Aktenzeichen Au 7 S 16.189
Leitsatz
Das öffentliche Hausrecht der Behörde umfasst das Recht, zur Wahrung der Zweckbestimmung einer öffentlichen Einrichtung und insbesondere zur Abwehr von Störungen des Dienstbetriebs über den Aufenthalt von Personen in den Räumen der Einrichtung zu bestimmen. Der Erlass eines Hausverbots steht dabei im pflichtgemäßen Ermessen des Behördenleiters. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin (Az.: Au 7 K 16.188) gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 4. Februar 2016 wird wiederhergestellt.
II.
Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Der Streitwert wird auf 2.500,- EUR festgesetzt.
Gründe
II.
Der Antrag ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.
1. Der Antrag ist zulässig.
Da das streitgegenständliche Hausverbot „ab sofort“, also ab Zustellung des Bescheids, verfügt wurde und bis 31. März 2017 gelten soll, besteht ein Rechtsschutzinteresse für die im Eilverfahren beantragte Entscheidung, auch wenn die Genehmigung für den geplanten Neujahrsempfang am 12. Februar 2016, auf dem eine Rede der Antragstellerin stattfinden soll, mit (für sofort vollziehbar erklärtem) Bescheid der Antragsgegnerin vom 8. Februar 2016 widerrufen wurde. Da die Frist für die Einlegung eines Rechtsmittels gegen diesen Bescheid noch läuft, ist im Zeitpunkt dieser Entscheidung nicht absehbar, ob der Widerruf der Genehmigung und die Anordnung die Anordnung des Sofortvollzugs Bestand haben werden, also ob der Neujahrsempfang der w-Stadträte stattfinden wird oder nicht.
2. Der Antrag ist begründet.
Bei der Entscheidung über den Antrag, die aufschiebende Wirkung der (Anfechtungs-) Klage gegen das Hausverbot wiederherzustellen, hat das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung zu treffen. Im Rahmen dieser Entscheidung ist das Interesse der Antragstellerin, dem erteilten Hausverbort nicht mit sofortiger Wirkung unterworfen zu werden, gegen das Interesse der Allgemeinheit an der sofortigen Beachtung des Hausverbots abzuwägen. Ausschlaggebend im Rahmen dieser Abwägungsentscheidung sind in erster Linie die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels, dessen aufschiebende Wirkung wiederhergestellt werden soll, hier also der Anfechtungsklage vom 9. Februar 2016. Lässt sich schon bei summarischer Prüfung eindeutig feststellen, dass der angefochtene Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist und den Betroffenen in seinen Rechten verletzt, so dass die Klage mit Sicherheit Erfolg haben wird (analog § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), kann kein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung dieses Verwaltungsakts bestehen. Andererseits ist für eine Interessenabwägung, die zugunsten der Antragstellerin ausgeht, im Regelfall kein Raum, wenn keine Erfolgsaussichten in der Hauptsache bestehen.
Bei der hier nur möglichen summarischen Betrachtung der Sach- und Rechtslage erweist sich das mit Bescheid vom 4. Februar 2016 erteilte Hausverbort als rechtswidrig und verletzt die Antragstellerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Grundlage für die Anordnung, ein öffentlichen Zwecken dienendes Gebäude nicht zu betreten, ist das öffentlichrechtliche Hausrecht der Behörde. Es umfasst das Recht, zur Wahrung der Zweckbestimmung einer öffentlichen Einrichtung und insbesondere zur Abwehr von Störungen des Dienstbetriebes über den Aufenthalt von Personen in den Räumen der Einrichtung zu bestimmen. Da ein Hausverbot präventiven Charakter hat, setzt dessen Ausspruch voraus, dass es zur Abwehr künftiger Störungen des Betriebsablaufs in der Behörde oder zum Schutz der Mitarbeiter und/oder Besucher erforderlich ist. Dementsprechend sind in dem Bescheid die Tatsachen zu benennen, die den Hausfrieden in der Vergangenheit gestört haben und darauf schließen lassen, dass in Zukunft wieder mit Störungen zu rechnen und das Hausverbot daher erforderlich ist, um erneute Vorfälle zu verhindern. Der Erlass eines Hausverbots steht dabei im pflichtgemäßen Ermessen des Behördenleiters. Dieser hat sein Ermessen entsprechend dem – präventiven – Zweck des Hausverbots auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens, insbesondere den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten (Art. 40 BayVwVfG).
Der Erlass eines Hausverbots setzt im vorliegenden Fall voraus, dass ohne ein solches eine nicht hinnehmbare Störung des ordnungsgemäßen Betriebes des Rathauses zu besorgen ist. Dies würde zum einen die auf Tatsachen beruhende Feststellung erfordern, dass die Antragstellerin in der Vergangenheit insbesondere als Handlungsstörerin die öffentliche Sicherheit und Ordnung verletzt hat. Zum anderen müssten die festgestellten Störungen die Prognose rechtfertigen, dass in Zukunft bei einem Aufenthalt der Antragstellerin im Rathaus bzw. ihrer Teilnahme an dort stattfindenden Veranstaltungen mit weiteren bzw. entsprechenden Störungen zu rechnen ist und ihr Aufenthalt im Rathaus mit dessen Widmungszweck nicht vereinbar ist.
