Verwaltungsrecht

Keine systematische staatliche Verfolgung gegenüber Angehörigen ethnischer Minderheiten in Serbien

Aktenzeichen  M 17 K 17.31929

Datum:
22.2.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3c Nr. 3, § 3d Abs. 1, § 29a
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1
GG GG Art. 16a Abs. 3 S. 1

 

Leitsatz

1 Es gibt in Serbien keinerlei Anzeichen für systematische staatliche Verfolgungsmaßnahmen gegenüber Angehörigen ethnischer Minderheiten. (redaktioneller Leitsatz)
2 Eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustands, die ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG begründen kann, ist nicht schon bei jeder befürchteten ungünstigen Entwicklung anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Schäden. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird als offensichtlich unbegründet abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Über die Klage konnte nach vorheriger Anhörung der Klägerseite durch Gerichtsbescheid entschieden werden, da sie keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 84 Abs. 1 VwGO). Die Beklagte hat auf die Anhörung zu Entscheidungen durch Gerichtsbescheid generell verzichtet (s. Schreiben v. 25.02.2016).
Die Klage ist unbegründet, da der angegriffene Bescheid rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (vgl. § 113 Abs. 1 und 5 VwGO).
1. Ein Verfolgungs- oder Lebensschicksal, das die Zuerkennung einer Rechtsstellung als Flüchtling rechtfertigen würde, ist vorliegend aus dem Vortrag des Klägers nicht erkennbar.
1.1 Die Ablehnung der Anträge auf Anerkennung als Asylberechtigter und auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft als offensichtlich unbegründet beruht auf § 29a Abs. 1 Asylgesetz (AsylG). Nach dieser Vorschrift ist der Asylantrag eines Ausländers aus einem Staat i.S.v. Art. 16a Abs. 3 Satz 1 GG (sicherer Herkunftsstaat) als offensichtlich unbegründet abzulehnen, es sei denn, die von dem Ausländer angegebenen Tatsachen oder Beweismittel begründen die Annahme, dass ihm abweichend von der allgemeinen Lage im Herkunftsstaat politische Verfolgung droht.
1.2 Das Heimatland des Klägers, Serbien, ist ein sicherer Herkunftsstaat in diesem Sinne (vgl. § 29a Abs. 2 AsylG und Anlage II zu § 29a AsylG). Die Gerichte sind an diese Einstufung gebunden, es sei denn, sie sind der Überzeugung, dass sich diese als verfassungswidrig erweist (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1507/93 – juris Rn. 65). Gegen die Einstufung Serbiens als sicherer Herkunftsstaat bestehen aber weder verfassungsrechtliche noch europarechtliche Bedenken. Dies entspricht auch der ganz überwiegenden Meinung der deutschen Verwaltungsgerichte, der sich das Gericht anschließt (vgl. z.B. VG Regensburg, B.v. 24.2.2015 – RN 6 S. 15.30120 – juris Rn. 18; VG Bayreuth, B.v. 13.2.2015 – B 3 S. 15.30041 – juris Rn 17; VG Berlin U.v. 28.01.2015 – 7 K 546.15 A – juris Rn. 19-32; B.v. 9.12.2014, 7 L 603.14 A – juris; VG Hamburg B.v. 6.3.2015 – 5 AE 270/15 – juris Rn. 4; VG Gelsenkirchen, B.v. 29.1.2015 – 19a L 94/15.A; VG Oldenburg B.v. 9.4.2015 – 7 B 1548/15 – juris Rn. 22; VG Aachen, B.v. 3.2.2015 – 9 L 680/14.A – juris Rn 9; a. A. VG Münster, Beschluss vom 27.11.2014, 4 L 867/14.A – juris).
1.3 Der Kläger hat die durch § 29a AsylG normierte Nichtverfolgungsvermutung auch nicht durch den schlüssigen Vortrag von individuellen Verfolgungstatsachen erschüttern können.
a) Laut Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 1. November 2016 (S. 7ff.) gibt es keinerlei Anzeichen für systematische staatliche Verfolgungsmaßnahmen gegenüber Angehörigen ethnischer Minderheiten. Die meisten Minderheitenvertreter bezeichneten ihre eigene Situation vielmehr als grundsätzlich zufriedenstellend.
b) Soweit sich der Kläger auf Bedrohungen durch nicht näher bezeichnete Personen (laut Angaben seiner Ehefrau in deren Verfahren soll es sich um Gläubiger handeln) sowie auf Krankheiten der Ehefrau beruft, begründet dies bereits mangels Anknüpfung an die dort genannten Merkmale keine Verfolgung im Sinne von Art. 16a GG oder § 3 AsylG. Das Gericht folgt daher der zutreffenden Begründung der Beklagten im angegriffenen Bescheid, auf die verwiesen wird (§ 77 Abs. 2 AsylG).
2. Das Bundesamt hat im Übrigen auch zu Recht die Zuerkennung subsidiären Schutzes (§ 4 AsylG) als offensichtlich unbegründet abgelehnt und das Vorliegen von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG verneint. Das Gericht nimmt auch insoweit auf die Begründung des Bundesamts Bezug (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Ergänzend wird auf Folgendes hingewiesen:
