Aktenzeichen W 2 K 16.1264
BayEUG BayEUG Art. 19 Abs. 4 S. 1
BGB BGB § 195, § 204 Abs. 1 Nr. 1, § 812, § 814, § 818 Abs. 2, Abs. 3
Leitsatz
1. Der Sachaufwandsträger für eine Schule kann von den Eltern der Schüler die Erstattung seiner von der Lernmittelfreiheit nicht erfassten Aufwendungen zur Erstellung von Arbeitsmaterialien nach den Grundsätzen des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs verlangen. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Aufwendungen für Lernmittel gem. Art. 21 Abs. 3 S. 1 BaySchFG erfolgen nicht im Rahmen einer Sachaufwandsträgerschaft als Leistung an die Schule, sondern mit der Bereitstellung des notwendigen Materials für die Schüler wird die Verpflichtung der Unterhaltspflichtigen zur Beschaffung der Lernmaterialien übernommen, so dass der Leistungszweck auf die Unterhaltspflichtigen der begünstigten Schüler gerichtet ist. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
3. Schon aufgrund des Umstands, dass die primäre Beschaffung der notwendigen Arbeitsmaterialien durch die Unterhaltsverpflichteten praktisch nicht ohne erheblichen Sonderaufwand von Lehrern, Schüler und Eltern zu bewältigen wäre und der Sachaufwandsträger der Schule ebenso wie die Eltern bzw. Unterhaltspflichtigen ein Interesse an einer möglichst effizienten Unterrichtsgestaltung hat, ist die Konstellation nicht mit den von § 814 BGB erfassten Privatrechtsverhältnissen vergleichbar; eine Anwendung des Bereicherungsausschlusses ist folglich genauso ausgeschlossen wie die Berufung auf eine Entreicherung iSv § 818 Abs. 3 BGB, die beim öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch einer spezialgesetzlichen Zulassung bedarf. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verpflichtet, 142,00 EUR an den Kläger zu zahlen.
II. Die Beklagten haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Gerichtsbescheid ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagten können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Gem. § 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, wenn die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten wurden mit Schreiben vom 6. Februar 2017 zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid gehört.
Die Klage ist als auf Zahlung gerichtete Leistungsklage statthaft. Bei der vom Kläger geltend gemachten Forderung handelt es sich um einen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch, der im Wege der allgemeinen Leistungsklage vor der Verwaltungsgerichtsbarkeit durchzusetzen ist (vgl. BayVGH, U.v. 4. Mai 1994 – Az. 7 B 92.2935, BayVBl. 1995, S. 370ff.). Da die Beklagten trotz mehrfacher Zahlungsaufforderungen bislang nicht auf die Forderungen geleistet haben, besteht auch ein Rechtsschutzinteresse für die erhobene Klage.
Die Klage ist begründet. Dem Kläger steht der geltend gemachte Erstattungsanspruch zu.
Gem. Art. 21 Abs. 3 Satz 1 BaySchFG sind Lernmittel wie Arbeitsblätter als „übrige Lernmittel“ in verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden Weise von der Lernmittelfreiheit des Art. 21 Abs. 1 BaySchFG ausgenommen und müssen von den für den betroffenen Schüler nach dem bürgerlichen Recht Unterhaltspflichtigen beschafft werden. Hat der Schulaufwandsträger aus praktischen Gründen (durch die Anschaffung von Kopiergeräten o. ä.) die Herstellung dieser Arbeitsblätter übernommen, geht damit nicht zugleich die Übernahme der materiellen Kostenlast einher. Er kann die Erstattung seiner Aufwendung zur Erstellung der Arbeitsmaterialien jedenfalls nach den Grundsätzen des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs verlangen (vgl. BayVGH, a.a.O.).
