Verwaltungsrecht

Kein Nachweis eines erfolglosen Abschlusses eines Asylverfahrens in sicherem Drittstaat

Aktenzeichen  M 21 S 17.45989

Datum:
13.9.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 80 Abs. 5
AsylG AsylG § 26a, § 36 Abs. 4 S. 1, § 71a Abs. 4

 

Leitsatz

Ein Zweitantrag nach § 71a AsylG setzt den erfolglosen Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat voraus; bloße Mutmaßungen genügen nicht. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die in Ziffer 3 des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 14. Juli 2017 enthaltene Abschiebungsandrohung wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der nicht ausgewiesene Antragsteller ist nach eigenen Angaben nigerianischer Staatsangehöriger. Er reiste im Juli 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 30. September 2015 bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) einen Asylantrag.
Im Rahmen des persönlichen Gesprächs zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaats erklärte der Antragsteller gegenüber dem Bundesamt, er habe in Italien bereits internationalen Schutz beantragt und erhalten. Bei dem Antragsteller wurden im Rahmen einer Polizeikontrolle unter anderem ein italienischer permesso di soggiorno aufgefunden, aus dem sich ergibt, dass der Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen erteilt worden ist (motivi umanitari).
Auf ein Informationsersuchen des Bundesamtes nach Art. 34 der VO (EU) Nr. 604/2013 reagierte der Mitgliedstaat Italien nicht.
Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt erklärte der Antragsteller unter anderem, er habe in Italien humanitären Schutz erhalten. Seine Papiere seien jedoch nicht mehr gültig. Nach Italien wolle er nicht zurück, da er dort eines Tages von der Mafia geschlagen worden sei. Seine Freundin sei vergewaltigt worden.
Das Bundesamt lehnte den Antrag des Antragstellers schließlich mit Bescheid vom 14. Juli 2017 als unzulässig ab. Es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen, und der Antragsteller aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen. Die Abschiebung nach Nigeria wurde angedroht. Schließlich wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 des AufenthG auf 36 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, es handele sich bei dem erneuten Asylantrag in der Bundesrepublik Deutschland um einen Zweitantrag im Sinne des § 71a AsylG, da der Antragsteller bereits in einem sicheren Drittstaat gemäß § 26a AsylG ein Asylverfahren erfolglos betrieben habe. Durch Vorlage des permesso di soggiorno sei erwiesen, dass das Verfahren zur Prüfung eines Antrages auf internationalen Schutz in Italien erfolglos abgeschlossen worden sei. Das Personaldokument (Permesso di soggiorno: „motivi umanitari“) sei für die Feststellung des Abschlusses des Asylverfahrens in Italien schon alleine hinreichend aussagekräftig. Der Antragsteller habe keine neuen Asylgründe vorgetragen. Eine Änderung der Sach- oder Rechtslage sei nicht ersichtlich.
Hiergegen erhob der Antragsteller durch seine Bevollmächtigte am 19. Juli 2017 Klage (M 21 K 17.45989), mit der er beantragt, den Bescheid des Bundesamts vom 14 Juli 2017 aufzuheben und die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen, ihm die Flüchtlingseigenschaft sowie subsidiären Schutz zuzuerkennen sowie festzustellen, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 2 bis Abs. 7 AufenthG vorliegen.
Zugleich beantragt er,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Eine Begründung erfolgte trotz entsprechender Ankündigung nicht.
Die Antragsgegnerin hat mit Schreiben vom 4. August 2017 die Behördenakten vorgelegt. Eine Äußerung erfolgte weder zum Klagenoch zum Eilverfahren.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowohl in diesem als auch im Klageverfahren sowie auf die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage hat Erfolg.
Der Antrag ist zulässig, soweit damit die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die kraft Gesetzes (§ 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, § 75 i.V.m. §§ 71a Abs. 4, 36 AsylG) sofort vollziehbare Abschiebungsandrohung in Nr. 3 des streitgegenständlichen Bescheids erreicht werden soll. Die Antragstellung erfolgte auch fristgerechnet innerhalb der Wochenfrist des § 71a Abs. 4 i.V.m. § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG.
Der Antrag ist auch begründet.
