Verwaltungsrecht

Kein Abschiebungsverbot in den Kosovo wegen psyschicher Erkrankung der Mutter eines minderjährigen Asylbewerbers

Aktenzeichen  M 17 K 16.35320

Datum:
13.3.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3, § 3c Nr. 3, § 3d Abs. 1, Abs. 2, § 3e, § 4 Abs. 3 S. 1 , § 29a Abs. 2, § 36, § 77 Abs. 2
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1, § 60a Abs. 2
GG 16a Abs. 3 S. 1

 

Leitsatz

1. Der kosovarische Staat ist bei einer Bedrohung, bei der es sich um kriminelles Unrecht eines nichtstaatlichen Akteurs handelt, in der Lage und auch willens, hinreichenden Schutz zu gewähren. Zudem ist davon auszugehen, dass offensichtlich durch Verlegung seines Wohnsitzes in andere Landesteile des Kosovo eine inländische Fluchtalternative besteht. (redaktioneller Leitsatz)
2. Rückkehrer können bei Vorliegen einer psychischen Erkrankung/Traumatisierung unmittelbar nach ihrer Ankunft kostenlos die Hilfs- und Unterstützungsleistungen bzw. Eingliederungshilfen einschließlich Beratungen und psychologische Betreuung durch die dorigen Rückkehrerprojekte in Anspruch nehmen. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Über den Rechtsstreit konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung am 13. März 2017 entschieden werden, obwohl weder die Klägernoch die Beklagtenseite erschienen war. Denn in der frist- und formgerechten Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde darauf hingewiesen, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO).
Die zulässige Klage ist unbegründet, da der angegriffene Bescheid rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (vgl. § 113 Abs. 1 und 5 VwGO).
1. Ein Verfolgungs- oder Lebensschicksal, das die Zuerkennung einer Rechtsstellung als Flüchtling rechtfertigen würde, ist vorliegend aus dem Vortrag des Klägers bzw. seines gesetzlichen Vertreters nicht erkennbar.
1.1 Die Ablehnung der Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und auf Anerkennung als Asylberechtigter als offensichtlich unbegründet beruht auf § 29a Abs. 1 AsylG. Nach dieser Vorschrift ist der Asylantrag eines Ausländers aus einem Staat i.S.d. Art. 16a Abs. 3 Satz 1 GG (sicherer Herkunftsstaat) als offensichtlich unbegründet abzulehnen, es sei denn, die von dem Ausländer angegebenen Tatsachen oder Beweismittel begründen die Annahme, dass ihm abweichend von der allgemeinen Lage im Herkunftsstaat politische Verfolgung droht.
1.2 Das Heimatland des Klägers, Kosovo, ist ein sicherer Herkunftsstaat (vgl. § 29a Abs. 2 AsylG und Anlage II zu § 29a AsylG). Die Gerichte sind an diese Einstufung gebunden, es sei denn, sie sind der Überzeugung, dass sich die Einstufung als verfassungswidrig erweist (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1507/93 – juris Rn. 65). Verfassungs- oder europarechtliche Bedenken gegen die Einstufung Kosovos als sicherer Herkunftsstaat sind nicht ersichtlich.
1.3 Die Klägerseite hat die durch § 29a AsylG normierte Nichtverfolgungsvermutung auch nicht durch den schlüssigen Vortrag von individuellen Verfolgungstatsachen erschüttern können. Vielmehr hat sie sich allein auf die Erkrankung der Mutter und auf eine Blutrache berufen. Dies begründet aber bereits mangels Anknüpfung an die dort genannten Merkmale keine Verfolgung im Sinne von Art. 16a GG oder § 3 AsylG. Das Gericht folgt daher der zutreffenden Begründung der Beklagten im angegriffenen Bescheid, auf die verwiesen wird (§ 77 Abs. 2 AsylG).
2. Das Bundesamt hat auch zu Recht die Zuerkennung subsidiären Schutzes (§ 4 AsylG) als offensichtlich unbegründet abgelehnt und das Vorliegen von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG verneint. Das Gericht nimmt auch insoweit vollumfänglich auf die Begründung des Bundesamts im streitgegenständlichen Bescheid Bezug (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Ergänzend wird auf Folgendes hingewiesen:
2.1 Abgesehen davon, dass der Vortrag der Klägerseite zu der angeblichen Blutrache sehr pauschal und unsubstantiiert ist, erfordert § 3c Nr. 3 AsylG (i.V.m. § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG) bei einer von einem nichtstaatlichen Akteur ausgehenden Verfolgung, dass der Staat nicht in der Lage oder nicht willens ist, Schutz zu gewähren. Von einer Unwilligkeit oder Unfähigkeit der kosovarischen Behörden, ihre Staatsangehörigen vor strafbaren Handlungen zu schützen, ist aber nicht auszugehen (Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Kosovo vom 7. Dezember 2016, im Folgenden: Lagebericht; ebenso u.a. VG Leipzig, U. v. 16.10.2015 – 7 K 643/15.A – juris; VG Darmstadt, B. v. 24.4.2015 – 2 L 430/15.DA.A – juris). Vielmehr ist der kosovarische Staat bei einer Bedrohung, bei der es sich um kriminelles Unrecht eines nichtstaatlichen Akteurs handelt, in der Lage und auch willens, hinreichenden Schutz zu gewähren (vgl. § 3d Abs. 1 und 2 AsylG i.V.m. § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG).
