Aktenzeichen AN 9 K 17.31506
Leitsatz
1. Allein die Tatsache, dass die Kläger als palästinensische Flüchtlinge im Libanon einer schwierigen Situation gegenüberstehen, die u.a. durch Armut und mangelnde Aufstiegschancen geprägt ist, genügt nicht für die Annahme einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung iSd § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 AsylG. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei der UNRWA registrierte palästinensische Flüchtlinge werden grundsätzlich vom Gesundheitsdienst der UNRWA versorgt, wodurch indes Leistungen der Nachsorge (qualifizierte Krankenhausversorgung) nur unzureichend abgedeckt werden. Daher unterstützt die UNRWA palästinensische Flüchtlinge auch bei den Kosten für weitergehende Gesundheitsversorgung in Vertragskrankenhäusern. (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Die Klagen werden abgewiesen.
2. Die Kläger haben die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu tragen.
Gründe
Das Gericht konnte trotz Ausbleibens der Beklagten in der mündlichen Verhandlung entscheiden, da die Beklagte mit gerichtlichem Schreiben vom 23. November 2017 ordnungsgemäß geladen und auf die Folgen des Ausbleibens hingewiesen worden war (§ 102 Abs. 2 VwGO).
Die Klagen sind zulässig, aber unbegründet.
1. Die Bescheide der Beklagten vom 3. März 2017, Az.: …, vom 27. Februar 2017, Az.: …, und vom 8. März 2017, Az.: …, sind rechtmäßig und verletzen die Kläger nicht in ihren Rechten. In dem gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 1. Hs. AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung steht ihnen ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG nicht zu. Auch die hilfsweise geltend gemachten Ansprüche auf die Gewährung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG und auf die Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG stehen ihnen nicht zu (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
1.1 Die Kläger haben keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Diese scheitert bereits an der Ausschlussklausel des § 3 Abs. 3 Satz 1 AsylG, da die Kläger nach ihren eigenen Angaben als palästinensische Flüchtlinge bei der UNRWA registriert sind. Dieses durch Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen Nr. 302/IV vom 8. Dezember 1949 errichtete Flüchtlingshilfswerk für Palästina-Flüchtlinge zählt zu den in § 3 Abs. 3 Satz 1 AsylG genannten Schutz und Beistand leistenden Organisationen und Einrichtungen (vgl. BVerwG, U.v. 21.1. 1992 – 1 C 21.87 – juris, Rn. 22) und dient speziell dem Schutz palästinensischer Flüchtlinge.
Auch ungeachtet dessen können die Kläger die Flüchtlingsanerkennung nach § 3 Abs. 1, 4 AsylG nicht verlangen. Die Voraussetzungen für die Anerkennung als Flüchtling ergeben sich aus § 3 bis § 3d AsylG. Sie liegen für die Kläger nicht vor, da nicht davon auszugehen ist, dass ihnen bei ihrer unterstellten Rückkehr in den Libanon durch einen der in § 3c AsylG genannten Verfolgungsakteure mit der von der Rechtsprechung geforderten beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, U.v. 1.3.2012 – 10 C 7.11 – juris, Rn. 12) Verfolgungshandlungen drohen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen.
Das Gericht geht auf Grundlage der ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel nicht davon aus, dass Palästinenser im Libanon allein aufgrund ihrer Volkszugehörigkeit asylrelevanten Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt sind. Eine Gruppenverfolgung wird nicht angenommen (vgl. VG Ansbach, U.v. 22.5.2017 – AN 9 K 16.31190, AN 9 K 16.31191, AN 9 K 16.31192; U.v. 26.7.2017 – AN 9 K 16.31851; U.v. 31.7.2017 – AN 9 K 16.31636 – juris).
Auch der Vortrag der Kläger bei ihrer Anhörung vor dem Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung kann die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht rechtfertigen. Dieser hatte im Wesentlichen die allgemeine Lage im Libanon zum Gegenstand, jedoch keine selbst erlittenen Verfolgungshandlungen. Was die behaupteten Anwerbeversuche der Hisbollah und der PLO gegenüber dem Kläger zu 3) betrifft, so erschöpften sich die Aussagen des Klägers zu 1) in der Schilderung der Anwerbepraxis dieser Gruppen und der allgemeinen Befürchtung, dass sein Sohn, der Kläger zu 3), Ziel von Rekrutierungen werden könne, weil er das kampffähige Alter erreicht habe. Konkrete Vorkommnisse konnte der Kläger zu 1) nicht benennen. Solche benannte der Kläger zu 3) zwar, an der Glaubhaftigkeit seiner Aussage bestehen indes erhebliche Zweifel. Zum einen berichtete er von den angeblichen Anwerbeversuchen erst auf Nachfrage seiner Prozessbevollmächtigten und steigerte die Aussage auf Nachfrage des Gerichts nochmal dahingehend, dass es mehrfachen Kontakt mit Mitgliedern der Hisbollah gegeben habe. Er konnte auf Nachfrage aber weder Einzelheiten schildern noch sich an die genaue Zeit erinnern. Auch wenn die Schilderungen der Wahrheit entsprechen würden, könnte hieraus jedoch kein Anspruch auf Flüchtlingsanerkennung folgen. Ein Anwerbeversuch stellt für sich genommen keine Verfolgungshandlung dar. Es wurde nicht überzeugend dargelegt, dass dem Kläger zu 3) von der Hisbollah ernsthafter Schaden drohte, wenn er sich weigere, beizutreten. Von einer möglichen Zwangsrekrutierung war überhaupt nicht die Rede, vielmehr gab der Kläger zu 3) an, die Organisation habe ihm finanzielle Unterstützung angeboten. Eine begründete Furcht vor Verfolgung ist daher nicht anzunehmen.