Gemäß §§ 71a Abs. 4 i.V.m. 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf die Aussetzung der Abschiebung im Falle eines Zweitantrages, in dem ein weiteres Asylverfahren nicht durchgeführt wird, nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Ernstliche Zweifel in diesem Sinne liegen dann vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (vgl. BVerfG, Urt. v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – juris Rn. 99). Dies ist hier im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AsylG) der Fall.
Nach § 71a Abs. 1 AsylG ist dann, wenn ein Ausländer nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat (§ 26a AsylG), für den Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft über die Zuständigkeit für die Durchführung von Asylverfahren gelten oder mit dem die Bundesrepublik Deutschland darüber einen völkerrechtlichen Vertrag geschlossen hat, im Bundesgebiet einen Asylantrag (Zweitantrag) stellt, ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes vorliegen. Andernfalls ist der Antrag als unzulässig zurückzuweisen, § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG.
§ 71a AsylG setzt damit den erfolglosen Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat voraus (vgl. BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4.16 – juris Rn. 22ff; BayVGH, U.v. 3.12.2015 – 13a B 15.50069 – juris Rn. 24ff). Hierbei muss – entgegen der im streitgegenständlichen Bescheid ersichtlichen Auffassung der Antragsgegnerin – der vorangegangene negative Ausgang eines Asylverfahrens in einem Mitgliedstaat durch rechtskräftige Sachentscheidung festgestellt werden und feststehen; bloße Mutmaßungen genügen nicht (Bruns in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Auflage 2016, § 71a AsylG, Rn. 3 und 9 m.w.N.). Dies bedeutet, dass das Bundesamt zu der gesicherten Erkenntnis gelangen muss, dass das Asylerstverfahren mit einer für den Asylbewerber negativen Sachentscheidung abgeschlossen wurde, um sich in der Folge auf die Prüfung von Wiederaufnahmegründen beschränken zu dürfen. Eine solche Prüfung beinhaltet unter anderem, dass das Bundesamt Kenntnis von der Entscheidung und den Entscheidungsgründen der Ablehnung des Antrags im anderen Mitgliedsstaat hat (vgl. VG München, B. v. 30.1.2017 – M 23 S. 16.34550 – juris; B.v. 27.12.2016 – M 23 S. 16.33585 – juris; VG Schleswig-Holstein, B.v. 7.9.2016 – 1 B 54/16 – juris Rn. 7 ff; VG Schwerin, U.v. 8.7.2016 – 15 A 190/15 – juris Rn. 18; VG Wiesbaden, B.v. 20.6.2016 – 5 L 511/16.WI.A – juris Rn. 20, BeckOK AuslR/Schönenbroicher, AsylG, § 71a Rn. 1f).
Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben. Das Bundesamt hat die Annahme, der Antragsteller habe ein Asylerstverfahren in Italien mit einer für ihn negativen Sachentscheidung abgeschlossen, einzig auf die Tatsache gestützt, dass diesem humanitärer Schutz gewährt worden ist. Zwar ist der Antragsgegnerin zuzugeben, dass eine solche Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen keine Gewährung internationalen Schutzes darstellt, sondern allein auf (nationalem) italienischem Recht beruht und in der Regel gerade dann erteilt wird, wenn die italienischen Behörden davon ausgehen, dass die Voraussetzungen für die Gewährung internationalen Schutzes nicht erfüllt werden (vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge: Leitfaden Italien, Aktualisierte Fassung Oktober 2014, S. 22, abrufbar unter http://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Downloads/Infothek/Asyl/leitfaden-italien.pdf? blob=publicationFile).
Allerdings sagt dies noch nichts darüber, ob die Ablehnung des Asylverfahrens in Italien rechtskräftig geworden ist, ob in Italien ein Asylverfahren auch mit inhaltlicher Prüfung (vgl. BayVGH, U.v. 3.12.2015 – 13a B 15.50069 – juris) durchgeführt wurde und ob gegebenenfalls die Möglichkeit der Wiederaufnahme insbesondere hinsichtlich möglicher neuer Beweismittel besteht. Insoweit wird die Antragsgegnerin nicht umhin kommen, im Wege ihrer Amtsermittlungspflicht zu versuchen, unmittelbar Auskunft von den italienischen Behörden sowie eine Abdruck des ablehnenden Bescheides zu erhalten. Allein die Mutmaßung, die Gewährung humanitären Schutzes belege bereits die rechtskräftige Ablehnung eines Asylantrags aufgrund inhaltlicher Prüfung ist nicht ausreichend. Diese fehlende Aufklärung geht zu Lasten der Antragsgegnerin (vgl. BayVGH, U.v. 13.10.2016 – 20 B 14.30212 – juris Rn. 41).
Ein erfolgloser Abschluss des Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat ist somit nicht nachgewiesen, so dass ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Bescheids bestehen.
Dem Antrag ist daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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