Zudem ist davon auszugehen, dass – jedenfalls in Fällen wie dem vorliegenden -offensichtlich eine inländische Fluchtalternative besteht (vgl. § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. der entsprechenden Anwendung von § 3e AsylG). Der Kläger (bzw. seine Familie) kann durch Verlegung seines Wohnsitzes in andere Landesteile Kosovos, insbesondere urbane Zentren, wo ein Leben in gewisser Anonymität möglich ist und ihn nichtstaatliche Dritte mit asylrechtlich hinreichender Sicherheit nicht ausfindig machen können, eine etwaige Gefahr für Leib oder Leben abwenden (st. Rspr. der Kammer, vgl. z.B. VG München, U.v. 5.2.2015 – M 17 K 14.31233; VG Würzburg, B.v. 29.11.2010 – W 1 S. 10.30287 – juris Rn. 20; VG Gelsenkirchen, U.v. 30.5.2012 – 7a K 646/12.A – juris Rn. 20; VG Aachen, B.v. 18.7.2014 – 9 L 424/14.A – juris bzgl. Blutrache bei Grundstücksstreit). Eine Übersiedelung in andere Teile des Landes unterliegt keinen rechtlichen Einschränkungen (Lagebericht S. 16) und ist dem Kläger und seiner Familie auch zumutbar.
2.2 Die vorgelegten psychiatrischen Gutachten betreffen nicht den Kläger, sondern dessen Mutter. Insoweit wird auf das Verfahren M 4 K 15.30738 Bezug genommen.
Selbst wenn der Vater des Klägers im Kosovo arbeiten müsste und auch tatsächlich eine Arbeit finden würde, ist nicht ersichtlich, dass der Kläger nicht, etwa in entsprechenden Einrichtungen oder mit Hilfe von Verwandten, Freunden etc., betreut werden könnte. Im Übrigen kann die psychische Erkrankung der Mutter des Klägers im Kosovo auch behandelt werden. Laut Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 7. Dezember 2016 (S. 24 f., 28) wird die Behandlung von psychischen Erkrankungen im öffentlichen Gesundheitssystem in neun regionalen Gesundheitszentren durchgeführt. Patienten, die einer stationären Behandlung bedürfen, werden in den vier Regionalkrankenhäusern in den Abteilungen für stationäre Psychiatrie sowie in der Psychiatrischen Klinik der Universitätsklinik Pristina behandelt. In diesen Regionalkrankenhäusern stehen ausreichende Bettenkapazitäten zur Verfügung. Freiwillige Rückkehrer sowie Zurückgeführte aus Deutschland können bei Vorliegen einer psychischen Erkrankung/Traumatisierung unmittelbar nach ihrer Ankunft kostenlos die Hilfs- und Unterstützungsleistungen des Kosovo-Rückkehrerprojekts „URA II“ bzw. Eingliederungshilfen einschließlich Beratungen und psychologische Betreuung durch die Rückkehrerprojekte der NRO „Diakonie Kosova“ oder der Arbeiterwohlfahrt in Anspruch nehmen.
Es ist daher nicht davon auszugehen, dass dem Kläger – wie es für die Bejahung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erforderlich wäre – „alsbald“ nach seiner Rückkehr eine unmittelbare und konkrete Gefahr für Leib oder Leben drohen würde.
2.3 Eine etwaige Geltendmachung der Unmöglichkeit der Abschiebung aus rechtlichen Gründen aufgrund eines bestehenden Familienverbands (Art. 6 GG bzw. Art. 8 Abs. 1 EMRK) wäre kein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, sondern ein im Rahmen von § 60a AufenthG zu prüfendes inlandsbezogenes Abschiebungshindernis, für das sich der Kläger auf einen Antrag auf Duldung nach § 60a Abs. 2 AufenthG bei der örtlich zuständigen Ausländerbehörde verweisen lassen muss (vgl. OVG Lüneburg, U.v. 18.5.2010 – 11 LB 186/08 – juris Rn. 47; OVG Berlin-Bbg. B.v. 30.4.2013 – OVG 12 S. 25.13 – juris unter Hinweis auf § 59 Abs. 3 Satz 1 AufenthG; BVerwG, U.v. 25.9.1997 – 1 C 6/97 – juris).
Dass der Kläger als Minderjähriger wohl nicht getrennt von seinen Eltern in den Kosovo zurückkehren kann, begründet ebenfalls kein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot im Sinne von § 60 AufenthG, sondern wäre gegebenenfalls von der Ausländerbehörde bei der Aufenthaltsbeendigung zu berücksichtigen (vgl. § 43 Abs. 3 Satz 1 AsylG).
3. Nach alledem ist auch die vom Bundesamt nach Maßgabe der §§ 34, 36 Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG erlassene Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung nicht zu beanstanden.
Insbesondere führt das Vorbringen des gesetzlichen Vertreters, der Kläger sei in den Niederlanden geboren und deshalb niederländischer Staatsbürger (vgl. Art. 20 Abs. 2 Buchst. a AEUV), zu keiner anderen Beurteilung. Dass der Kläger tatsächlich niederländischer Staatsangehöriger ist, wurde weder von Klägerseite belegt noch kann dies angenommen werden, da die niederländische Staatsangehörigkeit durch Geburt nur dann erworben wird, wenn auch mindestens ein Elternteil die niederländische Staatsangehörigkeit besitzt (vgl. z.B. http: …org/reisedokumente/niederlandische-staatsange-horigkeit/ wie-werde-ich-niederlander.html).
Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

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