Aktenzeichen M 30 K 17.40892
Leitsatz
Ein Asylbewerber kann in den Großstädten Sierra Leones, mit Ausnahme ggf. der Stadt des vorherigen gewöhnlichen Aufenthalts, grds. unbehelligt vom Poro Geheimbund und anderen Geheimgesellschaften wie auch der Gbangbani leben. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Die zulässige Klage ist unbegründet. Die den klägerischen Asylantrag ablehnende Entscheidung des Bundesamtes vom 16. Mai 2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß §§ 3 ff. AsylG oder des subsidiären Schutzstatus nach § 4 AsylG. Ebenso liegen keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG bezüglich einer Rückkehr des Klägers nach Sierra Leone vor.
Der Kläger bringt zur Begründung vor, von der Geheimgesellschaft Bangbani gesucht zu werden, um zur Mitgliedschaft und Übernahme der Position seines verstorbenen Vaters als Assistent des Leiters im Ort gezwungen oder andernfalls getötet zu werden. Das Gericht geht dabei wie auch das Bundesamt davon aus, dass der Kläger die Gesellschaft Gbangbani meint, über deren Existenz als einem traditionellen und alten Geheimbund zwar Erkenntnisse vorliegen, jedoch darüber hinaus wenig Verlässliches bekannt ist.
Wie das Bundesamt zutreffend ausgeführt hat, muss sich der Kläger jedoch auf zumutbaren internen Schutz in Sierra Leone i.S.v. § 3 e AsylG, § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG vor der Gbangbani Gesellschaft verweisen lassen (vgl. auch VG Ausburg, U.v. 22.03.2017 – Au 4 K 16.32061 – juris Rn 38 ff. in Bezug auf die Poro Gesellschaft; ebenso in Bezug auf die Poro Gesellschaft: VG München, U.v. 5.4.2018 – M 30 K 17.39165 – noch nicht veröffentlicht; in Bezug auf Soko Society: VG München, U.v. 14.5.2018 – M 30 K 17.39436 – noch nicht veröffentlicht).
Es erscheint bereits fraglich, wie es einem Geheimbund grundsätzlich überhaupt möglich sein soll, von ihm gesuchte Personen zu finden (bejahend noch Auswärtiges Amt vom 27. Dezember 2007 an das VG Freiburg in Bezug auf Freetown). Schließlich existiert in Sierra Leone kein ausreichendes Melderegister (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 17.10.2017). Wie dies gelingen soll, vermag das Gericht nicht nachvollzuziehen. Dabei ist zu unterstellen, dass (immer wieder berichtete) Vodoo-Praktiken u.ä. dem Bereich des Okkulten und des Aberglaubens zuzuordnen sind und zur Überzeugung des Gerichts nicht funktionieren. Dies gilt gerade in Bezug auf eine spirituelle Macht von Gbangbani und die vom Kläger beschriebene Möglichkeit, ihn über eine Muschel oder Glas ausfindig zu machen.
Das Gericht geht davon aus, dass es jedenfalls in den Großstädten Sierra Leones –mit Ausnahme ggf. der Stadt des vorherigen gewöhnlichen Aufenthalts – möglich ist, grundsätzlich unbehelligt vom Poro Geheimbund und anderen Geheimgesellschaften wie auch der Gbangbani zu leben (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 9. Januar 2017 an das VG Augsburg). Dort gebe es viele Menschen, die nicht Mitglied einer Geheimgesellschaft sind und ohne Probleme leben könnten. Es sei sehr unwahrscheinlich, dass jemand gefoltert werde oder seinen Arbeitsplatz verliere, wenn er offen bekenne, die Mitgliedschaft in einer Geheimgesellschaft abzulehnen. Die Religionsfreiheit erstrecke sich auch auf traditionelle Glaubensvorstellungen, so das Auswärtige Amt. Dass sich an dieser Auskunftslage etwas ändert, wenn jemand zwar zwangsweise einer Geheimgesellschaft zugeführt werden sollte, sich dem jedoch vor der Aufnahme durch Initiierungsrituale entzog, ist aus Sicht des Gerichts grundsätzlich nicht zu erwarten.
