Aktenzeichen M 8 S 17.51198
Leitsatz
1 Aufgrund eines völkerrechtlichen Vertrages gilt die Dublin III-Verordnung seit 1.5.2006 auch für Norwegen. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2 In Norwegen bestehen keine systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen. Es gibt dort ohne weiteres die Möglichkeit, eine ärztliche Behandlung für eine Diabeteserkrankung zu erlangen und fortzuführen. (Rn. 19 – 22) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragsteller haben die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner zu tragen.
Gründe
I.
Die Antragsteller begehren im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 21. April 2017.
Die Antragsteller – ein Elternpaar und ihre drei minderjährigen Kinder – sind Staatsangehörige Tansanias, reisten am 7. Februar 2017 auf dem Luftweg aus Norwegen kommend in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten hier am 10. März 2017 einen Asylantrag. Eine Recherche durch das Bundesamt ergab, dass die Antragsteller im Besitz zuletzt bis 28. Februar 2017 gültiger norwegischer Aufenthaltstitel waren.
Das Bundesamt hat am 12. April 2017 Übernahmeersuchen an Norwegen gerichtet. Mit Schreiben vom 20. April 2017 erklärte sich Norwegen zur Übernahme der Antragsteller bereit.
Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 21. April 2017, über dessen Zustellung sich kein Nachweis in den vorgelegten Behördenakten befindet, wurde in Nummer 1 die Anträge auf Asyl als unzulässig abgelehnt, in Nummer 2 festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) nicht vorliegen, in Nummer 3 die Abschiebung nach Norwegen angeordnet und in Nummer 4 das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.
Am 24. April 2017 haben die Antragsteller zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle Klage gegen den Bescheid des Bundesamts vom 21. April 2017 erhoben. Mit gleichzeitig gestelltem Antrag nach § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) wird sinngemäß beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 21. April 2017 anzuordnen.
Zur Begründung wurde auf die Angaben gegenüber dem Bundesamt Bezug genommen und zudem darauf hingewiesen, dass der Antragsteller zu 3 krank sei und unter Diabetes leide. Nach ärztlicher Beurteilung sei er nicht reisefähig.
Das Bundesamt hat die Verfahrensakte elektronisch vorgelegt. Eine Erwiderung oder Antragstellung erfolgte nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte sowie die vorgelegte Akte des Bundesamts Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag vom 24. April 2017, gemäß § 34a Abs. 2 Asylgesetz (AsylG) i. V. m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO gerichtet auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage vom selben Tag, ist unbegründet.
Entfaltet ein Rechtsbehelf – wie hier – von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i. V. m. § 75 Abs. 1 AsylG), kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Das Gericht trifft dabei eine eigene Ermessensentscheidung, bei der es abzuwägen hat zwischen dem sich aus § 75 AsylG ergebenden öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfes. Dabei sind insbesondere die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Eilverfahren gebotene summarische Prüfung, dass die Klage voraussichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid schon bei kursorischer Prüfung als rechtswidrig, so besteht kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei einer allgemeinen Interessenabwägung. Diese Abwägung fällt aufgrund der voraussichtlichen Unbegründetheit der Klage zulasten der Antragsteller aus.
1. Lehnt das Bundesamt auf der Grundlage von § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG die Durchführung eines Asylverfahrens als unzulässig ab und ordnet nach § 34a Abs. 1 AsylG die Abschiebung in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union – hier nach Norwegen – an, besteht die Besonderheit, dass das Bundesamt lediglich die Frage nach dem für die Prüfung des Asylbegehrens des Antragstellers zuständigen Mitgliedstaat erwogen hat, sich aber nicht mit den Gründen für die Gewährung von Asyl und der Frage nach einer Abschiebung in den Herkunftsstaat befasst hat. Die Zuständigkeitsprüfung nach der Dublin III-VO und die inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens erfolgt in zwei getrennten Verfahren. Die Frage nach der Prüfung des für das Asylverfahren zuständigen Mitgliedstaates ist der inhaltlichen Prüfung des Asylantrags vorgelagert.
2. Gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Dies ist hier der Fall. Norwegen ist gemäß Art. 12 Abs. 4 UAbs. 1 der Dublin-III-VO für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig.
Art. 3 Abs. 1 der Dublin-III-VO sieht vor, dass der Asylantrag von dem Mitgliedsstaat geprüft wird, der nach den Kriterien des Kapitel III der Dublin-III-VO als zuständiger Mitgliedsstaat bestimmt wird. Bei Anwendung dieser Kriterien ist Norwegen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig, da die Antragsteller zum Zeitpunkt ihrer Asylantragstellung in Deutschland am 10. März 2017 im Besitz seit weniger als sechs Monaten abgelaufenen, von den norwegischen Behörden ausgestellter Aufenthaltstitel (gültig bis 28. Februar 2017) waren. Damit liegen die Voraussetzungen nach Art. 12 Abs. 4 UAbs. 1 der Dublin-III-VO für Norwegen vor.
Die Aufnahmegesuche der Antragsgegnerin vom 12. April 2017 wurden innerhalb der 3-Monatsfrist des Art. 21 Abs. 1 UAbs. 1 der Dublin-III-VO gestellt. Mit Schreiben vom 20. April 2017 erklärte Norwegen, die Antragsteller gemäß Art. 12 Abs. 4 der Dublin-III-VO aufzunehmen.
