Verwaltungsrecht

Kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft

Aktenzeichen  M 30 K 17.39165

Datum:
5.4.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 30601
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 3e, § 83b
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7

 

Leitsatz

In Sierra Leone besteht eine zumutbare interne Schutzalternative iSv § 3e AsylG, § 4 Abs. 3 S. 1 AsylG wegen der Möglichkeit der Verfolgung durch einen Geheimbund. (Rn. 11 – 19) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Die ablehnende Entscheidung des Bundesamtes vom 25. April 2017 ist – zumindest im Ergebnis – rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß §§ 3 ff. AsylG oder des subsidiären Schutzstatus nach § 4 AsylG. Ebenso liegen keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG bezüglich einer Rückkehr des Klägers nach Sierra Leone vor. Auch die Abschiebungsandrohung in Nr. 5 des angefochtenen Bescheid sowie der Befristungsentscheidung in Nr. 6 sind rechtmäßig.
Es kann dahinstehen, ob die Annahme des Bundesamtes, eine zwanghafte Aufnahme in den … Geheimbund sei nicht glaubwürdig, sondern die Mitgliedschaft stets freiwillig, tatsächlich zutreffend ist. Dies ist durchaus zweifelhaft. Nach der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 9. Januar 2017 an das VG Augsburg ist von Zwangsmaßnahmen nur selten etwas bekannt geworden und würden solche Fälle ausschließlich Frauen betreffen, die gegen ihren Willen beschnitten wurden. Den dem Gericht vorliegenden Erkenntnissen nach gibt es jedoch immer wieder Meldungen von zwanghaften Aufnahmeritualen (vgl. u.a. Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) mit Länder-Informations-Portal Sierra Leone – Stand Januar 2018; CORI – Sierra Leone: Fear of forced initiation into the poro Secret Society in Freetown im Auftrag des UNHCR vom 9. März 2009). Insofern hatte auch das Auswärtige Amt am 27. Dezember 2007 an das VG Freiburg mitgeteilt, dass man sich der Aufnahme in die Society nicht entziehen könne, sondern das Gebiet verlassen müsste, wolle man nicht aufgenommen werden. Das Institut für Afrika Studien GIGA hatte am 25. November 2007 an das VG Freiburg u.a. ausgeführt, dass die Aufnahme von Nachwuchsmitgliedern formell freiwillig sei, jedoch unter sozialem Druck oder sogar physischem Zwang. Es werde davon berichtet, dass junge Männer zum Zwecke der Initiation „eingefangen“ würden, obwohl diese Praktik staatlicherseits verboten sei.
Ebenso kann dahinstehen, ob – wie vom Bundesamt zugrunde gelegt – eine zwanghafte Mitgliedschaft im …-Geheimbund schon deshalb wirklich asylrechtlich nicht von Belang ist, da sich daraus keine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung ergäbe, die die Flüchtlingseigenschaft oder subsidiären Schutz nach sich ziehen könnte.
Der Kläger muss sich jedenfalls auf zumutbaren internen Schutz in Sierra Leone i.S.v. § 3e AsylG, § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG vor der … Society verweisen lassen (vgl. auch VG Ausburg, U.v. 22.03.2017 – Au 4 K 16.32061 – juris Rn 38 ff.).
Dabei erscheint es bereits fraglich, ob es dem … Geheimbund – auch als dem wohl bedeutsamsten und sehr mitgliederstarken Geheimbund – grundsätzlich überhaupt möglich wäre, von ihm gesuchte Personen zu finden (so noch Auswärtiges Amt vom 27. Dezember 2007 an das VG Freiburg in Bezug auf Freetown). Schließlich existiert in Sierra Leone kein ausreichendes Melderegister (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 17.10.2017). Wie dies gelingen soll, vermag das Gericht nicht nachvollzuziehen. Dabei ist zu unterstellen, dass gewisse, immer wieder berichtete …Praktiken u.ä. dem Bereich des Okkulten und des Aberglaubens zuzuordnen sind und zur Überzeugung des Gerichts nicht funktionieren.
Das Gericht geht davon aus, dass es jedenfalls in den Großstädten Sierra Leones -mit Ausnahme ggf. der Stadt des vorherigen gewöhnlichen Aufenthalts – möglich ist, grundsätzlich unbehelligt vom … Geheimbund zu leben (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 9. Januar 2017 an das VG Augsburg). Dort gebe es viele Menschen, die nicht Mitglied einer Geheimgesellschaft sind und ohne Probleme leben könnten. Es sei sehr unwahrscheinlich, dass jemand gefoltert werde oder seinen Arbeitsplatz verliere, wenn er offen bekenne, die Mitgliedschaft in einer Geheimgesellschaft abzulehnen. Die Religionsfreiheit erstrecke sich auch auf traditionelle Glaubensvorstellungen, so das Auswärtige Amt. Dass sich an dieser Auskunftslage etwas ändert, wenn jemand zwar zwangsweise der … Society zugeführt werden sollte, sich dem jedoch vor der Aufnahme durch Initiierungsrituale entzog, ist aus Sicht des Gerichts nicht zu erwarten.