Ob etwas anderes gilt, wenn sich ein Mitglied entgegen der Regeln des Geheimbundes verhält und der Geheimbund befürchtet, Rituale oder Geheimnisse etc. könnten verraten werden bzw. wurden bereits verraten (vgl. insoweit Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 27. Dezember 2007 an das VG Freiburg), kann vorliegend dahinstehen, da sich der Kläger jedenfalls bereits vor Beginn seiner Aufnahmerituale der Society entzog.
Insofern ist das Gericht davon überzeugt, dass die Mitglieder des Geheimbunds den Kläger nicht noch einige Jahre nach dessen Flucht im Jahre 2015 in ganz Sierra Leone suchen werden, nur um diesen – nun doch noch – zwangsweise dem Geheimbund zuzuführen. Der Aufwand für die Geheimbünde in Sierra Leone, alle Personen, die sich ihrem Vortrag nach einer Zwangsmitgliedschaft entziehen und entzogen haben, in ganz Sierra Leone zu suchen – ohne zentrales Melderegister – wäre enorm, vor allem im Vergleich zu der Chance, tatsächlich jemanden zu finden. Schließlich ist für den Geheimbund bereits nicht bekannt, ob sich die Person überhaupt oder wieder in Sierra Leone aufhält.
Der Kläger beruft sich vorliegend zwar darauf, nicht nur zur Mitgliedschaft gezwungen zu werden, sondern auch dazu die Position seines Vater als Assistent des Leiters von Gbangbani in seinem Heimatort übernehmen. Dass dieses Ansinnen von Gbangbani aber dazu führen soll, dass der Kläger von der Gesellschaft in ganz Sierra Leone gesucht wird – auch noch Jahre nach dem Tod seines Vaters und ohne das Wissen von Gbangbani, ob der Kläger überhaupt noch lebt oder sich in Sierra Leone aufhält – ist nicht glaubhaft. Zum einen handelt es sich nicht um die Führungsposition, sondern nur die Assistenz. Auch geht es um eine Position in einem kleinen Ort und keine höherrangige Position bei Gbangbani im District oder ganz Sierra Leone. Letztlich ist auch nicht zu erwarten, dass der Geheimbund die Position in all der Zeit und Ungewissheit, den Kläger noch finden zu können, nicht längst anderweitig besetzt hat.
Es ist dem Kläger daher möglich und zumutbar, sich in einer der Großstädte Sierra Leones ein neues Leben aufzubauen. Dies mag sich ohne familiäre Unterstützung schwierig gestalten und dem Kläger aufgrund seines Glaubens an die spirituelle Macht der Gesellschaft Angst bereiten. Eine begründete Furcht vor Verfolgung i.S.v. § 3 e Abs. 1 Nr. 1 AsylG und damit Unzumutbarkeit ergibt sich hieraus jedoch ebensowenig wie das Vorliegen eines Abschiebungsverbots.
Das Gericht folgt des Weiteren den Ausführungen des Bundesamtes in Bezug auf die Ablehnung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG insbesondere dahingehend, dass es dem gesunden, jungen Kläger auch ohne Berufsausbildung mit seiner immerhin zweijährigen Schulbildung bereits in Sierra Leone und nunmehr in Deutschland möglich sein wird, sein Existenzminimum zu sichern. Eine Rückkehr des Klägers nach Sierra Leone würde den Kläger zur Überzeugung des Gerichts somit in keine derart aussichtlose Lage stürzen, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG in Betracht käme.
Insoweit und auch im Übrigen wird gemäß § 77 Abs. 2 AsylG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen und auf die zutreffenden Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid des Bundesamtes verwiesen.
Die Klage ist daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung und die Abwendungsbefugnis ergeben sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordung (ZPO).