Ausgehend hiervon kann das gegen die Antragstellerin gerichtete Hausverbot aller Voraussicht nach keinen Bestand haben. Es fehlt bereits an den tatbestandlichen Voraussetzungen zu dessen Erlass.
Das Rathausgebäude mit dem …, den … und dem … wird von der Antragsgegnerin als öffentliche Einrichtung im Sinne von Art. 21 BayGO betrieben (siehe Benutzungsordnung für das Rathaus der Stadt …“ vom 17. Dezember 2007, in Kraft getreten am 1. Januar 2008). Im Rahmen dieser Benutzungsordnung werden die o.g. Repräsentationsräume den im Stadtrat der Antragsgegnerin vertretenen Fraktionen und Wählergruppen im Rahmen ihrer Stadtratstätigkeit zur Verfügung gestellt (vgl. § 1 Abs. 2 der Benutzungsordnung). Nach ständiger Vergabepraxis werden den im Stadtrat der Antragsgegnerin vertretenen Fraktionen und Wählergruppen die Räumlichkeiten des Rathauses insbesondere auch zur Abhaltung von deren Neujahrsempfängen zur Verfügung gestellt. Üblich bei solchen Neujahrsempfängen ist zudem, dass die Fraktionen oder Wählergruppen auch überörtlich bekannte Politiker als Redner einladen. So haben – einzelne Beispiele herausgegriffen – die … x bei deren Neujahrsempfang 2013 den w Oberbürgermeister von Nürnberg, C, y bei ihrem Neujahrsempfang 2014 die frühere y-Chefin und Bundestagsvizepräsidentin D und den Stuttgarter Oberbürgermeister E eingeladen, und die … z hat bei den Neujahrsempfängen 2013 und 2014 den Bayerischen Ministerpräsidenten F und beim Neujahrsempfang 2016 den Bayerischen Finanzminister G eingeladen, der bei seiner Rede auf das „Flüchtlingsthema“ eingegangen ist und z. B. erneut eine Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen forderte.
Die Genehmigungen für die im Rathaus stattfindenden jeweiligen Neujahrsempfänge der Stadtratsfraktionen oder Wählergruppen mit der Teilnahme von Kommunal-, Landes- oder Bundespolitikern der eigenen Partei, die bei diesen Veranstaltungen ihre Meinung nicht nur zu lokalen, sondern auch überregionalen bzw. allgemein interessierenden politischen Fragen kundtun, halten sich daher im Rahmen der Widmung bzw. entsprechen der ständigen Vergabepraxis der Antragsgegnerin für solche im Rathaus stattfinden Veranstaltungen. Damit hält sich auch der geplante Neujahrsempfang der w-Stadträte A und B mit der Einladung der Antragstellerin (Parteivorsitzende der w) als Festrednerin im Rahmen der Widmung der Räumlichkeit. Oder anders ausgedrückt, die Absicht der Antragstellerin, als Festrednerin am Neujahrsempfang der w-Stadträte am 12. Februar 2016 (oder ähnlichen künftigen Veranstaltungen) im Rathaus teilzunehmen, entspricht dem bisher üblichen und von der Antragsgegnerin genehmigten Benutzungszweck.
Die von der Antragsgegnerin herangezogenen Äußerungen der Antragstellerin in ihrem Interview am 30. Januar 2016 mit dem … können nicht als Störung der öffentlichen Ordnung angesehen werden.
Abgesehen davon, dass wegen dieser Äußerungen nach Aktenlage und Kenntnis des Gerichts im Zeitpunkt dieser Entscheidung kein Strafverfahren gegen die Antragstellerin eingeleitet wurde, liegt ein strafbares Handeln insoweit auch nicht etwa „auf der Hand“, sondern ist eher fernliegend. Im Hinblick (nicht nur) auf das Grundrecht der Meinungsfreiheit in Art. 5 Abs. 1 GG können provokative Aussagen eines Politikers, die nicht offensichtlich einen Straftatbestand erfüllen oder zu Straftaten aufrufen, im Rahmen der freiheitlich demokratischen Grundordnung nicht als Störung der öffentlichen Ordnung gewertet oder behandelt werden. Die Auseinandersetzung und auch das Aushalten von Meinungen, die von (nicht verbotenen) Parteien im Rahmen der politischen Willensbildung geäußert werden, ist ganz wesentlicher Bestandteil der durch das Grundgesetz geprägten freiheitlich demokratischen Ordnung in der Bundesrepublik Deutschland. Festzustellen bleibt in diesem Zusammenhang nur, dass die Aussagen der Antragstellerin eine bundesweite äußerst kontroverse öffentliche Diskussion ausgelöst haben, wie in den Medien und sozialen Netzwerken nachgelesen werden kann.