3. Die Abschiebung nach Norwegen kann gemäß § 34a Abs. 1 AsylG auch durchgeführt werden.
3.1 Aufgrund eines völkerrechtlichen Vertrages gilt die Dublin-VO seit 1. Mai 2006 auch für Norwegen (vgl. VG Würzburg, B.v. 27.1.2014 – W 6 S. 14.30036 – juris Rn. 13). Denn mit Beschluss Nr. 2001/258/EG des Rates vom 15. März 2001 über den Abschluss des Übereinkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Republik Island und dem Königreich Norwegen über die Kriterien und Regelungen zur Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat oder in Island oder in Norwegen gestellten Asylantrags (ABl EG v. 3.4.2001 Nr. L 93 S. 38 f. und S. 40 ff.), erweitert durch den Beschluss Nr. 2006/167/EG des Rates vom 21. Februar 2006 über den Abschluss eines Protokolls zum Übereinkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Republik Island und dem Königreich Norwegen über die Kriterien und Regelungen zur Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedsstaat oder in Island oder Norwegen gestellten Asylantrags (ABl EG vom 28.2.2006 Nr. L 57 S. 15 und 16 ff.), finden die Dublin-II-Verordnung und die angenommenen Durchführungsbestimmungen auch auf die Beziehungen mit Norwegen Anwendung (vgl. Art. 2 des Protokolls ABl EG vom 28.2.2006 Nr. L 57 S. 16, 17).
3.2 Die Zuständigkeit Norwegens ist nicht gemäß Art. 3 Abs. 2 UAbs. 3 der Dublin-III-VO auf die Antragsgegnerin übergegangen, weil eine Überstellung an Norwegen als den zuständigen Mitgliedsstaat an Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 der Dublin-III-VO scheitern würde. Es sind keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Antragsteller im Falle einer Abschiebung nach Norwegen infolge systemischer Schwachstellen des dortigen Asylverfahrens oder der dortigen Aufnahmebedingungen einer hinreichend wahrscheinlichen Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ausgesetzt wären.
Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93 und 2 BvR 2315/93 – juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10 – juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedsstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) entspricht. Allerdings ist diese Vermutung nicht unwiderleglich. Vielmehr obliegt den nationalen Gerichten die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedsstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für den Antragsteller führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedsstaat einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 GRCh ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 a.a.O.). Die Vermutung ist aber nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedsstaaten widerlegt. An die Feststellung systemischer Mängel sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist daher nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris).
Ausgehend von diesen Maßstäben ist im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht davon auszugehen, dass die Antragsteller in Norwegen aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber tatsächlich Gefahr laufen, dort einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein. Dies ist in der aktuellen Rechtsprechung, gerade auch des erkennenden Gerichts, insbesondere mit Blick auf eine Auskunft des Auswärtigen Amts vom 19. Dezember 2016 anerkannt (vgl. Gerichtsbescheide vom 24.1.2017 – 8 K 16.50316 und M 8 K 16.50317). Die Erkenntnislage erweist sich zum maßgeblichen Zeitpunkt des Ergehens der vorliegenden Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 HS. 2 AsylG) auch als unverändert.
4. Individuelle, außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 der Dublin-III-VO notwendig machen, liegen ebenso wenig vor wie inlands- oder zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse.
Nach § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG wird gesetzlich vermutet, dass der Abschiebung nicht entgegenstehen. So liegt der Fall auch hier, da dem Bundesamt nach Aktenlage – entgegen ausdrücklicher Ankündigung des Antragstellers zu 1 gegenüber dem Bundesamt am 29. März 2017 (Blatt 157 und 181 dA) – kein Nachweis der behaupteten Krankheit und einer daraus gegebenenfalls resultierenden Reiseunfähigkeit des Antragstellers zu 3 vorgelegt wurde. Die Konsequenzen, die sich aus seiner Diabateserkrankung im Falle einer Abschiebung für den Antragstellers zu 3 gegebenenfalls ergeben könnten, sind zudem auch dem Gericht gegenüber nicht durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung nachgewiesen worden (vgl. § 60a Abs. 2c Satz 2 und 3 AufenthG). Schließlich besteht auch in Norwegen ohne weiteres die Möglichkeit der Fortführung einer entsprechenden ärztlichen Behandlung. Der Antragsteller zu 3 war nach Angaben der Antragsteller zu 1 und 2 gegenüber dem Bundesamt auch in Norwegen bereits in entsprechender ärztlicher Behandlung, sodass namentlich auch aus diesem Grund nicht ersichtlich ist, wieso eine Behandlungsfortsetzung dort nunmehr nicht (mehr) möglich sein sollte. Diese räumten letztlich auch die Antragsteller gegenüber dem Bundesamt ausdrücklich ein (Blatt 181 dA).
Soweit die Antragsteller fürchten, aufgrund (exil-) politischer Betätigung in Gestalt von Publikationen des Antragstellers zu 1 in Norwegen gefährdet zu sein, besteht hierfür aus Sicht des Gerichts keinerlei Anlass. Zum einen hat der Antragsteller zu 1 selbst gegenüber dem Bundesamt angegeben, er habe in Norwegen keinerlei Bedrohung durch der tansanischen Regierung nahestehende Kreise erfahren. Zum anderen bestünde in Norwegen jederzeit die Möglichkeit, vor allem polizeiliche Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 2 VwGO abzulehnen. Das Verfahren ist nach § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).