Verwaltungsrecht

Flüchtlingseigenschaft, Verwaltungsgerichte, Beachtliche Wahrscheinlichkeit, Befähigung zum Richteramt, Subsidiärer Schutzstatus, Nachfluchtgrund, Vorverfolgung, Rechtsmittelbelehrung, Gewährung von Prozesskostenhilfe, Hinreichende Aussicht auf Erfolg, Persönliche und wirtschaftliche Verhältnisse, Prozeßkostenhilfeverfahren, Asylantragstellung, Bundsverwaltungsgericht, Kostenentscheidung, Vertretungszwang, Maßgeblicher Zeitpunkt, Verfolgungsprognose, Prozeßbevollmächtigter, Berufungszulassung

Aktenzeichen  W 2 K 19.31441

Datum:
10.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 2866
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

1.
Die zulässige Klage, über die gemäß § 102 Abs. 2 VwGO trotz Ausbleibens eines Vertreters der Beklagten mündlich verhandelt werden konnte, da in der Ladung hierauf hingewiesen wurde, ist unbegründet.
Im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) hat die Klägerin keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Insoweit ist der Bescheid der Beklagten vom 18. Juli 2019 rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
1.1
Ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Rahmen des Familienasyls nach § 26 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Abs. 5 AsylG scheidet aus, da die Klägerin ihren Asylantrag nicht unverzüglich nach ihrer Einreise in das Bundesgebiet gestellt hat. Die Klägerin stellte den Asylantrag am 11. Oktober 2018, mithin mehr als ein Jahr nach ihrer Einreise in das Bundesgebiet am 7. Juli 2017.
1.2
Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG liegen ebenfalls nicht vor.
Gemäß § 3 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 AsylG besteht ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, wenn sich der Ausländer aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will und er keine Ausschlusstatbestände erfüllt. Dabei ist es gemäß § 3b Abs. 2 AsylG unerheblich, ob er tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden.
Als Verfolgungshandlungen gelten nach § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen. Eine Verfolgungshandlung kann nach § 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG auch in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist. Nach § 3a Abs. 2 AsylG können als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 unter anderem die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt, gelten.
Nach § 3c AsylG kann die Verfolgung vom Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, soweit im letzteren Fall kein Schutz vor Verfolgung durch die beiden erstgenannten Akteure oder durch internationale Organisationen gewährleistet ist.
Zwischen den Verfolgungsgründen und den Verfolgungshandlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss nach § 3a Abs. 3 AsylG eine Verknüpfung bestehen.
Zur Beurteilung, ob hiernach begründete Furcht vor Verfolgung anzunehmen ist, muss das Gericht eine Verfolgungsprognose unter zusammenfassender Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts insgesamt anstellen. Diese Prognose hat die Wahrscheinlichkeit künftiger Geschehensabläufe bei einer hypothetisch unterstellten Rückkehr des Schutzsuchenden in seinen Heimatstaat zum Gegenstand. Dies gilt auch, wenn der auf Zuerkennung des Flüchtlingsstatus klagende Schutzsuchende – wie hier – aufgrund der Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus gemäß § 4 AsylG nicht unmittelbar von einer Abschiebung bedroht ist. Der subsidiäre Schutzstatus stellt eine Ergänzung zu der in der Genfer Flüchtlingskonvention festgelegten Schutzregelung für Flüchtlinge dar, die stets vorrangig zu prüfen ist (vgl. EuGH, U.v. 8.5.2014 – C-604/12 – juris).
Die begründete Furcht vor Verfolgung kann dabei sowohl auf tatsächlich erlittener oder unmittelbar drohender Verfolgung vor der Ausreise im Herkunftsstaat (Vorverfolgung) oder auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem oder weil der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat (Nachfluchtgründe), insbesondere auch auf einem Verhalten des Ausländers, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist (§ 28 Abs. 1a AsylG).
