Verwaltungsrecht

Inländische Fluchtalternativen im Nordirak

Aktenzeichen  Au 5 K 17.31892

Datum:
1.6.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
EMRK EMRK Art. 3
AsylG AsylG § 3 Abs. 1, § 34 Abs. 1
AufenthG AufenthG § 59, § 60 Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

1 Im Nordirak bestehen inländische Fluchtalternativen. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2 Zwar findet im Irak derzeit ein militärischer, bewaffneter Konflikt statt, der einen großen Teil des Landes erfasst. Dieser innerstaatliche Konflikt stellt aber keine landesweite Konfliktsituation dar, da in den drei kurdisch verwalteten Provinzen im Nordirak keine tatsächliche Gefahr besteht. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
3 Ein faktischer Abschiebungsstopp vermittelt einen wirksamen Schutz vor Abschiebung hinsichtlich allgemeiner Gefahren, so dass es keines zusätzlichen Schutzes in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG bedarf. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Über die Klage konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 1. Juni 2017 entschieden werden, obwohl auf Beklagtenseite niemand erschienen ist, da in der Ladung zur mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen wurde, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO). Die Beklagte ist form- und fristgerecht geladen worden.
1. Die zulässige Klage ist unbegründet. Der streitgegenständliche Bescheid des Bundesamtes vom 16. März 2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keinen Anspruch auf Gewährung internationalen Schutzes, weil die Voraussetzungen der §§ 3 Abs. 1 und 4 Abs. 1 AsylG nicht vorliegen. Auch Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG sind nicht gegeben.
1.1 Eine Asylanerkennung des Klägers auf der Grundlage von Art. 16a GG scheidet bereits deshalb aus, da der Kläger auf dem Landweg über einen sicheren Drittstatt in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist.
1.2 Soweit der Kläger seine Anerkennung als Flüchtling nach § 3 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 AsylG beantragt, ist die Klage ebenfalls unbegründet.
Rechtsgrundlage für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist § 3 Abs. 1 AsylG. Danach ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), wenn er sich aus begründeter Furcht wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Herkunftslandes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Nach § 3c AsylG kann die Verfolgung ausgehend vom Staat, Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschen oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die vorgenannte Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.
Auch bei Wahrunterstellung des Vortrags des Klägers, fehlt es an der Anknüpfung an ein flüchtlingsrelevantes Merkmal im Sinne von § 3 Abs. 1, § 3b AsylG. Selbst wenn man das Vorbringen des Klägers gegenüber dem Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung vom 1. Juni 2017 für glaubhaft erachtet, wovon das Gericht zugunsten des Klägers ausgeht, fehlt es jedenfalls an der Anknüpfung an ein flüchtlingsrelevantes Merkmal im Sinne von § 3 Abs. 1, 3b AsylG. Der Kläger hat im Wesentlichen wirtschaftliche Gründe für seine Ausreise aus dem Irak angeführt. Dieses Vorbringen ist asylrechtlich irrelevant. Gleiches gilt für den vom Kläger beim Bundesamt geschilderten innerfamiliären Konflikt mit der Familie seiner von ihm geschiedenen Ehefrau. Auch ist für das Gericht nicht ersichtlich, wieso es für den Kläger ausgeschlossen sein sollte, internen Schutz im Sinne von § 3e AsylG in einer anderen Provinz der Kurdischen Autonomiegebiete zu finden. Der vom Kläger geschilderte innerfamiliäre Konflikt bezieht sich allenfalls auf den Bereich der Großstadt *. Es ist nicht ersichtlich, dass für den Kläger nicht beispielsweise in einer anderen Großstadt wie Dohuk oder Sulaimaniyya ein weitgehend anonymes konfliktfreies Leben möglich wäre. Vor diesem Hintergrund scheidet eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft für den Kläger auf der Grundlage des § 3 Abs. 1, § 3b AsylG aus. Die aufgezeigte inländische Fluchtalternative ist für den Kläger auch zumutbar, da dieser volljährig ist, mit den Verhältnissen im Nordirak vertraut ist und über eine mehrjährige berufliche Erfahrung als Küchenmonteur verfügt. Unterhaltspflichten sind auf Seiten des Klägers nicht erkennbar, da seine Ehefrau zwischenzeitlich von ihm geschieden ist, und die Versorgung seines 10-jährigen Sohnes anderweitig sichergestellt sein muss.