Andere asylrelevante Verfolgungsgründe wurden nicht vorgetragen und solche sind auch nicht ersichtlich.
1.2 Den Klägern steht auch der hilfsweise geltend gemachte Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nicht zu. Für das Vorliegen der in § 4 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 bis 3 AsylG genannten Umstände hat das Gericht auf Grundlage der ihm vorliegenden Erkenntnismittel keine Anhaltspunkte. Allein die Tatsache, dass die Kläger als palästinensische Flüchtlinge im Libanon einer schwierigen Situation gegenüberstehen, die unter anderem durch Armut und mangelnde Aufstiegschancen geprägt ist, genügt bei weitem nicht für die Annahme einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG.
1.3 Die Kläger können auch nicht mit Erfolg die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG verlangen. Im Hinblick auf eine hier zu prüfende Verletzung der EMRK kann im Wesentlichen keine andere Beurteilung erfolgen als bei der Beurteilung des „ernsthaften Schadens“ im Rahmen des subsidiären Schutzes (vgl. BVerwG, U.v. 13.1.2013 – 10 C 15.12). Der Kläger zu 1) und sein ältester Sohn, der Kläger zu 3), sowie seine zweite Tochter, die Klägerin zu 5), sind gesund und arbeitsfähig. Der Kläger zu 1) war auch bereits vor der Ausreise der Familie im Libanon in einem Restaurant an der Bar tätig. Es ist nicht einzusehen, warum es den Klägern nach ihrer Rückkehr nicht gelingen sollte, durch Arbeit und gegebenenfalls unter Inanspruchnahme der Hilfe des weiteren Familienverbandes für den notwendigen Lebensunterhalt der Familie aufzukommen. Die behauptete Arbeitsunfähigkeit der Klägerin zu 2) wurde nicht durch ein ärztliches Attest nachgewiesen.
Die Erkrankung des Klägers zu 4) und der Klägerin zu 6) führen nicht zu der Feststellung eines Abschiebungsverbotes. Nach § 60 Abs. 7 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. § 60 Abs. 7 Satz 3 und 4 AufenthG stellen ausdrücklich klar, dass es nicht erforderlich ist, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist, und dass eine ausreichende medizinische Versorgung in der Regel auch vorliegt, wenn sie nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Erforderlich aber auch ausreichend ist danach, dass sich die vorhandene Erkrankung aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben führt, das heißt, dass eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr droht (vgl. BVerwG, U.v. 17.10.2006 – 1 C 18/05 – juris, Rn. 15). Erforderlich zur Feststellung der Krankheit bzw. Behinderung und zur Prognose über ihren weiteren Verlauf ist stets ein fachärztliches Attest, das den Anforderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu genügen hat (vgl. BVerwG, U.v. 11.9.2007 – 10 C 8/07 – juris, Rn. 15).
Nach diesen Maßstäben scheidet ein Abschiebungsverbot aus. Aus den vorgelegten ärztlichen Attesten geht hervor, dass der Kläger zu 4) und die Klägerin zu 6) seit der Geburt an Sichelzellenanämie leiden. In Deutschland mussten sie sich infolge einer akuten Schmerzkrise einer Behandlung im Krankenhaus unterziehen. Ihr Allgemeinzustand stabilisierte sich daraufhin. Dem Kläger zu 4) wird attestiert, dass die Krankheit bei ihm keinen ungewöhnlich schweren Verlauf nimmt. Beide – der Kläger zu 4) und die Klägerin zu 6) – sind nunmehr medikamentös eingestellt. Welchen Verlauf ihre Krankheit im Libanon ohne regelmäßige Medikamenteneinnahme nehmen würde, und ob dieser für die Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 7 AufenthG genügen würde, kann hier dahinstehen. Im Libanon sind alle international gängigen Medikamente und Arzneimittel verfügbar, die Einfuhr von Medikamenten aus Deutschland ist möglich. Auch verfügt der Libanon laut Lagebericht des Auswärtigen Amts – bei leichten regionalen Unterschieden – über eine relativ gute medizinische Versorgung, die Ärzteschaft umfasst viele Spezialisten, die zu einem großen Teil im westlichen Ausland studiert und auch praktiziert haben. Krankenhäuser, die auch sehr spezielle Behandlungen durchführen können, sind vorhanden. Bei der UNRWA registrierte palästinensische Flüchtlinge – wie die Kläger – werden grundsätzlich vom Gesundheitsdienst der UNRWA versorgt, deren Versorgung indes Leistungen der Nachsorge (qualifizierte Krankenhausversorgung) nur unzureichend abdeckt (vgl. AA, Lagebericht Libanon, Dezember 2015). Daher unterstützt die UNRWA palästinensische Flüchtlinge auch bei den Kosten für weitergehende Gesundheitsversorgung in UNRWA-Vertragskran-kenhäusern (vgl. UNHCR, The Situation of Palestinian Refugees in Lebanon, Februar 2016). Eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Klägers zu 4) und der Klägerin zu 6) ist daher im Falle ihrer Rückkehr in den Libanon nicht zu befürchten. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG kann nicht festgestellt werden.
1.4 Die Bescheide erweisen sich auch sonst als rechtmäßig. Im Übrigen wird gemäß § 77 Abs. 2 AsylG auf die zutreffenden Gründe der angefochtenen Bescheide des Bundesamts Bezug genommen.
Nach alledem waren die Klagen vollumfänglich abzuweisen.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Gerichtsverfahren ist gemäß § 83 b AsylG gerichtskostenfrei.