2.1 Die Erkrankungen der Ehefrau des Klägers können kein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begründen.
Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Diese Regelung erfasst zwar nur solche Gefahren, die in den spezifischen Verhältnissen im Zielstaat begründet sind, während Gefahren, die sich aus der Abschiebung als solcher ergeben, nur von der Ausländerbehörde als inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis berücksichtigt werden können. Ein zielstaatbezogenes Abschiebungshindernis kann aber gegeben sein, wenn die Gefahr besteht, dass sich eine vorhandene Erkrankung aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib und Leben führt, d.h. dass eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht. Dies kann etwa der Fall sein, wenn sich die Krankheit im Heimatstaat aufgrund unzureichender Behandlungsmöglichkeiten verschlimmert oder wenn der betroffene Ausländer die medizinische Versorgung aus sonstigen Umständen tatsächlich nicht erlangen kann (BVerwG, B.v. 17.8.2011 – 10 B 13/11 u.a – juris; BayVGH, U.v. 3.7.2012 – 13a B 11.30064 – juris Rn. 34). Eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustands ist dabei nicht schon bei jeder befürchteten ungünstigen Entwicklung anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Schäden (OVG NRW, B.v. 30.12.2004 – 13 A 1250/04.A – juris Rn. 56).
Diese Rechtsprechung hat nunmehr auch in § 60 Abs. 7 Satz 2 bis 4 AufenthG seinen Niederschlag gefunden, wonach eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur vorliegt bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist.
Demnach kann hier von einem zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernis nicht ausgegangen werden:
Abgesehen davon, dass keine aktuellen Atteste o.ä. vorgelegt wurden, können Erkrankungen in Serbien grundsätzlich behandelt werden. Laut Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 1. November 2016 (S. 15ff.) ist die Gesundheitsversorgung in Serbien grundsätzlich gesichert und auch Roma genießen die gleichen Rechte wie die serbische Mehrheitsbevölkerung.
2.2 Etwas anderes ergibt sich auch nicht aufgrund der geltend gemachten Bedrohungen durch Gläubiger des Ehemanns. Abgesehen davon, dass der diesbezügliche Vortrag sehr pauschal und unsubstantiiert ist, hätten der Kläger und seine Frau bei einer Rückkehr die Möglichkeit, die Hilfe – gegebenenfalls übergeordneter – staatlicher Stellen in Anspruch zu nehmen. Insbesondere kann von einer allgemein mangelnden Schutzfähigkeit oder -willigkeit des serbischen Staates nicht ausgegangen werden (vgl. § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. der entsprechenden Anwendung von § 3c Nr. 3, § 3d Abs. 1 und 2 AsylG). Das Gericht verkennt dabei nicht, dass nach dem aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 1. November 2016 (S. 11f.) eingeräumt wird, dass die Polizei nicht in allen Fällen mit der gebotenen Konsequenz gegen Übergriffe (insbesondere auf Minderheiten) vorgeht und die Polizei Übergriffe in manchen Fällen nur zögerlich verfolgt. Nach dem Bericht ist jedoch auch davon auszugehen, dass Anzeigen (auch von Roma) wegen Körperverletzung zu Gerichtsprozessen führen. Für ein im System angelegtes Vollzugsdefizit staatlicher Schutzgewährung sieht das Gericht jedenfalls keine Anhaltspunkte.
Im Übrigen besteht in derartigen Fällen eine inländische Fluchtalternative (vgl. § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. der entsprechenden Anwendung von § 3e AsylG). Der Kläger könnte zumindest durch die Verlegung seines Wohnsitzes in andere Landesteile Serbiens, wo ihn nichtstaatliche Dritte mit asylrechtlich hinreichender Sicherheit nicht ausfindig machen können, eine etwaige Gefahr für Leib oder Leben abwenden.
3. Nach alledem ist auch die vom Bundesamt nach Maßgabe der §§ 34, 36 Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG erlassene Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung nicht zu beanstanden.
4. Schließlich ist auch das auf § 11 Abs. 7 AufenthG gestützte befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot rechtmäßig.
Die Ermessenserwägungen der Beklagten sind im Rahmen der auf den Maßstab des § 114 Satz 1 VwGO beschränkten gerichtlichen Überprüfung nicht zu beanstanden, zumal der Kläger gegen das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 7 AufenthG keine substantiierten Einwendungen vorgebracht und insbesondere kein fehlerhaftes Ermessen gerügt hat.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben