Verwaltungsrecht

Im Süden Malis besteht eine innerstaatliche zumutbare Fluchtalternative

Aktenzeichen  M 21 S 17.37551

Datum:
14.7.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3e Abs. 1, § 30 Abs. 1, § 34 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, § 36 Abs. 4 S. 1

 

Leitsatz

Im Süden Malis besteht eine innerstaatliche zumutbare Fluchtalternative, da dieser Bereich vom Bürgerkrieg nicht betroffen ist. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der nicht ausgewiesene Antragsteller ist nach eigenen Angaben malischer Staatsangehöriger. Er reiste am 23. Mai 2014 aus Italien kommend in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 16. Juni 2014 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) einen Asylantrag.
Im Rahmen seiner persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt am 9. November 2016 führte der Antragsteller aus, er habe nach dem Ausbruch des Bürgerkrieges seine Mutter und seine jüngere Schwester aus Gao holen wollen. Auf dem Weg dorthin sei er von Tuareg-Rebellen verhaftet worden. Sie hätten ihn zwei Wochen lang festgehalten, dann habe er fliehen können. Zuvor hätten die Tuareg aber seinen Namen notiert und ein Foto von ihm aufgenommen. Er habe daher Angst, dass ihn einerseits die Tuareg suchen, diese andererseits aber sein Name und sein Foto an die Regierung übergeben haben könnten, die dann ebenfalls nach ihm suchten.
Mit Bescheid vom 10. April 2017, zugestellt am 18. April 2017, lehnte das Bundesamt den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf Asylanerkennung sowie auf subsidiären Schutz als offensichtlich unbegründet ab (Nrn. 1 bis 3). Es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4). Der Antragsteller wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen, andernfalls wurde die Abschiebung nach Mali angedroht (Nr. 5). Schließlich wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6).
Zur Begründung heißt es in dem Bescheid, den Darstellungen des Antragstellers seien weder wörtlich noch inhaltlich eine politisch motivierte Verfolgung zu entnehmen, sondern lediglich die zu erwartenden allgemein schwierigen Lebensbedingungen im Nordteil Malis nach Ausbruch des dortigen Krieges und der Besetzung des Gebietes durch radikal islamische Kräfte. Zudem habe dem Antragsteller eine inländische Fluchtalternative zur Verfügung gestanden. Grundsätzlich sei davon auszugehen, dass in jeder größeren Stadt sowie auch auf dem flachen Lande im Süden Malis interne Schutzmöglichkeiten bestünden. Außerdem habe der Antragsteller die Möglichkeit, den Schutz der staatlichen und örtlichen Behörden zu erlangen. Auch eine Rückkehr nach Bamako sei ohne Betroffenheit von einer Bürgerkriegsgefährdung möglich. Gegenwärtig sei im nördlichen Teil von keinem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt mehr auszugehen. Der Antragsteller sei in Mali aufgewachsen, er spreche die zur Verständigung notwendigen Sprachen. Überdies sei er jung, gesund und habe seinen Lebensunterhalt als Maurer verdient. Es gebe keinerlei Anlass zu der Annahme, dass es ihm nicht gelingen werde, bei einer Rückkehr nach Mali das wirtschaftliche Existenzminimum zu erreichen.
Der Antragsteller hat am 19. April 2017 durch seine Bevollmächtigte Klage erhoben (M 21 K 17.37549) und beantragt, den Bescheid vom 10. April 2017 hinsichtlich seiner Ziffern 1 und 3 bis 5 aufzuheben und die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen sowie weiter hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
Gleichzeitig wurde beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Eine (angekündigte) Begründung der Klage und des Eilantrags erfolgte nicht.
Das Bundesamt hat mit Schreiben vom 2. Mai 2017 die Akten vorgelegt und sich weder zu der Klage noch zu dem Antrag geäußert.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten in diesem und im Klageverfahren sowie auf die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Der Antrag, die kraft Gesetzes (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, § 75 AsylG) ausge-schlossene aufschiebende Wirkung der erhobenen Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen, ist zulässig, aber nicht begründet.
Nach § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf die Aussetzung der Abschiebung in den Fällen der Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen, wobei Tatsachen und Beweismittel, die von den Beteiligten nicht angegeben worden sind, unberücksichtigt bleiben, es sei denn, sie sind gerichtsbekannt oder offenkundig (§ 36 Abs. 4 Satz 2 AsylG). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts, § 77 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. AsylG. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes liegen vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Abschiebungsandrohung einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166 ff.). Die gerichtliche Überprüfung der vom Bundesamt getroffenen Offensichtlichkeitsfeststellung hat im Hinblick auf den nach Art .19 Abs. 4 GG gebotenen effektiven Rechtsschutz aufgrund der als asylerheblich vorgetragenen oder zu erkennenden Tatsachen und in Anwendung des materiellen Asylrechts erschöpfend, wenngleich mit Verbindlichkeit allein für das Eilverfahren zu erfolgen (BVerfG, B.v. 19.6.1990 – 2 BvR 369/90 – juris Rn. 20). Die Anforderungen entsprechen insofern denjenigen der Ablehnung einer asylrechtlichen Klage als offensichtlich unbegründet (BVerfG, B.v. 19.6.1990 a.a.O. – juris Rn. 21).