Beim allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch handelt es sich nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts um ein aus Grundsätzen des Verwaltungsrechts, insbesondere der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, abgeleitetes eigenständiges Rechtsinstitut des öffentlichen Rechts. Seine Funktion ist es, eine dem materiellen Recht nicht entsprechende Vermögensverschiebung zu korrigieren (BVerwG, U.v. 15. Mai 2008, 5 C 25/07 – juris). Anspruchsvoraussetzungen und Rechtsfolgen, soweit sie nicht spezialgesetzlich geregelt sind, entsprechen denen des zivilrechtlichen Bereicherungsanspruchs (vgl. BVerwG, U.v. 12. März 1985 – 7 C 48.82 – BVerwGE 71, 85; U.v. 30. November 1990 – 7 A 1.90 – BVerwGE 87, 169; U.v. 30. November 1995 – 7 C 56.93 – BVerwGE 100, 56; U.v 18. Januar 2001 – 3 C 7.00 – BVerwGE 112, 351; B.v. 16. November 2007 – 9 B 36.07 – NVwZ 2008, 212). Ausnahmen davon hat das Bundesverwaltungsgericht lediglich dann anerkannt, wenn und soweit den §§ 812 ff. BGB eine abweichende Interessenwertung zugrunde liegt, die in das öffentliche Recht nicht übertragbar ist. Für eine solche Ausnahmesituation ist hier indes nichts ersichtlich. Insbesondere lässt sich aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 des Bayerischen Gesetzes über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (BayEUG) i.d. F.d. Bek. vom 31. Mai 2000 (GVBl S. 414), zuletzt geändert durch Gesetz vom 13. Dezember 2016 (GVBl S. 335), im Hinblick auf die sonderpädagogischen Anforderungen bei Förderschulen kein Abweichen von der materiellen Kostenlast der Unterhaltsberechtigten in Bezug auf die Kostenlast für „übrige Lernmittel“ rechtfertigen.
Auch wenn der Kläger keine detaillierte Aufstellung der in den jeweiligen Schuljahren für den Schüler … D. angefertigten Lernmittel i.S.v. Art. 21 Abs. 3 Satz 1 BaySchFG vorgelegt hat, hat das Gericht keinen Anlass daran zu zweifeln, dass in den, den Erstattungsforderungen zugrunde liegenden Schuljahren 2013/2014, 2014/2015 und 2015/2016 für den Schüler … D. tatsächlich Kopie- und Materialkosten in der geltend gemachten Höhe angefallen sind. Insbesondere können darin z.B. auch anteilige Kosten für die Beschaffung, Wartung und Instandsetzung von Kopiergeräten eingestellt werden (vgl. BayVGH, a.a.O.). Beanstandungen an der Höhe des geltend gemachten Erstattungsbetrages sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Anhaltspunkte dafür, dass die Schule ihren pädagogischen Beurteilungsspielraum beim Einsatz von Arbeitsblättern überschritten haben könnte, bestehen nicht.
Die geltend gemachten Forderungen können mithin vom Kläger gegen die Beklagten im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs entsprechend §§ 812ff. BGB geltend gemacht werden. Der Kläger hat die Zuwendungen für die in Rede stehenden Lernmittel gem. Art. 21 Abs. 3 Satz 1 BaySchFG rechtsgrundlos an die Beklagten geleistet. Seine diesbezüglichen Aufwendungen erfolgten gerade nicht im Rahmen seiner Sachaufwandsträgerschaft als Leistung an die Schule. Indem er mit der Bereitstellung des notwendigen Materials die Verpflichtung der Unterhaltspflichtigen zur Beschaffung der Lernmaterialien übernahm, richtete er seinen Leistungszweck auf die Unterhaltspflichtigen der begünstigten Schüler (ausführlich zu den Leistungsbeziehungen: BayVGH, a.a.O.). Er leistete mithin ohne rechtlichen Grund.
Die daraus resultierende Erstattungsforderungen entsprechend § 818 Abs. 2 BGB sind auch weder gem. § 814 BGB wegen Kenntnis der Nichtschuld ausgeschlossen noch kann ihnen der Einwand der Entreicherung gem. § 818 Abs. 3 BGB entgegengehalten werden. Schon aufgrund des Umstands, dass die primäre Beschaffung der notwendigen Arbeitsblätter durch die Unterhaltsverpflichteten praktisch nicht ohne erheblichen Sonderaufwand von Lehrern, Schüler und Eltern zu bewältigen wäre und der Kläger als Sachaufwandsträger der Schule ebenso wie die Eltern bzw. Unterhaltspflichtigen ein Interesse an einer möglichst effizienten Unterrichtsgestaltung hat, ist die Konstellation nicht mit den von § 814 BGB erfassten Privatrechtsverhältnissen vergleichbar (vgl. dazu BayVGH, a.a.O.). Eine Anwendung des Bereicherungsausschlusses ist folglich genauso ausgeschlossen wie die Berufung auf eine Entreicherung i.S.v. § 818 Abs. 3 BGB, die beim öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch einer spezialgesetzlichen Zulassung bedarf (vgl. Sprau, in: Palandt, BGB, 76. Auflage/2017, Vor § 812/Rn. 9).