1.3 Dem Kläger steht aber auch kein Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 AsylG, § 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylG oder § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG i.V.m. Art. 15c der Richtlinie 2004/83/EG (Qualifikationsrichtlinie) in Bezug auf den Irak zu.
Hinsichtlich des vom Kläger vorgetragenen gerade nicht individuellen Verfolgungsschicksals ist der Kläger auf die internen Fluchtalternativen im Irak zu verweisen.
Auch kann von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt im Sinne von § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG in den drei kurdisch verwalteten Provinzen im Nordirak nicht gesprochen werden. Zwar findet im Irak derzeit ein militärischer, bewaffneter Konflikt statt, der einen großen Teil des Landes erfasst und bei dem das irakische Militär nur langsam wieder die Oberhand zu gewinnen scheint. Dieser innerstaatliche Konflikt stellt aber keine landesweite Konfliktsituation dar, da in den drei kurdisch verwalteten Provinzen im Nordirak keine tatsächliche Gefahr besteht (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7. Februar 2017; Gutachten Europäisches Zentrum für kurdische Studien vom 7. September 2015). Der Kläger muss daher bei einer Rückkehr in die Region Irak-Kurdistan nicht damit rechnen, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, so dass von ihm vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich in diesem Landesteil oder diesen Landesteilen aufhält. Eine Rückkehr in den Nordirak erscheint unter diesen Gesichtspunkten für den Kläger möglich und zumutbar.
1.4 Nationale Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind ebenfalls nicht gegeben bzw. vorgetragen.
Konkrete Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG hat der Kläger nicht geltend gemacht bzw. sind auch sonst nicht ersichtlich.
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Dabei sind nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen.
Beruft sich der Ausländer demzufolge auf allgemeine Gefahren, kann er Abschiebungsschutz regelmäßig nur durch einen generellen Abschiebestopp nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG erhalten. Allgemeine Gefahren in diesem Sinne sind alle Gefahren, die der Bevölkerung des Irak aufgrund der derzeit dort bestehenden Sicherheits- und Versorgungslage allgemein drohen. Dazu zählen neben der Gefahr, Opfer terroristischer Übergriffe zu werden, wie sie der Kläger im Wesentlichen geltend macht, auch Gefahren durch die desolate Versorgungslage neben Gefahren krimineller Aktivitäten und Rachebestrebungen von Privatpersonen.
Das Bayerische Staatsministerium des Innern hat mit Rundschreiben vom 10. August 2012 (Gz. IA2-2081.13-15) in der Fassung vom 3. März 2014 bekanntgegeben, dass eine zwangsweise Rückführung zur Ausreise verpflichteter irakischer Staatsangehöriger grundsätzlich (Ausnahme: Straftäter aus den Autonomiegebieten) nach wie vor nicht möglich ist und ihr Aufenthalt wie bisher weiter in dem Bundesgebiet geduldet wird. Es ist daher davon auszugehen, dass diese Mitteilung eines faktischen Abschiebungsstopps derzeit einen wirksamen Schutz vor Abschiebung hinsichtlich allgemeiner Gefahren vermittelt, so dass es keines zusätzlichen Schutzes in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bedarf (vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2001 – 1 C 2/01 – NVwZ 2001, 1420). Sofern man davon ausgeht, dass für kurdische Volkszugehörige aus den Autonomiegebieten selbst eine Rückführung nach Erbil derzeit möglich ist, sind ebenfalls keine Gründe zu Gunsten des Klägers erkennbar, diesem ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zuzuerkennen.
Sonstige Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, die nicht von den Anordnungen des Bayerischen Staatsministeriums des Innern erfasst werden, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
2. Nach allem war die Klage daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Als im Verfahren Unterlegener hat der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83b Abs. 1 AsylG. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung stützt sich auf § 167 Abs. 2 VwGO.


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