In beiden Fällen ist für die Beurteilung der einheitliche Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit anzulegen (BVerwG, U.v. 27.4.2010 – BVerwG 10 C 5.09 – juris). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist eine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung anzunehmen, wenn bei der vorzunehmenden zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Maßgebend ist damit letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheint. Ergeben die Gesamtumstände des Falles die „reale Möglichkeit“ (real risk) einer Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Bei der Abwägung aller Umstände wird ein verständiger Betrachter auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen (vgl. BVerwG, B.v. 7.2.2008 – 10 C 33.07 – juris). Vorverfolgten kommt die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der RL 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 zugute. Danach ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat beziehungsweise von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist beziehungsweise dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird.
Kann nicht festgestellt werden, dass einem Asylbewerber Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, kommt eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht in Betracht (vgl. BVerwG, B.v. 15.8.2017 – 1 B 120/17 – juris).
Nach diesen Maßgaben hat die Klägerin keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
1.2.1
Nach Überzeugung des Gerichts ist die Klägerin unverfolgt aus Syrien ausgereist.
Zwar gibt die Klägerin in der mündlichen Verhandlung an, dass sie sich in ihrer Heimatstadt aufgrund einer Teilnahme an einer Anti-Assad-Demonstration im August 2014 verfolgt gefühlt habe. Allerdings wirkt diese Angabe aus asyltaktischen Gründen als nachgeschoben, da sie diese Angabe in der Anhörung vor dem Bundesamt unterließ. Außerdem kann der Wahrheitsgehalt dahingestellt bleiben, da die Klägerin nach eigenen Angaben bis zu ihrer Ausreise im Jahr 2015 vom herrschenden Regime unbehelligt in ihrer Heimatstadt wohnen konnte.
So ist davon auszugehen, dass die Klägerin wegen der allgemeinen Kriegsgeschehens Syrien verlassen hat, wofür der Gesetzgeber den subsidiären Schutzstatus vorgesehen hat.
1.2.2
Auch ein Nachfluchtgrund (§ 28 Abs. 1a AsylG) ist für die Klägerin nicht ersichtlich.
1.2.2.1.
Eine politische Verfolgung droht der Klägerin insbesondere nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit allein aufgrund ihrer Ausreise, der Asylantragstellung und des längeren Aufenthalts in Deutschland.
Es entspricht gefestigter obergerichtlicher Rechtsprechung in Deutschland, dass allein die illegale Ausreise und die Stellung eines Asylantrags sowie der Aufenthalt im westlichen Ausland nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu flüchtlingsschutzrelevanten Maßnahmen seitens der syrischen Sicherheitskräfte führen (vgl. BayVGH, U.v. 2.10.2019 – 20 B 19.31661 – juris m.w.N.).
Nach der gegenwärtigen Erkenntnislage besteht keine hinreichende Grundlage für die Annahme, dass der totalitäre Staat Syrien jeden Rückkehrer, auch solche, die ihr Land unverfolgt verlassen haben, pauschal unter eine Art Generalverdacht stellt, der Opposition anzugehören, sofern nicht besondere, individuell gefahrerhöhende Umstände vorliegen, die auf eine oppositionelle Einstellung hinweisen.
1.2.2.2.
Eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit wegen einer zumindest unterstellten politischen Haltung ergibt sich für die Klägerin auch nicht aufgrund einer (möglichen) Wehrdienstentziehung ihres Ehemanns oder eines anderen nahen Verwandten.
Bei den obersten deutschen Verwaltungsgerichten besteht mittlerweile Einigkeit, dass Angehörige von Wehrdienstpflichtigen wegen deren Entziehung vom Wehrdienst nicht mit flüchtlingsschutzrelevanten Maßnahmen seitens der syrischen Sicherheitskräfte rechnen müssen (vgl. BayVGH, U.v. 30.1.2020 – 20 B 19.32952 – juris m.w.N.).
Eine solche Gefahr einer Reflexverfolgung lässt sich aus den aktuellen Erkenntnismitteln nicht entnehmen. Trotz der Vielzahl an militärdienstpflichtigen Syrern, die im europäischen Ausland um Asyl nachgesucht haben, sind keine Referenzfälle einer Verfolgung der in Syrien zurückgebliebenen Familienmitglieder aufgrund der Militärflucht ihrer nahen Angehörigen belegt.
2.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.


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