Aktenzeichen M 30 K 17.44474
Leitsatz
Lehnt ein Asylbewerber die geforderten Mitgliedschaft bei dem Geheimbund der Poro Society ab, so hat er jedenfalls in den größeren Städten Sierra Leones die Möglichkeit, grds. unbehelligt von Geheimgesellschaften zu leben. (Rn. 15 – 16) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Über den Rechtsstreit konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung am 7. November 2018 trotz Ausbleibens der Beklagtenseite entschieden werden. Denn in der fristund formgerechten Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde darauf hingewiesen, dass auch im Falle des Nichterscheinens eines Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO)).
In Bezug auf die Befristungsentscheidung des Einreise- und Aufenthaltsverbots in Nr. 6 des Bescheids ist die Klage mangels Verpflichtungsantrags bereits unzulässig (vgl. BayVGH, U.v. 12.7.2016 – 10 BV 14.1818 – juris). Im Übrigen ist die Klage zulässig, aber unbegründet, da der angegriffene Bescheid rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (vgl. § 113 Abs. 1 VwGO). Dieser hat zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keinen Anspruch auf die Anerkennung als Asylberechtigter, die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, des subsidiären Schutzes oder auf die Feststellung von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG (§ 113 Abs. 5 VwGO).
Ein Anspruch des Klägers auf die Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a Abs. 1 GG ist bereits deshalb nicht gegeben, da der Kläger nach seinem eigenen Vortrag auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist, Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG.
Selbst bei Zutreffen seiner Angaben zu einer von ihm geforderten Mitgliedschaft bei der Poro Society hat der Kläger zudem auch keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 AsylG oder des subsidiären Schutzstatus gem. § 4 AsylG, da ihm im Falle einer Bedrohung durch eine Geheimgesellschaft oder auch seine einen Beitritt zum Geheimbund fordernde Familie jedenfalls das Ausweichen auf eine inländische Fluchtalternative i.S.d. § 3e AsylG möglich und zumutbar ist.
Das Gericht geht davon aus, dass es jedenfalls in den größeren Städten Sierra Leones – ggf. mit Ausnahme der Stadt des vorherigen gewöhnlichen Aufenthalts -möglich ist, grundsätzlich unbehelligt von Geheimgesellschaften zu leben (vgl. auch VG München, U.v. 14.5.2018 – M 30 K 17.40892 – BeckRS 2018, 20432; VG Augsburg, U.v. 22.3.2017 – Au 4 K 16.32061 – BeckRS 2017, 106195). Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 9. Januar 2017 gibt es in Sierra Leone viele Menschen, die nicht Mitglied einer Geheimgesellschaft sind und die insbesondere in den größeren Städten ohne Probleme leben können. Es sei nach Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes sehr unwahrscheinlich, dass jemand gefoltert werde oder seinen Arbeitsplatz verliere, wenn er offen bekenne, die Mitgliedschaft in einer Geheimgesellschaft abzulehnen. Diese Einschätzung würde auf das ganze Land zutreffen. Dass sich an dieser Auskunftslage etwas ändert, wenn jemand zwangsweise einer Geheimgesellschaft zugeführt werden sollte, sich dem jedoch vor der Aufnahme durch Initiierungsrituale entzog, ist aus Sicht des Gerichts nicht zu erwarten.
Vorliegend ist nicht ersichtlich, dass der Kläger landesweit von der Poro Society oder seiner Familie gesucht werden sollte. Schließlich wissen die Familie des Klägers und die Poro Society bereits nicht, dass bzw. ob der Kläger nach seiner über vierjährigen Abwesenheit nach Sierra Leone zurückkehrt. Aus dem Vortrag des Klägers erschließt sich zudem nicht, warum die Poro Society ein derart gesteigertes Interesse am Kläger haben und deshalb jahrelang nach diesem suchen und hierfür einen nicht unerheblichen Aufwand betreiben sollte. Der Kläger war noch kein Mitglied des Geheimbundes und kann dementsprechend auch keine Kenntnis von den Geheimnissen der Gesellschaft haben. Aus den Angaben des Klägers ist auch nichts dafür ersichtlich, dass sein Vater bzw. Onkel eine bedeutende Stellung innerhalb der Geheimgesellschaft innegehabt haben könnte. Vielmehr gab der Kläger in der mündlichen Verhandlung an, dass er nicht wisse, was sein Vater bei der Society gemacht habe. Vorliegend ist daher keine Konstellation erkennbar, in welcher die Geheimgesellschaft unter Umständen ein besonderes Interesse am Auffinden einer Person aufgrund der anstehenden Nachfolge in eine herausragende Führungsposition innerhalb des Geheimbundes oder aufgrund der Informationserteilung an Nichtmitglieder haben könnte (vgl. insoweit Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 27. Dezember 2007 an das VG Freiburg bzgl. der Poro Society).
Selbst wenn aber noch ein gewisses Interesse am Kläger bestehen sollte, so ist zudem nicht ersichtlich, dass der Kläger auch außerhalb seines bisherigen Aufenthaltsortes, z.B. in einem anderen Landesteil, Gefahr laufen sollte von seiner Familie oder der Poro Society gefunden und bedroht zu werden. Auch bei einer gewissen unterstellten Vernetzung der Poro Society ist nicht erkennbar, wie es dieser gelingen sollte, den Kläger – noch dazu ohne ordnungsgemäßes Zivilregister in Sierra Leone (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 17.10.2017) – auch außerhalb seines bisherigen Aufenthaltsortes aufzufinden. Soweit der Kläger befürchtet, auf eine spirituelle Art aufgefunden zu werden, wurzelt diese Befürchtung im Aberglauben und ist zur Überzeugung des Gerichts unbegründet.
Vor diesem Hintergrund ist nicht ersichtlich, dass der Kläger auch unter Berücksichtigung einer inländischen Fluchtalternative eine Bedrohung durch die Geheimgesellschaft oder seine Familie zu befürchten haben sollte. Es ist dem Kläger als gesundem und erwerbsfähigem Mann zudem auch möglich und zumutbar, sich am Standort einer inländischen Fluchtalternative, z.B. in einer der größeren Städte Sierra Leones, ein neues Leben aufzubauen und sich, z.B. durch Gelegenheitsarbeiten, zumindest sein Existenzminimum zu sichern.
Die Voraussetzungen für die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Sierra Leone liegen ebenfalls nicht vor. Selbst bei Zutreffen seines Vortrags hinsichtlich einer etwaigen Bedrohung durch die Geheimgesellschaft könnte der Kläger dieser durch das Ausweichen auf einen anderen Landesteil Sierra Leones entgehen.
Auch im Übrigen ist nicht ersichtlich, dass dem Kläger im Hinblick auf die allgemeine Situation in Sierra Leone oder aufgrund besonderer individueller Umstände eine Gefährdung im Sinne der § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG drohen sollte. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Kläger als junger, gesunder und erwerbsfähiger Mann bei einer Rückkehr nach Sierra Leone – gegebenenfalls auch ohne familiären Rückhalt – in der Lage sein wird, sich zumindest eine existenzsichernde Grundlage zu schaffen. Diesbezüglich und im Übrigen wird auf die Gründe des angefochtenen Bescheids, denen das Gericht folgt, Bezug genommen und von der weiteren Darstellung abgesehen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Die vom Bundesamt nach Maßgabe der §§ 34, 38 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG erlassene Abschiebungsandrohung ist ebenfalls nicht zu beanstanden.
Die Klage ist daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. der Zivilprozessordnung.