Verwaltungsrecht

Flüchtlingseigenschaft, Beachtliche Wahrscheinlichkeit, Befähigung zum Richteramt, Nachfluchtgrund, Verwaltungsgerichte, Vorverfolgung, Subsidiärer Schutzstatus, Prozeßkostenhilfeverfahren, Asylantragstellung, Bundsverwaltungsgericht, Kostenentscheidung, Vertretungszwang, Maßgeblicher Zeitpunkt, Verfolgungsprognose, Rechtsmittelbelehrung, Prozeßbevollmächtigter, Berufungszulassung, mündlich Verhandlung, Verfahrensmangel, Klageabweisung

Aktenzeichen  W 2 K 19.32084

Datum:
10.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 2869
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

1.
Die zulässige Klage, über die gemäß § 102 Abs. 2 VwGO trotz Ausbleibens eines Vertreters der Beklagten mündlich verhandelt werden konnte, da in der Ladung hierauf hingewiesen wurde, ist unbegründet.
Im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) hat die Klägerin keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Insoweit ist der Bescheid der Beklagten vom 14. November 2019 rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Das Gericht folgt den zutreffenden Ausführungen der Beklagten im angegriffenen Bescheid und verweist auf diese (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Lediglich ergänzend wird Folgendes ausgeführt:
1.1
Ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Rahmen des Familienasyls nach § 26 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Abs. 5 AsylG scheidet aus, da die Klägerin ihren Asylantrag nicht unverzüglich nach ihrer Einreise in das Bundesgebiet gestellt hat. Die Klägerin stellte den Asylantrag am 16. Oktober 2019, mithin mehr als drei Jahre nach ihrer Einreise in das Bundesgebiet am 2. August 2016.
1.2
Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG liegen nicht vor.
Gemäß § 3 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 AsylG besteht ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, wenn sich der Ausländer aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will und er keine Ausschlusstatbestände erfüllt. Dabei ist es gemäß § 3b Abs. 2 AsylG unerheblich, ob er tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden.
Als Verfolgungshandlungen gelten nach § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen. Eine Verfolgungshandlung kann nach § 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG auch in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist. Nach § 3a Abs. 2 AsylG können als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 unter anderem die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt, gelten.
Nach § 3c AsylG kann die Verfolgung vom Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, soweit im letzteren Fall kein Schutz vor Verfolgung durch die beiden erstgenannten Akteure oder durch internationale Organisationen gewährleistet ist.
Zwischen den Verfolgungsgründen und den Verfolgungshandlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss nach § 3a Abs. 3 AsylG eine Verknüpfung bestehen.
Zur Beurteilung, ob hiernach begründete Furcht vor Verfolgung anzunehmen ist, muss das Gericht eine Verfolgungsprognose unter zusammenfassender Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts insgesamt anstellen. Diese Prognose hat die Wahrscheinlichkeit künftiger Geschehensabläufe bei einer hypothetisch unterstellten Rückkehr des Schutzsuchenden in seinen Heimatstaat zum Gegenstand. Dies gilt auch, wenn der auf Zuerkennung des Flüchtlingsstatus klagende Schutzsuchende – wie hier – aufgrund der Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus gemäß § 4 AsylG nicht unmittelbar von einer Abschiebung bedroht ist. Der subsidiäre Schutzstatus stellt eine Ergänzung zu der in der Genfer Flüchtlingskonvention festgelegten Schutzregelung für Flüchtlinge dar, die stets vorrangig zu prüfen ist (vgl. EuGH, Urteil vom 8. Mai 2014 – C-604/12 -, juris, Rn. 32 ff.).
Die begründete Furcht vor Verfolgung kann dabei sowohl auf tatsächlich erlittener oder unmittelbar drohender Verfolgung vor der Ausreise im Herkunftsstaat (Vorverfolgung) oder auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem oder weil der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat (Nachfluchtgründe), insbesondere auch auf einem Verhalten des Ausländers, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist (§ 28 Abs. 1a AsylG).
In beiden Fällen ist für die Beurteilung der einheitliche Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit anzulegen (BVerwG, U.v. 27.4.2010 – BVerwG 10 C 5.09 – juris). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist eine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung anzunehmen, wenn bei der vorzunehmenden zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Maßgebend ist damit letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheint. Ergeben die Gesamtumstände des Falles die „reale Möglichkeit“ (real risk) einer Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Bei der Abwägung aller Umstände wird ein verständiger Betrachter auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen (vgl. BVerwG, B.v. 7.2.2008 – 10 C 33.07 – juris).
Vorverfolgten kommt die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der RL 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 zugute. Danach ist die Tatsache, dass eine schutzsuchende Person bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat beziehungsweise von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht vor Verfolgung begründet ist, beziehungsweise dass eine tatsächliche Gefahr besteht, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen.
Kann nicht festgestellt werden, dass einem Asylbewerber Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, kommt eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht in Betracht (vgl. BVerwG, B.v. 15.8.2017 – 1 B 120/17 – juris).
Nach diesen Maßgaben hat die Klägerin keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
1.2.1
Gemessen an diesen Vorgaben ist nach Überzeugung des Gerichts davon auszugehen, dass die Klägerin unverfolgt aus Syrien ausgereist ist.
Die Klägerin selbst gab bei der Anhörung durch das Bundesamt an, dass sie wegen des allgemeinen Kriegsgeschehens, wegen der Bombardierungen und Luftangriffe aus Syrien ausgereist sei. Als weiteren Grund hat sie angegeben, dass ihre behinderten Kinder in Deutschland eine bessere Zukunft finden könnten. Auch in der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin nochmals bestätigt, dass sie selbst nicht bedroht worden sei, sondern nur ihr Ehemann.
Ihre Angabe in der mündlichen Verhandlung, dass es in der Heimat der Klägerin vorgekommen sei, dass Frauen und Kinder von den Milizen mitgenommen worden seien, kann nicht eine individuelle Verfolgungsgefahr für die Klägerin begründen, da diese Vorkommnisse – selbst bei Wahrunterstellung – den allgemeinen Kriegsgeschehnissen zuzurechnen sind und nicht eine besonders abgrenzbare soziale Gruppe betroffen haben.
1.2.2
Auch ein Nachfluchtgrund (§ 28 Abs. 1a AsylG) ist für die Klägerin nicht ersichtlich.
1.2.2.1
Insbesondere droht der Klägerin nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine politische Verfolgung allein aufgrund ihrer Ausreise, der Asylantragstellung und des längeren Aufenthalts in Deutschland.
Es entspricht gefestigter obergerichtlicher Rechtsprechung in Deutschland, dass allein die illegale Ausreise und die Stellung eines Asylantrags sowie der Aufenthalt im westlichen Ausland nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu flüchtlingsschutzrelevanten Maßnahmen seitens der syrischen Sicherheitskräfte führen (BayVGH, U.v. 2.10.2019 – 20 B 19.31661 – juris).
Nach der gegenwärtigen Erkenntnislage besteht keine hinreichende Grundlage für die Annahme, dass der totalitäre Staat Syrien jede zurückkehrende Person, die das Land unverfolgt verlassen hat, pauschal unter eine Art Generalverdacht stellt, der Opposition anzugehören.
2.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.


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