und Lerneifer bereits große Fortschritte beim Erlernen der deutschen Sprache. Gründe, warum sie nicht die Regelklassen in ihrer zuständigen Sprengelschule besuchen sollten, sind nicht erkennbar. Dies ergibt sich auch aus dem Schreiben der Regierung von Oberbayern vom 3. Juli 2017 an den Vater der Antragsteller.
Aus den Zeugnissen der Antragsteller ergibt sich eindeutig, dass bei ihnen kein Fall des Art. 36 Abs. 3 Satz 5 BayEUG vorliegt, da ihre Kenntnisse der deutschen Sprache offensichtlich ausreichen, um dem Unterricht folgen zu können. Ein Grund, sie wegen ungenügender Deutschkenntnisse besonderen Klassen oder Unterrichtsgruppen zuzuweisen, ist daher nicht erkennbar.
Es liegt auch kein Fall des Art. 36 Abs. 3 Satz 6 BayEUG vor. Danach werden Schulpflichtige, die nach dem Asylgesetz verpflichtet sind, in einer besonderen Aufnahmeeinrichtung im Sinn des § 30a AsylG zu wohnen, zur Erfüllung der Schulpflicht besonderen dort eingerichteten Klassen und Unterrichtsgruppen zugewiesen. Die Antragsteller sind nach dem Asylgesetz nicht verpflichtet, in einer besonderen Aufnahmeeinrichtung im Sinn des § 30a AsylG zu wohnen. Sie mögen zwar verpflichtet sein, aufgrund ihrer asylrechtlichen Stellung in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, nicht jedoch in einer besonderen Aufnahmeeinrichtung im Sinn des § 30a AsylG.
§ 30a AsylG regelt, wie sich bereits aus der Überschrift ergibt, das sogenannte beschleunigte Verfahren, das das Bundesamt, wenn die Voraussetzungen des § 30a Abs. 1 AsylG vorliegen, durchführen kann. Macht das Bundesamt davon Gebrauch, so entscheidet es innerhalb einer Woche ab Stellung des Asylantrags (§ 30a Abs. 2 Satz 1 AsylG). Ausländer, deren Asylanträge im beschleunigten Verfahren nach dieser Vorschrift bearbeitet werden, sind verpflichtet, bis zur Entscheidung des Bundesamtes über den Asylantrag in der für ihre Aufnahme zuständigen besonderen Aufnahmeeinrichtung zu wohnen (§ 30a Abs. 3 Satz 1 AsylG). Das Asylverfahren der Antragsteller wurde allerdings nicht im beschleunigten Verfahren gemäß § 30a AsylG durchgeführt, so dass sie auch nicht verpflichtet sind, in einer besonderen Aufnahmeeinrichtung im Sinn des § 30a AsylG zu wohnen.
Sinn des § 30a AsylG und des dort geregelten beschleunigten Asylverfahrens ist es, Personen, bei denen offensichtlich kein Asylgrund vorliegt, und die deshalb möglichst schnell in ihre Heimatländer zurückgeführt werden sollen, in besonderen Aufnahmeeinrichtungen zusammenzufassen und deren Aufenthaltsdauer in der Bundesrepublik Deutschland möglichst kurz zu halten. Insbesondere dieser Sinn bildet auch den Hintergrund der vom Antragsgegner zitierten Begründung der Regelung des Art. 36 Abs. 6 BayEUG, wonach die Art und Weise, wie die schulische Bildung in den besonderen Aufnahmeeinrichtungen erfolgt, an die dortigen besonderen Anforderungen angepasst werden soll. „Diese besonderen Anforderungen resultieren zum einen aus den organisatorischen Rahmenbedingungen der Einrichtungen mit einer großen Vielzahl von Bewohnern. V.a. aber stellen die Diversität, Herkunft und Bleibeperspektive der schulpflichtigen Kinder vor spezielle Herausforderungen: Die jungen Menschen kommen aus unterschiedlichen Ländern anderer Kulturkreise, sie weisen sehr unterschiedliche (oftmals geringe) schulische Vorbildung auf und sprechen weitgehend nicht Deutsch. Das erfordert unter Berücksichtigung der asylrechtlichen Rahmenbedingungen besondere, auf die Bedürfnisse in den besonderen Aufnahmeeinrichtungen abgestellte Bildungsangebote.“ Auch aus dieser Begründung wird deutlich, dass das Bildungsangebot, das Art. 36 Abs. 3 Satz 6 BayEUG bereit stellt, für einen Personenkreis gedacht ist, der erst kurz in Deutschland ist und dessen Aufenthalt hier auch möglichst kurz gestaltet werden soll.
Dies alles ist bei den Antragstellern nicht gegeben. Die Antragsteller halten sich seit Anfang 2014 in der Bundesrepublik auf, haben schon erfolgreiche Zeiten im bayerischen Regelschulsystem zurückgelegt und haben ausreichende Deutschkenntnisse, um dem Unterricht in einer Regelklasse der Sprengelschule zu folgen. In ihrem Fall wurde nicht nur kein beschleunigtes Verfahren gemäß § 30a AsylG durchgeführt, bei ihnen liegt wohl auch ein Fall des § 30a Abs. 3 Satz 3 AsylG i.V.m. § 49 Abs. 1 AsylG vor. Danach ist die Verpflichtung, in der Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, zu beenden, wenn eine Abschiebungsandrohung vollziehbar und die Abschiebung kurzfristig nicht möglich ist. Diese Voraussetzungen liegen bei den Antragstellern wohl vor. Auch deshalb sind sie nach dem Asylgesetz nicht verpflichtet sind, in einer besonderen Aufnahmeeinrichtung im Sinn des § 30a AsylG zu wohnen.
Auf eine Klärung im Hauptsacheverfahren kann der Antragsgegner hinwirken, indem er beantragt, die Klageerhebung anzuordnen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 926 Abs. 1 ZPO).
Aus den dargestellten Gründen war dem Antrag daher stattzugeben.
Kosten: § 154 Abs. 1 VwGO
Streitwert: §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2, 39 Abs. 1 GKG; dabei wurde ein Streitwert in Höhe von jeweils 2.500, – Euro für jeden der beiden Antragsteller zugrunde gelegt.
3. Ist nach dem Vorstehenden der Antrag auf einstweilige Anordnung erfolgreich, so gilt dies auch für den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für dieses Verfahren. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet nach den obigen Ausführungen hinreichende Aussicht auf Erfolg, § 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO.
Die Antragsteller sind nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage, die Kosten der Prozessführung auch nur zum Teil oder in Raten aufzubringen.
Die Entscheidung über den Antrag auf Prozesskostenhilfe ist kostenfrei; Auslagen werden nicht erstattet.