Ob etwas anderes gilt, wenn sich ein Mitglied entgegen der Regeln des Geheimbundes verhält und der Geheimbund befürchtet, Rituale oder Geheimnisse etc. könnten verraten werden bzw. wurden bereits verraten (vgl. insoweit Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 27. Dezember 2007 an das VG Freiburg), kann vorliegend dahinstehen, da sich der Kläger jedenfalls bereits vor Beginn seiner Aufnahmerituale der Society entzog.
Nach den eigenen Angaben des Klägers sollte dieser auch nicht deshalb zwangsweise Mitglied im …-Geheimbund werden, um eine herausragende Rolle seines Vaters als unmittelbarer Nachfahre zu übernehmen (vgl. hierzu Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 27. Dezember 2007 an das VG Freiburg).
Insofern ist das Gericht davon überzeugt, dass die Mitglieder des Geheimbunds den Kläger nicht noch einige Jahre nach dessen Flucht im Jahre 2014 in ganz Sierra Leone suchen werden, nur um diesen – nun doch noch – zwangsweise dem Geheimbund zuzuführen. Der Aufwand für den Geheimbund, alle Personen, die sich ihrem Vortrag nach einer Zwangsmitgliedschaft entziehen und entzogen haben, in ganz Sierra Leone zu suchen – ohne zentrales Melderegister – wäre enorm, vor allem im Vergleich zu der Chance, tatsächlich jemanden zu finden. Schließlich ist für den Geheimbund bereits nicht bekannt, ob sich die Person überhaupt oder wieder in Sierra Leone aufhält.
Vorliegend mag zutreffen, dass ein Onkel des Klägers nach wie vor ein gewisses Interesse hat und Bestreben an den Tag legt, den Kläger dem Geheimbund zuzuführen. Nachdem der Kläger seinen Angaben nach aber keinen Kontakt mehr zu seiner Mutter hatte, diese vielmehr vor Kurzem verstorben sei, und er somit in Sierra Leone auf sich alleine gestellt wäre, erschließt sich wiederum nicht, wie der Onkel den Kläger finden will. Alleine, dass dieser Mitglied beim … Geheimbund ist, reicht hierfür nicht aus. Anführer ist er nach Angaben des Klägers gerade nicht. Dass der Onkel die ganze Infrastruktur des Geheimbundes in Bewegung setzt, den Kläger zu suchen und zu finden, von dem er schon nicht weiß, ob er überhaupt noch oder wieder in Sierra Leone lebt, ist nicht glaubhaft. Dies vermochte auch der Kläger in der mündlichen Verhandlung nicht näher darzulegen.
Die vom Klägerbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung zitierte Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 4. November 2009 an das Bundesamt bezieht sich auf die „… – Society“ und enthält keine in der vorliegenden Konstellation verwertbaren Erkenntnisse, die gegen die Annahme einer inländischen Fluchtalternative sprechen würden.
Es ist dem Kläger daher möglich und zumutbar, sich in einer der Großstädte Sierra Leones ein neues Leben aufzubauen. Dies mag sich ohne familiäre Unterstützung schwierig gestalten. Das Gericht folgt jedoch den Ausführungen des Bundesamtes in Bezug auf die Ablehnung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG insbesondere dahingehend, dass es dem gesunden, jungen Kläger mit seiner überdurchschnittlichen Schulbildung auch ohne Berufsausbildung möglich sein wird, sein Existenzminimum zu sichern. Eine Rückkehr des Klägers nach Sierra Leone würde den Kläger zur Überzeugung des Gerichts somit in keine derart aussichtlose Lage stürzen, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG in Betracht käme.
Insoweit und auch im Übrigen wird gemäß § 77 Abs. 2 AsylG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen und auf die zutreffenden Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid des Bundesamtes verwiesen.
Die Klage ist daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung und die Abwendungsbefugnis ergeben sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordung (ZPO).

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