Auch ein Befreiungstatbestand nach Art. 21 Abs. 3 Satz 2 BaySchFG liegt nicht vor. Gem. Art. 21 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BaySchFG werden von der Pflicht, die Atlanten für den Erdkundeunterricht und Formelsammlungen für den Mathematik- und Physikunterricht zu beschaffen auf Antrag die nach bürgerlichem Recht Unterhaltspflichtigen befreit, die für drei oder mehr Kinder Kindergeld nach dem Bundeskindergeldgesetz oder vergleichbare Leistungen erhalten. Die Befreiung gilt ab dem dritten Kind. Gem. Art. 21 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 lit. a BaySchFG gilt die Befreiung u.a. auch beim Bezug von Arbeitslosengeld II, Sozialgeld nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch. Unbeschadet der Tatsache, dass Art. 21 Abs. 3 Satz 2 BaySchFG seinem Wortlaut nach lediglich die Befreiung von der Pflicht zur Beschaffung von Atlanten und Formelsammlungen regelt, steht es dem Kläger frei, seinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch bezüglich der übrigen Lernmittel i.S.v. Art. 21 Abs. 3 Satz 1 BaySchFG ebenfalls diesem Befreiungstatbestand zu unterwerfen. Da die Anwendung des Befreiungstatbestands grundsätzlich begünstigende Wirkung für die Betroffenen hat, ist für diese Verwaltungspraxis keine eigene Rechtsgrundlage erforderlich. Die in Art. 21 Abs. 3 Satz 2 BaySchFG normierten Ausnahmetatbestände greifen sozialstaatliche Belange auf, so dass ihre überobligatorische Anwendung seitens des Klägers auf das Papier- und Materialgeld auch gegenüber den zur Leistung des Papier- und Materialgeldes verpflichteten Unterhaltspflichtigen anderer Schüler nicht willkürlich ist. Wie der Kläger den Beklagten gegenüber in seinem Schreiben vom 1. Juli 2016 jedoch zu Recht ausführt, liegen für keinen der Befreiungstatbestände die Voraussetzungen zu den jeweils schuljahresabhängigen Stichtagen des Art. 21 Abs. 3 Satz 3 BaySchFG vor. Da es sich bei … D. um das zweite von drei Kindern der Beklagten handelt, greift auch Art. 21 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BaySchFG nicht. Das vom Beklagten zu 1 mit Bewilligungsbescheid der Bundesagentur für Arbeit vom 30. Oktober 2015 zugesprochene sog. Arbeitslosengeld III ist nicht vom Befreiungstatbestand des Art. 21 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 lit a BaySchFG (Arbeitslosengeld II) erfasst. Dem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch des Klägers kann mithin nicht die Verwaltungspraxis des Klägers entgegen gehalten werden, einen Erstattungsanspruch beim Vorliegen eines Tatbestands nach Art. 21 Abs. 3 Satz 2 BaySchFG nicht geltend zu machen.
Schließlich steht dem Erstattungsanspruch auch nicht die Einrede der Verjährung entgegen. Sie wurde weder erhoben noch liegen die Voraussetzungen für eine Verjährungseinrede vor. Da die verfahrensgegenständliche Klage am 7. Dezember 2016 mithin auch vor Ablauf der dreijährigen Verjährungsfrist der auf das Schuljahr 2013/14 bezogenen Forderung erhoben wurde, wird die Verjährung gem. §§ 204 Abs. 1 Nr. 1, 195 BGB gehemmt.
Dem Kläger stehen die geltend gemachten Erstattungsansprüche zu. Die Beklagten sind gesamtschuldnerisch zur Zahlung verpflichtet.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 2 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.