Stellen die Äußerungen der Antragstellerin, die sie als Parteivorsitzende einer in Deutschland nicht verbotenen Partei getätigt hat, aber keine Störung der öffentlichen Ordnung dar, so können sie, auch wenn sie politisch bzw. gesellschaftlich äußert umstritten sind, das streitgegenständliche Hausverbot – selbst wenn von einer „Wiederholungsgefahr“ auszugehen wäre – nicht rechtfertigen. Die von der Antragsgegnerin betonte Symbolstellung des Rathauses, in dem im Zusammenhang mit der Stellung der Antragsgegnerin als „Friedensstadt“ entsprechende Veranstaltungen, Preisverleihungen und Ausstellungen stattfinden, stellt zwar einen Gesichtspunkt dar, der im Rahmen der Ermessensentscheidung über ein Hausverbot berücksichtigt werden kann. In die Abwägung sind aber auch die Grundrechte der Antragstellerin, die durch das Hausverbot betroffen sind, einzubeziehen. Hier hat die Antragstellerseite zu Recht das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG), die Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG), das Verbot einer Diskriminierung der politischen Anschauungen (Art. 3 Abs. 1 GG) und die Parteienfreiheit (Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG) genannt. Ausgehend von ihrer nicht haltbaren Rechtsansicht, dass entsprechende Aussagen der Antragstellerin zur Flüchtlingspolitik und Grenzsicherung eine Störung der öffentlichen Ordnung darstellen, hat die Antragsgegnerin daher die erforderliche Abwägung zwischen den für ein Hausverbot sprechenden Belangen und den genannten, durch das Hausverbot betroffenen Grundrechten der Antragstellerin nicht in der erforderlichen Weise vorgenommen und die Rechte der Antragstellerin nicht mit dem ihnen zukommenden Gewicht gewürdigt. Entsprechende Erwägungen lassen sich im angefochtenen Bescheid und auch in den Stellungnahmen der Antragsgegnerin in diesem Verfahren nicht oder höchstens rudimentär erkennen.
Die Erforderlichkeit des streitgegenständlichen Hausverbots kann die Antragsgegnerin im vorliegenden Fall auch nicht damit begründen, die öffentliche Sicherheit und Ordnung würde zum einen durch Dritte bzw. Gegendemonstranten oder auch durch einen zu großen Besucherandrang zum Neujahrsempfang gestört, und es würden Schäden an städtischen Gebäuden befürchtet.
Die Besorgnis, es werde anlässlich einer Veranstaltung zu Gegenaktionen, Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, Beschädigung der öffentlichen Einrichtung und anderer Sachen kommen, berechtigt in aller Regel nicht dazu, einem Antragsteller die Benutzung einer öffentlichen Einrichtung vorzuenthalten bzw. hier ein Hausverbot auszusprechen. Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn es wegen gewalttätiger Gegendemonstranten zu Unruhen kommen würde (vgl. BayVGH, B.v. 21.1.1988 – 4 CE 87.03883 – BayVBl. 1988, 497ff).
Es ist Aufgabe der Sicherheitsbehörden, durch geeignete Maßnahmen die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu gewährleisten. Die mit der Veranstaltung verbundenen Risiken liegen im Bereich dessen, was in einer auf Demokratie und Meinungsfreiheit beruhenden Rechtsordnung als Begleiterscheinung öffentlicher politischer Auseinandersetzungen in Kauf genommen werden muss. Für Veranstaltungen von Parteien gilt dies, solange die Parteien nicht gemäß Art. 21 Abs. 2 GG vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt worden sind. Nur wenn die Behörden außer Stande sind, die öffentliche Sicherheit und Ordnung aufrecht zu erhalten, kann eine Gemeinde die Nutzung einer öffentlichen Einrichtung nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Mittel versagen (vgl. BVerwG, U.v. 18.7.1969 – VII C 56.68 – BVerwGE 32, 333/337; BayVGH, B.v. 4.5.2005 – 4 CE 05.1137 – juris).
Im vorliegenden Fall liegen jedoch keine konkreten Anhaltspunkte vor, die auf eine Erfolglosigkeit polizeilicher Sicherheitsmaßnahmen schließen lassen.
Gleiches gilt für die von der Antragsgegnerin vorgetragenen befürchteten Schäden an städtischem Eigentum. Auch insoweit ist der Gefahr einer Beschädigung grundsätzlich durch polizeiliche Maßnahmen zu begegnen. Sie kann nicht Grundlage für ein gegen die Antragstellerin verfügtes Hausverbot sein.
Erweist sich das Hausverbot schon im Hinblick auf den (ggf. stattfindenden) Neujahrsempfang am 12. Februar 2016 als rechtswidrig, so erweist sich das Hausverbot erst recht im Hinblick auf seine Dauer bzw. Befristung bis 31. März 2017 als rechtswidrig.
3. Nach alledem ist dem Antrag mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.
4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 i. V. m. § 52 Abs. 2 GKG sowie den Empfehlungen in Nr. 1.5 Satz 1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (abgedr. in Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl. 2015, Anhang zu § 164 Rn. 14). Der hier als Streitwert anzusetzende Auffangwert von 5.000,– EUR ist im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zu halbieren.