Verwaltungsrecht

Keine Verletzung des rechtlichen Gehörs durch fehlerhafte Dolmetscherbeeidigung

Aktenzeichen  5 ZB 17.31569

Datum:
4.12.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
LSK – 2017, 136982
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 103 Abs. 1
GVG § 185 Abs. 1 S. 1, § 189 Abs. 1 S. 1, Abs. 2

 

Leitsatz

1 Ist die Hinzuziehung eines Dolmetschers notwendig nach § 185 Abs. 1 S. 1 GVG, so stellt es einen Verfahrensfehler dar, wenn ein Dolmetscher hinzugezogen wird, der weder gemäß § 189 Abs. 2 GVG für Übertragungen der betreffenden Art allgemein beeidigt ist und sich auf diesen Eid beruft noch gemäß § 189 Abs. 1 S. 1 GVG den Dolmetschereid leistet bzw. die Bekräftigung nach Satz 2 der Vorschrift abgibt. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die verfahrensfehlerhafte Nichtbeeidigung eines Dolmetschers verletzt als solche nicht das rechtliche Gehör. Dies kommt erst dann in Betracht, wenn die Sprachmittelung aufgrund von Übertragungsfehlern an erheblichen Mängel gelitten und deshalb zu einer unrichtigen, unvollständigen oder sinnentstellenden Wiedergabe der in der mündlichen Verhandlung gemachten Angaben geführt hat (Anschluss an VGH BW BeckRS 2005, 28274). (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
3 Hat der Dolmetscher im Bewusstsein, unter Eid zu stehen, übersetzt, liegt regelmäßig keine Verletzung des rechtlichen Gehörs im Sinne von § 138 Nr. 3 VwGO vor, selbst wenn die Vereidigung als solche an Mängeln gelitten haben sollte. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 2 K 16.31326 u.a. 2017-09-14 Urt VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

1. Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
a) Die Berufung ist nicht nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 VwGO wegen eines Verfahrensmangels – hier wegen der gerügten Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nach § 138 Nr. 3 VwGO – zuzulassen.
Die Kläger tragen vor, der zur mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts hinzugezogene Dolmetscher sei weder allgemein vereidigt noch habe er in der mündlichen Verhandlung einen Dolmetschereid geleistet. Stattdessen habe sich der Dolmetscher, wie aus der Niederschrift über die mündliche Verhandlung zutreffend hervorgehe, in der mündlichen Verhandlung im Verfahren der Kläger „auf seinen eingangs der Sitzung geleisteten Dolmetschereid“ berufen. Der Dolmetscher hätte aber bei jeder Zuziehung am Sitzungstag einen Eid leisten müssen. Würden mehrere Sachen unter Beteiligung des gleichen Dolmetschers in einer Sitzung verhandelt, sei in jeder Verhandlung eine erneute Vereidigung erforderlich. Die Kläger bestritten auch mit Nichtwissen, dass der Dolmetscher eingangs der Sitzung auch im Verfahren der Kläger vereidigt worden sei. Ohne die ordnungsgemäße Vereidigung des Dolmetschers lasse sich in der Regel nicht ausschließen, dass das Urteil auf der fehlerhaften Vereidigung beruhe.
aa) Dieser Vortrag führt hier nicht zur Zulassung der Berufung. Die Kläger haben bereits eine Verletzung von Verfahrensrecht im Zusammenhang mit der Durchführung der mündlichen Verhandlung am 13. September 2017 nicht hinreichend dargelegt (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG). Die ordnungsgemäße Begründung einer Gehörsrüge im Zulassungsverfahren erfordert grundsätzlich Ausführungen dazu, was bei ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs vorgetragen worden wäre (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124a Rn. 74). Die Zulassungsbegründung enthält keine Ausführungen darüber, was die Kläger ohne den etwaigen Verfahrensverstoß in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hätten, welcher Vortrag ihnen also durch den etwaigen Verfahrensfehler abgeschnitten worden sein soll und ob bzw. was der Dolmetscher unrichtig übersetzt haben soll (vgl. zum insoweit erforderlichen Vortrag OVG NW, B.v. 15.6.1999 – 23 A 1035/99.A – juris Rn. 4 ff. m.w.N.).
bb) Unbeschadet dessen wurde der Anspruch auf rechtliches Gehör hier aber auch nicht verletzt. Das rechtliche Gehör als „prozessuales Urrecht“ des Menschen sichert den Beteiligten ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können, insbesondere dass sie mit ihren Ausführungen und Anträgen gehört werden (BVerfG, B.v. 30.4.2003 – 1 PBvU 1/02 – BVerfGE 107, 395/409 = NJW 2003, 1924). Das rechtliche Gehör gewährleistet im Sinn der Wahrung eines verfassungsrechtlich geboten Mindeststandards, dass der Kläger die Möglichkeit hat, sich im Prozess mit tatsächlichen und rechtlichen Argumenten zu behaupten. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Gerichte das von ihnen entgegengenommene Parteivorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Die Gerichte sind nicht verpflichtet, jedes Vorbringen der Beteiligten in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu bescheiden. Ein Gehörsverstoß liegt deshalb nur vor, wenn im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (BVerfG, B.v. 29.10.2015 – 2 BvR 1493/11 – NVwZ 2016, 238/241).
Eine Versagung des rechtlichen Gehörs im Sinn des § 138 Nr. 3 VwGO kann auch in der Verletzung von Verfahrensvorschriften liegen, die der Wahrung des rechtlichen Gehörs dienen. Aber nicht jede Missachtung einer der Gewährung des rechtlichen Gehörs dienende Regelung oder einer unmittelbar aus Art. 103 Abs. 1 GG fließenden Pflicht des Gerichts führt zu einem Gehörsverstoß, der die Kausalitätsvermutung des § 138 Nr. 3 VwGO (Beruhen) auslöst (vgl. Eichberger/Buchheister in Schoch/ Schneider/Bier, VwGO, Lsbl. Stand Oktober 2016, § 138 Rn. 75 m.w.N.).
Ist die Hinzuziehung eines Dolmetschers notwendig im Sinn von § 55 VwGO i.V.m. § 185 Abs. 1 Satz 1 GVG, so stellt es einen Verfahrensfehler dar, wenn ein Dolmetscher hinzugezogen wird, der weder gemäß § 189 Abs. 2 GVG für Übertragungen der betreffenden Art nach den landesrechtlichen Vorschriften allgemein beleidigt ist und sich auf diesen Eid beruft noch gemäß § 189 Abs. 1 Satz 1 GVG den Dolmetschereid leistet bzw. die Bekräftigung nach Satz 2 der Vorschrift abgibt. Eine treue und gewissenhafte Übersetzung durch den Dolmetscher ist für die Anhörung der Betroffenen, die der deutschen Sprache nicht im Sinn von § 185 Abs. 1 Satz 1 GVG mächtig sind, unverzichtbar. Ist diese nicht sichergestellt, liegt eine Verletzung des rechtlichen Gehörs vor. Eine treue und gewissenhafte Übersetzung kann aber auch dann, wenn der Eid durch den Dolmetscher nicht oder nicht ordnungsgemäß geleistet wurde, sichergestellt sein.
Der Senat geht davon aus, dass der hier hinzugezogene Dolmetscher am Verhandlungstag der Einzelrichterin des Verwaltungsgerichts den Dolmetschereid nach § 189 Abs. 1 Satz 1 GVG geleistet hat, da das mit der Formulierung „unter Berufung auf seinen eingangs der Sitzung geleisteten Dolmetschereid“ zum Ausdruck kommt und so protokolliert ist (vgl. § 105 VwGO i.V.m. §§ 160, 165, 415 Abs. 1, 417 ZPO).