Anknüpfungspunkt zur Frage der Bestätigung oder Verwerfung des Sofortvollzugs durch das Gericht muss daher die Prüfung sein, ob das Bundesamt den Antrag zu Recht als offensichtlich unbegründet abgelehnt hat und ob diese Ablehnung auch weiterhin Bestand haben kann.
Das Gericht hat im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auch die Einschätzung des Bundesamtes, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (§ 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG), zum Gegenstand der Prüfung zu machen. Dies ist zwar der gesetzlichen Regelung des § 36 AsylG nicht ausdrücklich zu entnehmen, jedoch gebieten die verfassungsrechtlichen Gewährleistungen der Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 103 Abs. 1 GG die diesbezügliche Berücksichtigung auch im Verfahren nach § 36 AsylG (vgl. zur vergleichbaren Rechtslage nach § 51 Ausländergesetz 1990 BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166/221).
Ein Asylantrag ist gemäß § 30 Abs. 1 AsylG offensichtlich unbegründet, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und die Voraussetzungen für die Flüchtlingseigenschaft (einschließlich der Voraussetzungen für subsidiären Schutz) offensichtlich nicht vorliegen. Dies ist dann anzunehmen, wenn an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise keine Zweifel bestehen und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Ablehnung des Antrags geradezu aufdrängt (BVerfG, B.v. 21.7.2000 – 2 BvR 1429/98 – juris Rn. 3).
Entsprechend diesem Maßstab begegnet die Entscheidung des Bundesamts keinen ernstlichen Zweifeln. Das Gericht folgt den Gründen des angefochtenen Bescheids, nimmt auf diesen Bezug (§ 77 Abs. 2 AsylG) und weist ergänzend auf Folgendes hin:
Hinsichtlich der vom Antragsteller vorgetragenen Verfolgungsgeschichte hegt das Gericht ernstliche Zweifel am Wahrheitsgehalt. Es ist – ohne weitere Erklärung – bereits schwer nachzuvollziehen, warum die Familie des Antragstellers, wenngleich er selbst einerseits in Bamako geboren ist und zuletzt auch nach eigenen Angaben in der dortigen Gegend gelebt hat, fast 1.300 km entfernt in Gao lebt. Dass die Mutter und die Schwester dort wegen der kriegerischen Auseinandersetzungen im Jahr 2012 besonders betroffen gewesen seien, trägt der Antragsteller ebenfalls nicht vor. Umso mehr überrascht es, dass er einerseits eine Strecke von fast 1.300 km auf sich nimmt, um seine Familie zu holen, andererseits dann aber, nach seiner Flucht aus der Gefangenschaft der Tuareg offenbar keine Bemühungen mehr unternimmt, gemeinsam mit seiner Familie das Land zu verlassen. Auch ist seine Schilderung der zweiwöchigen Gefangenschaft überaus detailarm. Es leuchtet nicht ein, warum die Tuareg ihn festhalten, damit er für die Unabhängigkeit kämpft, er aber während der gesamten Zeit nicht ein einziges Mal auch tatsächlich in den Kampf geschickt wird. Nach dem Vortrag des Antragstellers wurde er während seiner Gefangenschaft lediglich fotografiert und einmal täglich verköstigt. Gleiches gilt für seine Flucht aus dieser Gefangenschaft. Die Ausführungen des Antragstellers hierzu verbleiben im vagen, wenngleich eine solche Flucht mit Sicherheit bleibenden Eindruck hinterlassen haben würde.
Selbst wenn man das Vorbringen des Antragstellers aber als wahr unterstellt, steht ihm nach Überzeugung des Gerichts jedenfalls in Teilen im Süden Malis (beispielsweise in Bamako) eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung (§ 3e AsylG). Nach dieser Vorschrift wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft trotz sonst zu bejahender Anspruchsvoraussetzungen nicht zuerkannt, wenn er (1.) in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und (2.) sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.
Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben.
Der Süden Malis ist bürgerkriegsfrei. Von den Kampfhandlungen islamistischer Gruppen, die im Januar 2012 ihren Anfang nahmen, war im Wesentlichen der Norden Malis betroffen, wobei auch dort nunmehr nicht mehr von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt auszugehen ist. Das Gericht geht auch davon aus, dass der Kläger als gesunder junger, alleinstehender Mann ohne Kinder seinen Lebensunterhalt im Süden Malis sicherstellen kann, selbst wenn hierfür mehr zu fordern ist als die bloße Sicherung des Existenzminimums. Darüber hinaus ist darauf zu verweisen, dass der Kläger selbst aus dem Süden Malis stammt und zuletzt dort auch gelebt und gearbeitet hat. Es ist deshalb vernünftigerweise zu erwarten, dass der Kläger in seinem Heimatland, mit dessen Gepflogenheiten und Sprache er durchaus vertraut ist, seinen Lebensunterhalt sicherstellen kann.
Soweit der Antragsteller befürchtet, im Süden Malis durch die angeblich von ihm gefertigte Bildaufnahme bedroht, verletzt oder gar getötet zu werden, ist ihm insoweit die Inanspruchnahme des Schutzes durch staatliche Behörden möglich und zumutbar. Überdies hat das Gericht auch keine Zweifel daran, dass sich der Antragsteller dort, insbesondere in den großen Städten im Süden Malis wie beispielsweise der Hauptstadt Bamaku mit 2,5 Millionen Einwohner, unbehelligt von seinen Verfolgern niederlassen und sich dort eine wenn auch bescheidene Existenz aufbauen kann.
Die auf der Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet beruhende Abschiebungsandrohung mit der einwöchigen Ausreisefrist nach §§ 34, 36 Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG ist damit nicht zu beanstanden.
Der Antrag ist daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Ge-richtskosten werden nicht erhoben (§ 83 b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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