Aktenzeichen M 7 S 16.50403
Leitsatz
In Litauen gibt es keine systemische Mängel des Asylverfahrens und/oder der Aufnahmebedingungen, insbesondere sind die Praxis der asylrechtlichen und subsidiären Schutzgewährungen, die Grund- und Gesundheitsversorgung sowie die Sicherheitslage unbedenklich und genügen den Grundsätzen des Unionsrechts. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gründe
I.
Der Antragsteller, ein ukrainischer Staatsangehöriger, reiste am 31. März 2016 in die Bundesrepublik ein, wo er am 25. April 2016 einen Asylantrag stellte. Bei seiner Befragung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) am 25. April 2016 gab er zu seinem Reiseweg an, am 25. Dezember 2015 sein Herkunftsland verlassen zu haben und in einem Bus über Tschechien nach Deutschland gereist zu sein. Er habe sich dafür entschieden, nach Deutschland zu gehen, da man dort am besten Schutz in der europäischen Gemeinschaft erlangen könne. Der Antragsteller ist im Besitz eines Einreisevisums für Litauen, das am 25. Dezember 2015 ausgestellt wurde und bis 20. März 2016 gültig ist.
Aufgrund des Visums stellten die deutschen Behörden am 2. Mai 2015 ein Übernahmeersuchen nach der Dublin-III-Verordnung an Litauen. Mit Schreiben vom 1. Juni 2016 stimmten die litauischen Behörden der Übernahme nach Art. 12 Abs. 4 Dublin-III-VO zu.
Mit Bescheid vom 14. Juni 2016 lehnte das Bundesamt den Asylantrag nach § 27 a AsylVfG als unzulässig ab (Nummer 1) und ordnete gemäß § 34 a Abs. 1 AsylVfG die Abschiebung nach Litauen an (Nummer 2), da Litauen aufgrund des erteilten Visums nach Art. 12 Abs. 4 Dublin-III-VO für die Behandlung des Asylantrags zuständig sei. Ferner wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gem. § 11 Abs. 1 AufenthG auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nummer 3). Außergewöhnlich humanitäre Gründe, die die Antragsgegnerin veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht auszuüben, seien nicht ersichtlich. Der Antragsteller habe in seinem persönlichen Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats angegeben, dass es keine Gründe gebe, die gegen eine Überstellung in einen anderen Dublin-Mitgliedsstaat sprächen.
Am 22. Juni erhob der Antragsteller gegen den am 17. Juni 2016 zugestellten Bescheid des Bundesamtes durch Niederschrift Klage zum Verwaltungsgericht München und beantragte zugleich,
hinsichtlich der Abschiebungsanordnung nach Litauen die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Zur Begründung gab er an, er wolle, dass Deutschland über seinen Asylantrag entscheide. Nach Litauen wolle er nicht, da dort schlechte Verhältnisse herrschten.
Das Bundesamt übersandte am 24. Juni 2016 die Behördenakten.
Ergänzend wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
II.
Der statthafte Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die im Bescheid vom 16. Juni 2016 verfügte Abschiebungsanordnung nach Litauen ist zulässig. Er wurde insbesondere gem. § 34 a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG, § 222 Abs. 2 ZPO fristgerecht innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe des streitgegenständlichen Bescheids gestellt.
Der Antrag ist jedoch unbegründet.
Entfaltet ein Rechtsbehelf wie hier von Gesetzes wegen (§ 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i. V. m. § 75 Abs. 1 AsylVfG) keine aufschiebende Wirkung, kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung gem. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO anordnen. Bei der vom Gericht im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens zu treffenden Interessenabwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheides und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs sind auch die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen, die ein wesentliches, wenn auch nicht das alleinige Indiz für und gegen die Begründetheit des einstweiligen Rechtsschutzbegehrens sind.
Vorliegend überwiegt das öffentliche Interesse an der Vollziehung der Anordnung gegenüber dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers. Denn nach der gebotenen summarischen Prüfung auf der Grundlage der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) ist davon auszugehen, dass der Antragsteller durch die streitgegenständliche Abschiebungsanordnung nach Litauen nicht in subjektiven Rechten verletzt wird.
Nach § 27a AsylVfG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Gemäß § 31 Abs. 1 Satz 4, Abs. 6 AsylVfG ist in diesen Fällen der Asylantrag als unzulässig abzulehnen.