Es kann hier offenbleiben, ob der Dolmetscher zu Beginn der Sitzung ordnungsgemäß nach § 189 Abs. 1 GVG auch für die Sache der Kläger, also auch für die vorliegende Verwaltungsstreitsache, vereidigt wurde (vgl. BGH, U.v. 16.6.1970 – 1 StR 79/70 – MDR 1970, 778; OVG NW, B.v. 15.6.1999 – 23 A 1035/99.A – juris LS 1). Offen bleiben kann auch, ob das Rügerecht insoweit für die Klagepartei verloren gegangen ist, weil die Nichtbeeidigung in der mündlichen Verhandlung der Kläger durch diese und ihren Prozessbevollmächtigten nicht gerügt worden ist (vgl. zum Meinungsstand: BGH, U.v. 21.12.1993 – VI ZR 246/92 – NJW 1994, 941; v. 7.10.1986 – VI ZR 262/85 – NJW 1987, 260; BVerwG, B.v. 7.10.1987 – 9 CB 20.87 – NJW 1988, 722 juris Rn. 6 zu § 185 GVG; SächsOVG, B.v. 13.7.1995 – A 4 S 121/95 – juris; NdsOVG, B.v. 5.12.1996 – 11 L 6644/96 – juris; OLG Celle, B.v. 4.4.2016 – 1 Ss (OWi) 54/16 – juris m.w.N.; OLG Hamm, B.v. 12.12.1995 – 4 Ss 888/95 – juris; Berlit in GK-AsylG, § 78 Rn. 436).
Denn die verfahrensfehlerhafte Nichtbeeidigung eines Dolmetschers verletzt als solche nicht das rechtliche Gehör (vgl. NdsOVG, B.v. 2.3.2000 – 3 L 4844/99 – juris; SächsOVG, B.v. 13.7.1995 – A 4 S 121/95 – juris). Eine Verletzung kommt nur (und erst dann) in Betracht, wenn die Sprachmittelung durch einen zugezogenen Sprachmittler aufgrund von Übertragungsfehlern an erheblichen Mängel gelitten und deshalb zu einer unrichtigen, unvollständigen oder sinnentstellenden Wiedergabe der vom Asylsuchenden in der mündlichen Verhandlung gemachten Angaben geführt hat (vgl. VGH BW, B.v. 22.7.1997 – A 12 S 3092/96 – VGHBW-Ls 1997, Beilage 10, B 3-4 = juris LS 2; Berlit in GK-AsylG, § 78 Rn. 436 m.w.N.).
Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs liegt daher nicht vor, wenn sichergestellt ist, dass der Dolmetscher treu und gewissenhaft übertragen hat. Hat der Dolmetscher im Bewusstsein, unter Eid zu stehen, übersetzt, liegt regelmäßig keine Verletzung des rechtlichen Gehörs im Sinn von § 138 Nr. 3 VwGO vor, selbst wenn die Vereidigung als solche an Mängeln gelitten haben sollte. Das ist der Fall, wenn sich der Dolmetscher auf den eingangs der Sitzung geleisteten Eid beruft und das Gericht diese Erklärung in das Protokoll aufnimmt. Denn daraus wird deutlich, dass der Dolmetscher und das Gericht davon ausgegangen sind, dass der Dolmetscher ordnungsgemäß vereidigt war und daher die Übersetzung „unter Eid“ erfolgte, so dass im Fall der vorsätzlichen Falschübersetzung eine erhebliche Straftat vorläge. Dass der Dolmetscher den Eid in der mündlichen Verhandlung der Kläger nicht wiederholt hat, sondern sich nur auf einen eingangs der Sitzung geleisteten Eid beruft, lässt, da er selbst von einer ordnungsgemäßer Vereidigung ausgeht, nicht befürchten, dass er in diesem Fall nicht treu und gewissenhaft übertragen werde (vgl. BGH, B.v. 6.4.2017 – V ZB 59.16 – juris Rn.11). In der strafrechtlichen Judikatur ist anerkannt, dass, beruft sich ein Dolmetscher auf einen früher nicht oder nicht ordnungsgemäß allgemein geleisteten Eid, das Beruhen des Urteils auf diesem Verfahrensfehlers stets ausgeschlossen ist, wenn das Gericht wie auch der Dolmetscher davon ausgehen, dass der Dolmetscher ordnungsgemäß vereidigt war (so ausdrücklich BGH, U.v. 17.1.1984 – 5 StR 755/83 – NJW 1984,1765 – unter Festhaltung an BGH, U.v. 27.8.1953 – 3 StR 147/53; U.v. 7.11.1986 – 2 StR 499/86 – NJW 1997, 1033 = juris Rn. 5; B.v. 2.9.1987 – 2 StR 420/87 – juris).
Anhaltspunkte dafür, dass in der mündlichen Verhandlung der Kläger am 13. September 2017 nicht treu und gewissenhaft übertragen worden sein könnte, haben die Kläger nicht vorgetragen und lassen sich der Niederschrift auch nicht entnehmen. Die Kläger sind sunnitische Kurden und stammen eigenen Angaben zufolge aus einem zur Provinz Ninawa (Mosul) nahe gelegenen Dorf in der Provinz Dohuk (kurdisches Autonomiegebiet). Sie wiederholten im Wesentlichen ihr Vorbringen aus der Anhörung vor dem Bundesamt am 16. August 2016, wonach sie aus Angst vor dem IS, mit dem es bereits Kämpfe gegeben habe, geflohen seien.
b) Die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (Zulassungsgrund des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) im Hinblick auf die beim Verwaltungsgericht Ansbach praktizierte Vereidigung des Dolmetschers „zu Beginn der Sitzung“ liegt hier nicht vor, da die Frage, ob der Dolmetscher ordnungsgemäß im Sinn von § 189 GVG vereidigt worden ist, hier nach dem unter Nr. 1 Ausgeführtem nicht entscheidungserheblich ist.
c) Hinsichtlich der Ausführungen der Klagepartei zum Vorliegen von Abschiebungsverboten in den Irak ist ein Zulassungsgrund nicht dargelegt. Soweit die Klagepartei meinen sollte, es müsse grundsätzlich geklärt werden, ob die These des Verwaltungsgerichts, dass im Irak jeder erwerbsfähige Mann für sich und seine Familie eine Existenzgrundlage erwirtschaften könne, richtig ist, wird weder eine Entscheidungserheblichkeit dieser Frage im hier vorliegenden Fall dargelegt, noch kann diese Frage grundsätzlich geklärt werden, sondern ist eine Frage des jeweiligen Einzelfalls. Gründe, warum die Kläger im kurdischen Autonomiegebiet kein ausreichendes Existenzminimum finden könnten, wurden weder vorgetragen noch sind solche nach der 0Erkenntnislage ersichtlich, zumal der IS nach übereinstimmenden Medienberichten aus der Provinz Ninawa zurückgedrängt und Mosul zurückerobert wurde.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
3. Dieser Beschluss, mit dem die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig wird (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG), ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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