Nach den Regelungen der vorliegend anzuwendenden Dublin-III-Verordnung (vgl. Art. 49 Unterabs. 2 Satz 1 der VO (EU) 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.6.2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, sog. Dublin-III-VO) ist grundsätzlich nur ein einziger Mitglied-staat der Europäischen Union für die Prüfung eines Asylantrags zuständig (Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Dublin-III-VO). Dies ist hier Litauen, da der Antragsteller im Besitz eines Einreisevisums für Litauen ist, das am 15. Dezember 2015 ausgestellt wurde und bis 20. März 2016 gültig war.
Die Zuständigkeit Litauens ergibt sich aus Art. 12 Abs. 2 und Abs. 4 Unterabs. 1 Dub-lin-III-VO. Nach diesen einschlägigen Normen zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats gilt, dass für die Prüfung des Asylantrags eines Antragstellers mit gültigem Visum der Mitgliedstaat zuständig ist, der das Visum erteilt hat. Besitzt der Asylbewerber ein Visum, das seit weniger als sechs Monaten abgelaufen ist, aufgrund dessen er in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einreisen konnte, so bleibt der Mitgliedstaat, der das Visum erteilt hat, für die Prüfung des Asylantrags zuständig, solange der Antragsteller das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten nicht verlassen hat (Art. 12 Abs. 4 Unterabs. 1 i. V. m. Abs. 2 Dublin III-VO). So liegt der Fall hier.
Die Antragsgegnerin ist auch nicht nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin-III-VO für die Prüfung des Asylantrags des Antragstellers zuständig geworden, weil es wesentliche Gründe für die Annahme gäbe, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in Litauen systemische Schwachstellen aufwiesen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der EU-Grundrechtecharta mit sich bringen würden.
Das Gemeinsame Europäische Asylsystem stützt sich auf die uneingeschränkte und umfassende Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention und die Versicherung, dass niemand dorthin zurückgeschickt wird, wo er Verfolgung ausgesetzt ist. Es gilt grundsätzlich die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechte-Charta sowie der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention steht. Diese Vermutung kann jedoch widerlegt werden. Allerdings hat nicht jede Verletzung eines Grundrechts durch den zuständigen Mitgliedstaat zur Folge, dass der Mitgliedstaat, in dem ein Asylantrag eingereicht wurde, daran gehindert ist, den Antragsteller an diesen Mitgliedstaat zu überstellen. Nur wenn ernsthaft zu befürchten wäre, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigenden Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 der Charta implizieren, so wäre die Überstellung mit dieser Bestimmung unvereinbar (vgl. EUGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 u. a. – juris Rn. 75, 80, 82, 85 und 86). Diese vom Europäischen Gerichtshof aufgestellten Grundsätze sind nunmehr auch ausdrücklich in die Dublin-Verordnung aufgenommen worden. Der Tatrichter muss sich zur Widerlegung der auf dem Prinzip gegenseitigen Vertrauens unter den Mitgliedstaaten gründenden Vermutung, die Behandlung der Asyl-bewerber stehe in jedem Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechte-Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK, die Überzeugungsgewissheit (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) verschaffen, dass der Asylbewerber wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen in dem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher, d. h. überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wird (vgl. BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris Rn. 9).
Systemische Mängel des Asylverfahrens und/oder der Aufnahmebedingungen in Litauen, die einer Abschiebung des Antragstellers entgegenstehen würden, wurden weder vorgetragen noch sind diese ersichtlich. Insbesondere sind die Praxis der asylrechtlichen und subsidiären Schutzgewährungen, die Grund- und Gesundheitsversorgung sowie die Sicherheitslage unbedenklich und genügen den Grundsätzen des Unionsrechts (vgl. United States/US Department of State Lithuania 2013, human rights report vom 22.4.2014, abrufbar in MILo; Österreichischer Asylgerichtshof, Erkenntnis v. 19.10.2012 – S3 429.262-1/2012 – Rn. 108; VG Ansbach, U.v. 27.1.2016 – AN 14 K 15.50615 – juris Rn. 32; VG Düsseldorf, B.v. 14.12.2015 – 22 L 3629/15.A – juris Rn. 25).
Die Abschiebungsanordnung ist ebenfalls rechtmäßig. Gem. § 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ordnet das Bundesamt die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27 a AsylVfG) an, sobald feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen liegen vor. Es bestehen weder zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote hinsichtlich Litauens noch inlandsbezogene Abschiebungshindernisse bzw. Duldungsgründe, die im Rahmen des § 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG vom Bundesamt zu prüfen sind (BayVGH, B. v. 12. März 2014 – 10 CE 14.427- juris Ls).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83 b AsylVfG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).